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„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Notizen zu Želimir Žilnik: Vera i Eržika

Nach einem Frühlingsspaziergang durch den vor Wohlstand triefenden 1. Wiener Gemeindebezirk mit der zur Schau gestellten Cocktail-Falschheit einer Klasse, die gar nicht zu bemerken scheint, wie gleichförmig und frustriert sie aussieht mit ihren Lifestyle-Tattoos und am Boden schleifenden Designermänteln (Lockdown, wo bist du, wenn man dich braucht?), zunächst der Schock des echten Lebens, echter Menschen auf der Leinwand.

Vera i Eržika setzt nahtlos dort an, wo Bolest i ozdravljenje Bude Brakusa aufhört. Wieder nutzt Želimir Žilnik eine impulsartige Energie, um von jenen Menschen zu erzählen (und ihnen zuzuhören!), die sonst in den dominanten Narrativen untergehen. Dieses Mal geht es um Arbeiterinnen einer Textilfabrik im an der Donau gelegenen Pančevo. Wieder verwebt Žilnik unterschiedliche Formen des Kinos zu einem aufregenden, ja agitatorischen Bild dieser Frauen, die um ihre gerechte Pension gebracht werden und noch zwei Jahre arbeiten sollen, weil die inzwischen illegale Kinderarbeit, die sie verrichten mussten, bürokratisch nicht anerkannt wird. Ein klassisches Bild einer doppelten Ungerechtigkeit, die den Hebel der Ausbeutung immer dort ansetzt, wo er gerade gebraucht wird.

Wir sehen die Frauen, die einer ungarischen Minderheit in Jugoslawien angehören bei der Arbeit, in Gesprächen mit Vorgesetzten und auf einem Donau-Cruise-Trip, der ein wenig an Mircea Daneliucs Croaziera erinnert. Und wieder ist der Film auch eine Ode an die Freundschaft und die menschlichen Werte, die sich inmitten dieser Ungerechtigkeit durchsetzen. Es sind die kleinen Gesten, wenn sich die Frauen treffen und sich helfen, die Žilnik immer wieder ins Auge fasst. Den überlebenden, gerade so auf DCP-Files gesicherten Bändern dieser TV-Filme merkt man an all ihren am Farbabgrund balancierenden Zeitspuren an, dass hier nicht für die Ewigkeit, sondern für den Augenblick gedreht wurde. Die Dynamik des Films changiert zwischen Amateurtheater, Neorealismus, Direct Cinema, Komödie und brechtianischem Angriff auf die gesellschaftlichen Zustände.

Vera i Eržika kommt mit einem Synth-Soundtrack daher, der die 1980er Jahre in ihrer ganzen Tristesse greifbar macht, aber passend zu den pink-gehaltenen Titeln so etwas wie Agit-Pop wagt. Das löste sich im Saal etwas auf, als sich einige Kinobesucherinnen ihrer jugoslawischen Nostalgie hingaben und bei einem auf der Leinwand vorgetragenen Lied, das die Liebe zum Staat bekundet, wie betört mitsangen. Was ist stärker: das Bild einer Frau, die nicht mehr kann oder das Heimatlied, das sie singt? Wir müssen uns wohl damit begnügen, dass die Musik die Bilder verändern kann. Wenigsten denkt man dann an Jugoslawien, wenn man das Kino verlässt und nicht an die Geschmacklosigkeiten der Inneren Stadt.