Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Viennale 2014: Phantom Power von Pierre Léon

Narzisstische Blüte einer französischen Melancholie treibt durch ihr Gewissen; was treibt dich an, welchem Strang folgst du? Französische Mädchen trennen sich in einem Machtspiel des Schmerzes und wir hören diese Hypnose die ganze Nacht (der erste Schnitt auf das junge Mädchen mit glasigem Blick, ein Hauch von einer Sekunde bevor sie spricht, das ist ein solcher Moment von dem man träumt), verrauschter Sturm eines Korridors, ein nackter Mann in einer roten Nische, in einer roten Nische ist ein nackter Mann. Er liest ein Gedicht, das er auswendig kann. Appollinaire (Vendémiaire). Das ales und mehr ist Phantom Power von Pierre Léon.

Hommes de l’avenir souvenez-vous de mo
Je vivais à l’époque où finissaient les rois
Tour à tour ils mouraient silencieux et tristes
Et trois fois courageux devenaient trismégistes

Russland ragt wie ein süffiger Schatten in die nächtlichen Reflektionen eines ruhigen Hauses, ein verspielter Suizid, wohin führt dein Weg: Die Hände von Fritz Lang, die Hände bei Fritz Lang, Tränen tropfen auf die Remains, das Bleibende bleibt. Ein Gespräch am Fenster, ein Mann auf einem Fahrrad, die Augen eines Mannes, dann wieder die Hände: In der Badewanne. Wie sehen Hände in der Badewanne aus?

Que Paris était beau à la fin de septembre
Chaque nuit devenait une vigne où les pampers
Répandaient leur clarté sur la ville et là-haut
Astres mûrs becquetés par les ivres oiseaux
De ma gloire attendaient la vendange de l’aube

Phantom Power

Was treibt? Was treibt dich an? Es tropft auf die Hände, sie knöpfen, sie schreien, wenn sie sich spreizen. Wann hat Fritz Lang über Hände nachgedacht? Ein Kino macht dieser Pierre Léon, mit dem muss man lernen umzugehen. Er hat diesen Film als eine Antwort auf die ausbleibende Finanzierung eines anderen Films gedreht. In den uninspirierteren Momenten wirkt das ganze wie eine Müllsammlung, in der Léon das unbrauchbare seines filmisches Schaffens poetisch gebraucht, in besseren Momenten macht er Musik. Nichts geht so ganz zusammen in diesem Film, der zugleich kein Film ist und tausende. Ein wenig Chris Marker steckt im Film, in der nachdenklich-lyrischen Art des Voice Overs in den Fragen über den Blick und die Zeit. Ein wenig Jonas Mekas in der Spontanität der Bilder, ihrer Flüchtigkeit. Und ganz sicher eine der lyrischsten Found Footage Montagen, die ich bisher sehen durfte: Die Hände bei Fritz Lang (ist das wirklich nur Fritz Lang?). Am Ende ist der Film wie eine trunkene Nacht, ein Dämmerlicht und ob man es als Morgen oder als Nacht wahrnimmt, ist eine ganz andere Geschichte. Léon arbeitet fast wie ein DJ seiner Erinnerungen. Aber diese Erinnerungen existieren auch ohne ihn und werden nur in ihrer Montage zu seiner Erinnerung an diese verlorene Nacht in Paris.

Un soir passant le long des quais déserts et sombres
En rentrant à Auteuil j’entendis une voix
Qui chantait gravement se taisant quelquefois
Pour que parvînt aussi sur les bords de la Seine
La plainte d’autres voix limpides et lointaines