No Mice in Autumn: Hard to be a God von Aleksey German

Germn Hard to be a God

Während der letztjährigen Viennale äußerte Rainer Kienböck auf unserem Blog sein Missfallen über Hard to be a God von Aleksey German. Seine Schwierigkeit mit dem Film liegt im Fehlen „einer Vision, die dem Film Zusammenhalt gibt.“. Für ihn verlief sich die ästhetische Brillanz von German im Nichts. „Die potentielle ästhetische Sprengkraft einer manieristischen Visualität verläuft sich (…)“. „Die Länge des Films scheint einfach daher zu rühren, dass nie eine Entscheidung für oder gegen irgendetwas getroffen wurde.“. Das führt bei Herrn Kienböck schließlich zum polemischen Schlussfazit: „Im Kern, ist es die Aufgabe eines Künstlers eine Auswahl zu treffen (und wenn es nur die Wahl ist verschiedene Lesarten vorzuschlagen), wenn er das nicht tut, macht er sich selbst obsolet.“

Mal abgesehen davon, dass der sich selbst auflösende Künstler, die verschwundene Handschrift spätestens seit den 1960er Jahren durchaus Konjunktur hat und man ihr meiner Meinung nach nicht im Stil einer altmodischen Kunstdefinition ihren Wert abstreiten sollte, würde ich nach meiner Sichtung des Films auch bezüglich der anderen Aspekte von Herrn Kienböck einen gewissen Widerspruch erheben. Natürlich trifft German eine Auswahl und mehr als deutlich steckt hinter dem Unterfangen Hard to be a God eine künstlerische Vision. Zudem könnte man selbstverständlich keinen Film drehen, ohne eine Auswahl zu treffen. Germans Vision ist enigmatisch, sie ist kraftvoll und kompromisslos.

Hard to be a God

Nun möchte ich weniger auf die Hintergründe des Films eingehen, denn das wurde schon mehr als deutlich gemacht (zum Beispiel hier ), sondern mich mehr mit den filmischen Strategien und Stimmungen von German beschäftigen. Dabei versuche ich nicht zu sehr in allgemeine Definitionen zu geraten, möchte aber vorrausstellen, dass ich die Lesbarkeit eines Films prinzipiell nicht als Qualitätsmerkmal erachte. Das durchaus fundierte Klagen von Herrn Kienböck über die fehlende Verständlichkeit ist nachvollziehbar, hat aber letztlich nichts mit dem Film zu tun. Denn German schert sich offensichtlich nicht um diese Kategorien und so scheint sich im zwanghaften Versuch einer Sinnsuche hier einfach der falsche Betrachter zum falschen Film gefunden zu haben. Zumal man durchaus einen Sinn finden kann, wenn man sich weiter mit dem Film auseinandersetzt als das ein Festival oft zulässt oder wenn man genauer hinsieht. Die immer wieder hörbaren Forderungen von Filmzusehern nach dem „Erzähle mir etwas!!!“, sind Teil eines traurigen Verständnis von Film als Dienstleistung (bei Herrn Kienböck ist mir bewusst, dass seine Bedenken einen anderen Ursprung haben, sie hängen aber durchaus zusammen damit) . Dieses Verständnis wird dann mit einigen mehr oder weniger geschickten rhetorischen Kniffen zu einem Abschreiben der Kunsthaftigkeit eines Werks benutzt, die gar nicht so unähnlich einer politischen Zensur funktioniert. Es ist absolut in Ordnung, dass man sich bei Hard to be a God langweilt, dass man nichts damit anfangen kann und keine größere Idee bemerkt. Aber ist das ein Problem des Films?

German wirft einen in die mittelalterliche Parallelwelt eines Planeten voller Schlamm und Gedärme. Von Anfang an wirkt das Mise-en-Scène Gewusel wie ein bewegtes Bild von Hieronymus Bosch. Alleine diese bildliche Gewalt ist zwingend virtuos und unfassbar, in der Länge ihrer Betrachtung entfaltet sich ein anderes Weltbild vor den Augen, man verfällt in eine Trance des Drecks, man spürt die titelgebende Last auf der Hauptfigur Don Rumata, man bemerkt den Schlamm, der einen nach unten zieht, die Gleichgültigkeit gegenüber der keuchenden Fratzen dieses fremden Planeten, die uns zu Beginn noch so bizarr vorkommen und irgendwann nur noch erschlaffen mit ihren grandios komponierten Lauten und Tönen. Dabei hängen und ragen ständig Gegenstände direkt vor der Linse durchs Bild, Dinge werden getragen, irgendwo gibt es eine Lichtexplosion, wir verharren kurz auf einem dreckigen Hinterkopf und bewegen uns dann weiter wie eine Made in einem Mülleimer. Es ist als würde man sich durch die Gedärme der Welt bewegen. Die Darstellung dieser Welt ist der Kern dieser künstlerischen Vision, die Film bedingungslos jenseits seiner narrativen Möglichkeiten versteht. Das herausragende an dieser Art der Inszenierung ist etwas, was ich als visuellen Schock bezeichnen würde. Denn immer wieder blockieren scheinbar zufällig ins Bild gestolperte Figuren, Tiere oder Gegenstände den Blick bis dieser fast spielerisch freigegeben wird und man Rumata wieder folgen kann. In gewisser Hinsicht hat mich das Setting an Leviathan von Lucien Castaing-Taylor und Véréna Paravel erinnert. Dort befindet man sich (übrigens auch ziemlich frei von einem klassischen Auswahlverfahren des Künstlers) auf einem riesigen Fischerboot inmitten der blutigen Überreste gefangener Fische, Fäkalien und dem Gestank des Meeres. In beiden Filmen wird ein subjektives Erleben von inneren und äußeren Welten ermöglicht, das tatsächlich soweit geht, dass man glaubt, die Bilder zu riechen. In diesem Sinn sind die kinematographischen Leistungen von German durchaus mit den literarischen Großartigkeiten eines Patrick Süskind vergleichbar. Ständig riechen die Figuren an ihren eigenen Händen und davon geht fast eine penetrante Komik aus, würde sie nicht immer wieder von Gewalt und Ekel verdrängt werden.

Hard to be a God3

Hard to be a God folgt einem beständigen Rhythmus der Erschöpfung im Stil eines Stimmungsbilds. Zwischen den ruhigen Szenen am Anfang und am Ende herrscht fast durchgehend Krieg. Der Film versetzt einen in einen Zustand der erhöhten Alarmbereitschaft. Die außergewöhnlichen Gesichter sind von einer manischen Erschöpfung zerfressen. Immer wieder müssen sie die Figuren hinsetzen, geduckt laufen oder mit letzter Kraft eine Tat vollbringen. Sie husten, spucken und bluten. Noch während der Titelsequenz setzt sich ein Mann in den Schlamm und bekommt einen Anfall. Mit schmerzverzerrten Gesicht und röchelnd steht er wieder auf und bückt sich äußerst schwerfällig, um etwas Schlamm aufzuheben (während des Films dachte ich über die Heilwirkung von Schlamm nach, das Gefühl von Schlamm auf der Haut, das Gefühl, wenn man als Kind gebadet wird,…). Er kämpft sich, die Hände voller Schlamm, durch die Nebelschwaden zurück und setzt sich wieder in den Schlamm. Wild atmend sitzt er dort. Ein anderen Mann kommt, er klingt ein wenig wie eine Ente, und er versucht scheinbar etwas vom Schlamm in der Hand des Mannes zu essen? Daraufhin kommt ein anderer Mann, der die „Ente“ an der Nase packt (ständig werden Figuren an der Nase gepackt, als würde German mich zwingen an das Riechen zu denken; einmal wird eine Nase derart gebrochen. Vielleicht, denke ich mir, geht es um unsere fehlenden Möglichkeiten nicht wahrzunehmen, die fehlende Möglichkeit die Augen zu schließen, nichts zu hören und zu riechen, damit wir dieser Überfüllung entgehen können). Schließlich blickt der Mann im Schlamm nach oben, die Kamera folgt seinem Blick mit einem Schwenk, der Regen prasselt unaufhaltsam nieder. Hard to be a God ist ein absurder Film. Unzusammenhängende Dialoge entbehren keineswegs einer gewissen Komik, die eben auch von den bizarren und deformierten Gestalten, Lauten und den irren Tempowendungen ausgeht. „Es ist Herbst, es gibt keine Mäuse“, wird da gesagt, Sätze werden nicht fertiggesprochen, sie kommen und gehen ins Nichts. Es ist als würde es keine Kommunikation geben auf diesem Planeten ohne Kultur.

Das Stimmungsbild wird von Symbolen und Lichtern heimgesucht. Eulen, die auch das Werk von Bosch prägen, fliegen durch das Bild und tote Fische baden in Milch. Es ist eine vulgäre Poesie, die keinerlei Eindeutigkeit aufweist, aber von Verderben und Fruchtbarkeit erzählt, vom blühenden Leben im Dreck und von der Existenz der Verwesung zwischen den Lebenden. Folgerichtig spricht Rumata auch mit einigen Erhängten als wären sie noch am Leben. Gegen Ende füttert ein Kind einen Toten mit Resten aus dem After eines anderen Toten. Fast gegenläufig schwitzt eine wundersame Kamera durch diese Welt. Zum einen sind die Sets bis zum letzten Detail mit einer Liebe für Szenenbild und Licht ausgestattet, an der man sich kaum sattsehen kann und die man wohl nie auf einmal erfassen kann, zum anderen spielt die Kamera ganz wie in Andrzej Żuławskis On the Silver Globe (meine Besprechung), der sowieso einige Parallelen aufweist, auch eine aktive Rolle im Geschehen. Die Figuren brechen immer wieder die 4. Wand, sie schauen uns an und sprechen mit uns. Wenn Rumata ein Forschender ist, ein Mann auf der Suche in diesem Dreck, dann sind es wir auch, die Kamera scheint eine Figur zu sein, die auch durch den Schlamm muss und dasselbe gilt somit für den Zuseher. Allerdings wird diese Rolle der Kamera im Gegensatz zu Herrn Żuławskis Irrsinn nie erklärt oder angedeutet. Ihre Anwesenheit erinnert aber durchaus an Strategien des Direct Cinema und dadurch gelingt es German auch, diese Gegenwärtigkeit und Zufälligkeit zu einem Prinzip zu erheben.

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Manchmal nimmt sie jedoch eine Pause und verharrt in scheinbar, aber nur scheinbar klassischen Einstellungen. So sehen wir aus einer Totalen einige Figuren über einen kleinen Seiltransport einen Fluss queren. (noch weit im Bildhintergrund sind lodernde Flammen zu erkennen.) Wir hören Hunde bellen und erkennen einen Mann am unteren Bildrand. Die Kamera fährt auf einem Kran nach unten, es blubbert und grunzt schon wieder, wir nähern uns erneut dem Dreck. Ein ausgemergelter Mann mit Schnauzbart und Helm blickt in die Kamera. Wir folgen ihm (nach wie vor ohne Schnitt) ein paar Schritte und greifen die Bewegung einiger Kinder auf, die uns stumm gestikulierend ihren nackten Hintern zeigen. Plötzlich drückt sich ein toter Hahn in den Bildvordergrund. Ein Mann mit Rüstung zeigt ihn uns, als wollte er ihn verkaufen. (Häufiger im Film habe ich mich gefragt, ob die Figuren in der Kamera eine Rettung aus ihrem Leiden sehen.) Wir folgen dem Mann ein paar Schritte, im Hintergrund liegen Gegenstände, die auch tote Tiere sein könnten und Mondlicht schimmert auf dem Fluss. Jemand fragt: „Kannst du sehen?“ ; der Junge rennt mit nackten Hintern das Bild und wir fahren an einem großen Gegenstand vorbei (hier womöglich ein unsichtbarer Schnitt). Vorbei an einer Gruppe von Menschen, einer schreit uns an und wirft einen Gegenstand auf einen anderen Menschen, einer der Männer verharrt in einer merkwürdigen Pose, als würde sein Kopf gleich platzen. Auf einem Karren liegen Gedärme, im Hintergrund läuft immer noch der Mann mit dem toten Hahn, wir fahren weiter parallel und treffen auf einen anderen Mann an einem Lagerfeuer. Er scheint uns etwas sagen zu wollen, er winkt uns zu sich, er kommt näher und flüstert etwas Unverständliches. Dann muss er husten, wir fahren wieder nach oben, überall sind Pfützen, es gibt eine Art Holzfestung. Ein Pferd trampelt in den Pfützen und wiehert dabei. Da kommt wieder der tote Hahn ins Bild. Die Kamera neigt sich nun (wie oft) ganz bewusst zum Boden, sie sucht den Dreck, versucht im Schlamm zu wühlen. Sind wir Gott? Ein Helm rutscht in den Vordergrund, im Hintergrund einige Gestalten und immer noch der Mann mit dem Hahn. Ihm folgen wir. Die Szene erinnert in mancher Hinsicht Pedro Costas unglaublichen Tracking Shot in Ossos, denn man folgt gleichzeitig einer Figur und deren Geheimnis und bekommt etwas über die sozialen Gegebenheiten des Ortes erzählt. Eine Gruppe von Soldaten tanzt und singt eng umschlungen an einer Essensausgabe. Dann finden wir Rumata. Er steigt von einem Pferd und wir sind uns nicht mehr sicher, ob wir gerade einem subjektiven POV-Shot aus seiner Sicht erlebt haben oder ob er ebenfalls nur zufällig dort war. In diesem Sinn dynamisiert German den Raum und fordert uns auf zu blicken und unser Blicken zu reflektieren.

In dieser filmisch konstruierten Subjektivität liegt für mich die Erfahrung von Hard to be a God, die sich eben jenseits jeglicher Kausalität abspielen muss, damit sie fühlbar wird. Man wird selbst gezwungen Stellung zu beziehen zu moralischen Fragen. Vor einigen Jahren erschien das Videospiel God of War und die damals schon schwierige Fantasie des Gottseins wird bei German noch deutlich moralischer. Denn wie soll man im Morast noch ethischen Grundsätzen folgen, wie soll man sich unterscheiden in seinen Taten? Will man das überhaupt? Oder will man sich einfach der Gewalt hingeben? Will man sich einfach hinlegen? Der Film antwortet auf diese Fragen zum einen mit einer alttestamentlichen Verwüstung, einer Stille und Leere und einer Müdigkeit, die allerdings nicht in ein totales Ende sondern in einem Fortgang der Geschichte mündet. In all diesen Vorgehensweisen sehe ich ein formales und inhaltliches Auswahlverfahren eines Filmemachers und insbesondere eine Vision, die aus der literarischen Vorlage der Strugatsky-Brüder vor allem den Dreck und unser Vertiefen darin gefiltert hat. Aus diesem Matsch, Ekel und Sterben entsteht dann – die Historie zeigt das – Geschichte. Und das empfinde ich – trotz dem grausamen Wesen der Menschheitsgeschichte – als künstlerisch sinnvoll und zusammenhängend (selbst wenn das keine Rolle spielt).

Viennale 2014: Expanded 16 eingesperrt im Kino

Die Viennale wagt schon was. Da findet man sich plötzlich an einem dieser eiskalten Abende in Wien im neu gestalteten Metrokino und schaut sich ausgerechnet dort ein Programm zum Expanded Cinema im Rahmen der 16mm-Schau des Festivals an. Das ist insbesondere deshalb bemerkenswert, weil das Expanded Cinema, das in den 60er und 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts einen Hochpunkt erreichte, bekanntermaßen die gewöhnliche Raum- und Zeiterfahrungen des Kinobesuchs aushebelt und daher eigentlich nicht wirklich für den klassischen Kinosaal geeignet scheint. Die Tatsache, dass die Viennale sich dann auch noch für das Metrokino mit seinem Guckkasten-Aufbau aus Zeiten des bürgerlichen Theaters für die Doppel- und Dreifachprojektionen in 16 Milimeter entschieden hat, kann nur mehr als Statement gedeutet werden. Aber was ist das Statement?

Vier Filme waren im Programm zu sehen: Das scheinbar zufällige und doch komponierte Farbenspiel Retour d’un Repère von Rose Lowder aus dem Jahr 1979 machte den Anfang. Hierbei wurde in einer subtilen Überlagerung eine Veränderung der filmischen Information in Form eines hypnotischen Gedichts zelebriert. Ein technisches und doch gefühlvolles Experiment. Im Anschluss daran wurde einer weiteren Doppelprojektion auf die Leinwand geworfen, die sich diesmal nicht als Überlagerung sondern als Splitscreen offenbarte. Third Eye Butterfly von Storm de Hirsch zeigt wie ein explosives Imaginarium aus dem Einsatz einer leinwandsprengenden Ästhetik entstehen kann. Das Metrokino, das nach dem eher sinnlich-entleerenden Auftakt nach einem langen Festivaltag drohte einzudösen und das revolutionäre Potenzial dieser Form des Kinos in seinem Bauprinzip verschluckte, wurde belebt. Denn de Hirsch zeigt in seinem Film aus dem Jahr 1968, dass sich Expanded Cinema nicht nur auf die Form beziehen muss sondern auch auf die Wahrnehmung. So entstehen in diesem Film tatsächlich dritte Bilder zwischen den beiden sichtbaren Bildern und man wird mehr oder weniger Zeuge einer Geburt des Lichts. Formen und Farben der nebeneinander aufscheinenden Bilder vereinen sich zu einem Gesamtbild und Rhythmus. Im darauffolgenden Film sollte diese Geburt oder gar sexuelle Erzeugung von Bildern jedoch in eine Aggression verwandelt werden: Razor Blades von Paul Sharits aus dem gleichen Jahr ist ein Blitzlichtgewitter, das es auf völlig andere Art schaffte, das Metrokino zu bombardieren und so langsam wurde mir klar, warum man dieses Programm an diesen Ort brachte.

Third Eye Butterfly

Sharits Film war der mit Abstand komplexeste im Programm, ein Meilenstein dieser Form des Kinos. Wie häufig beim amerikanischen Künstler ist der Film eine Mischung aus Zerstörung und Erleuchtung. Die rasenden Bilderfetzen zersetzen die Wahrnehmung und abwechselnd fühlt man sich heimisch wohl in den kühlen Polstern des Kinos und furchtbar unwohl, ob ders Flicker-Drucks zwischen Wortspielen, aufscheinenden Gesichtern, Rauschen und männlichen Geschlechtsteilen. Dieser Film scheint mir trotz allem sogar wie gemacht zu sein, in einem Kino zu laufen, weil man nur dort nicht flüchten kann und will. Eine mysteriöse Hypnose setzte ein und wurde mit dem letzten Film im Programm, der japanischen Rock’n Roll Ballade in Dreifachprojektion Tsuburekakatta Migime No Tame Ni (For The Damaged Right Eye) von Matsumoto Toshio zugleich bestätigt als auch von dem Druck im Kinosaal befreit.

Unmittelbar bevor es losging, waren über ein Funkgerät die angespannten Ansagen der Projektionisten zu hören und auch wenn der Kinosaal nicht verlassen wurde, hatte er sich doch verändert. Ein Blick in die müden Augen der meisten Besucher zeigte jedoch, dass man eine solche Schau leider kaum mit der Aufregung einer Kino-Gegenwart betrachtet sondern immer mit dem intellektuellen Gehabe einer historischen Distanz an die Werke herangeht. Matsumoto Toshio verband gewissermaßen die formalen Strategien der drei vorangegangenen Filme, da er zugleich eine Bildteilung als auch eine Überlagerung einsetzt und damit ein rauschendes Gefühl für eine Zeit entstehen lässt und einem insbesondere im klassischen Kino die Möglichkeiten des Kinos aufzeigt.

Der Programmierung unterlagen also durchaus sinnvolle Gedanken, weil sich gerade im Konflikt der Spielstätte mit den Filmen eine neue Ebene aufmachte. Es ist seit jeher Politik des Festivals Kino in seiner Gesamtheit zu denken und insbesondere mit der Geschichte des Österreichischen Kinos ist das Zeigen solcher Programme absolut wünschenswert und gehörte auch in diesem Jahr für mich zu den spannendsten Festivalerlebnissen. Vielleicht konnte die entsprechende Stimmung an diesem eher toten Ort nicht wirklich entstehen, aber das ist eine Frage des Blickwinkels. Das Sichtbarmachen experimentellerer Formen und das Zeigen dieser im gleichen Kontext wie narrative oder dokumentarische Werke wurden jedenfalls von der Präsentation all dieser Formen am gleichen Ort in seiner Relevanz erhöht. Es ist wichtig, dass weiterhin auf das Nicht-Existieren von Grenzen des Kinos hingewiesen wird und in diesem Sinn ist die Viennale tatsächlich ein Keeper of the Flame.

Die Frage bleibt, ob das Expanded Cinema an einem derartigen Ort eher wie ein Tiger im Käfig war oder ob wir uns nur so selbst in den unberechenbaren und wundervollen Urwald des Kinos mit all seinen Tigern getraut haben…

Viennale 2014: Glaser, Straub, Farocki

Georg Glaser beim Schmieden

Ich habe Georg Glaser zugehört, wie er mit Pfeife im Mund mit seinem Hammer das Kupfer dazu „überredet“ eine neue Form anzunehmen. Anders als die Maschine, die stanzend das Metall in seine Form zwingt, übt Georg Glaser keine Gewalt aus. Georg Glaser ist Schmied. Er ist auch Schriftsteller und hat Bücher geschrieben mit sozialkritischem, teils revolutionärem Inhalt. In seiner Jugend war er Kommunist und ist aus Deutschland geflohen. Die längste Zeit seines Lebens verbrachte Georg Glaser in Paris, zuerst als Fabrikarbeiter, später als eigenständiger Kunstgewerbetreibender.

Ich habe auch Jean-Marie Straub zugehört, ihn aber weniger gut verstanden, weil er seine Zigarre nicht aus dem Mund nahm. Straub nuschelte also ein wenig, weil er gleichzeitig sprach und seine Zigarre im Mund balancierte. Ist es obligatorisch für einen Filmemacher eine Zigarre rauchen zu können, ohne seine Hände dazu zu benützen? Das sollte man an Filmakademien als Aufnahmekriterium einführen, vielleicht würde es dann mehr Straubs auf dieser Welt geben. Vielleicht auch nicht.

Jean-Marie Straub mit Zigarette

Jean-Marie Straub und Danièle Huilet bei der Arbeit an einem Film nach Franz Kafkas Romanfragment „Amerika“ von Harun Farocki

Jean-Marie Straub nuschelte also vor sich hin, gab seinen Schauspielern Anweisungen. Es wurde geprobt. So undeutlich er selbst zu verstehen war, so viel Wert legte er auf die richtige Betonung der Filmdialoge, jeder Satz, jedes Wort musste sitzen, keine Nuance durfte verloren gehen; nicht im Sinne von Buchstäblichkeit – wenn bei Kafka ein Komma steht, ist es bei Straub ein Doppelpunkt, aber die Werktreue Straub liegt in seinem Verständnis für die Verantwortung, die der Filmemacher übernimmt, wenn er einen literarischen Text für die Leinwand transformiert. Das ist Ehrlichkeit und Respekt. Neben Jean-Marie Straub sitzt seine Frau Danièle Huillet. Huillet und Straub zusammen scheinen eine einzelne Entität mit zwei Körpern zu sein. Ihr Blick und ihre Gesten zeugen von einem tiefen Verständnis davon, welche Akzente gesetzt werden sollen, welcher Film entstehen soll.

Jean-Marie Straub ist gebürtiger Franzose, aber 1958 nach Deutschland geflohen um dem Militärdienst in Algerien zu entkommen. Später ist er nach Rom übersiedelt, Danièle Huillet mit ihm. Auch über den Algerienkrieg hat Jean-Marie Straub jetzt einen Film gemacht. Er dauert bloß zwei Minuten und zeugt vom selben Gespür und derselben Geduld für die Nuancen der Sprache, wie seine Arbeit an Klassenverhältnisse zwanzig Jahre zuvor.

Georg K. Glaser - Schriftsteller und Schmied

Georg K. Glaser – Schriftsteller und Schmied von Harun Farocki

Glaser und Straub, zwei Geflohene, zwei Künstler, deren behutsame Bearbeitung von Metall und Sprache erstaunliche Parallelen aufweist. Ein dritter Künstler ist Harun Farocki. Er hat die beiden gefilmt. Jean-Marie Straub und Danièle Huilet bei der Arbeit an einem Film nach Franz Kafkas Romanfragment „Amerika“ und Georg K. Glaser – Schriftsteller und Schmied heißen die beiden Kurzfilme, die in dieser Reihenfolge als Teil des Tributes für den kürzlich verstorbenen Farocki auf der Viennale liefen. Farocki musste nie fliehen (zumindest nicht im wörtlichen Sinne wie Glaser und Straub), er war jedoch immer eine Art Fliehender. Auf der Flucht vor dem sozio-politischen Alltag, den er so nicht hinnehmen wollte und an dem er ihm Großteil seiner Filme Kritik geübt hat. Immer wieder spiegelt sich in diesen beiden Filmen Farockis eigenes Filmschaffen in den Aussagen und im Verhalten der Porträtierten.

James Benning hat eine Wolke gefilmt für Farocki. Sein neuester Film, der den Namen des Verstorbenen trägt besteht aus einer einzigen 77-minütigen Einstellung einer Wolke und ist Teil eines Projekts, in dem Benning einunddreißig Kunstwerke für einunddreißig Freunde und Bekannte geschaffen hat. Der Film erinnert an Bennings früheren Film Ten Skies, ist aber noch radikaler in seiner Konzeption, verzichtet sogar auf eine Tonspur und stellt so einen Kulminationspunkt seiner Arbeit der letzten Jahren dar, in denen er zunehmend mit dem observierenden Blick beschäftigt hat. Wie Farocki ist auch er kein Geflohener, aber auch kein Fliehender, sondern ein Erforschender. Farocki hat auch erforscht auf seiner Flucht. Farocki vereint beides: er ist Fliehender und Erforschender.