Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Notizen zu Peter Nestler: Eine Schule in Ungarn

Text: Stefan Ramstedt (aus dem Englischen von Patrick Holzapfel)

Nachdem Peter und Zsóka Nestler 1969 mit In Budapest ihren ersten Film in Ungarn realisierten, kehrten sie vier Jahre später in Zsókas Heimatland zurück, um eine Arbeit über eine Schule in Szevelény in der Nördlichen Großen Tiefebene südöstlich der Hauptstadt zu realisieren. Eine Schule in Ungarn wurde erstmals am 28. April 1974 um 18 Uhr im Schwedischen Fernsehen ausgestrahlt. In der Zeitung Svenska Dagbladet wurde der Film mit den folgenden Worten angekündigt:  »Über die Kinder im Dorf Szevelény, wie die Schulkinder und ihre Eltern leben, über den schulischen Anbau von Trauben, die Tabakernte, Pendler in den Fabriken und die Überschwemmung durch den Körös. Geschichten aus den alten Tagen werden in Volksliedern erzählt.« Auf seine Weise erfasst dieser Ankündigungstext, was im Film zu sehen ist, aber er lässt aus, wie die Nestlers dieses Milieu betrachten. 

Der Film beginnt mit zwei langsamen Schwenks, die das Dorf vermessen. Auf der Tonebene sind Flöten zu hören. Dann ein abrupter Schnitt zu einer Sequenz, die das tägliche Leben im Klassenzimmer beobachtet. Der Voice-Over erklärt, dass Kinder in Ungarn mit sechs Jahren in die Schule kommen. Dieser Voice-Over kehrt im Lauf des Films immer wieder, aber nur selten, um uns mit einigen Fakten vertraut zu machen. Es wird nicht erklärt, was wir sehen oder was das bedeuten könnte. Nie führt die Erzählung den Blick. Stattdessen fühlt es sich an, als könnten wir uns frei im Dorf bewegen. Wir sehen, wie die Schüler Trauben ernten, Physik lernen oder Blumen malen, um über die Pflanzen zu lernen. Wir sehen die Umgebung der Schule, die Arbeit in den Fabriken, Tabakplantagen, die Arbeit auf Getreideäckern und Wiesenflächen, die den Eltern und Verwandten der Kinder gehören.

Genauso frei, wie sich der Film durch das Dorf bewegt, bewegt er sich auch durch verschiedene Zeitschichten: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. In einer der vielen berührenden Gruppenporträts, in denen sich Familien vor ihren Häusern versammeln, sehen wir eine Familie auf einem Sofa. Sie blicken geradewegs in die Kamera, die über ihre Gesichter schwenkt. Plötzlich wird das Bild von einem anderen ersetzt: Ein Traktor fährt auf die Kamera zu. Er fährt vorbei, nichts wird gesprochen, dann folgt Flötenmusik. Während sich der Film dem Ende nähert, wird zurück ins Klassenzimmer geschnitten, wo wir junge übende Musiker sehen. Es handelt sich um die gleichen Klänge, die wir schon zu Beginn des Films vernahmen. Diese Musik verbindet auf die einfachste und somit schönst mögliche Weise das Vergangene mit dem Gegenwärtigen, das alltägliche Leben der Schüler mit der möglichen Zukunft ihres Dorfes.