Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Notiz zu Tong Dao von Wang Bing

Text: Tilman Schumacher

Ein Film, der uns kaum je die Kohleminen im nordchinesischen Shanxi und Hebei – gelegen in der Inneren Mongolei – überblicken, uns tatsächlich nur ein einziges Mal in einer flüchtig verruckelten Panoramaaufnahme deren Ausmaß erahnen lässt. Ein Film, der dafür wackelkamera-krisselig eng an seine namenlosen Protagonisten heranrückt, allesamt kohlengeschwärzte LKW-Fahrer. Nah kommen wir diesen Menschen deshalb aber noch nicht, wenn sie, eine Staubwolke hinter sich herziehend, durch entlegene Ortschaften fahren und ihre Ladungen minderwertiger Kohle am Wegesrand unter die Leute bringen. Die Hoffnung, zu ihnen eine Bindung aufzubauen, verfliegt schnell. Wir erfahren von den Mechanismen, wie man sich hier gegenseitig übers Ohr hat, weniger davon, was sich die durchs Wasteland schlängelnden Privathändler jenseits des Feilschens um jeden Yuan so vom Leben erwarten. 

Schwer deprimierend wirkt das alles auf mich. Keine Vegetation, kein grünes Blatt weit und breit, nur staubige Pisten, schlammige Parkplätze und ärmliche Behausungen. Das gegenseitige Tauschen von Kippen bleibt die einzig freundliche Geste. Konstantes Gefluche, aggressive Gebaren zwischen den Händlern, Zwischenhändlern und Kunden. Das ist sicher nicht das Bild eines florierenden Staates, der sich „kommunistisch“ nennt. Am Anfang von Tong Dao sehen wir einen Minenbesitzer. Der scheffelt mit staatlicher Genehmigung Millionen, die Fahrer sehen davon nichts. Auch uns wird viel vorenthalten, obwohl alles in so unprätentiöser Low-Fi-Evidenz, komplett „kunstresistent“ sozusagen, ins Bild kommt. 

Jegliche Erzählung von Gemeinschaft, jeglicher Schwerstarbeitsheroismus fehlt, den man in der sowjetsozialistischen Kinematografie der 1920er und 30er – und sicher auch in der chinesischen Kinematografie jüngeren Datums – zuhauf findet, wenn es darum geht, Naturbeherrschung und die exzessive Ausbeutung natürlicher Ressourcen in eine Filmform zu gießen. Arbeiter in dramatischer Untersicht, imposante Sprengungen in zig Perspektiven, rapide, den Rhythmus der Arbeit aufnehmende Montagen. Nichts davon geht selbstredend den Dokumentarfilmdissidenten Wang etwas an. In seinem Film wird ungläubig mit einem Vorschlaghammer auf Kohle gekloppt, sogar etwas für die Kamera performend, bevor man fluchend erneut eine Pause einlegt.

Es wird sowieso viel rumgesessen, geraucht und telefoniert in Tong Dao. Wie hoch der Kurs für die Kohle in Stadt X und Y gerade sei. Einem der Arbeiter fehlen bei einer trubeligen Lohnauszahlung fünfzehn Yuan – was für eine Art Zusammenkunft das gerade ist, erfahren wir entsprechend der antiauktorialen Erzählweise nicht –; widerwillig bekommt er sie schließlich rübergereicht. Jeder arbeitet für sich und seinen Vorteil, untereinander keine Solidarität, die etwa Wang Bings vierstündigem Porträt junger Textilarbeiterinnen, Qing Chun (Chun), so etwas wie den roten Faden einer Story verlieh. Tong Dao ist allenfalls die Skizze einer Erzählung. Und er möchte uns keine Analyse geben, sondern ein Gefühl – ganz haptisch – dafür, wie es ist, vereinzelt und unter dem Druck der Existenz von A nach B zu fahren, in der Hoffnung einen vorteilhaften Abschluss zu machen. Dabei eine Umgebung vorzufinden, die einem keine Schönheit abseits eines guten Essens bereithält. 

Wenn es dem Film, augenscheinlich selbst Ausdruck bescheidenster Verhältnisse, um diesen Eindruck geht, warum sollte er selbst „schön“ sein? “For certain filmmakers, having little money means having little freedom, for others – like myself – having little money means having more freedom, because the low budget makes things simpler and more straightforward.” – Wang Bing