The Four Seasons von Alan Alda ist ein Film aus einer vormaligen Zeit, in dem ambivalente Gefühlsregungen von Figuren (beispielsweise das gleichzeitige Aufleuchten einer Zuneigung und Panik, Zärtlichkeit und Angst oder Traurigkeit und Albernheit) nicht nacheinander, in voneinander getrennten Szenen, sondern zur gleichen Zeit greifbar werden. Es ist schwer zu sagen, wann dem fiktionalen Kino diese Fähigkeit zur Komplexität abhandenkam, aber man trifft sie heute nur mehr selten an, so viel ist sicher.
Dabei verrät schon der beiläufigste Blick ins Gesicht eines anderen Menschen, dass dort mehr vor sich geht, als nur diese eine, auf alles zulaufende Eindeutigkeit, mit der sich vielleicht angestrengte Plots, nicht aber das Leben erzählen lassen. Alda, dessen Regiedebüt der Film markierte, orientiert sich dabei irgendwo zwischen John Cassavetes, Éric Rohmer und Woody Allen, um beispielsweise im Gesicht von Nick, einem zu Beginn des Films unglücklich verheirateten Mann, zugleich ein verletztes, einsames Kind, einen albernen Gockel in der Midlife Crisis, einen schuldbewussten Existenzialisten, einen Egoisten, einen körperorientierten Männlichkeitsjunkie, einen treuherzigen Freund und eine verlorene Seele zu entdecken. Niemand würde auf die Idee kommen, dass man Nick (genausowenig wie die vier Frauen und zwei anderen Männer im Film) be- oder verurteilen könnte. Man kann mit oder gegen ihn empfinden, mit oder über ihn lachen, das ist alles, das ist schon viel.
Es mag sein, dass Vereinfachungen wichtig sind für die verdichteten Erzählweisen des Kinos, aber heute werden sie oft als faule, ideologisch gefärbte Ausreden benutzt, um dieses oder jenes theoretische Problem zu erläutern. Ein den Menschen zugewandtes Kino scheint nicht nötig zu sein, wenn es um Parolen geht, die Auswege aus der Unerklärlichkeit des Seins versprechen. Ich kann mir nur vorstellen wie erschrocken manche Apologeten der zeitgenössischen, politischen Propaganda dreinschauen, wenn sie mit den widersprüchlichen Gefühlen konfrontiert werden, die in einer Welt stecken, in der die süßest winselnden Tiere sadistische Neigungen offenbaren.
Ansonsten zelebriert der komödiantisch angehauchte, aber jederzeit tragische Film in vier Bewegungen, die bereits vom Titel festgelegt werden, die menschliche Mittelmäßigkeit, wobei er den mittelmäßigen zum wahren Menschen erhebt. Ein Film also von jener Sorte, wie er Menschen gefällt, die behaupten würden, das Leben verstanden zu haben, die schulterzuckend und von Enttäuschungen abgehärtet registrieren, dass sie dieses oder jenes nie erleben werden, dass das Leben eben so sei, dass man nicht nach zu viel Ausschau halten solle, weil man ohnehin nichts tun könne gegen den ungerechten, sich in Sackgassen verfahrenden Lauf des Daseins. Ein Film für Menschen, die nichts mehr erwarten vom Leben und darüber lachen können. Das macht ihn traurig in den Blicken jener, die noch leben und grandios in den Augen der Ernüchterten.
Beobachtet werden sechs bis sieben Freunde, eigentlich drei Paare, wobei sich eines auflöst, die durchs Leben schlittern, sich um Kopf und Kragen reden und dabei altern, machtlos sicherlich, aber doch ausgestattet mit dieser menschlichen Fähigkeit zur Selbsteinordnung, als wäre man immer zugleich mittendrin und am Rand der Dinge. Im Frühling treffen sie sich auf einer ländlichen Hütte, im Sommer auf einem Segelboot, im Herbst irgendwo in einem Hotel nahe der Universität ihrer Töchter, im Winter beim Skifahren.
Die vier Jahreszeiten, denen sich der Film unterwirft, von denen er sich zumindest rahmen lässt, dienen dabei nicht als bloße pastoral angehauchte Untermalung der mäandernden Dramaturgie (ein wenig gemahnt der Film an die großen Hanging-Out-Filme à la Le déjeuner sur l’herbe von Jean Renoir), nein, sie verkörpern geradezu natürlich diese Ordnung in der Unordnung, den ludus in der paidia wie Roger Caillois schreiben würde, also das, was wir beim Blick in unsere Kalender erwarten, mit dem, was uns tatsächlich widerfährt.
Aber es stimmt schon, der Frühling kehrt wieder, egal ob es nun der gleiche ist oder ein anderer. Nur diese variantenreiche Wiederkehr ist es, die ihn komplex macht, denn in ihr offenbaren sich die feinen Unterschiede zwischen den Jahren und es zeigt sich das, was man plötzlich zum ersten Mal erkennt, obwohl es jeden April erblüht. Dann liegt es an uns zu handeln, zumindest zu sehen oder uns zu winden, uns dem Strom der Zeit hinzugeben oder ihm zu widerstehen, wahrscheinlich beides zugleich. The Four Seasons fängt diese Sekunden zwischen der Flucht und dem Verharren, der Hingabe und der Aufgabe. Er zeigt die Wut, die nichts zählt und die sich in Kichern auflösende Panik. Das ist wahrscheinlich viel wert und doch hoffe ich, niemals in diesem Film zu leben, obwohl ich es wahrscheinlich längst tue.