Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Mathieu Amalric The Blue Room

Viennale 2014: Detached Lies: La chambre bleue von Mathieu Amalric

La chambre bleue von Mathieu Amal­ric ist ein sur­ren­de Hitch­cock-Wind, der in sei­nen bewusst gesetz­ten Zwi­schen­tö­nen von einer merk­wür­di­gen Abwe­sen­heit inmit­ten sei­ner sti­lis­ti­schen Mar­me­la­den­trop­fen und blau/​roten Farb­ge­stal­tun­gen erzählt. In der Roman­ad­ap­ti­on von Geor­ges Simons gleich­na­mi­gen Buch aus den 1960er Jah­ren sti­li­siert Amal­ric sein Gefühl für Momen­te und die Welt zunächst bis zu einem gefähr­li­chen Grad. Alles soll hier der schwit­zen­den und bedroh­li­chen Stim­mung von Lügen, Sex und Gewalt unter­ge­ord­net wer­den. Es ist ein Film über eine mani­sche Affä­re, die in undurch­schau­ba­ren Mor­den enden wird. Das 1:33 For­mat, die schnel­len und trei­ben­den Schnit­te beglei­tet von einer Ber­nard Herr­ma­nes­quen Musik­ku­lis­se (Musik: Gré­go­i­re Het­zel, auf jeden Fall einer der bes­ten klas­si­schen Scores des Jah­res), der zar­te und nie­mals ver­schlei­er­te Ein­satz von Licht und Far­ben und das zurück­ge­nom­me­ne und doch sehn­suchts­vol­le Schau­spiel deu­ten auf einen der­art sou­ve­rä­nen Umgang mit dem Stil eines Gen­res hin, dass man sich durch­aus berech­tig fra­gen darf, ob sich hin­ter dem Stil noch etwas befindet.

The Blue Room mit Mathieu Amalric

Der Film ist eine Übung des Blick­punk­tes. Amal­ric ver­än­dert die Rea­li­tät und unse­re Wahr­neh­mung die­ser nach der Erin­ne­rung eines ver­un­si­cher­ten Erzäh­lers, klei­ne Augen­bli­cke blit­zen auf und die Wahr­heit und der Stil begin­nen sich anzu­nä­hern. Denn das Auge-und das ist kein Wort­ver­dre­her-liegt sicher in der Wahr­heit des Betrach­ters. La chambre bleue ist ein Film über die Angst vor sexu­el­ler Begier­de, indem die Bedro­hung nicht wie etwa in In the Realm of the Sen­ses von Nagi­sa Ōshi­ma von der Gleich­zei­tig­keit von Gewalt und Sex aus­geht son­dern schlicht in der Exis­tenz einer ver­bo­te­nen Sexua­li­tät. Dies ist natür­lich kei­ne Neu­erfin­dung des Gen­res, aber in ner­vö­sen Ver­mi­schun­gen von Fik­ti­on, Wahr­heit und Erin­ne­rung ergibt sich ein fes­seln­des Bild einer unum­kehr­ba­ren Gegen­wart, indem man erst nach und nach begreift, dass der Blick­punkt ein sub­jek­ti­ver ist und ein feh­ler­haf­ter. Es ist dies der bereits 4. Spiel­film des fran­zö­si­schen Schau­spie­lers und Regis­seurs, der sich selbst in einer undurch­schau­ba­ren Ver­letz­lich­keit insze­niert, die gewis­ser­ma­ßen sei­ne drei gro­ßen Stär­ken vereint:

1. Der zer­brech­li­che Amalric
Im Grun­de ein Kind, pfle­ge­be­dürf­tig, schaut mit gro­ßen Augen in die Welt, wird von der Welt gescho­ben, unkon­trol­lier­tes Trei­ben, irgend­wo in ihm spürt man eine Ver­bin­dung zu uns, man mag ihn.

2. Der kal­te Amalric
Er lügt ohne Wim­pern­schlag, er rich­tet sich immer wie­der sei­ne teu­ren Hem­den und schlen­dert ele­gant beob­ach­tend durch die Welt. Dabei wirkt er schul­dig und ver­let­zend und sehr arro­gant, man mag ihn.

3. Der nack­te Amalric
Vor einem Fens­ter, nackt, irgend­wie nicht nur kör­per­lich, son­dern mit sei­ner Des­plechin-See­le, er raucht und denkt, sei­ne Augen sind dann gla­sig, man mag ihn sehr.

Als Regis­seur bleibt der Fran­zo­se ein Cha­mä­le­on, kei­ner sei­ner Fil­me gleicht dem Nächs­ten. Als gro­ßer Freund sei­nes Tour­née musst ich mich erst mit der Her­me­tik sei­nes neu­en Films anfreun­den, schließ­lich war eine gro­ße Stär­ke sei­nes vor­he­ri­gen Lang­films die Offen­heit, die immer bereit war den Zufall und den Moment des Schwei­gens in die Bil­der zu las­sen. Bei genaue­rer Betrach­tung jedoch offen­ba­ren sich auch in La chambre bleue sol­che Momen­te. Da wäre zum einen eine fan­tas­ti­sche Sze­ne, in der eine Rich­ter­fi­gur plötz­lich bei der mor­gend­li­chen Vor­be­rei­tung auf eine Ver­hand­lung ober­kör­per­frei und sehr ent­kräf­tet in sei­nem Büro steht, um sich sein Hemd anzu­zie­hen. Spä­ter wird er wäh­rend des Gesprächs kurz ans Tele­fon gehen und über einen ande­ren Fall spre­chen und auch im Gericht selbst wird die Kame­ra immer wie­der auf schein­bar lee­ren Momen­te mit all­täg­li­chen Regun­gen, Abwe­sen­hei­ten und Müdig­keit (sogar des Ange­klag­ten selbst) gerich­tet. Damit ist La chambre bleue ein abwe­sen­der Film, dem man stän­dig die abso­lu­te Auf­merk­sam­keit ent­ge­gen­brin­gen muss, weil in sei­ner Flüch­tig­keit und Ablen­kung viel­leicht der ent­schei­den­de Hin­weis, der ent­schei­den­de Blick, die ent­schei­den­de Far­be auf­leuch­ten wird.

Viennale 2014 La chambre bleue

Das Prin­zip der Ablen­kung wird auch mit der Sub­jek­ti­vi­tät der Per­spek­ti­ve ver­bun­den. So bekom­men schein­bar bana­le Gegen­stän­de wie ein rotes Hand­tuch am Strand oder die blau­en Far­ben im Gericht eine gro­ße Bedeu­tung. Ama­ric schnei­det in Detail­auf­nah­men die­ser Gegen­stän­de, die somit nur auf den ers­ten Blick die Nar­ra­ti­on unter­bre­chen. Denn eigent­lich sind sie der Motor jedes Bild, jeder ver­un­si­cher­ten Nach­er­zäh­lung und gewis­ser­ma­ßen ein Trie­b­aus­lö­ser für den pas­si­ven Prot­ago­nis­ten. Es ist eine frag­men­tier­te Wirk­lich­keit, die zum Stil des Romans und damit ganz sicher auch-und Ama­ric hat mehr­fach dar­auf ver­wie­sen-auf das Kino von Alain Res­nais passt, denn hier wer­den Chro­no­lo­gien aus ihrer Nach­voll­zieh­bar­keit geho­ben und es ent­ste­hen Zeit­bil­der. Eini­ge Male macht Amal­ric gelang­weil­tes Kino mit Kli­schee­ein­stel­lun­gen. Das geht los bei sei­nem eher unin­spi­rier­ten Sze­nen­bild mit Häu­sern und Zim­mern ohne Leben und geht wei­ter über Ein­stel­lun­gen wie die nächt­li­che Kame­ra aus dem Auto auf die wei­ßen Mit­tel­strei­fen zu rich­ten oder die­se über­trie­be­ne Lie­be für war­mes, son­ni­ges Gegen­licht, die das dies­jäh­ri­ge Kino­jahr wie eine Krank­heit ver­folgt. Man merkt ein wenig zu oft, dass hin­ter jeder Ein­stel­lung ein grö­ße­rer psy­cho­lo­gi­scher Gedan­ke weilt und fühlt sich daher etwas arg gelenkt. Das hohe, fast gedräng­te Erzähl­tem­po wirft dar­über aller­dings einen Schleier.

Am Ende stellt sich nun die Fra­ge, ob La chambre bleue eine gelun­ge­ne Stil­übung ist oder mehr. Die Kon­trol­le über das fil­mi­sche und gen­re­spe­zi­fi­sche Hand­werk von Amal­ric ist abso­lut beein­dru­ckend und der Film zeigt mal wie­der wie ein­drucks­voll Film sein kann, wenn er im Bewusst­sein sei­ner eige­nen Geschich­te und Mög­lich­kei­ten ent­steht. Durch die sub­jek­ti­ve Erzähl­wei­se offen­bart sich jedoch zudem ein refle­xi­ves Bedau­ern, das in fast vor­bei­hu­schen­de phi­lo­so­phi­sche und psy­cho­lo­gi­sche Tie­fen vor­dringt, die man nicht häu­fig in einem Gen­re­film gese­hen hat.