À la recherche de l’amour: Philippe Garrel im Arsenal – Teil 2

La frontière de l'aube von Philippe Garrel

Ursprünglich wollte ich diesen Text mit der Feststellung beginnen, dass die Vorstellungen der Retrospektive so spärlich besucht sind, dass auch der kleine Kinosaal des Arsenals ausgereicht hätte. Das Arsenal kam mir jedoch zuvor, denn seit dieser Woche findet die Garrel-Retrospektive tatsächlich im kleineren der beiden Säle statt. Dort kommen zwar auch nicht mehr Leute, aber es wirkt voller. Dieses Gefühl verändert spürbar die Wahrnehmung der Filme im Kino. Manche Filme sieht man gern in einer großen Menschenmasse, die gebannt auf die Leinwand starrt, bei Garrel geht es mir eher wie etwa bei Markopoulos – man ist misstrauisch, wenn sich so viele Jünger zusammenfinden (die Chance ist größer, dass ein Judas unter ihnen ist). Nichtsdestotrotz kehrt eine Art Heimatgefühl ein, wenn die Stille von Les hautes solitudes den Raum erfüllt und nur das verhaltene Husten einiger Zuseher und das andächtige Röcheln der Schlafenden für eine dezente Geräuschkulisse sorgt (anders als im Österreichischen Filmmuseum, ist es in den Berliner Lichtspielhäusern nicht üblich Stummfilme ohne Musikbegleitung zu spielen).

Die Arbeit des Kritikers (wenn ich mich an dieser Stelle ganz unverblümt als ein solcher bezeichnen darf) ist immer auch die Arbeit an einem selbst, Schreibtherapie könnte man sagen, in der man nicht nur Verborgenes in den Filmen aufdeckt, sondern auch in einem selbst. Ich frage mich beim Schreiben, was es bedeutet, dass mich Le Révélateur und Les hautes solitudes so nachhaltig beeindruckt haben. Beides sind spröde Filme in Schwarzweiß, ohne Tonspur und ohne Erzählung. Es sind Filme, die nicht einmal wirklich ihre eigene Form auf intellektuelle Weise thematisieren, wie die klassische Avantgarde der 30er Jahre oder das New American Cinema, sondern durch die radikale Purität ihrer Form sprechen. Das lässt sich weniger gut beschreiben, als erfahren (probably NOT in a theater near you).

Les hautes solitudes von Philippe Garrel

Les hautes solitudes von Philippe Garrel

Ich sollte bei Garrels experimentellen Werken der 70er wohl an Andy Warhol denken, doch es gelingt mir nicht wirklich. Wo sich Warhol ganz kantig jeder Interpretation und Emotion verweigert, entwickelt Garrel aus ähnlichen Zutaten eine ganz eigene Poesie, die am stärksten in Les hautes solitudes zur Geltung kommt. Dieser Film, ein Skelett, in dem kaum etwas passiert, aber viel zu sehen ist, ist wohl einer der fortgeschrittensten Versuche einer Kristallisierung von Emotion im Film. Der Film hat eine anziehende Wirkung, bannt und macht gleichsam frei, befreit von Alltagslasten, lässt den Geist schweben. Denke, oder besser gesagt, fühle ich deshalb eher Kenneth Anger als Warhol? Obwohl ungleich poppiger als Garrel, setzt auch Anger Poesie frei, die anzieht und zugleich Freiraum lässt, zum wilden Assoziieren anregt (eine rare Qualität). Nicht alle Filme aus dieser Phase haben diese Güte. Le berceau de cristal, nur ein Jahr nach Les hautes solitudes entstanden, wirkt wie ein plattes Abziehbild des Letzteren. Auf seltsame Art und Weise ist der Film gefällig (auf andere Art noch unzugänglicher), in Farbe, mit psychedelischer Musik unterlegt und ästhetisierend. Filmische Ikonenmalerei zu Ehren der Muse Nico – nichts zu spüren, von dieser faszinierenden Emotion, die einen in Les hautes solitudes bindet und nicht mehr loslässt.

Genug den Anfängen, zurück in die Gegenwart: Die einzigen Filmbilder, die ich bisher von Garrel gesehen habe, die jene in Le révélateur und Les hautes solitudes übertreffen, sind die unfassbaren Aufnahmen aus La frontière de l’aube. Die Schönheit des Films schmerzt fast körperlich. Das verträumt kontrastreiche Schwarzweiß betäubt und fesselt den Blick. Wie so oft bei Garrel werfen sich schöne Menschen bedeutungsschwere Blicke zu – das macht einen beachtlichen Teil dieser Schönheit aus – einzig diesmal manifestiert sich diese Bedeutung in konkretem Schmerz und konkreter Verwirrung, die nicht oberflächlich bleibt oder mit Indifferenz beobachtet wird (in Filmen wie Le cœur de fantôme spielt Garrel hingegen bewusst und sehr geschickt mit dieser Indifferenz). Der Fotograf François (Louis Garrel) soll eine Fotostrecke der Schauspielerin Carole (Laura Smet) aufnehmen. Bei der Arbeit kommen sich die beiden näher und zwischen François und der verheirateten Carole entwickelt sich eine Liebesgeschichte. Ohne selbst wirklich einen Grund dafür zu haben, beendet François die Beziehung schließlich, was Carole in den Wahnsinn und letztlich in den Selbstmord treibt. In einer bedrückend und zugleich wunderschönen Szene sehen wir Carole nach ihrer Entlassung aus der psychiatrischen Anstalt in ihrem Zimmer. Dem Alkohol auch zuvor nicht abgeneigt, ertränkt sie ihren Liebeskummer nun in Spirituosen. Der Alkohol reicht nicht aus. Sie schleppt sich ins Badezimmer, plündert dort ihre Medikamentensammlung. Danach wankt sie wie angezählt aus dem Bad in den Flur ihrer Wohnung, öffnet die Tür und verlässt das Haus. In der nächsten Einstellung besucht François ihr Grab – sie wurde nur 25 Jahre alt. Ihn berührt das zunächst wenig, hat er doch mit der hübschen Eve bereits eine Neue gefunden, mit der er eine Familie gründen will. Mit der Hochzeit und der Schwangerschaft kommen aber auch die Zweifel; der Geist Caroles sucht ihn mehrmals heim. Sie erscheint mehrmals im großen Spiegel seiner Wohnung, verdrängt sein Spiegelbild, bittet ihn zu ihr zu kommen. Die Geistermanifestationen wecken eine Mischung aus Verlangen, Todessehnsucht und Schuldgefühlen in ihm. Die Liebe kann nicht retten, was das Schicksal für ihn bereithält, mit einem Sprung aus dem Fenster entscheidet er sich schließlich für Carole und gegen Eve. Ein echter Hammer von einem Film, der ohne Amboss einfach durch einen durchfährt. Erst durch die perfekten Bilder des körnigen, starkbelichteten Schwarzweiß kommt die Bitterkeit zur vollen Entfaltung. Die Bitterkeit, dass die Schönheit im Film verschwendet wird, dass sie zum Glück nicht ausreicht und für die Liebe schon gar nicht. Erst die Schönheit lässt das Schwelgen in einer Mischung aus Nostalgie und Apathie zu einer schmerzhaften Trauer ausarten. Als François sich nach seiner letzten Begegnung mit Caroles Geist umwendet, aus dem Bild verschwindet und nur das Öffnen des Fensters zu hören ist, während die Kamera auf dem geisterhaften Nachbild verharrt, als langsam die Gewissheit eintritt, dass Familienglück und Liebe in dieser, der schönsten aller Welten, keinen Bestand hat, möchte man am liebsten laut aufschreien.

La frontière de l'aube von Philippe Garrel

La frontière de l’aube von Philippe Garrel

In La frontière de l’aube findet nie die grausame Relativierung statt, die einige der anderen Filme Garrels aus den letzten drei Jahrzehnten prägt. Durch Ellipsen und Fragmentierungen zerlegt Garrel in J’entends plus la guitare und Le cœur de fantôme sein eigenes Leben in kleine Happen, um sie zu entwirren, auszubreiten, vielleicht um sie selbst zu verstehen. Die Brutalität dieser Filme liegt weniger an offen zur Schau getragenen Konflikten, als in ihrer Darstellung von Alltäglichkeit und ihrer Fragmentierung, die das Leben auf nur wenige Momente reduziert, die nicht immer jene sind, die man gerne in Erinnerung bewahren würde. Das Leben aus einer gewissen Distanz zu betrachten führt zu einer Relativierung von einschneidenden Erlebnissen – Drogenabhängigkeit, Liebschaften, Kindern.

In diesen Filmen der späten 80er und 90er spielt Familie eine große Rolle, sowohl in den Filmhandlungen, als auch im Casting. Da ist zum einen der Vater, Maurice Garrel, der in den Filmen auch zumeist die Rolle des Vaters des Protagonisten (der meist das Alter Ego des Regisseurs darstellt) einnimmt. Zum anderen spielt Philippe Garrels Sohn Louis in einigen der späteren Filme die Hauptrolle. Für mich ragen zwei Momente heraus, die durch die besondere Besetzung der Rollen mit Familienmitgliedern zusätzlich an Kraft gewinnen. Beide Szenen sind Beispiele für die oft brutale Öffnung und Ehrlichkeit Garrels im Umgang mit autobiographischen Stoffen. Zum einen sind das die Autofahrten mit dem Vater in Le cœur de fantôme. Sie sind Momente der Re-Orientierung, in denen der Protagonist Philippe Rat annimmt, bevor der Vater gegen Ende des Films erkrankt und schließlich stirbt. Ein Sohn begräbt seinen Vater – nicht nur im Film – Regisseur Philippe Garrel lässt den Schauspieler Maurice Garrel sterben und begraben. Eine Art der Zukunftsbewältigung, eine Übung für den Ernstfall, ein vorweggenommener Abschied vom Vater, der dem Leben rund ein Jahrzehnt zuvorkommt. Zum anderen ist da eine Szene in La frontière de l’aube. Louis Garrel spielt darin die Hauptrolle, die nicht ganz frei von biographischen Bezügen des Vaters ist. Seine Freundin eröffnet ihm, dass sie schwanger ist und er reagiert zu ihrem Schock mit dem Bekenntnis, dass er keine Kinder will. In einem ersten Impuls schlägt er eine Abtreibung vor, seine Freundin bricht in Tränen aus. Eine komplexe Situation wird noch komplexer, wenn man berücksichtigt, dass dieser Filmvater der Sohn des Regisseurs und Drehbuchautors ist, der ihm diese Worte in den Mund legt; er schlägt quasi seine eigene Abtreibung vor. Szenen wie diese zeugen von einer entwaffnenden Ehrlichkeit im Werk Garrels, von einem Bewusstsein dafür, wie fehlbar und fragil die Figuren im Film und im Leben sind. Garrel gibt viel von sich preis und verlangt ähnliches Engagement vom Publikum. Er bietet die Gelegenheit sich auf Augenhöhe zu treffen und sich auf die volle Schönheit, aber auch auf die volle Bitterkeit einzulassen.

A Certain Kind of Tourist: Permanent Vacation von Jim Jarmusch

Permanent Vacation von Jim Jarmusch

Anfang der 80er Jahre, als die Rebellen früherer Tage sich in ihren kalifornischen Ranches von der Mühsal des kommerziellen Erfolgs erholten, betrat ein neuer Maverick des amerikanischen Kinos die Bühne, die mittlerweile alte Garde des New Hollywood abzulösen. Dieser junge Mann mit den markanten weißen Haaren war Jim Jarmusch, sein erster Film Permanent Vacation. Über die Bedeutung dieses Films und der folgenden Arbeiten für das unabhängige Filmschaffen in den USA ist zur Genüge geschrieben worden, mein Anliegen ist jedoch eine andere Traditionslinie im amerikanischen Filmschaffen aufzuzeichnen, die in Permanent Vacation eine Fortsetzung findet (und womöglich auch in Jarmuschs späteren Filmen – das müsste man sich genauer ansehen).

Permanent Vacation von Jim Jarmusch

Permanent Vacation gewann 1980 bei der Mannheimer Filmwoche den Josef von Sternberg-Preis, eine Auszeichnung, die nach dem berühmten Regisseur benannt ist, der in den 40er Jahren auch an der University of Southern California unterrichtete. Einer seiner dortigen Schüler war Gregory J. Markopoulos, seines Zeichens eines der führenden Häupter der losen Bewegung amerikanischer Experimentalfilmer, die man heute gemeinhin unter dem Label New American Cinema subsummiert. Diese Überleitung ist freilich trivial, doch die Verortung von Permanent Vacation im Kontext des US-Avantgardekinos ist es nicht. Das mag weit hergeholt klingen, zumal Jim Jarmusch seine Einflüsse sehr offen kommuniziert, aber dabei kaum auf das unabhängige Filmschaffen der US-Avantgarde eingeht. Nichtsdestotrotz flackern in Permanent Vacation immer wieder zentrale Motive auf, wie man sie auch in den frühen Filmen von Markopoulos, Stan Brakhage, Kenneth Anger oder Maya Deren findet, gut dreißig Jahre nachdem diese Generation von jungen, unabhängigen, experimentierfreudigen Künstlern sich mit mehr als bescheidenen Mitteln dem Filmemachen widmete, folgt ihnen ein anderer junger, unabhängiger, experimentierfreudiger Künstler nach. Jarmusch ist zu diesem Zeitpunkt ohne Zweifel durch seine Zeit an der Filmschule ein (handwerklich) reiferer Filmemacher, und verfügt zudem über fortgeschrittene Technologie, vor allem was die Tonaufnahme und –mischung betrifft. Es erscheint mir trotzdem nicht allzu abwegig, dass Markopoulos oder Brakhage mit vergleichbaren Mitteln in diesem Entwicklungsstadium einen ähnlichen Film gedreht hätten. Am offensichtlichsten wird das in der Wahl der Hauptfigur, die in ihrer bubenhaften Schönheit auch genauso gut Du sang de la volupté et de la mort (oder einem beliebigen Frühwerk von Kenneth Anger) entsprungen sein könnte. Jarmusch wirft seinen engelsgleichen Protagonisten in den Dreck von New York City, dort flaniert er erhaben und unbefleckt durch die Ruinen der Zeit, wie die stilprägenden Figuren in den großen Trancefilmen der 40er und 50er. (An dieser Stelle sollten auch die frühen filmischen Versuche von Stan Brakhage nicht unerwähnt bleiben, in denen er, inspiriert vom italienischen Neorealismus ebenfalls heruntergekommene Schauplätze für seine kleinen Melodramen wählte.) Allie aus Permanent Vacation ist der namenlosen Dame aus Meshes of the Afternoon womöglich ähnlicher als den herumstreifenden Vagabunden und Flaneuren, an deren Seite ihn das Arsenal programmiert, die klarste Genealogie lässt sich aber zum spazierenden Protagonisten aus Bezúčelná procházka von Alexander Hackenschmied (dem späteren Lebensgefährten von Maya Deren) ziehen, der das Motiv des ziellos Wandernden und der urbanen Peripherie miteinander verbindet. Allie ist weniger Flaneur als stolpernder Somnambuler, der auf seinen Streifzügen durch das heruntergekommene New York auf opake und mysteriöse Gestalten trifft (die Szene im Wald mit dem halbverrückten Kriegsveteranen könnte auch aus Alex Ross Perrys Impolex stammen – die Verzweigungen der Einflüsse und Referenzen ließe sich also bis in die Gegenwart fortsetzen), die ebenfalls wie Traumgestalten aus einem Trancefilm agieren, Bedeutungen werden durch die Interaktionen von Allie mit den Nebenfiguren nicht aufgedeckt, sondern noch tiefer unter Metaphorik und Symbolik begraben. Ergänzt wird diese schlafwandlerische Trance durch die unheimlich anmutenden, rhythmisierenden Musikstücke, die sich wiederholt zu Jazzstücken entwickeln. Der Jazz ist dann aber auch das entscheidende Element, dass die Trance durchbricht, und den Geist der Neuen Wellen der 60er Jahre in den Film einführt. Permanent Vacation ist ein Film doppelter Natur: einerseits zwar experimenteller Trancefilm, andererseits aber narratives, wenn auch unorthodoxes Erzählkino. Jarmusch interessiert sich zugleich für die filmische Aufarbeitung eines Wandelns durch die Stadt, für die Erzeugung einer tranceartigen Atmosphäre, als auch für eine Psychologisierung mit Dialogen und Handlungen, die alogische und inkohärente Zwischenräume auffüllen. Die Abkehr vom Primat der Erzählung führte bewusst oder unbewusst zu einer Annäherung an eine filmische Tradition, die sich seit Jahrzehnten mit Problemstellungen des non-narrativen Filmemachens auseinandergesetzt hat. Für wen wäre eine Auszeichnung, die nach Josef von Sternberg benannt ist, besser geeignet?

Permanent Vacation von Jim Jarmusch

A wie Aura, A wie Anger: Notizen aus dem Kino

Kenneth Anger

Notiz 1:

Stürme der Leidenschaft

Seit Walter Benjamin wissen wir, dass die technische reproduzierte Fotografie und dessen bewegter Verwandter, der Film, durch ihre Wesensbestimmung – es gibt kein Original sondern nur mehrere gleichwertige Kopien, Abzüge, etc. – ihren Kultwert verloren haben und anders als die Kunstwerke vergangener Jahrhunderte eine Dasein ohne sogenannte „Aura“ friste. Dieses inhärente Potential der Vervielfältigung ist unbestritten und bis heute unverändert. Anlass für diese Notiz war, wie so oft hier am Blog, ein Screening im Österreichischen Filmmuseum, ein Screening eines ganz besonderen Films: Stürme der Leidenschaft von Robert Siodmak. Stürme der Leidenschaft ist eine Krimi-Romanze, die in vielerlei Hinsicht den Film Noir vorwegnimmt, dem sich Siodmak zwanzig Jahre später in seiner Hollywoodkarriere widmen sollte. Das Besondere an diesem Screening waren aber weniger die künstlerischen Qualitäten des Films, sondern der Umstand, dass dieser Film jahrzehntelang als verschollen galt – das Screening, dem ich beiwohnen durfte war das erst zweite in ganz Europa seit seinem ursprünglichen Erscheinen.

Die gezeigte Kopie hatte sich in einem japanischen Archiv erhalten und dort die Jahre überdauert. Das National Film Center in Tokio ist somit die einzige Institution, die über eine Kopie des Films verfügt. Potentielle Vervielfältigung hin oder her, in einer Zeit, wo ich bloß zu googlen brauche um hunderte, wenn nicht tausende von Faksimiles der Mona Lisas in Sekundenschnelle auf den Bildschirm zu zaubern und selbst das Original im Louvre seinen „Kultwert“ (um Benjamin’sches Vokabular zu bemühen), schon längst gegen „Ausstellungswert“ eingetauscht hat, empfinde ich das „Ausstellen“ einer einzigartigen Filmkopie auf der Leinwand als auratisch.

Ein Film, eines durchaus namhaften Regisseurs, der weder auf Amazon, auf Youtube, noch auf Piratebay zu finden ist. Das breite Masse, für die die ständige Verfügbarkeit von jedweder Form von audiovisuellen und anderen Bildmedien mittlerweile zum Selbstverständnis geworden ist, kann hier grob als Maßstab hinzugezogen werden. Für solch ein Verständnis existiert dieser Film tatsächlich nur in Form dieser einen Kopie, während ein populäres Werk der bildenden Kunst, wie zum Beispiel die bereits oben ins Feld geführte Mona Lisa allgegenwärtig und jederzeit zugänglich ist.

Ich vergleiche hier womöglich Äpfel mit Birnen und ich habe auch keine vollständige Revision von Benjamins Aufsatz im Auge, aber der Kultwert des magischen Flimmern dieser Archivkopie auf der heiligen Leinwand des unsichtbaren Kinos kann nicht bestritten werden.

Notiz 2:

Scorpio Rising

Ebenfalls magisch, kultisch und rituell ist das Werk Kenneth Angers, aber eigentlich steht diese zweite Notiz in keinem Zusammenhang mit der obigen. Anger gehört zu meinen Favoriten unter den Protagonisten des New American Cinema, für den Moment würde ich ihn gleich hinter Jonas Mekas und Robert Breer an die dritte Stelle meiner persönlichen Rangliste setzen. Anders als die intellektuelle Verzückung bei Mekas und das pure, kinetische Sehvergnügen bei Breer, ist die Wirkung von Angers Filmen auf mich weitaus intelligibler. Grob gesagt, mag ich ganz einfach, was so ein Anger-Film mit mir macht. Der „weichgewaschene“ Look seiner Filme in Kombination mit dominanten Soundtracks und okkulter Symbolik macht mich frei und versetzt mich in einen luziden Zustand. Wobei luzide eigentlich nicht das richtige Wort ist, denn von Traum- oder Trancezuständen kann nicht die Rede sein; zu frei sind meine Gedanken, schwirren im Raum umher, schweifen ab um immer wieder auf die Leinwand und in die Immersion zurückzukehren. Kann man diese Filme auch auf einer intellektuellen Ebene betrachten, versuchen die Rätsel und Symbole zu entschlüsseln? Ganz bestimmt, ich ziehe jedoch den Modus der „spazierenden Rezeption“ vor. Wie ein morgendliches Schlendern durch einen sonnigen Park, bei dem ich mal die Passanten, mal die Wolken betrachte und mir Gedanken über mein Leben mache. Das machen Angers Filme mit mir und dafür schätze ich sie. Mir ist durchaus bewusst, dass das ein zutiefst persönlicher Zugang ist, aber es ist denke ich die Qualität Angers genau solche persönlichen Zugänge zu provozieren. Leere. Freiheit. Ende.

Land of the Dead: Inside/Outside of a Ritual

Drei Filme kreisten am Freitag im Rahmen der Land of the Dead-Reihe im Österreichischen Filmmuseum um Schwarze Magie und unheimliche Rituale: The Wicker Man von Robin Hardy, Invocation of my Demon Brother von Kenneth Anger und The Devild Rides Out von Terence Fisher. Die hohe Bedeutung von heidnischen Kulten, Satanismus und Ritualen generell für Horrorfilme bringt mich in meinem fast als Selbstversuch angelegten Tauchgang in das Reich des Horrors auch wieder zu allgemeinen Überlegungen zum Genre. Ich hatte einzig den Kenneth Anger Film bereits gesehen und wurde vor allem von Terence Fisher und seinem in jeder Sekunde fesselnden The Devil Rides Out begeistert. Was für ein Film!

The Devil Rides Out

Nach einer gefühlt eine Minute dauernden Exposition, in der Rex seinen alten Freund de Richleau (gespielt in einer abartigen Präsenz von Christopher Lee irgendwo zwischen unbestechlicher Autorität und Komik) wiedertrifft, wirft einen Fisher mitten in sein Geschehen rund um die beiden Freunde und einen dritten Freund, Simon, der sich der schwarzen Magie hingegeben hat. Richleau durchschaut das Spiel sofort, denn er ist ein Experte in der Bekämpfung von schwarzer Magie: „I have never told you but I am…“ Fisher hält sich niemals unnötig mit Erklärungen und Psychologisierungen auf, er wirft einen mitten in seine Szenen, mit atemberaubenden Perspektivwechseln und Erschütterungen des Glaubens an die Realität und die Wahrheit des filmischen Bildes. Die Freunde geraten in einen Strudel der Abhängigkeiten und der hypnotischen Kräfte von Satan selbst und seinen Anhängern. Dabei spielen Augen und was sie sehen eine entscheidende Rolle. Fisher schneidet immer wieder in Close-Ups weit geöffneter Augen, er deformiert die Augen mancher Protagonisten und viel allgemeiner entscheidet der unwissende und wissende Blick hier alles. Denn Rex, wird praktisch wie der skeptische Zuschauer in das Geschehen geworfen. Er muss lernen zu glauben. Er steht eigentlich auf der Außenseite, aber wird durch eine nur durch Augen erzählte Liebesgeschichte und seine Freundschaft zu Richleau involviert. Dieser Richleau dagegen ist ein Wissender, er weiß mehr, er sagt ständig: „I know“. Je nachdem aus welcher Perspektive der Film erzählt, finden wir uns so in vielen Momenten voller Suspense, entweder weil wir zusammen mit den Protagonisten das Unbekannte erschließen müssen oder weil wir in Erwartung des Schlimmsten sind und in Vertrauen zu Richleau beginnen zu wissen, was sonst niemand im Film weiß. Man ist entweder innen oder außen.

The Wicker Man2

In The Wicker Man ist man außen. An dieser zunächst banal erscheinenden Frage, also ob man sich außerhalb oder innerhalb von Ritualen befindet, hängen ganze dramaturgische Strukturen, Auflösungsentscheidungen und auch weitere Fragen wie jene nach der Ernsthaftigkeit und des Zynismus des Genres, der Relevanz von logischem Verständnis und den Spannungsfeldern von Allegorien und Spiritualismus. Beide Filme beginnen mit der Ankunft eines einsamen Flugzeugs in eine fremde Welt. In The Wicker Man landet der katholische und sehr ernste Polizist Sergeant Howie auf einer verlassenen schottischen Insel, auf der ein Mädchen als vermisst gemeldet wurde. Bereits bei seiner ersten Interaktion mit den Fremden auf der Insel ist er isoliert. Sie schicken ihm erst nach mehrfachem Drängen ein kleines Boot, um ihm vom Flugzeug ans Ufer zu transportieren. In der ersten Hälfte des Films erschließt Regisseur Robin Hardy zusammen mit dem Polizisten die Merkwürdigkeiten der Insel. Dabei geht es zum einen um die latente Bedrohung eines bizarren Krimis im Schatten eines heidnischen Glaubens und zum anderen um eine humoristische Erschließung der Inselbewohner samt ihrer zum Teil ekligen, zum Teil bedrohlichen, zum Teil sexistischen Rituale. Die Besonderheit am Film ist, dass die Figur, die unseren Blickwinkel teilt, also Sergeant Howie keineswegs sympathisch ist. Er ist ein Fremder unter Fremden und so wird unsere Perspektive nochmal nach außen verlegt. Dennoch ist seine Isolation äußerst typisch für ein Genre, das immer wieder alles versucht, um seine Figuren voneinander zu trennen und so die maximale Spannung erzielen möchte. The Devil Rides Out hängt immer wieder an den Fragen von Zusammenbleiben oder sich Isolieren. Durchgehend wird es bedrohlich, wenn Figuren sich auf eigene Faust durchschlagen wollen, wenn sie nicht an die Gefahr glauben. Sinnbildlich dafür steht der Kreis den Richleau mit Kerzen und auf den Boden gemalten Schriftzeichen bildet, um das Eindringen des Teufels zu verhindern. Der Teufel versucht mit Hilfe der Imagination auf die Figuren einzuwirken und sie aus der Gruppe zu lösen. Wer glaubt, verschwindet im Horror und genau das schafft der Film hier selbst, denn er arbeitet so intensiv und lange auf die Imagination des Zusehers ein bis dieser selbst nicht mehr weiß, was er glauben darf und soll. Die Selbstverständlichkeit des Horrors und des Zweifels daran sind eine wahnsinnige Stärke des Films. Trotz humoristischer Momente und auch einer irrsinnigen Szene mit einer riesigen Spinne, nimmt der Film seine Ängste ernst. Hier liegt vielleicht einer meiner Probleme, die ich sonst häufig mit dem Genre habe: Fisher nimmt sein Genre völlig ernst und vor allem nimmt er die Ängste seiner Figuren ernst. Da gibt es keinen augenzwinkernden Zynismus sondern nur Emotion. Bei Filmemachern wie Dario Argento oder Brian De Palma hatte ich immer das Gefühl, dass sie über ihren Filmen schweben, dass sie uns eine identifikatorische Lust am Horror vermitteln wollen. Bei Fisher gibt es diese Lust auch, sie ist aber Teil einer Notwendigkeit seiner diegetischen Welt, sie wird nicht von außen auf die Filme geworfen sondern existiert auch jenseits des Films. Fisher ermöglicht auch Skeptikern den Zugang zum Genre, weil er den Zweifel mit verarbeitet, den Zweifel an Horror, den Zweifel am Übersinnlichen, aber auch den Zweifel an Film.

The Devil Rides Out2

Mich erinnerte The Devil Rides Out in seiner grün-schummrigen Farbgestaltung, in seiner hypnotischen Sogkraft und in seinen virtuosen Perspektivwechseln, die fast immer eine neue Form der Spannung erzeugen an Alfred Hitchcocks Vertigo. Nicht zuletzt wird in beiden Filmen die Zeit selbst angezweifelt. Beide umarmen in einer kinematographischen Eleganz und Souveränität die Schönheit von Angst. So verschwindet die junge, vom Teufel besessene Frau im zarten Spurt in einen dichten Wald, ganz so als würde sie gleich unter der Golden Gate Bridge abtauchen. Bei Fisher steht kaum etwas über den Rändern, er zeigt immer das Entscheidende und nicht das Offensichtliche, seine Szenen beginnen da wo es interessant wird. So ist die Reaktion oft wichtiger als die Handlung selbst. Ein Beispiel ist ein Schnitt als Richleau seinen Verwandten von den Geschehnissen erzählt und wir in die Szene kommen als diese darauf reagieren. Das Mystische vermag Fisher in Rauchschwaden, unleserlichen Zeichen oder beschlagenen Fenstern beschwören, bei ihm ist der Wind eine Veränderung des Gesichts, der mit aller Kraft versucht zu Isolieren und in uns Einzudringen. Ein tatsächlich sinnlicher Horrorfilm, der sich im Gegensatz zu The Wicker Man und zahlreichen anderen Vertretern der Schau nicht um körperliche Nacktheit bemühen muss, um ein Gefühl von Erotik zu erreichen. Das Erotische liegt hier im Spirituellen und in den abhängigen Augen. Der Spiritualismus steht im krassen Gegensatz zur Strangeness und Komik des Rituals in The Wicker Man, den ich eher als ethnographisches Portrait eines bedrohlich-grotesken Kults bezeichnen würde, denn als Horrorfilm. Schon der Produzentenhinweis vor dem Film deutet auf eine solche Verunsicherung gegenüber der tatsächlichen Existenz der Bewohner von Summerisle und ihres Kults hin. Man würde sich bei den Bewohnern der Insel für den Einblick in ihre Rituale begleiten. Auch die Aufnahmen beim Prozess am Ende des Films haben einen dokumentarischen Wert, die Kamera wirkt direkt involviert, so als würde sie dem Geschehen nur folgen. Die Stilisierung des Fremden und Fantastischen weicht hier-und das ist neben der inhaltlichen Wendung das eigentlich erschreckende am Film-einer dokumentarischen Ästhetik.

The Wicker Man

Hardy übt sich in der völligen Isolation seiner Hauptfigur: Eine Insel, sprachliche Differenzen, Unverständnis und unterschiedliche Vorstellungen von Glauben und Gerechtigkeit. Gewissermaßen hätte der Film auch ein spannendes Double Screening mit Rosemary’s Baby von Roman Polanski abgegeben. Zwei Filme, die sich scheinbar über ihren Horror stellen, aber dann doch einen Zweifel mit all seinen brutalen Konsequenzen schüren. Der Unterschied liegt in der Psychologie der Protagonisten und auch der Zuseher. Denn an einer tief aus dem Inneren empfunden Angst hat der Kultfilm (in jeder Hinsicht) The Wicker Man gar kein Interesse. Vielmehr geht es ihm um eine schwarzhumorige Fremdheit, die sich im seltsamen Mix außerordentlicher Momente wie einer unkommentierten Orgie am Strand, einem nackten Balztanz mit Gesang der Tochter des Wirts aus dem Nachbarzimmer, eigenwilliger Musicaleinlagen oder einer abgetrennten Hand als Schlafmittel offenbaren. Das Abartige zeigt sich in allen drei Filmen des Abends. Es ist in The Wicker Man und Invocation of my Demon Brother, dass es in den Horror führt und in The Devil Rides Out in Form der Spinne und des reitenden Teufels, dass es ihn bezweifelt und spirituell erhöht. Ein Reiz von The Wicker Man, dessen hohe Bedeutung für das Genre ich kaum nachempfinden kann, liegt in der Spannung zwischen dem Lachen über und die Angst vor der Abartigkeit. Einzig scheint sich Hardy dieser Spannung nicht immer bewusst zu sein und so wirft er bis vor kurz vor Schluss mit pseudo-anarchistischen Verfremdungseffekten in seine Abartigkeit und macht sie damit nicht noch abartiger sondern bricht sie als filmisches Konstrukt. Er wird dafür gefeiert natürlich, aber er verspielt auch das Herz des Films. Christoph Huber erwähnte in seiner Einführung den Status des Films als Citizen Kane des Horrors. Diese Formulierung klingt besser als sie ist. Die Kontrolle über die Sprache von Welles, mit der charmanten Unbeholfenheit von Hardy zu vergleichen, ist eine Beleidigung.

The Invocation of my Demon Brother

Bleibt noch Invocation of my Demon Brother, oder? Da ist noch etwas. Denn dort wo Anger den Film selbst zum Ritual oder besser zum Teil des Rituals macht, indem seine Bilder sich fast wie ein Geschwür zu den Sounds von Mick Jagger durch den Projektor schlängeln, da fühle ich mich in meinem eigenen Ritual, meiner eigenen Isolation erwischt. Schließlich ist jeder Kinogang ein solches Ritual. Auch dort gibt es Menschen, die innen und außen sind. Im Rahmen einer Horrorschau fühle ich mich wie ein Außenstehender. Da kommen Menschen ins Filmmuseum, bei denen ich mir nicht ganz sicher sind, ob sie sich dem Anlass entsprechen verkleidet haben oder ob sie immer so herumlaufen, andere scheinen über jede Kleinigkeit in einem Horrorfilm zu lachen, wieder andere erzählen nach den Filmen begeistert von B-Movie Schauspielern, von denen ich mein Leben lang nicht gehört habe. Es gibt Applaus nach manchem Film, die Haltung zu den Filmen ist eine viel wärmere, sie ist enthusiastischer und das irritiert mich, da die Filme so oft von etwas Fremden und Kalten erzählen. Kurator Christoph Huber erwähnt in seiner Einleitung die besondere Verbindung von Fans und Film im Horrorgenre. Er tut dies im Bezug zu den Diskussionen unterschiedlicher Schnittfassungen und deren Bedeutung für die Wirkung eines Films. Solche Diskussionen sind für mich absolut nachvollziehbar, jedoch verschließt sich mir, weshalb diese-jenseits der natürlich häufiger vorkommenden Zensur bei Horrorfilmen-nicht auch jenseits des Genres zu einer besonderen Beziehung zwischen Fans und Film führen sollte. Fehlt mir ein Glaube, eben jenes augenzwinkernde Einverständnis, dass das was ich sehen werde anderen Gesetzen gehört? Wohl kaum, denn das Übersinnliche und Magische, das Fantastische äußert sich für mich eben durch eine Aufrichtigkeit und nicht durch ein zynisches „Wir wissen doch alle, dass das nicht echt ist“-Gehabe. Zap, you’re pregnant. That’s witchcraft… In diesem Sinn ist Kenneth Anger vielleicht ein wirklicher Film des Horrors gelungen, ein Film, der achte seiner Magick Lantern Cycles, der den Horror durch Bilder und Töne evoziert, der ein Ritual im Kinosaal und mit dem Zuseher vornimmt. Es ist als würde man dieses Ritual wirklich erleben und es spielt auch gar keine Rolle mehr, ob man außen oder innen ist. Wenn es im Kino darum geht, sich zu verändern, dann sind Rituale der Ausdruck des Kinos, wie eine Taufe. Nur eine Taufe bedeutet noch lange nicht, dass man glaubt.