Smoke Me 2 Times: Inherent Vice von Paul Thomas Anderson

Die Melodie der Filme von Paul Thomas Anderson erkenne ich oft erst bei wiederholtem Sehen. Bei Inherent Vice ist die emotionale Dunkelheit auch nach der zweiten Sichtung schwer zu durchdringen, denn es ist ein Film, der ständig wechselt zwischen absurdem Humor, Melancholie, Paranoia und Chaos. Es ist als würde immerzu ein bestimmtes Gefühl vor meinen Augen von seinem Gegenteil zerstört werden. Dennoch habe ich einen ganz anderen Film gesehen, als vor einem halben Jahr im Kino. (manche machen daraus gar einen Sport ) Dieses Undurchdringbare des Films liegt zum einen an der Vorlage von Thomas Pynchon, der hier zum ersten Mal verfilmt wurde und zum anderen an den Noir-Elementen des Films, der sich durch labyrinthische Rätsel und Spuren bewegt und immer wieder droht, sich selbst einzuholen. Es liegt aber auch an einer Vorliebe von Anderson für das Undurchdringbare, Ungreifbare.

Ich verwende hier ganz bewusst das Wort „Melodie“, weil ich bei der ersten Konfrontation mit den Werken des Filmemachers oft zu sehr auf den Text achte. So änderte eine zweite Sichtung von The Master, There Will Be Blood oder Punch-Drunk Love meinen Eindruck der jeweiligen Filme völlig. Ich musste für mich selbst herausfinden, dass bei Anderson die Bilder Musik sind, Melodien, es geht um Rhythmus, Tonalität, Farben, Eindrücke. In mancher Hinsicht bewegt sich Anderson damit näher an den Straubs als an den Coens. Nun bin ich mit Sicherheit kein Zuseher, der verbissen nach Narrativen sucht und darum geht es auch gar nicht, denn Anderson macht ja narratives Kino. Nur hat er eine ganz eigene Art zu erzählen. In Inherent Vice (und nicht nur dort) ist diese in die Texturen des Films eingeschrieben. Zusammen mit Robert Elswit hat Anderson ein Bild von Los Angeles geschaffen, das man fast riechen kann: Der Regen, die Sonnenuntergänge, die Nacht. Es geht um die Sonne, die das Bild überflutet, Blenden, die das Bild zerfließen lassen und Musik, die uns an Verlorenes erinnert wie ein weicher Hammerschlag. Zudem ist es ein Film der Blenden, sowohl technisch als auch emotional. Es ist passend, dass der Filmemacher erzählt, dass er nach einem „faded-postcard“ Look gesucht habe.

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Aus dieser Postkarte kriechen nun die eingangs benannten Gefühle in der sinnlichen Form von Shasta Fey Hepworth, der Ex-Freundin von Doc Sportello. In einer der vielen Blenden des Films erscheint ihr Bild über dem rauchenden Sportello irgendwo zwischen einer drogenbedingten Halluzination, einem Geist, einer melancholischen Erinnerung und einer paranoiden Verfolgung. In ihrem Bild und Wesen versteckt sich ein Zugang zu diesem Film, der sich in eine Konfusion ergießt, die neben den Irrungen einer verlorenen Liebe, auch jene eines Amerikas im Übergang (Nixon ist noch Präsident, Reagan ist bereits Governor in Kalifornien) und schließlich jene der bewusstseinsverändernden Drogen beinhaltet. Inherent Vice ist ein Trip, der im Gegensatz zu Kultfilmen wie Fear and Loathing in Las Vegas oder The Big Lebowski dennoch oder gerade deshalb fühlt. Trotz aller Gags und Over-the-Top Momente trägt sich eine tiefe Traurigkeit durch den Film. Es ist schließlich eine Journey through the Past:

Will you think of me
and wonder if I’m fine?
Will your restless heart
come back to mine
On a journey thru the past.
Will I still be in your eyes
and on your mind?

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Nun habe ich diese Traurigkeit bereits beim ersten Sehen bemerkt, ich habe allerdings nicht erkennen können wie sie zur scheinbaren Leichtigkeit des Films passt. Der Grund dafür könnte eine Frage der Perspektive sein. Anderson verhält sich ähnlich unentschieden wie Sportello. Es gibt Szenen, wie jene in der wir Sportello vor einer konfusen Tafel bei seinen Ermittlungsarbeiten beobachten oder jene, in der er das dubiose Zahnarzt-Gebäude von Golden Fang betritt, in denen Anderson auf Distanz geht. Er stellt seine Figuren aus und gibt uns den Raum über sie zu lachen. Gleichzeitig aber bewegt er sich unheimlich nahe an den Regungen und paranoiden Vorstellungen von Sportello. Es gibt kaum Establishing Shots und wenn es sie gibt, dann sind sie merkwürdig verstellt oder aus extremen Perspektiven verfremdet beziehungsweise Teil einer unsicheren Kamerabewegung, die Sportello in Gebäude folgt. Dann gibt es da diesen Voice-Over von Sortilège, einer Figur, die Anderson im Verhältnis zum Buch deutlich stärker in den Vordergrund rückt. Die vibrierende Stimme von Joanna Newsom erzeugt gleichermaßen eine Distanz, eine sinnliche Nähe, ein allgemeines Gefühl von Schicksal und Unausweichlichkeit und Absurdität. Gegen Ende verschmilzt sie mit den potenziellen Gedanken von Sportello, als wären wir noch in der Grundschule und müssten beim Höhepunkt der Geschichte in die Gegenwart wechseln. Aber dadurch ergibt sich auch eine Fragilität der verschiedenen Erzählebenen. Eigentlich ist der Film für Anderson-Verhältnisse äußerst simpel aufgebaut. Es gibt sehr viele Schuss-Gegenschuss-Passagen, viele POVs, Slapstick und offensiv vorgetragene Pointen (Owen Wilson sagt: What the fuck…). Aber immer wieder lässt sich Anderson hinreißen zu Kamerafahrten jenseits jeglicher Notwendigkeit. Zumindest dachte ich das beim ersten Sehen. Was hat es zum Beispiel mit diesen Szenen auf sich, in denen Sportello das Polizeirevier betritt? Wieso wird die Heimkehr von Owen Wilson so groß inszeniert? Es sind Fetzen von großen und kleinen Gefühlen, ein beständiges inszenieren hin auf etwas größeres, was es dann gar nicht gibt. Inherent Vice ist wie zuvor There Will Be Blood und The Master ein Film über ein furchtbares unerreichbares Paradies, das sich in seinen eigenen Werten ertränkt, ein schreckliches Amerika voller Einsamkeit auf der Suche nach dem Glück. Man muss sich also in diesen Vitamin C-Heroin Trunk werfen mit offenen Augen und alles verlieren, um sich treiben zu lassen wie ein Kind mit den Erinnerungen an einen endlosen Trip, bei dem es alles verloren hat.

Es entsteht eine Unsicherheit gegenüber den Erscheinungen und Erscheinungen meint hier sowohl die Oberflächen als auch die Visionen, ja das Kino selbst. Man verliert das Gefühl für Distanz und Nähe, Subjektivität und Objektivität. In dieser Welt muss es absurd zugehen, es ist die Robert Altman-Welt eines The Long Goodbye, nur dass der Zynismus hier durch proportionslose, absurde Panik ersetzt wird. Am auffälligsten zeigt sich das in der Figur des Phallus-Bananen verschlingenden Polizisten „Big Foot“, eine Figur, die eher aus Andersons Boogie Nights zu stammen scheint, aber dennoch alles über die over-the-top Verzweiflung erzählt, die wir hier sehen. Er ist ein verlorener Mann zwischen seiner Karriere, seiner Familie und seinen unterdrückten Gefühlen. Wer darauf keine Lust hat, kann noch immer ein „Pussy Eaters Special“ bestellen und sich viermal mit einem Baseballschläger auf den Kopf schlagen, während er den Film sieht. Inherent Vice erzählt uns etwas von einer Stimmung zu der diese Figuren gehören (nicht andersherum). Es ist ein Film über eine Generation, die losgeflogen ist, um festzustellen, dass sie in einen Abgrund gesprungen ist. Der Moment des Begreifens, wenn man in der Luft steht für einen Augenblick und den harten Boden unter sich erkennt, ist der Inhalt dieses Films, der beständig einen romantischen Ausweg aus dem Chaos sucht und ihn schließlich in Form eines Phantoms findet. Ein vernichtender Ausweg, denn alles was bleibt, ist aus den Halluzinationen in Halluzinationen zu flüchten (it’s the age of paranoia).

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Vielleicht liebt Anderson diesen Noir-Touch zu sehr, um uns völlig in den dunklen Abgrund zu werfen, vielleicht rührt daher auch das Wechselhafte im Film, vielleicht hängt es auch mit Pynchon zusammen, aber es gibt eine Sehnsucht und Schönheit in diesem Irrsinn, die immer wieder durch den Qualm fließen. Die herausragende Szene des Films findet sich bei einem nächtlichen Besuch von Shasta bei Sportello. Er ist sich nicht ganz sicher, ob er träumt oder sie wirklich bei ihm ist. Sie zieht sich aus, raucht und erzählt ihm von ihrer anderen Beziehung. Es ist eine Szene der zärtlichen Machtlosigkeit und machtlosen Wut, eine Szene des sexuellen Schmerzes auf den Punkt gebracht. Schließlich legt sie ihren nackten Körper über Sportello und fordert ihn auf, über sie herzufallen. Er folgt ihr, aber seine Erregung erschöpft sich schnell und verkehrt sich selbst auf ihrem Rücken in das Bild einer ewigen Verlorenheit: That doesn’t mean we’re back together…wie soll man in dieser Welt alleine leben, scheint der Film immer wieder zu fragen.

Es wirkt als würde Anderson mit seinem Film in der Melancholie eines bestimmten Lichts in Los Angeles baden. Sein enormes Auge für Szenenbild und Kostüm, kleine Details und Lichtsetzung ermöglicht das Portrait einer Stimmung. Doch statt sich in dieser Stimmung zu verlieren wie in seinen großartigen vorangegangenen Werken, lässt die Stimmung in Inherent Vice kein „Verlieren“ zu, da sie bereits verloren ist. Es gibt hier keinen Ehrgeiz mehr, keine Religion, es gibt nur mehr die Flucht, den Eskapismus in eine fortlaufende Vergänglichkeit, der von Ängsten genauso handelt wie von schönen Erinnerungen und vor allem der Angst, dass unsere schönen Erinnerungen in Wahrheit nur Ängste sind. Und genau hier höre ich eine Melodie, die ich kaum beschreiben kann. Aber ich höre sie.

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