Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Scherzhafte Schmerzhaftigkeit: Ein kritisches Gespräch über Toni Erdmann

Vor eini­gen Wochen hat­te Toni Erd­mann sei­nen offi­zi­el­len Kino­start in Deutsch­land und Öster­reich. Der Film, der ohne Über­trei­bung als eine der größ­ten Can­nes-Sen­sa­tio­nen aller Zei­ten gefei­ert wur­de, schafft das sel­te­ne Kunst­stück die Kri­ti­ker­ge­mein­de und Zuse­her glei­cher­ma­ßen zu begeis­tern. Als ich den Film zum ers­ten Mal bei einer Vor­pre­mie­re im Öster­rei­chi­schen Film­mu­se­um sehen durf­te, stell­te sich schnell Ent­täu­schung ein. Ich habe einen guten Film gese­hen, aber kei­nen, der mich voll­ends begeis­ter­te. Eini­ge Din­ge miss­fie­len mir sogar. Nach dem Scree­ning stand ich also etwas ver­lo­ren vor dem Kino und trau­te mich gar nichts zu sagen. Der Kino­saal schien begeis­tert, etwas mit mir schien nicht zu stim­men. Viel­leicht ist das der Grup­pen­zwang eines Kon­sens. Nach weni­gen Minu­ten fand ich in Ale­jan­dro Bach­mann und spä­ter in Katha­ri­na Mül­ler zwei Ver­bün­de­te. Bei­de beschäf­ti­gen sich beruf­lich, wei­test­ge­hend ver­mit­telnd und/​oder wis­sen­schaft­lich mit Kino und Film. Wir ver­ab­re­de­ten ein Tref­fen, um über den Film zu dis­ku­tie­ren. Es ging uns weni­ger dar­um, Toni Erd­mann auf­grund einer Lau­ne schlecht zu reden, als eine Annä­he­rung an eine mög­li­che Kri­tik des Films zu wagen. Denn wenn uns eine Sache wirk­lich in die­ses Gespräch trieb, so war es eine Ver­wun­de­rung über die Reak­ti­on der Film­kri­tik auf Toni Erd­mann. Her­aus­ge­kom­men ist ein her­um­wan­dern­des Gespräch, das irgend­wie auch von der Schwie­rig­keit einer For­mu­lie­rung von Kri­tik han­delt. Letzt­lich hat es uns allen gezeigt, dass die Din­ge sel­ten so ein­fach sind wie man sie selbst im Kino wahr­nimmt. Das gilt im Posi­ti­ven wie im Negativen.

'Toni Erdmann' premiere - 69th Cannes Film Festival

Patrick Holz­ap­fel: Die Fra­ge, die mich bei Toni Erd­mann umtreibt ist, wie es sein kann, dass sich bei einem Film, den wir alle drei nicht furcht­bar fan­den, aber auch nicht her­aus­ra­gend, wie kann es da sein, dass es so lan­ge kei­ne nega­ti­ven Stim­men dazu in der Kri­tik gibt? Jetzt gab es vor kur­zem eini­ge kri­ti­sche Äuße­run­gen von Chris­toph Hoch­häus­ler, aber davor war gar nichts zu hören. Ich den­ke schon, dass wenn wir jetzt über den Film spre­chen, dann müs­sen wir das mit­den­ken, also, was für eine Erwar­tung da auf­ge­baut wur­de. Der Film wur­de ja von der Main­stream-Kri­tik und der kunst­af­fi­ne­ren Kri­tik natio­nal und inter­na­tio­nal glei­cher­ma­ßen gefei­ert. Das sind natür­lich enor­me Erwar­tun­gen, die einen Ein­fluss auf die Rezep­ti­on des Fil­mes haben Ich hät­te den Film jeden­falls ger­ne gese­hen ohne die­se Erwar­tun­gen. Also viel­leicht fan­gen wir damit ein­fach an. Woher glaubt ihr denn, dass die­ser Hype kommt?

Katha­ri­na Mül­ler: Ich glau­be, dass man das nicht tren­nen kann von dem Kon­text, dass der Film in Can­nes Pre­miè­re gefei­ert hat. Und die­se Pre­miè­re hat sich auch in eine Abfol­ge von Ereig­nis­sen ein­ge­reiht, in der immer wie­der die­ses „Alt­her­ren­ki­no“, die­se „Alt­her­ren­ideo­lo­gie“ kri­ti­siert wur­de, wo zum Bei­spiel die Cahiers du Ciné­ma 2012 demons­tra­tiv nach Can­nes die­se Extra­aus­ga­be zu „Où sont les femmes?“ gebracht haben, als Micha­el Han­eke gewon­nen hat. Da ging es auch um Maren Ade in der Aus­ga­be so nach dem Mot­to: Da ist doch eine neue Gene­ra­ti­on, war­um funk­tio­niert das nicht? Und von die­ser Geschich­te kann man die Rezep­ti­on nicht lösen, also dass da hier eine Frau einen Film macht, der zumin­dest zum Teil einen Strang hat, der die­ses Mans­plai­ning the­ma­ti­siert und das auch auf eine Art bloßstellt…

Ale­jan­dro Bach­mann: Mans­plai­ning? Ist das ein Begriff für uns die Welt erklä­ren­de wei­ße Männer?

K.M.: Genau. Das ist ein Begriff von Rebec­ca Sol­nit. Da geht es genau um die­ses Phä­no­men: Wei­ßer Mann erklärt die Welt.

A.B.: Das ist von daher inter­es­sant, weil genau das hat mich am Film eigent­lich dann doch geär­gert. Er ver­tritt in gewis­ser Wei­se eine Ideo­lo­gie, in der uns der alte wei­se und wei­ße Mann die Welt erklärt. Und das scheint auch für mich an extrem weni­gen Stel­len im Film wirk­lich gebro­chen zu wer­den. Das hat zum einen viel­leicht damit zu tun, dass es – wie das womög­lich auch in Chris­toph Hoch­häus­lers Kri­tik anklingt – eine gewis­se schwarz-weiß Zeich­nung gibt. Und das inter­es­san­te ist, wenn man sich die Kri­ti­ken durch­liest, zum Bei­spiel auf Mubi Note­book oder auch im Stan­dard, dann gibt es einen Kon­sens , dass der Film auf dem Papier erst ein­mal ganz ein­fach gebaut ist. Aber sie benut­zen immer eine Rede­wen­dung, um das zu rela­ti­vie­ren und zwar schrei­ben sie, dass das nur auf dem Papier sehr ein­fach wirkt in die­ser Kon­stel­la­ti­on. Dann müss­te man aber kon­se­quent wei­ter­fra­gen, ob dann auf fil­mi­scher Ebe­ne Ambi­va­len­zen hin­zu­kom­men und die­se schwarz-weiß Zeich­nun­gen, die­ser alte wei­se Mann und die jun­ge, etwas ver­wirr­te Kar­rie­re­frau und so wei­ter, ob die sich auf­lö­sen. Das inter­es­san­te ist, dass kei­ne ein­zi­ge der Film­kri­ti­ken, die ich gele­sen habe, dar­auf ein­geht, wie sich das dann fil­misch über­setzt oder auf­löst. Es wird gesagt, das sei alles viel kom­ple­xer als es beschreib­bar ist, aber einen tat­säch­li­chen Ver­such, das Unbe­schreib­ba­re zu Umschrei­ben habe ich nicht gefun­den. Was mir auch bei den Kri­ti­ken auf­ge­fal­len ist: Es wird immer von einem Huma­nis­mus gespro­chen. Also fast alle Kri­ti­ken sagen, dass das ein durch und durch huma­nis­ti­scher Film ist, der uns unse­re gemein­sa­men huma­nis­ti­schen Wer­te und Idea­le noch mal spie­gelt oder bewusst macht. Und das fin­de ich inso­fern pro­ble­ma­tisch, weil der Film eine zutiefst poli­ti­sche Ebe­ne hat. Näm­lich in dem, was schon ange­spro­chen wur­de bezüg­lich Gen­der-Poli­tics, also Wahr­neh­mung von Frau­en als Fil­me­ma­che­rin­nen, aber auch so was wie eine weib­li­che Per­spek­ti­ve und auch bezüg­lich des Ver­hält­nis von Osten und Wes­ten, näm­lich von Rumä­ni­en und Deutsch­land. Also alles poli­ti­sche The­men, die auch zeit­ge­schicht­lich, poli­tisch aktu­ell sind und die aber in den Kri­ti­ken fast kei­ne Rol­le spie­len. Statt­des­sen wird dann der Huma­nis­mus der Geschich­te oder die­ser Kon­stel­la­ti­on her­vor­ge­ho­ben. Das emp­fin­de ich ver­wir­rend. Stel­len­wei­se kam es mir vor, als woll­te man damit etwas umgehen…

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P.H.: Erst­mal viel­leicht zu die­ser Ein­fach­heit des Films. Ich habe zum Bei­spiel bei Mark Per­an­son in der Cine­ma-Scope dar­über gele­sen und er geht expli­zit auf die letz­te Sze­ne des Films ein, in der es eben für ihn nicht alles so ein­fach ist, weil sie eben nicht ein­fach von ihrem Vater gelernt hat oder so. Sie nimmt dann ja die Zäh­ne raus, sobald er geht, um den Foto­ap­pa­rat zu holen. Sie fällt also wie­der in das glei­che Mus­ter wie zuvor. Jetzt ist das aber für mich eine Sze­ne, in der Ambi­va­len­zen förm­lich ersti­cken. In der Sze­ne gibt es für mich vier oder fünf Augen­bli­cke, in der Maren Ade die­ses ambi­va­len­te Ende wirk­lich hät­te fin­den kön­nen, aber ihr letz­ter Blick, mit dem der Film endet, sagt uns ganz genau und so wie Per­an­son schreibt: Ja, sie kann jetzt nicht ein­fach in die­ser Rol­le ihres Vaters blei­ben. Also wenn ich so ein­fach zei­ge, dass es so ein­fach nicht ist, dann ist die­ses Nicht-Ein­fa­che wie­der ver­ein­facht, fin­de ich. Und was viel­leicht zur der Ver­ein­fa­chung noch wich­tig ist, der Film ist schon auch eine Komö­die, oder?

K. M.: Mit gemä­ßig­tem Witz.

P.H.: Na ja, sie hat ihre Momen­te, bei denen ein gan­zer Kino­saal lacht. Und das hängt auch mit der Ein­stiegs­fra­ge zusam­men. Da spü­re ich so einen kol­lek­ti­ven Hun­ger nach dem Lachen, der Komö­die und das hängt immer auch mit Ver­ein­fa­chun­gen zusam­men in den Figu­ren. Weil sol­che Situa­tio­nen wie: Jetzt kommt die­ser Toni Erd­mann in die­se Businesswelt…das funk­tio­niert natür­lich genau des­halb so gut, das kann man ja mit Slap­stick, Lubit­sch und so wei­ter ver­glei­chen, weil die Figur so ver­ein­facht ist. Das wider­spricht irgend­wie nur dem Rea­lis­mus des Films.

K.M.: Ich glau­be es funk­tio­niert nicht nur des­halb, weil es ver­ein­facht ist, son­dern auch nach dem klas­si­schen Prin­zip des Clown­haf­ten. Nur statt einer roten Nase gibt es hier ein fal­sches Gebiss. Das muss ja nach einem ein­fa­chen Prin­zip ver­fah­ren. In dem Moment, in dem er die­se Zäh­ne rein­tut, darf er nur mehr schei­tern. Das gelingt ja alles nicht. Sein Mans­plai­ning ist ja kein gelun­ge­nes. (Im Sin­ne von: er stößt dabei an sei­ne Gren­zen.) Am Ende des Films kommt für mich jetzt nicht raus: Alter wei­ßer Mann erklärt die Welt (erfolg­reich), son­dern jun­ge wei­ße Frau bekommt von altem wei­ßen Mann die Welt erklärt. Das wäre für mich die Essenz, wenn man denn eine Essenz dar­aus zie­hen wollte.

P.H.: Aber nimmt die Figur das für dich in die­ser letz­ten Sze­ne an?

K.M.: Das ist ja voll­kom­men egal. Ich fin­de es bleibt offen genug. Sie hat ein Ange­bot und kann es anneh­men. Und als Zuse­her hat man die­ses Ange­bot auch. Und ich fand aus die­ser Per­spek­ti­ve gab es schon extrem star­ke Sze­nen, zum Bei­spiel wenn sie zu ihrem Arbeits­kol­le­gen sagt: „Wenn ich Femi­nis­tin wäre, wür­de ich mit dir gar nicht reden.“ In die­ser Mischung aus Zynis­mus und ver­meint­li­chem Nicht-Femi­nis­mus ist das schon eine star­ke Aus­sa­ge und das zeigt schon, dass es da auch kein Aus­kom­men gibt.

P.H.: Jetzt ist Ale­jan­dro mehr auf alte Welt und neue Welt gegan­gen und Katha­ri­na geht mehr so auf Män­ner­welt und Frauenwelt. 

K.M.: Also den Gene­ra­tio­nen­kon­flikt sehe ich nicht so stark als sol­chen. Weil bei­de Gene­ra­tio­nen bzw. der ver­meint­li­che Gene­ra­tio­nen­kon­flikt selbst auf eine Art bloß­ge­stellt wer­den. Da ist ja dann kei­ner im Recht, das bleibt rela­tiv unent­schie­den. Ich fin­de den Post-68er genau­so „lächer­lich“ wie sie. 

A.B.: Das kann ich teil­wei­se nach­voll­zie­hen, aber am Ende erlaubt der Film ja ein Abschluss­plä­doy­er. Das wird dem Alt-68er-Mann über­las­sen, der noch ein­mal zusam­men­fasst, war­um er glaubt, dass sei­ne Toch­ter das fal­sche Leben führt und dann sind wir noch mal zurück­ge­las­sen mit der ande­ren Figur, der Toch­ter, die dar­über nach­zu­den­ken hat und sich zu posi­tio­nie­ren hat – zu dem Plä­doy­er für ein bes­se­res Leben des alten wei­ßen Man­nes. Sagen wir es so: Für mich bricht der Film das Lebens­kon­zept des Alt-68ers deut­lich weni­ger, als das Lebens­kon­zept der neo­li­be­ra­len Kar­rie­re­frau und was mich dann ein­fach geär­gert hat, obwohl ich auch mei­ne Momen­te hat­te mit dem Film, ist dass der Film über­haupt kei­ne Zusam­men­hän­ge zwi­schen dem Alt-68er und der Kar­rie­re­frau arti­ku­liert. Statt­des­sen wird das Lebens­kon­zept der Frau als etwas Bizar­res und vom Leben befrei­tes dar­ge­stellt und der Alt-68er ist der, der weil er ande­re Wer­te ver­tritt, uns noch mal zei­gen kann, was wir ver­lo­ren haben. Und „wir“ sage ich natür­lich, weil ich mich natür­lich der Gene­ra­ti­on der Frau­en­fi­gur eher nahe fühle.

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K.M. : Aber es ist ja nicht das Leben DER Frau, son­dern das Leben einer osten­ta­tiv im Kapi­ta­lis­mus ver­fan­ge­nen Figur, die als „Frau“ geschlech­ter­nor­ma­tiv kon­stru­iert ist (ihrem Umfeld gemäß). 

A.B.: Genau, aber der Alt-68er hat sein eige­nes Haus und die Nähe zu Freun­den, die auch ein rie­si­ges Haus haben mit schö­nem Gar­ten und schö­nem Schmuck. Die haben ja auch vom Sys­tem pro­fi­tiert, aber der Film ver­folgt kein…

K.M.: …aber das ist ja genau der Punkt. Du sagst, da wird kei­ne Ver­bin­dung gezo­gen zwi­schen dem Alt-68er und der jun­gen Frau, aber genau in dem Sys­tem liegt ja die Verbindung.

A.B.: Aber hast du nicht das Gefühl, dass Toni Erd­mann der Sym­pa­thie­trä­ger ist. Toni Erd­mann ist doch die Figur, die Sym­pa­thien zieht und Ver­än­de­run­gen her­vor­bringt. Die ande­re Figur ist eine in Sta­sis und gewis­ser Blind­heit ver­fan­ge­ne Figur, die Toni Erd­mann braucht, um ein bes­se­res Leben zu erken­nen und der Film mar­kiert, fin­de ich, an kei­ner Stel­le, dass die­ses ver­meint­lich bes­se­re Leben mal hin­ter­fragt wird.

K.M.: Ich glau­be, Toni Erd­mann hat auch das Pro­blem, dass er Simo­ni­schek ist. Da liegt ja die­ses Josef­stadt-Tra­di­ti­on drin…

A.B.: Was meinst du mit der Josefstadt-Tradition?

K.M.: Na ja, der alte wei­ße Thea­ter­mann. Das ist noch ein­mal eine Stei­ge­rung zum alten wei­ßen Mann. Das ist eines der „Pro­ble­me“. Das ist so schwer trenn­bar. Daher hat­te ich an die­ser Linie zwi­schen den bei­den Figu­ren viel Schlim­me­res erwar­tet. Ich war dann eher posi­tiv über­rascht, Simo­ni­schek so ent­kräf­tet in die­sen Kon­no­ta­tio­nen zu sehen.

P.H.: Ich bin da schon eher bei Ale­jan­dro und die­sem Feh­len der Ver­bin­dung, auch wenn ich mich schon an ein paar Stel­len erin­nern kann, in der das ver­sucht wird. Was Ale­jan­dro so ein biss­chen fehlt, ist ja auch, dass sie dem Simo­ni­schek mal ganz klar sagt auch, dass sie jetzt nicht nur so ist, weil sie das Leben so bes­ser fin­det, son­dern weil sie muss. Das fehlt viel­leicht ein biss­chen. Das ist ja auch ein Über­le­bens­drang. Und manch­mal wer­den die im Film so gegen­über gestellt, als wür­den bei­de Figu­ren der glei­chen Berufs­rea­li­tät ent­sprin­gen. Aller­dings sagt sie ihm schon ein paar Mal so in etwa: „Willst du eigent­lich noch was vom Leben? Willst du jetzt nur noch Furz­kis­sen unter den Hin­tern von Leu­ten schie­ben? Ich ken­ne Män­ner in dei­nem Alter, die wol­len noch was.“ Und so wei­ter. Wo ich aber wie­der bei Ale­jan­dro bin…man nimmt das halt wie eine Erlö­sung wahr, wenn sie dann end­lich Humor bekommt. Also gera­de auf der legen­dä­ren Nackt­par­ty, aber auch schon zuvor, wenn sie anfängt selbst Spie­le zu spie­len. Dann wird sie plötz­lich sym­pa­thisch, davor ist sie was Totes. Das ist natür­lich auch im Schau­spiel so ange­legt. man schaut ja so durch die Leu­te hin­durch. Das ist für mich ein Pro­blem. Ich kann die­se Figu­ren viel zu ein­fach lesen.

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K.M.: Um auf die Ein­gangs­fra­ge zurück­zu­kom­men. Liegt nicht gera­de in die­ser Ein­fach­heit und Aus­ge­stellt­heit der Kniff letzt­lich, um das gan­ze Aus­maß der Absur­di­tät zu zei­gen. Die­se Fra­ge stel­le ich mir.

A.B.: Ich glau­be schon, dass du Recht hast. Der Film baut binä­re Oppo­si­tio­nen, weil genau dar­aus kann das Absur­de ja auch beson­ders her­vor­bre­chen. Das Inter­es­san­te ist aber, dass er sich in sei­ner fil­mi­schen Ästhe­tik dem Rea­lis­mus ver­pflich­tet fühlt. All jene sur­rea­len, gro­tes­ken oder fast schon slap­stick-arti­gen Momen­te begeg­nen mir in einer rea­lis­ti­schen Ästhe­tik, weil der Film ja eigent­lich sagt, dass er an der Rea­li­tät inter­es­siert ist und zwar in einem hohen Maß.

K.M.: Aber das ist ja auch ein Kontrast.

A.B.: Aber das Pro­blem ist, dass er für mich dann weder das eine noch das ande­re dann so rich­tig einlöst. 

K.M.: Aber das hat das Absur­de halt so an sich…

A.B.: Ja genau, aber weder ist der Film schrei­end komisch noch ist er beson­ders rea­lis­tisch. Ich emp­fin­de es als merk­wür­dig: Einer­seits zeigt uns der Film sehr genau fami­liä­re Situa­tio­nen, Kon­flik­te der Arbeits­welt – mit einem gro­ßen Gespür für Klei­nig­kei­ten, Ges­ten, Gegen­stän­de, dann aber und dann gibt es die­sen Moment, in dem all die Inter­ven­tio­nen von Toni Erd­mann in der Berufs­welt sei­ner Toch­ter schein­bar über­haupt kei­nen rea­len Effekt haben:Am Ende geht sie nach Shang­hai. Das wird ja vor­her als ihr nächs­tes beruf­li­ches Ziel eta­bliert. Es hat also kei­nen Unter­schied gemacht, dass sie sich nicht nach den Eti­ket­ten ver­hal­ten hat, dass sie nicht die Codes der Arbeits­welt ein­ge­hal­ten hat, dass sie ihre Geschäfts­part­ner brüs­kiert hat. All das spielt kei­ne Rol­le am Ende. Sie geht ein­fach nach Shanghai.

K.M.: Weil sie eine „Frau“ ist!. Mit die­ser Kau­sa­li­tät von Geschlech­ter­nor­men spielt der Film schon irgend­wie. Sie braucht ja kei­ne Codes. Es geht nur dar­um, dass sie mit der Gat­tin des Chefs ein­kau­fen geht. So habe ich das gele­sen. Das hat schon eine Wucht. Sie kann gar nicht ent­kom­men, sie kann sich gar nicht dis­qua­li­fi­zie­ren. Dar­in liegt eine der Grausamkeiten.

P.H.: Es gibt aber eine Sze­ne, in der sie ihrem direk­ten Vor­ge­setz­ten, der dann spä­ter auf der Nackt­par­ty erscheint, spricht und klar wird, dass er da ein Ent­schei­dungs­trä­ger ist. Ich fin­de es komisch, dass das dann kei­ne Rol­le spielt. Aber das führt mich wie­der zu die­sem Coda, ich fin­de das sehr merk­wür­dig am Ende, als das alles gesagt wird.

K.M.: Der Film ist ein­fach viel zu expli­ka­tiv auf eine Art. Aber für mich ist das gerecht­fer­tigt durch die­ses Mans­plai­ning, das ja hier auch ein gro­ßes The­ma ist, das heißt, dass er ja auch irgend­wie expli­ka­tiv sein muss, um sei­ner Rol­le gerecht zu wer­den. Aber noch mal zum Rea­lis­mus. Für mich gibt es zwei Momen­te, in denen der total drin­nen ist, zwei ganz star­ke Momen­te. Zum einen die­se Sze­ne mit dem Zehen­na­gel. Sie trennt ihn ab und dann beißt sie sich durch. Die bekommst du nie so stark in ihrer Schmerz­haf­tig­keit hin, wenn der Film nicht bis dahin schon die­se dem Rea­lis­mus ver­schrie­be­nen ästhe­ti­schen Metho­den anwen­det. Aber da tut es rich­tig weh. Und Schmerz ist ja auch ein gro­ßes The­ma des Films. Der ande­re Moment, der wie ein Emblem oder Sinn­bild des Films funk­tio­niert, ist die­se Sze­ne, in der San­dra Hül­ler nicht aus dem Kleid kommt. Sinn­bild aber nicht nur im posi­ti­ven Sin­ne, weil das auch für die­se Ver­klem­mung steht.

P.H.: Das sind zwei kör­per­li­che Szenen.

K.M.: Ja und da wird so eine Ver­klem­mung spür­bar, die irgend­wie auf alles über­greift, was nicht per se schlecht ist, aber was viel­leicht auch die­sen Can­nes-Erfolg bedingte…

A.B.: Was meinst du mit Verklemmtheit?

K.M.: Ich glau­be, dass der Film in man­chen Sequen­zen nicht weit genug geht. Das müss­te doch mehr aus dem Vol­len her­aus schöp­fen. Wenn dann mehr Furz­kis­sen und mehr…da muss dann wirk­lich was passieren.

A.B.: Und die Nagel­sze­ne wäre dann eine Sze­ne für dich, in der der Film weit genug geht?

K.M.: Da geht es sehr weit. Wenn der Film dort visu­ell wei­ter gin­ge, also mehr zei­gen wür­de, dann wür­de sich das Gewalt-und Schmerz­po­ten­ti­al der Sze­ne wohl auf­he­ben. Hier setzt er aber auf unse­re Vor­stel­lungs­kraft und erreicht dabei maxi­ma­le Inten­si­tät. Das schmerzt.

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P.H.: Für mich ist Rea­lis­mus in dem Film auch oft Kon­ven­ti­on. Das ist jetzt kei­ne radi­ka­le Rea­lis­mus­hal­tung. Da geht der Film auch nicht sehr weit. Das ist sehr häu­fig in Schuss-Gegen­schuss auf­ge­löst, die Kame­ra ist immer so plat­ziert, dass sie mehr oder weni­ger alles über­bli­cken kann, es wer­den eigent­lich nur hand­lungs­re­le­van­te Din­ge gezeigt. Ich will es jetzt nicht über­trei­ben, aber das geht schon in Rich­tung Hol­ly­wood-Rea­lis­mus. Und dann kom­me ich zu etwas, was Ale­jan­dro am Anfang gesagt hat, näm­lich die Fra­ge, ob im Fil­mi­schen, in der Form sich dann Ambi­va­len­zen öff­nen. Aber so wie der Film arbei­tet, kön­nen da ja gar kei­ne Ambi­va­len­zen sein, denn dort ist meist Kon­ven­ti­on. Klar ist das Rea­lis­mus, Ade setzt auf Natu­ra­lis­mus im Spiel, im Sze­nen­bild und so weiter…aber sie geht über­haupt nicht weit damit. Was Katha­ri­na da ver­misst an Radi­ka­li­tät bezüg­lich der The­ma­tik ver­mis­se ich viel­leicht im Bezug zur Form. Das könn­te aber dar­an lie­gen, dass mich der Film auf die Spur von Rea­lis­mus gezo­gen hat und das nicht ein­ge­hal­ten hat und Katha­ri­na eher mehr Absur­di­tät gelöst vom Rea­lis­mus woll­te. Der Film hängt so dazwi­schen und irgend­wie scheint genau das zu zie­hen. Für mich sind da dann auch schwam­mi­ge Din­ge, wo Ade eher eine Idee filmt, als eine Rea­li­tät, aber die­se Idee aus­se­hen las­sen will wie Rea­lis­mus. Zum Bei­spiel in der Fra­ge, was sie uns von Rumä­ni­en zeigt. Also wenn ein Blick in dem Film aus dem Fens­ter geht, dann wird auf Armut geblickt. Ich ver­ste­he die Idee und die Idee gefällt mir auch. Sie sagt: Seht her, da ist die­se neue, euro­päi­sche Busi­ness­welt und dann gibt es da aber auch ein rea­les Land, das man halt mal so durchs Fens­ter sieht.

K.M.: Sie zeigt ja deren Blick. Den Blick der Busi­ness­leu­te hin­un­ter auf „Rumä­ni­en“.

P.H.: Ja genau, das ver­ste­he ich auch als Idee. Nur, wenn die­ser Blick ein rea­lis­ti­scher wäre, dann wäre er nicht so ein­sei­tig. Und das führt uns wie­der zu den schwarz-weiss Zeich­nun­gen. Es wird mir eigent­lich bestän­dig eine Idee ver­mit­telt, die nichts mit der fil­mi­schen Rea­li­tät dort zu tun haben kann, aber dau­ernd so tut als ob. 

K.M.: Was wäre denn für dich ästhe­tisch radi­kal? Gab es für dich eine Sze­ne, auf die du gewar­tet hast? Ich habe ja immer dar­auf gewar­tet, dass Toni Erd­mann auch nackt auf der Par­ty erscheint. Und ich bin mir über­dies nicht sicher, ob man das Absur­de vom Rea­lis­ti­schen so ein­fach tren­nen kann. 

P.H.: Natür­lich kann man das Absur­de nicht vom Rea­lis­ti­schen tren­nen, weil man das Rea­lis­ti­sche ja nicht vom Absur­den tren­nen kann. Ich mei­ne nur, dass die Absur­di­tät hier weni­ger aus dem rea­lis­ti­schen kommt, als aus dem Dreh­buch. Also for­mal kann man das ja nicht machen. Du kannst ja nicht ein­fach so eine for­mal radi­ka­le Sze­ne in so einen Film schnei­den. Es geht mir auch nicht dar­um, dass ich es schlimm fin­de, dass der Film dar­auf ver­zich­tet. Mit Radi­ka­li­tät mei­ne ich eigent­lich kon­se­quen­te­ren Rea­lis­mus. Der Film spielt ja in Rumä­ni­en und in Neben­rol­len fin­den sich auch eini­ge Stars des rumä­ni­schen Kinos, die hier schlicht nichts zu tun haben. Ade hat sich da ja auch inspi­rie­ren las­sen offen­sicht­lich. Aber natür­lich den­ke ich da, viel­leicht ein wenig unge­recht, auch an Cris­ti Puiu, weil der eben die­ses Jahr mit Sier­an­eva­da auch in Can­nes war. Und bei Puiu gab es inhalt­lich wie ästhe­tisch die Idee, dass es immer meh­re­re Wahr­hei­ten gibt, kon­stru­ier­te Wahr­hei­ten, unkla­re Kon­flik­te in ein­zel­nen Figu­ren. Also ziem­lich genau das Gegen­teil die­ser Ver­ein­fa­chung bei Ade. Und natür­lich stört mich da mehr die Bevor­zu­gung letz­te­rer in der Rezep­ti­on als ihr prin­zi­pi­el­les Vor­ge­hen. Und Puiu unter­stützt die­se Welt­sicht for­mal, weil er die Kame­ra meist nur an einen fes­ten Ort stellt, schwenkt und gar nicht alles sehen kann bezie­hungs­wei­se mal die­sem folgt und mal jenem. Er ent­schei­det sich dafür, sich auf eine Beob­ach­tung zu redu­zie­ren. Da geht jemand mit der Idee von Rea­lis­mus radi­ka­ler um. Für man­che ist das ver­kopf­te Verklemmung…die wür­de aber ja auch super pas­sen bei Toni Erd­mann. Aber die Idee, dass mal jemand hin­ter einer Tür ver­schwin­det oder hin­ter einer Ecke und die Kame­ra muss war­ten bis die Figur zurück­kommt, ist etwas, was ich mir an sich sehr gut hät­te vor­stel­len kön­nen in Toni Erd­mann wenn ich etwas nen­nen müsste.

K.M.: Aber braucht es das?

P.H.: Die­se Fra­ge kann man immer stel­len. Ich will mir auch kei­nen Film wün­schen, ich will über den nach­den­ken, den es gibt. Mei­ne Kri­tik ist nicht: Der Film hät­te das gebraucht, son­dern der Film ist unglaub­lich kon­ven­tio­nell. Immer auch vor dem Hin­ter­grund die­ses extre­men Hypes. Das hier war ein Vor­schlag. Ich den­ke, dass es vie­le Ideen gibt dafür.

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A.B.: Aber lass uns da doch noch mal ein­ha­ken. Die Kri­ti­ken sind eigent­lich durch­ge­hend begeis­tert. Kei­ner von uns fin­det den Film jetzt total schreck­lich, son­dern wir sind eher ver­wun­dert, wo die gro­ße Begeis­te­rung herkommt. 

K.M.: Die natio­na­le Kom­po­nen­te ist ver­mut­lich auch noch wich­tig. Deut­sche Regie, seit acht Jah­ren kei­ne deut­sche Regie mehr dort und so wei­ter. Auch aus poli­ti­schen Gründen.

A.B.: Das auf jeden Fall. Dar­auf will ich hin­aus. Also wir drei kön­nen nicht ver­ste­hen, wie­so die Kri­ti­ken so über­schwäng­lich sind. Wir sind uns einig, dass es eine gewis­se Ein­fach­heit in der Kon­struk­ti­on der Geschich­te gibt, die teil­wei­se in das humo­ris­ti­sche Poten­zi­al hin­ein­spielt. Dann gibt es die­se Aspek­te mit der Reprä­sen­ta­ti­on von Rumä­ni­en, es gibt die Fra­ge nach dem Ver­hält­nis von Män­nern und Frau­en und so wei­ter und dar­an anhän­gend die Fra­ge nach einer weib­li­chen Fil­me­ma­che­rin in Can­nes. Und all die­se Kri­ti­ken sind durch­weg begeis­tert und nen­nen alle den Huma­nis­mus. Der Huma­nis­mus ist ein Wort, das immer wie­der fällt. Für mich hat bis­lang nie­mand in den Kri­ti­ken for­mu­liert, wor­in eigent­lich die­ser beson­de­re Huma­nis­mus des Films liegt. Vie­le Kri­ti­ken sind sich auch dar­über einig, dass es ein­fach gebaut ist, sagen aber, dass es fil­misch – also als Film – dann eine Kom­ple­xi­tät erhält. Was mir ekla­tant erscheint ist, dass vie­le der Kri­ti­ke­rIn­nen, die dar­über geschrie­ben haben, eine spe­zi­fisch kine­ma­to­gra­phi­sche Hand­schrift gut fin­den, also etwas, das visu­ell , also über beweg­te Bil­der und Töne erzählt. Aber habt ihr das Gefühl, dass Toni Erd­mann im beson­de­ren Maße über die Mit­tel des Kinos erzählt? Oder ist das nicht eigent­lich eine Form von extrem dia­log­las­ti­gem und wie Patrick gesagt hat nach sehr klas­si­chen Mus­tern auf­ge­lös­tes Kino? 

K.M.: Das wäre auch einer mei­ner Ein­wän­de. Also dass Ade in einer poli­ti­schen Betrach­tung des Films mit den Metho­den, ich sage das vor­sich­tig, des klas­si­schen Thea­ter­films oder Kam­mer­spiels mit einer sehr tra­di­tio­nel­len und damit auch „männ­lich“ belas­te­ten Arbeits­wei­se her­an­geht. Und ich glau­be, was es mit dem Huma­nis­mus auf sich hat, ist glau­be ich ein­fach, dass das Wesen die­ses Films in einem Car­pe Diem für arbei­ten­des, bür­ger­li­ches Publi­kum liegt.

A.B.: Nur um es rich­tig zu ver­ste­hen, wür­dest du sagen, der Film adres­siert gera­de­zu Film­kri­ti­ke­rin­nen und Film­kri­ti­ker, die in einem neo­li­be­ra­len Kul­tur­sys­tem dar­an gewöhnt sind, per­ma­nent auf Fes­ti­vals mit iPads her­um­zu­lau­fen, Tex­te zu schrei­ben, Fil­me zu schau­en, bis spät in die Nacht zu arbei­ten und zu netz­wer­ken und dann kommt ein Film und sagt: Stimmt, ihr müsst mal durchatmen?

K.M.: Ja, abso­lut. Also für mich ist das so ein Auf­ruf, so ein Car­pe Diem. Und da gibt es eini­ge Pat­zer. Zum Bei­spiel die Sze­ne mit dem Sarg mit sei­ner Mut­ter. Da hät­te mehr pas­sie­ren kön­nen, da hät­te der Film mei­ner Mei­nung nach über die Strän­ge gehen kön­nen. Genau­so wie am Ende beim Abschluss­plä­doy­er, das ist ein­fach zu platt so wie es ist. Natür­lich kann man da fra­gen, ob es das gebraucht hät­te. Am Sarg fin­de ich, hät­te schon etwas pas­sie­ren kön­nen, um nicht so stark in die Haupt­abend­pro­gramm­fern­seh­ideo­lo­gie rein­zu­drif­ten: Ein nicht unter­drück­ba­rer Lacher, ein Klapp­sarg oder so. Am Schluss war es schon auch schön so, weil sein gan­zes Mans­plai­ning da so auf­ge­löst wird.

P.H.: Aber das ist doch eine schö­ne Sze­ne für unser Pro­blem. Aus einer inhalt­li­chen Per­spek­ti­ve scheint das sehr rele­vant, aus einer for­ma­len Per­spek­ti­ve ist das halt wie­der auf den Dia­log gelegt. Das kann man so machen, aber ich fin­de das erklärt mir sehr viel. Ich habe schon eini­ge spe­zi­fisch kine­ma­to­gra­phi­sche Bil­der im Film gese­hen . Zwei fal­len mir jetzt ein. Zuerst mal als der Hund von ihm stirbt. Ich fin­de, dass das sehr gut ein­ge­fan­gen ist. Sie ist nahe und zugleich fern, der Raum wird sehr klein in die­sem Gar­ten, es gibt kei­nen Aus­weg, man sieht den Hund auch nicht rich­tig, da ent­steht etwas sehr Trau­ri­ges, ohne dass viel gemacht wird. Das ist schon ein Moment, in dem der Film in Kino­bil­dern denkt. Und ich fin­de schon, selbst wenn das sehr groß und fast pla­ka­tiv insze­niert ist, dass wenn die sich da am Ende im Park umar­men, das ist ein Kino­bild. Die­ses prin­zi­pi­el­le Lösen von sol­chen Sachen war für mich aber sehr über­ra­schend, weil ich das zum Bei­spiel in ihrem Alle Ande­ren, den ich sehr moch­te, viel mehr gese­hen habe. Das ist natür­lich auch ein Kam­mer­spiel-Film mit viel Dia­log, aber ich hat­te da bestän­dig das Gefühl, dass in die­ser Rau­heit der Insze­nie­rung etwas über den Inhalt mit ver­mit­telt wird. Das ist gleich­zei­tig beob­ach­ten­der und näher an den Gefüh­len der Ein­ge­sperrt­heit und Hit­ze im Film.

A.B.: Es wirkt auch deut­lich zer­ris­se­ner. Bei Alle Ande­ren hat man nie das Gefühl, dass man weiß: Ah, jetzt kommt die Posi­ti­on und jetzt kommt die Posi­ti­on, son­dern es ist ein per­ma­nen­tes Zwischendrin.

P.H.: Und in Alle Ande­ren fin­det sich für mich viel­leicht auch die Brü­cke zum Huma­nis­mus in Toni Erd­mann. Ich fin­de da einen gro­ßen Unter­schied und das führt mich auch wie­der zu Cris­ti Puiu, dem ja manch­mal das Gegen­teil nach­ge­sagt wird, also dass er Men­schen nicht mag. Aber da geht es doch um die Idee, dass man Schwä­chen nicht unbe­dingt gegen Stär­ken spielt, son­dern das Schwä­chen viel­leicht Stär­ken sind oder Stär­ken Schwä­chen. Dass Men­schen viel­leicht unsym­pa­thisch sind, untrag­bar, dass es da kei­nen Fun­ken gibt, der zeigt, wo sie hin müs­sen oder dass man bestän­dig spürt, wer sie eigent­lich sind, son­dern dass sie viel­leicht auf­grund einer bestimm­ten Situa­ti­on oder in einer bestimm­ten Bezie­hung ein­fach so sind wie sie sind. Ohne Bes­ser und Schlech­ter. Die­ser Huma­nis­mus ist mir viel näher. Jemand sagt mir: Da ist eine Per­son, ich ver­ur­tei­le sie nicht, sie kann einen zärt­li­chen Moment haben, sie kann einen furcht­ba­ren Moment haben. Das ist für mich eine huma­nis­ti­sche Idee, einen Men­schen zu zei­gen, ihn zu umar­men, auch wenn das für den Zuse­her viel­leicht viel schwie­ri­ger ist. In Toni Erd­mann gibt es das schon auch, aber oft so klar abge­trennt von­ein­an­der. Nur, weil man eine Per­son mag, muss das doch kein Huma­nis­mus sein. Das könn­te auch eine Lüge sein.

A.B.: Das wird ja in den Kri­ti­ken auch oft genannt. Es wird oft geschrie­ben, wie erstaun­lich es ist, dass der Film es auch schafft, dass wir eine klas­si­sche neo­li­be­ra­le Arbeits­bie­ne – mit all den Wer­ten, von denen wir natür­lich als kri­tisch den­ken­de Men­schen Abstand neh­men wür­den – dass der Film es doch schafft, dass wir auch sie mögen, auch sie ver­ste­hen. Aber da den­ke ich mir so ein biss­chen, dass das doch für wirk­lich extrem vie­le Fil­me zutrifft, die es schaf­fen, Figu­ren facet­ten­reich zu zei­gen. Aber inter­es­san­ter­wei­se wird das dem Film so zu Gute gehal­ten. Des­halb fin­de ich ja, was Katha­ri­na sagt gar nicht so unin­ter­es­sant. Viel­leicht ist das ein Film, der eben auch die Leu­te adres­siert, die im Kul­tur­be­trieb arbeiten.

K.M.: Ich sehe in die­ser Figur von San­dra Hül­ler, man kann sicher mehr dar­in sehen, aber ich sehe dar­in einen bestimm­ten Typus von deut­scher Kri­ti­ke­rin, die in Can­nes her­um­rennt und dar­über klagt, dass es zu warm ist, dass so viel zu tun und das Kleid unan­ge­nehm ist. Des­halb wun­dert mich auch der Erfolg des Films nicht. Und ich sehe mich natür­lich auch selbst ein biss­chen in der Figur.

A.B.: Ich glau­be auch, dass der Film dar­auf bau­en kann: Wir sehen uns alle ein biss­chen auch in dem Kon­flikt, der da the­ma­ti­siert wird. Im Übri­gen sehe ich da auch eine Gemein­sam­keit zu Alle Ande­ren – den habe ich damals mit 5 Per­so­nen gese­hen und abso­lut jede/​r sah die Gescheh­nis­se mit ganz eige­nen Augen.

K.M.: Ja natür­lich, weil da ja auch ohne grö­be­res Gewalt­ein­wir­ken von außen oder durch den Aus­bruch inne­rer Gewalt kein Aus­kom­men ange­zeigt ist. Aber um noch mal zu dem For­ma­len zurück­zu­kom­men. Mich hat das nicht so gestört. Ich glau­be, dass der Film for­ma­le Beson­der­hei­ten bzw. Spie­le­rei­en auch gar nicht ver­tra­gen wür­de. Und zwar basie­rend auf der künst­le­ri­schen Idee der Mini­mal­mas­ke die­ses Clowns, der ja irgend­wie schei­tern muss und für mich da am Ende auch zumin­dest bei ihr (nicht beim Publi­kum) gar nicht durch­kommt mit sei­nem „Plä­doy­er“. Er muss schei­tern und es ist von Anfang an klar, dass er schei­tern wird, weil er eben die­se Mas­ke trägt. Das ist eben eine klas­si­sche Form von thea­tra­ler Kunst und für das Thea­tra­le brauchst du, glau­be ich, eine tra­di­tio­nel­le Form. Sonst funk­tio­niert das nicht. Der Clown lacht ja nicht selbst über sich. Sonst funk­tio­niert er ja nicht. Der Film darf auch nicht über sich selbst lachen, sonst funk­tio­niert er auch nicht. Und immer wenn er doch ein biss­chen über sich sel­ber lacht, das gibt es ein biss­chen, dann hat es auch nicht funktioniert. 

P.H.: Also natür­lich ist es so, wenn ich sage, dass ich da was For­ma­les ver­mis­se, dann hängt das erst­mal mit der Rezep­ti­on zusam­men, weil ich erwar­te von einer Film­kri­tik in einer sol­chen Brei­te nicht, dass sie sich so dar­über freut, wenn for­ma­le Din­ge über Bord gewor­fen wer­den. Aber man hat genau die­ses Gefühl. Da wird gesagt: End­lich mal ein Film der Kunst ist, aber der nicht so ver­kopft ist und anstren­gend und so wei­ter. Und das stört mich ein­fach. Zumal wir gesagt haben, dass der Film abso­lut poli­tisch ist und Poli­tik im Film schon auch sehr an der Form hängt. Und ich erwar­te von der Film­kri­tik, dass sie Expe­ri­men­te för­dert und bin ent­täuscht, dass es sol­che Reak­tio­nen durch­ge­hend bei einem kon­ven­tio­nel­len Film gibt.

K.M.: Aber ich glau­be eben, dass Toni Erd­mann für sol­che Wün­sche zu nah am tat­säch­li­chen Film­kri­ti­ker, der Film­kri­ti­ke­rin ange­sie­delt ist und da gibt es dann eine Über­wäl­ti­gung. Im Ver­zicht auf for­ma­le Spie­le­rei, selbst wenn sie sich da und dort anbö­te, liegt für mich auch eine Kunst. Mich hat es ja auch erwischt so kurz vor Semes­ter­en­de, dass ich mir gedacht habe: Wie absurd, mit wel­cher Art von Pseu­do-Ernst­haf­tig­keit ich das alles mache. Und ich habe mich auch in bei­den Figu­ren gese­hen, ich fand mich schon auch in der „männ­li­chen“ Figur wie­der, in der Kas­pe­lei, die auch nicht „funk­tio­niert“, aber zur Gegen­wär­tig­keit führt – und damit ein fein­sin­ni­ges Gegen­mo­ment zu einer durch­ge­tak­te­ten Welt ist, in der alles „funk­tio­nie­ren“ muss und die immer auf eine Kon­se­quenz (Erfolg), also nicht auf den Moment gerich­tet ist. Es sind grund­sätz­lich zwei gut auf­ge­bau­te Identifikationsfiguren.

P.H.: Das ist ja auch einer der Punkte…dieses Auf­bau­en der Figuren…das ist sehr klar. Der Film nimmt sich ja unfass­bar lan­ge Zeit für das Ein­füh­ren der Figu­ren. Am Anfang wird sei­ne Figur auf­ge­baut, dann tref­fen sie sich zum ers­ten Mal, dann wird ihre Figur auf­ge­baut und dann geht es eigent­lich erst los mit Toni Erd­mann. Das ist viel­leicht auch so eine Sache. Ich habe in meh­re­ren Kri­ti­ken gele­sen, dass das einer der weni­gen Fil­me ist, die Kunst­an­spruch haben und sich den­noch viel Zeit für einen psy­cho­lo­gi­schen Cha­rak­ter­auf­bau las­sen. Ich spü­re da eine Sehn­sucht nach Psy­cho­lo­gie. Man will wie­der nach­voll­zie­hen, wer was wes­halb macht und so weiter. 

A.B.: Beim Hol­ly­wood Repor­ter stand als Bot­tom Line “The best 162-minu­te Ger­man come­dy you’ll ever see.“ Das bringt mich auf zwei Sachen. Der Satz ist näm­lich ganz wit­zig, weil er die­se Beto­nung auf die 162 Minu­ten legt und es natür­lich kaum eine ande­re 162minütige deut­sche Komö­die gibt. Es bringt uns aber auch noch mal auf die­se Rol­le von Deutsch­land. Näm­lich in der inter­na­tio­na­len Wahr­neh­mung. Patrick hat ja auch über deut­schen Humor geschrie­ben. Und in der Grup­pe, in der wir nach dem Film stan­den, gab es zum Bei­spiel Bezü­ge zu Fil­men wie Män­ner­pen­si­on oder so Til Schweiger/​Katja Rie­mann-Klas­si­ker der 90er Jah­re, die in Deutsch­land ja eine gro­ße Auf­merk­sam­keit genos­sen haben. Zum einen wie „deutsch“ ist der Film? Und wie sehr wird der Film als „deut­scher“ Film wahrgenommen?

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K.M.: Das „Natio­na­le“ ist für mich und mei­ne For­schun­gen ein wich­ti­ges The­ma und das wird ja gera­de immer span­nen­der auch im grö­be­ren Kon­text der Natio­na­li­sie­rung, Re-Natio­na­li­sie­rung, der natio­na­len Auf­la­dung von Gesell­schaft. Das ers­te, was mir auf­ge­fal­len ist, ist aus einer Kri­tik, die ich gele­sen habe in einer fran­zö­si­schen Zei­tung. Der Arti­kel kri­ti­siert, dass Ken Loach gewon­nen hat und damit wie­der die „Alt­her­ren­ideo­lo­gie“ und nicht der Film, der genau die­se kri­ti­siert (also Toni Erdmann).

P.H.: Ich den­ke aber schon, dass der Ken Loach Film auch Kapi­ta­lis­mus kri­ti­siert? Ich habe ihn noch nicht gese­hen, aber gehe schon schwer davon aus.

K.M.: Es war nur inter­es­sant, das zu lesen. Da wur­den auch Ver­bin­dun­gen zum bevor­ste­hen­den Brexit gezo­gen und so wei­ter. Das ist nur die Mei­nung die­ser Kri­tik. Ich fin­de den Film sehr deutsch.

A.B.: Ja, das wür­de mich eben genau­er inter­es­sie­ren. Ich kann das näm­lich nach­voll­zie­hen. Ich habe ihn ja in Öster­reich im Kino gese­hen und habe sehr viel Geläch­ter wahr­ge­nom­men. Dar­über könn­te man viel­leicht auch noch mal reden, die­se Fra­ge des Geläch­ters und die Tat­sa­che, dass Maren Ade schon betont, dass es sich nicht um eine Komö­die han­deln wür­de. Etwas, bei dem ich sie sehr gut ver­ste­hen kann, weil die depres­si­ven Momen­te haben bei mir funk­tio­niert, die lus­ti­gen haben bei mir prak­tisch gar nicht funk­tio­niert. Und ich bin zwar kein Deut­scher, aber ich bin in Deutsch­land sozia­li­siert wor­den und ich habe mir die gan­ze Zeit gedacht: Mei­ne Fres­se, der Film ist deutsch. Aber woher kommt das?

K.M.: Deutsch­land ist für mich spür­bar im Sexismus…

A.B.: Das musst du jetzt etwas genau­er erklären?

K.M.: Also ich mei­ne in einer bestimm­ten Form. In Öster­reich ist eben­die­ser so osten­ta­tiv, da muss man gar nicht dar­über reden. In Deutsch­land funk­tio­niert das bes­ser vor allem vor dem Hin­ter­grund von Leu­ten wie Til Schwei­ger oder die­sen Fick-Komö­di­en. Vor die­sem Hin­ter­grund ist der Film natür­lich auf eine Art begrü­ßens­wert, weil die Mehr­zahl der Komö­di­en, und das betrifft nicht nur Deutsch­land, die in letz­ter Zeit vor allem aus Euro­pa ins Kino kom­men, sind ent­we­der Fick-Komö­di­en oder „Multikulti“-Komödien. Da ist Toni Erd­mann natür­lich ein Fort­schritt. Aus „öster­rei­chi­scher“ Wahr­neh­mung ist das „Deut­sche“ dar­an viel­leicht die­se bestimm­te Ver­klem­mung. Eine „öster­rei­chi­sche“ Vari­an­te davon wäre dann viel­leicht das, was ich schon gesagt habe…also viel mehr Furz­kis­sen, viel mehr Gaga-Humor, mehr Fremd­schä­men und es ist auch nicht immer ganz stim­mig mit Simo­ni­schek. Man merkt, dass er da sehr ein­ge­deutscht wirkt. Impro­vi­siert wären da ande­re For­men von Humor raus­ge­kom­men wahr­schein­lich. Ich will jetzt „dem Deut­schen“ nicht den Humor abspre­chen. Man­che Sze­nen funk­tio­nie­ren da auch ganz wun­der­bar. Und sind viel­leicht gera­de in ihrer „Tro­cken­heit“ dem Lachen sehr förderlich. 

P.H.: Ich fin­de schon, dass der Film an Stel­len geht, zum Bei­spiel bei der Par­ty, an die nor­mal deut­sche Komö­di­en gar nicht ran­ge­hen, also so Over-the-Top Momente…die gibt es schon, aber dann sehr bil­lig, in dem was du „Fick-Komö­di­en“ nennst. Da fin­de ich geht Toni Erd­mann schon einen Schritt wei­ter und zwar auf intel­li­gen­te Art und Wei­se. Aber was mich an der Ver­klem­mung inter­es­siert, Katha­ri­na, das habe ich nicht ganz ver­stan­den. Sagst du, dass die Ver­klem­mung in der Fil­me­ma­che­rin liegt oder in dem, was sie thematisiert?

K.M.: Ich glau­be weder in der Fil­me­ma­che­rin, noch zwangs­läu­fig in dem, was sie inten­tio­nal the­ma­ti­siert und schon gar nicht in der Art und Wei­se. Son­dern die Ver­klem­mung ist eine iden­ti­fi­zier­ba­re The­ma­tik des Films. Ob sie inten­diert ist oder nicht, sei dahin gestellt.

A.B.: Also du wür­dest sagen die Ver­klem­mung der weib­li­chen Haupt­fi­gur, also da kann man ja schon von einer Ver­klem­mung sprechen…eine Figur, die sehr steif in die­sen Arbeits­pro­zes­sen ist und natür­lich gleich­zei­tig so eine Pro­fes­sio­na­li­tät hält, die sich aber zum Bei­spiel auf ihrer Geburts­tags­par­ty kaum ent­span­nen kann… du wür­dest sagen, das erin­nert an so eine Art „deut­sche“ Pro­fes­sio­na­li­tät auch?

K.M.: Mög­lich, ja. Sagen wir, es ist eine Kon­ven­ti­on davon. Mein Arbeits­um­feld ist voll von „deut­scher Pro­fes­sio­na­li­tät“ und ich schlie­ße mich dem zum Teil ger­ne an. Mir fehlt, wie gesagt, dass Toni auch nackt auf die Par­ty kommt. An was mich die Par­ty­sze­ne übri­gens erin­nert hat, ist Max, mon amour von Nagi­sa Oshi­ma. Da spielt ja Char­lot­te Ram­pling die Gat­tin eines bri­ti­schen Bot­schaf­ters in Paris und betrügt ihn mit einem Affen. Ich fin­de ja, dass San­dra Hül­ler und Char­lot­te Ram­pling sich da schau­spie­le­risch auf einem gleich hohen Niveau bewe­gen. Das ist für mich ein ganz ähn­li­cher Film. Und auch ästhe­tisch für Oshi­ma-Ver­hält­nis­se total kon­ven­tio­nell. Ich glau­be je absur­der du etwas machen willst, des­to mehr muss sich die Mise-en-Scè­ne zurücknehmen.

P.H.: Naja…also wenn ich mir Por­um­boiu-Fil­me oder Hong Sang-soo-Fil­me ansehe…das ist Absur­di­tät und es ist for­mal. Also da ist schon ein Unterschied.

A.B.: Ja, da gibt es aber schon Unter­schie­de zwi­schen den Ansät­zen. Ein Film, den ich for­mal gar nicht so extra­va­gant fin­de und der mich stel­len­wei­se auch an Toni Erd­mann erin­nert, ist Le charme dis­cret de la bour­geoi­sie von Luis Buñuel. Oder auch ande­re Fil­me von ihm, bei denen man for­mal kei­ne gro­ßen Spie­le­rei­en hat und die Absur­di­tät und das Gro­tes­ke genau dar­aus ent­steht, dass du eigent­lich ein ganz nor­ma­les bür­ger­li­ches Abend­essen in einer ganz nor­ma­len kon­ven­tio­nel­len Art und Wei­se der Insze­nie­rung beob­ach­test und sich da plötz­lich Ver­schie­bun­gen auf­tun, mit denen du mal klar­kom­men musst.

P.H.: Also ich fin­de ihr macht es euch da zu ein­fach. Form heißt doch nicht auto­ma­ti­sche Extra­va­ganz. Also Buñuel ach­tet in die­sem Film doch unglaub­lich auf die Kadrie­rung, auf Sym­me­trien, auf das Zusam­men­spiel von Kos­tüm und Sze­nen­bild. Und in Toni Erd­mann sind all die­se Din­ge für mich einer Idee von Rea­lis­mus unter­ge­ord­net. Da habe ich gar nicht das Gefühl, dass da eine Fil­me­ma­che­rin arbei­tet, die mir die­se Absur­di­tät auch in der Form wie­der­ge­ben will, wie das bei Buñuel eben schon pas­siert, son­dern bei Maren Ade kommt die Absur­di­tät rein inhalt­lich. Bei Buñuel liegt die Absur­di­tät auch in der Kame­ra.Es geht mir auch nicht dar­um, hier einen For­ma­lis­mus zu for­dern. Ich fin­de es ja okay, dass Toni Erd­mann das zurück­schraubt. Alles was ich sage ist, dass der Film das was er ver­sucht, also die­se Absur­di­tät und die­ses Gegen­ein­an­der­stel­len von Din­gen mir mit einer Absur­di­tät in der Kame­ra stär­ker hät­te ver­mit­teln kön­nen. Wie Katha­ri­na for­dert, dass er inhalt­lich manch­mal hät­te wei­ter gehen sol­len, so habe ich da for­mal ein­fach sehr wenig gese­hen. Ich glau­be, es ist sehr ähn­lich, was uns da fehlt.

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K.M.: Ich glau­be, dass die Zuschauer_​innenfreundlichkeit des Films sich trotz der Län­ge eben auch in die­ser Form­lo­sig­keit bekräf­tigt. Und das hängt auch damit zusam­men, dass der Film eigent­lich uner­träg­lich ist, in dem was er zeigt. Weil das ist furcht­bar, das ist zum per­ma­nent Weg­schau­en. Ich fin­de, dass das eine sehr intel­li­gen­te Annä­he­rung an das Wesen des Kapi­ta­lis­mus ist und eine for­mal extra­va­gan­te oder auch nur sub­til fei­ne for­ma­lis­ti­sche Her­an­ge­hens­wei­se könn­te da mei­nes Erach­tens auch ein Feh­ler sein. 

A.B.: Also ich fin­de der Film hat eine nicht uner­heb­li­che poli­ti­sche Dimen­si­on, da geht es um Gene­ra­tio­nen, da geht es um Lebens­mo­del­le, aber da geht es auch um Ver­hält­nis­se zwi­schen dem Wes­ten Euro­pas und dem Osten Euro­pas, also Din­ge, die heu­te sehr rele­vant sind. Gleich­zei­tig aber sagt Katha­ri­na, dass der Film mit dem Hin­ter­fra­gen des Lebens der Ines-Figur etwas anspricht, was uns sehr gut rein­geht. Mit „uns“ mei­ne ich jetzt die Kul­tur­schaf­fen­den, die Kri­ti­ker und so wei­ter. Und wenn man das wei­ter denkt, dann fin­de ich es unheim­lich span­nend, dass Maren Ade sagt, dass es eigent­lich nicht als Komö­die gedacht war, son­dern als ein Film mit Trau­rig­keit und Frus­tra­ti­on. Und die­se Momen­te haben bei mir ehr­lich gesagt auch funk­tio­niert. Zum Bei­spiel wenn der Vater vor Augen geführt bekommt, was sei­ne Toch­ter tat­säch­lich für ein Leben führt. Sei es das Kok­sen nach einem Besuch im Nacht­club, das nicht mehr vom Han­dy Weg­ge­hen oder das schlech­te Behan­deln von Hotel­per­so­nal. Die­se Sze­nen tra­gen für mich tat­säch­lich eine Tra­gik in sich.

K.M.: Da spricht jetzt aber ein sehr alter Mann aus dir!

A.B.: Da spricht kein alter Mann aus mir, da spricht ein Bewusst­sein dafür„ dass das Ver­ständ­nis zwi­schen den Gene­ra­tio­nen oder die Wahr­heit dar­über, inwie­fern wir eigent­lich wis­sen wie „die Jun­gen“ und wie „die Alten leben“, dass es da eine erheb­li­che Dis­kre­panz gibt. Auf der einen Sei­te gibt es ein Fami­li­en­fest und dort gibt es die­sen Moment: „Mensch, du bist so erfolg­reich, du kommst über­all rum…“ Aber in dem Moment, in dem man das Leben dann tat­säch­lich sieht, stellt man dann fest, dass es eine Fas­sa­de ist. Und Fas­sa­den sind natür­lich The­men des Films. Jetzt kam mir das Lachen im Kino teil­wei­se hys­te­risch oder for­ciert vor, weil viel­leicht die tra­gi­schen und drü­cken­den Ele­men­te des Films Leu­te adres­sie­ren, die genau wis­sen, von was da eigent­lich gespro­chen wird. Das Lachen ist dann eine Ver­tei­di­gung, ein Abtun.

K.M: Des­halb fand ich die sehr schö­ne Whit­ney Hous­ton-Sze­ne zum Bei­spiel in kei­ner Sekun­de lus­tig. Die war in einer Wei­se gewaltig.

A.B.: Die hat zum Bei­spiel bei mir nicht funk­tio­niert. Da hat­te ich wirk­lich das Gefühl, dass ich jetzt ein Kli­schee sehe. Das ken­ne ich aus so vie­len ame­ri­ka­ni­schen „Indie“-Filmen (also jene, die tat­säch­lich schon so gela­belt pro­du­ziert wer­den), dass ein Pop­song schlecht gesun­gen wird, aber dann die Tie­fe des Pop­songs mir eigent­lich etwas über die Gesamt­si­tua­ti­on sagt.

P.H.: Das war doch auch ein Spie­gel zu Alle Ande­ren, oder? Da gibt es doch die­se Grö­ne­mey­er-Sze­ne. Das emp­fin­de ich schon als Maren Ade Kniff. Hat auch mit Ent­blö­ßung zu tun. 

K.M.: Für mich ist das eine Nöti­gung ein­fach. Sie beugt sich die­ser Nöti­gung. Und das macht es ziem­lich schmerzhaft.

A.B.: Was meinst du damit?

K.M.: Sie beugt sich sei­ner Nöti­gung, dort zu singen. 

P.H.: Aber war­um singt sie denn dann mit die­ser Inbrunst? Irgend­wann geht sie aus sich her­aus. Sie schreit ja das Lied. Das ist dann ja auch eine Art von Befreiung.

K.M.: Ja, schon. Aber eben eine Befrei­ung via Nöti­gung. Das ist kei­ne Befrei­ung, das ist eine erzwun­ge­ne Befrei­ung und das ist etwas ande­res. Das ist das schmerz­haf­te an der Sze­ne. Sie geht zwar aus sich her­aus, aber es ist irreversibel…

P.H.: Aber liegt dar­in dann viel­leicht etwas Deut­sches? In die­ser erzwun­ge­nen Gleich­zei­tig­keit von Ver­klem­mung und Entblößung? 

K.M.: Ja. Das trifft viel­leicht auch ein biss­chen so eine Reality-TV-Geilheit.

P.H.: Oder auf einem deut­lich höhe­rem Niveau, ist das eine Sache, die zum Bei­spiel Fass­bin­der stän­dig gemacht hat. Die­se Idee von: Du wirst ange­schaut, du ent­blößt dich, du willst nicht…Fassbinder wird oft nicht als komö­di­an­tisch wahr­ge­nom­men, aber da gibt es schon Argumente…diese stän­di­ge Pein­lich­keit. Da könn­te etwas Deut­sches lie­gen in die­ser Steif­heit bei gleich­zei­ti­gem Ehrgeiz.

K.M.: Es gibt ja auch Ana­lo­gien zum Erfolg ver­schie­dens­ter Fern­seh­for­ma­te. Und da über­schrei­tet der Film die­sen bür­ger­li­chen Anspruch dann auch wie­der, wobei er sich wohl genau auf der Gren­ze von dem bewegt, was bür­ger­lich ist und was bür­ger­lich sein will. Da hät­te ich mir eben gewünscht, dass der Film mehr dar­über hin­aus­geht oder das mehr mit so pop­kul­tu­rel­len Din­gen, Big Brot­her Momen­ten ver­knüpft und eng­schal­tet. Der Film ist ja auch ganz stark Fernsehen. 

A.B.: In der Ein­fach­heit der Kon­stel­la­ti­on, in den vie­len Großaufnahmen…

P.H.: Es ist auch Loriot.

K.M.: Auch Didi Hal­ler­vor­den und vor allem auch: Hel­ge Schneider! 

A.B.: Und Jer­ry Lewis.

P.H.: Es ist alles…also ich fin­de da zeigt sich auch immer eine Gren­ze, wenn man über den natio­na­len Cha­rak­ter eines Films spricht. Der Film ist gleich­zei­tig sehr deutsch und sehr inter­na­tio­nal. Das liegt an den Figu­ren, die man als euro­pä­isch wahr­neh­men kann, aber wo Deutsch­land eben auch ein Aus­hän­ge­schild momen­tan ist. Bei einem Fran­zo­sen in die­sem Milieu wäre das wohl recht ähnlich. 

K.M.: Das ist das Wesen des Inter­na­tio­na­len. Es kommt ohne das Natio­na­le nicht aus.

P.H.: Also an was mich der Film erin­nert hat, auf einem höhe­ren Niveau..also der Film ist für mich eigent­lich eine Fort­set­zung von Up in the Air von Jason Reit­man. Da wür­de mich mal Katha­ri­nas femi­nis­ti­sche Per­spek­ti­ve dazu interessieren…

K.M.: Ich weiß nicht, ob ich eine femi­nis­ti­sche Per­spek­ti­ve habe. Da wür­de ich mir die­sen Film wahr­schein­lich gar nicht anschauen.

P.H.: Das könn­te jetzt ein Satz aus Toni Erd­mann sein…auf jeden Fall fin­de ich, dass die Figur von Geor­ge Cloo­ney in Up in the Air in stark ver­ein­fach­ter, art­ge­recht zube­rei­te­ter Form natür­lich ganz ähn­li­che Kon­flik­te durch­macht wie San­dra Hül­ler hier. Da wer­den auch ganz ähn­li­che Wel­ten gegen­ein­an­der gestellt. Auch wenn Cloo­ney natür­lich nie so kör­per­lich ist und immer­zu sei­ne Sou­ve­rä­ni­tät hal­ten muss. 

K.M.: Moment mal, wo ver­liert sie ihre Souveränität?

P.H.: Zum Bei­spiel wenn sie ihr Kleid nicht aufbekommt.

K.M.: Gehört das zur Sou­ve­rä­ni­tät, ob man sein Kleid aufbekommt?

A.B.: Nein, aber wenn du eine sou­ve­rä­ne Figur in einem Film zeigst, zeigst du kei­ne minu­ten­lan­ge Sze­ne, in der sie ihr Kleid nicht aufbekommt. 

K.M.: Das ist schon span­nend, wenn das jetzt das Kri­te­ri­um ist…

A.B.: Es ist nicht das Kri­te­ri­um, es ist ein Bei­spiel. Jemand, der sich den Nagel ent­fernt und dadurch Blut auf die Blu­se vor einer wich­ti­gen Prä­sen­ta­ti­on spritzt und so wei­ter. Es gibt schon sehr vie­le Momen­te, die das sagen und ein zen­tra­les The­ma im Film sind ja Mas­ken. Und der Film arti­ku­liert ja immer wie­der, dass Mas­ken Mas­ken sind. Und wenn ein­sa­me, neo-libe­ra­le Kar­rie­re­men­schen allei­ne sind, dann haben sie nie­man­den, der ihnen das Kleid aufmacht. 

K.M.: Ja, aber das hat ja nichts mit der Sou­ve­rä­ni­tät zu tun, die sie aus­strah­len muss. Die Sou­ve­rä­ni­tät liegt ja im Nicht-Zube­kom­men. Genau dar­in, dass sie die­se Scha­le nicht mehr zube­kommt. Das ist für mich sou­ve­rän. Es ist ja nur in die­ser kapi­ta­lis­ti­schen Bild­öko­no­mie nicht souverän. 

P.H.: Ich fin­de sie erst sou­ve­rän, als sie sich ent­schei­det, das dann ganz zu las­sen mit dem Kleid. 

K.M.: Nein, ich fin­de schon das Nicht-Zurecht­kom­men souverän.

P.H.: Das ver­ste­he ich nicht. Das ist natür­lich eine Defi­ni­ti­ons­fra­ge von „sou­ve­rän“. Aber sie hat doch kei­ne Ruhe, in die­ser Sze­ne. Da ist ja Panik. Es gibt immer wie­der Momen­te, in denen sie in Panik ver­fällt. Zum Bei­spiel als sie mor­gens zu spät auf­wacht, weil ihr Vater sie nicht geweckt hat, da ist sie in Alarmzustand. 

A.B.: Also ich wür­de das auch so sehen. Der Moment, in dem sie in irgend­ei­ner Form sou­ve­rän damit umgeht, dass sie Teil eines Sys­tems ist, das sie nicht glück­lich macht, ist dann der fina­le Moment der Nackt­par­ty, wenn sie sagt: „Scheiß drauf“, wir fei­ern heu­te nackt und wer nicht mit­ma­chen will, kann gehen. Das ist für mich eine sou­ve­rä­ne Hand­lung. Aber davor wird sie oft demon­tiert. Der Film zeigt eine gan­ze Wei­le lang, dass ihre ver­meint­li­che Sou­ve­rä­ni­tät in der Arbeits­welt ein Fake ist. Sie hat bestimm­te Auf­ga­ben und sie schei­tert eigent­lich per­ma­nent dar­an, die­se Auf­ga­ben in einer adäqua­ten Form zu erfüllen.

P.H.: Es gibt ja auch die­ses Busi­ness­ge­spräch am Abend, wo sie was „Fal­sches“ sagt. Das ist ja auch das, was mich so ein biss­chen stört. Ich sehe bestän­dig durch sie hin­durch. Ich sehe kei­ne Sekun­de die­se Fas­sa­de. Das ist oft durch­schau­bar und lang­wei­lig. Bei der männ­li­chen Figur sagt der Film: Schaut euch die Trau­rig­keit unter dem Witz an. Und bei ihr: Schaut euch die Über­for­de­rung unter dem Kar­rie­re-Dri­ve an. Da fra­ge ich mich schon, ob das wirk­lich eine kom­ple­xe Cha­rak­ter­zeich­nung ist. Für was wird der Vater so lan­ge ein­ge­führt? Inter­es­siert mich die alte Frau, die stirbt? Inter­es­sie­ren mich die Nebenfiguren?

A.B.: Die Mut­ter stirbt nur für ihn. Um ihn zu zeich­nen, um sei­nem Han­deln einen Motor zu geben.

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K.M.: Ja, das sind so Sze­nen, bei denen es mehr gebraucht hät­te für mich. So geht das irgend­wie in Rich­tung Fern­se­hen. Rosa­mun­de Pilcher oder sowas.

A.B.: Ihre Figur wird ja auch schon tele­fo­nie­rend ein­ge­führt. Erst die­se kur­ze Begeg­nung und Distanz im Wohn­zim­mer, dann hin­ter dem Haus tele­fo­nie­rend. Und das sind so Sachen, auch im Sinn eines Rea­lis­mus, da stimmt ein­fach das Timing nicht. Wie sie da das Tele­fon in die Hand nimmt und so tut als wür­de sie tele­fo­nie­ren: Das ist nicht nur für ihn offen­sicht­lich, das ist für uns, das ist für die gan­ze Welt sicht­bar. Sie wird von Anfang an als eine Fake­rin eta­bliert, die eine Ober­flä­che ver­sucht zu reprä­sen­tie­ren, die sie gar nicht reprä­sen­tie­ren kann. Sie ist auch gegen­über dem Zuse­her nie wirk­lich sou­ve­rän in ihrem Unternehmerberatungsdasein. 

K.M.: Aber das ist dann ja viel­leicht das, was so „gut tut“. Das mein­te ich mit Car­pe Diem für einen bestimm­ten, nicht sel­ten vor­han­de­nen Typus von Arbeits­mensch. Das ist ja die Ein­la­dung gewis­ser­ma­ßen. Es ist total ange­nehm, auch sie schei­tern zu sehen genau­so wie ihn. Das stellt die eige­ne „Sou­ve­rä­ni­tät“ in Fra­ge. Der Film lädt einen ja ein zu den­ken, dass es sowie­so nicht so schlimm ist, wenn man Feh­ler macht. Zumin­dest nicht, wenn sie von einer „Frau“ gemacht wer­den. Das ist so die Tra­gik die­ses Films.

P.H.: Das klingt für mich nach einer Ame­ri­can Psycho-Logik. Jemand kann sich alles erlau­ben, aber am Schluss hat ihm kei­ner zuge­se­hen? Und in dem Fall, weil es eine Frau ist…

K.M.: Genau, nicht „Jemand“, son­dern eine „Frau“. Weil ihre Sou­ve­rä­ni­tät eben nichts zählt in die­sem Umfeld. 

P.H.: So nimmst du dann auch so eine Sze­ne wahr, in der ihr Kol­le­ge nach der Prä­sen­ta­ti­on zu ihr sagt: „Du bist ein Tier.“? Da haben wir als Zuse­her ja eher eine ande­re Wahr­neh­mung von ihr, oder? Also sagt er das zu ihr dei­ner Mei­nung nach, weil sie eine Frau ist?

K.M.: You‘re fuckable, heißt das für mich. Oder: You have to be fucked. Das schlim­me für mich ist, dass es in die­sem auf Kon­se­quen­zen (Erfolg) ange­leg­ten Dasein kei­ne Kon­se­quen­zen gibt bei all dem was pas­siert. Und das hat schon damit zu tun, dass sie eh nur „die Frau“ ist, dass es eh nur wich­tig ist, dass sie mit der Gat­tin da shop­pen geht. Sie wird dort gar nicht ernst genom­men, kann also alles machen. Und auch die Nackt­par­ty wird ihr nicht zum Nach­teil. Das per­p­etu­iert den Kapi­ta­lis­mus. Sou­ve­rä­ni­tät per­p­etu­iert den Kapi­ta­lis­mus. Und damit mei­ne ich auch die Sou­ve­rä­ni­tät in der ver­meint­li­chen „Unfä­hig­keit“ (etwa das Kleid abzu­strei­fen). Man kann auch sou­ve­rän ein­ge­klemmt sein.

P.H.: Für mich hat das sehr wenig damit zu tun, dass sie eine Frau ist. 

K.M.: Ja, das sagst du jetzt von dei­nem Bil­dungs­grad als eli­tä­rer, kri­ti­scher Mensch. 

A.B.: Ich glau­be der umge­kehr­te Ansatz, also der auf­stre­ben­de Unter­neh­mens­be­ra­ter-Jun­ge mit 27 Jah­ren und die Mut­ter macht sich dann auf den Weg, um ihm zu zei­gen, dass er vom rech­ten Weg abge­kom­men ist, zeigt ihm, was das Leben eigent­lich ist, näm­lich eine Gemüt­lich­keit, ein schö­nes Leben in einem klei­nen Häus­chen, das man sich in den Wirt­schafts­hoch­zei­ten Deutsch­lands hin­ge­baut hat­lie­ße sich mit einer Män­ner­fi­gur als neo­li­be­ra­le Arbeits­ma­schi­ne in die­ser Art und Wei­se nicht durch­zie­hen. Tat­säch­lich sind doch alle Inter­ven­tio­nen des Vaters in ihr Leben und nicht in das Sys­tem. In dem Moment, in dem eine Frau die­se Kri­tik an ihrem Sohn üben wür­de, wäre es eine Kri­tik am gan­zen Sys­tem. So ist es immer eine Kri­tik an: Wie führst du denn dein Leben? Und der Film impli­ziert das, was Katha­ri­na sagt, also man lässt das der Frau durch­ge­hen, weil ihre eigent­li­che Rol­le ist dann doch mit der rei­chen Geschäfts­frau ein­kau­fen zu gehen, gut aus­zu­se­hen, all die­se Dinge.

K.M.: Ja und das ist für mich dann auch das Objekt der Kri­tik des Films.

P.H.: Es gibt aber ja noch die­se männ­li­che Figur, mit der sie die­sen Nicht-Sex hat. Sie behan­delt ihn ja ziem­lich krass. Ver­ständ­li­cher­wei­se. Aber es gibt auch die­se Sze­ne bevor sie sich allein im Hotel tref­fen. Da fah­ren sie im Auto und er fragt, ob er beim Vor­trag dabei sein darf und sie sagt recht klipp und klar nein. Die Sex­sze­ne ist ja dann so ein ers­ter Aus­bruch von ihr, aus dem was man sonst so tut. Da wird sie schon kurz zu Toni Erdmann…nur krasser. 

K.M.: Für mich sind sowie­so bei­de Figu­ren Toni Erdmann.

P.H.: Ja, genau. Sie heißt ja dann auch Schnuck. Aber zurück zu die­sem schmie­ri­gen Typen da…der steht irgend­wie für mich schon dafür, dass hier nicht so ein­deu­ti­ge Mann-Frau-Gegen­sät­ze auf­ge­zeich­net wer­den. So auch die­se rumä­ni­sche Hel­fe­rin von ihr. Da sind ein­fach so kapi­ta­lis­ti­sche Aus­wüch­se. Ich wür­de euch da schon ein wenig wider­spre­chen, dass der Film nur in die­ser Kon­stel­la­ti­on funk­tio­niert. Klar, ein Film funk­tio­niert immer nur so wie er ist.

A.B.: Aber auch vor dem Hin­ter­grund des Films, den Ade davor gemacht hat, da geht es ja tat­säch­lich um ein Mann-Frau-Ver­hält­nis in der Kon­stel­la­ti­on eines Paa­res. Was ich in dem Gespräch inter­es­sant fin­de: Wir waren uns ja irgend­wie einig, dass all­zu vie­le Ambi­va­len­zen nicht vor­han­den sind, son­dern dass das eher eine schwarz-weiß Kon­stel­la­ti­on ist, die dann durch­ex­er­ziert wird. Wenn wir jetzt aber über ein­zel­ne Momen­te reden, sind die Wahr­neh­mun­gen dann doch sehr, sehr unterschiedlich.

Toni Erdmann Premiere - 69th Cannes Film Festival

K.M.: Der Film ist hoch­am­bi­va­lent, näm­lich über bzw. durch die­ses per­ma­nen­te Insze­nie­ren von schwarz und weiß. 

A.B.: Also eine Sze­ne, bei dem es jetzt beim Spre­chen bei mir noch mal Klick gemacht hat ist die­se Sze­ne, in der sie dann sin­gen muss. Die­se Sze­ne habe ich ganz anders wahr­ge­nom­men. Ich habe da gese­hen, klar, dass der Vater das initi­iert, dass er das so dahin steu­ert mit dem gan­zen Besuch und sie halt etwas wider­wil­lig mitmacht…aber eigent­lich waren da für mich Vater und Toch­ter wie­der eins und sie ersingt da in die­sem ver­meint­lich tri­via­len Pop­song die Tie­fe der kom­ple­xen Emo­tio­nen. Katha­ri­nas Les­art scheint mir aber jetzt doch tref­fen­der. Es ist eine Nöti­gung. Da sind man dann doch wie unter­schied­lich die Wahr­neh­mun­gen sind, weil im Kino hat­te ich auch das Gefühl, dass es über­all Rüh­rung gab. 

K.M.: Mir sind auch Trä­nen gekom­men. Aber nicht aus Rüh­rung, son­dern weil es extrem schmerz­haft ist. Also mit dem Zehen­na­gel ist das eine ande­re Form von Schmerz. Ein zunächst phy­si­scher Schmerz und beim Sin­gen ist es ein psy­chi­scher Schmerz. Das ist bru­tal die­se Nöti­gung dann von einer Frau zu einer Kind-Frau. Das ist hef­tig. Das ist ja unab­hän­gig davon, dass sie dann tat­säch­lich aus sich her­aus­geht in die­ser Situation.

P.H.: Ich habe das Gefühl, dass wenn man über den Film spricht, dann spürt man sehr vie­le Ambi­va­len­zen, man spürt Bit­ter­keit, Här­te und Schmerz, aber ich habe in dem Film auch so etwas süß­li­ches, wie wir gesagt haben tröst­li­ches gespürt. Also gera­de im ver­gleich zu Alle Ande­ren, den kön­nen man­che ja gar nicht anse­hen, weil er so weh­tut, habe ich bei dem Film das Gefühl, dass er mich immer so ein biss­chen umarmt. Also ich ver­ste­he, was Katha­ri­na da sagt, emp­fin­de den Film aber als deut­lich wärmer. 

K.M.: Ja, wir reden aber auch über ein­zel­ne Momen­te. Das sind arge Momen­te, aber das wird dann eben zu die­sem ver­söhn­li­chen Film am Ende. Des­halb sage ich ja Car­pe Diem. Dazu braucht es bei­de Sei­ten und genau in der Ambi­va­lenz. Ich mei­ne das in einem epo­chen­ro­man­ti­schen Sinn. Ich fin­de auch, man geht raus und ist jetzt nicht schwer belastet.

P.H.: Viel­leicht gibt es da ein­fach zwei Arten von Ambi­va­lenz, die wir unter­schei­den müs­sen. Ein­mal die Ambi­va­lenz in der Figurenzeichnung…die fehlt uns viel­leicht ein biss­chen hier, aber es gibt eben auch eine Ambi­va­lenz trotz­dem eta­blie­ren kann genau zwi­schen die­sen Figu­ren. Bestimm­te Ein­fach­hei­ten wer­den gegen­ein­an­der gesetzt und dar­aus ent­steht eine Ambi­va­lenz. Da liegt zumin­dest für mich auch ein Pro­blem mit die­sem Rea­lis­mus des Films. Denn er behaup­tet ja, dass er eine ech­te Welt erzählt, aber dann müss­ten doch die Figu­ren viel ambi­va­len­ter sein. Aber dann, wenn man über den Film als gan­zes nach­denkt, weil Film halt auch mehr ist als Rea­lis­mus, dann hält er das. Aber das ist nicht immer beson­ders gut gelöst. Also ein­mal die­ses Ein­füh­ren der Figu­ren, die­se Sze­nen und Dia­lo­ge, die nur dafür da sind, damit mir erklärt wird, wer die­se Figu­ren sind und so wei­ter. Und das wider­spricht sich so ein biss­chen mit dem Rea­lis­mus­stre­ben des Films. Jetzt kann man wie Katha­ri­na sagen, dass es die­sen Wider­spruch braucht, um zu die­ser Absur­di­tät und Ambi­va­lenz zu gelan­gen. Man kann aber auch sagen, dass die­ser Wider­spruch, ich über­spit­ze das bewusst, ein wenig eine Anbie­de­rung ist und nicht konsequent. 

A.B.: Was mir ein ent­schei­den­der Punkt zu sein scheint, wes­halb wir auch die­se Dis­kus­si­on geführt haben: Das ist ein zutiefst poli­ti­scher Film. Und das Gespräch hier hat mich ein biss­chen ver­söhnt mit dem Film, weil ich da wahr­neh­me, dass das alles viel kom­ple­xer ist als mei­ne eige­ne Wahr­neh­mung des Fil­mes und die Wahr­neh­mung der Stim­mung im Kino. Aber ich fra­ge mich: War­um schreibt fast nie­mand über die­se poli­ti­schen Ebe­nen? Wenn ich das lese, lese ich von Ambi­va­len­zen, das wird sehr offen gelas­sen, Ambi­va­len­zen hier und dort. Und von einem gro­ßen Huma­nis­mus. Aber er wird gar nicht als poli­ti­sches State­ment begrif­fen. Und da stellt sich dann viel­leicht die Fra­ge, ob das viel­leicht etwas mit Anbie­de­rung zu tun hat. Aber die Poli­tik spielt für mich eine sehr, sehr klei­ne Rol­le in der Dis­kur­si­vie­rung des Films.

K.M.: Das sagt aber viel über die Gesell­schaft, in der er lan­det aus. 

A.B.: Ja, das sagt mehr über die Leu­te aus, die Kri­ti­ken schrei­ben, ohne dass man da ver­all­ge­mei­nern könn­te, als über den Film.

K.M.: Da gibt es die­ses Zitat von Han­eke. Der sagt, dass man Men­schen sehr viel zumu­ten kann, aber was die Gesell­schaft nach wie vor nicht ver­trägt, das sind Ambi­va­len­zen. Ich den­ke, dass da auch viel ver­lo­ren geht im Poten­zi­al einer sol­chen Kri­tik, wenn man die­sem Reflex folgt, sich da auf die Ambi­va­len­zen zu stür­zen. Weil das genau das ist, was man offen­bar gemein­hin am wenigs­ten ver­ar­bei­ten kann. Und ich ver­ste­he, was Patrick meint mit die­sem Expli­ka­ti­ven. Aber für mich war das im Film auch so ein Aus­stel­len die­ses Expli­ka­ti­ven. Also auch in die­ser Schluss­sze­ne, wenn er so pathe­tisch und kon­ven­tio­nell daherredet.

P.H.: Genau da ver­ste­he ich eben, war­um du Dir den Film extre­mer wünschst, so dass die­ses Aus­stel­len noch mehr betrie­ben wird. Du willst da eben mehr, woge­gen ich will, dass der Film noch rea­lis­ti­scher ist. Aber klar, die­se Unent­schie­den­heit zeich­net den Film auch aus und es ist immer schwer sich einen ande­ren Film vor­zu­stel­len. Aber so ein Wunsch nach etwas ande­rem ent­steht ja nicht ein­fach so.

K.M.: Ich bin auf jeden Fall noch nie mit Leu­ten zusam­men­ge­kom­men wegen eines Films, um auf­zu­neh­men, was wir dar­über den­ken. Also das spricht für den Film.

P.H.: Oder die Reak­ti­on auf die­sen Film löst das auf. Ich habe noch nie eine der­art brei­te Zunei­gung für einen Film gese­hen. Der Film trifft ja nicht nur einen Zeit­nerv, son­dern auch etwas, was sich Film­zu­se­her wün­schen. Da wird Kri­tik eigent­lich aus­ge­he­belt. Für mich ist das eine Armut­s­er­klä­rung, wenn lan­ge Zeit nur Lob zu hören ist, man aber beim Lesen nie ganz ver­steht, woher die­ses Lob eigent­lich kommt. 

K.M.: Als Amour von Han­eke in Can­nes gewon­nen hat, habe ich mir die Zeit genom­men natio­nen­über­grei­fend die Pres­se zu lesen und da hat sich auch so eine Über­wäl­ti­gung breit­ge­macht. Da war auch unglaub­lich viel Inhalts­lo­sig­keit in der Bezug­nah­me. Da war der Film halt plötz­lich ein „Eutha­na­sie-Dra­ma“. Ich glau­be, dass das auch damit zusam­men­hängt, dass man da ein Bemü­hen erken­nen kann, bestimm­te Fil­me eben auf ein Podi­um zu stel­len, einen Film zum Pal­men­fa­vo­ri­ten zu machen. Kri­ti­ker schaf­fen das eben auch durch enor­me Schwär­me­rei. Das hat auch mit die­ser Ermäch­ti­gungs­si­tua­ti­on zu tun. Ein Fes­ti­val und gera­de Can­nes lie­fert eben den Kon­text, wo es noch mal die­se alte Macht gibt, einen Film zu posi­tio­nie­ren und Fil­me­ma­cher mit zu erhe­ben. Inso­fern fin­de ich die­se Lobes­hym­nen ver­tret­bar. Gera­de auch wenn man den poli­ti­schen Kon­text mit dem „Alt­her­ren­ki­no“ mit­denkt. Klar, das hängt nicht nur damit zusam­men, dass ihn eine Frau gemacht hat, das ist schon stark ver­ein­fa­chend und auch wenn er uns nicht vom Hocker geris­sen hat, so ist er doch die bes­te 162-minü­ti­ge deut­sche Komödie.