Liebesbrief an Jeanne Moreau

Liebe Jeanne Moreau,

ich habe dich gesehen, aber ich bin mir nicht sicher, ob du auch mich gesehen hast. Es muss in einer regnerischen Nacht gewesen sein, irgendwo, wo wir nicht zuhause sind. Ich muss dir einfach schreiben. Vielleicht sitzen wir eines Tages auf einem Golfplatz und du liest mir diesen Brief vor. Ich verspreche dir, dass ich mich daran erinnern werde, dass ich ihn dir geschrieben habe.

Eva Losey
Ich bin mir nicht sicher, ob du jemals kleiner bist, als die Leinwand, die dich zu mir bringt. In vielen Filmen bist du allein mit dem Licht und dem Schatten, selbst wenn du von Männern umgarnt wirst. Du wartest an Ufern, du scheinst nie auf etwas zu warten, sondern immer im Warten selbst zu existieren. Oft sind es reiche Männer, schöne Männer, die um dich tanzen. Du bist zwischen den Armen von Jean Gabin und Lino Ventura gehangen. Vielleicht muss das so sein in Frankreich. Aber ihrer maskulinen Art bist du mit einem Trotz der verführerischen Verachtung begegnet. Mit deinem herunterhängenden Mundwinkeln (ich fand es immer passend, dass du einen Film über Lilian Gish gemacht hast, die in der berühmtesten Mundwinkel-Szene der Filmgeschichte gespielt hat, ja du bist eine zerbrochene Blüte, aber auch ein blühendes Zerbrechen), der hohen Stirn und dem Gang, dem man Stunden zusehen kann. Für mich hast du deinen Kopf immer leicht im Nacken, deine Nase etwas in der Luft. In der Sonne, im Regen, in der Stadt. Du bist der Widerstand im Regen. Der Widerstand gegen die eigene Schwäche, gegen die Blicke, die dich verfolgen. Manchmal schäme ich mich fast, dich anzusehen. Du blickst zurück, ohne mich anzusehen. Du bleibst unerreichbar.

Du trägst eine natürliche Schwere in dir, die mal gelangweilt wirkt, mal arrogant, mal zerbrechlich, mal leidenschaftlich, mal aufrichtig und mal geliebt. Aber du hast auch eine leichte, verspielte Seite, ich habe sie gesehen zwischen zwei Männern, mit Musik, mit Mützen. Hast du mir da zugeblinzelt?

Eleveator Gallows
Du hast zu oft traurig gesagt: Je t’aime. Kann ich dir noch glauben? Ich bin mir da nicht sicher und jetzt muss ich dir ein Geständnis machen. Ich habe dein Tagebuch gelesen. Ich weiß, dass der Mann, der den Schuhfetisch hat dich mag. Der dicke Anwalt, der sich kaum aus seinem Bett erheben kann, mag dich auch. Du verwirrst mich. Ich versuche nicht eifersüchtig zu sein, aber ich würde dir gerne meinen Garten zeigen. Außerdem würde ich dir gerne meine neue Waschmaschine präsentieren, wenn du mal wieder gelangweilt in deiner Wohnung sitzt. In deiner Langeweile liegt etwas, was einen Blick in dich ermöglicht. Du öffnest dich für Zeit-Bilder, dein Spiel existiert immer mit der Zeit, die man nicht mehr sehen kann. Vielleicht hattest du deshalb Probleme älter zu werden. Du singst dann: Each man kills the thing he loves. Ich mag das, es passt zu dir.

Ich muss dir noch etwas gestehen, vielleicht ist es blöd: Ich mag dich lieber in schwarz und weiß als in Farbe. Es scheint für dich gemacht, es betont den Schatten unter deinen Augen, die minimalen Regungen in deinem Gesicht, die mir sagen, dass du dort ,wo du bist, nicht du sein kannst. Die Farblosigkeit unterstreicht deine Traurigkeit, die so viel Würde in sich trägt. Nur du kannst bei deiner Hochzeit schwarz tragen. Ein Trauerzug, wie alles an dir und mir dir, sich abwendend, hinfort fahrend in das Unbewusste einer Sehnsucht.

In der reflektiert ein Licht, das kein Licht kennt.

Nathalie Granger

Il Cinema Ritrovato: Festivaldialog

Das Il Cinema Ritrovato schickt gerade letzte Lichtstrahlen auf seine Leinwände. Kurz nach ihrer Abreise aus Bologna unterhalten sich Andrey und Rainer über ihr Bild dieses einzigartigen Festivals.

Rainer: Waren Ingrid Bergmans Augen wohl wirklich so blau, wie es uns das Festivalsujet weismachen will?

Andrey: Bestimmt für alle, die ihr in selbige geblickt haben. Aber ich habe hier bislang keinen einzigen Film aus dem Bergman-Tribute gesehen – nicht etwa aus Desinteresse, sondern weil mich das Alternativprogramm stets mehr reizte. Bologna besteht eigentlich nur aus Alternativprogrammen, findest du nicht? Egal, in welchem Film man sitzt, zumindest für einen kurzen Moment juckt einen das Bewusstsein, einen anderen zu versäumen, der womöglich ebenso spannend (und ebenso rar ist).

Rainer: Ich empfinde das ehrlich gesagt ganz anders. Natürlich kann man hier, wie auch bei anderen Festivals, von einem Screening zum nächsten hetzen, aber die besondere Qualität des Il Cinema Ritrovato ist für mich, dass hier keine so gespannte Atmosphäre, sondern eher Urlaubsstimmung herrscht. Da finde ich es dann auch nicht so schlimm, wenn ich mal etwas verpasse. Was soll es überhaupt bringen, den raren und überraren Filmen und Kopien nachzurennen?

Andrey: Nun, die offensichtliche Antwort wäre: Um die Zeit, die einem in diesem cinephilen Schlaraffenland beschieden ist, voll auszuschöpfen, um seinen Horizont zu erweitern und sich filmhistorisch auf den Gebieten weiterzubilden, zu denen einem der Zutritt für gewöhnlich mangels Verfügbarkeit der hier gezeigten Artefakte verwehrt bleibt, damit es einen später nicht reut, dass man einst den verlorenen Schlüssel zum Werk eines geschätzten Regisseurs oder einer faszinierenden Periode in Händen hielt und ihn achtlos beiseite geworfen hat.

Rainer: Das ist ein sehr nobles Anliegen, aber mich darauf zu Lasten persönlicher Vorlieben zu konzentrieren, würde denke ich erst recht meine cinephile Energie erschöpfen, sodass ich womöglich nach einiger Zeit gar nichts mehr mit diesem Schlaraffenland anfangen können würde. Da folge ich im Zweifelsfall doch lieber meinen Leidenschaften und verzichte auf einen Film, den ich vielleicht nie mehr wiedersehen kann (wenn er wirklich so rar ist, dass er zu meinen Lebzeiten nicht mehr gezeigt wird, liegt das womöglich eh daran, dass er nicht allzu gut ist, aber das ist eine andere Frage). Kino soll doch auch Freude machen, oder? Diese Grundeinstellung spüre ich hier in Bologna sehr stark.

Filmvorführung auf der Piazza Maggiore

Andrey: Das resultiert wohl auch aus der zuvor genannten „Urlaubsstimmung“ – das Wetter ist schön, das Essen gut und relativ preiswert, das Programm im schlimmsten Fall „bloß“ interessant, die Atmosphäre entspannt (in der Hinsicht, dass man nicht von seiner Umgebung gestresst wird, wenn man sich nicht stresst – das Gegenteil von Cannes), ebenso die Menschen, die eigentlich alle im Geiste Vertraute zu sein scheinen. Und die alte Universitätsstadt mit ihrem warmen, rötlichen Fassadenkleid macht den Eindruck eines offenen Campusgeländes, auf dem jeder immerzu Freigang hat. Soweit der idealisierende Touristenblick, aber ein bisschen frage ich mich schon, inwieweit die steigende Popularität dieses „Genussfestivals“ (das ich durchaus genieße) nicht symptomatisch ist für die Verlagerung erlebter Filmgeschichte in exklusive Domänen, wo die seltenen Kopien den Status erlesener Rebsorten annehmen und die Projektion zur Degustation wird.

Rainer: Und inwiefern ist das ein Problem? Es ist doch schön, wenn Film als Genussware wahrgenommen wird und wann in der Geschichte gab es denn einen Ort an dem Filmgeschichte bewusster erlebt und als Selbstverständlichkeit wahrgenommen wurde als hier? Es ist mir nicht klar, welches Alternativprogramm du bevorzugen würdest – geht es dir um die Kinoerfahrung vergangener Jahrzehnte, wo man einfach mehrmals die Woche zur Unterhaltung ins Kino ging? Damals war das Bewusstsein für Filmgeschichte und Film als Kunst aber weit weniger vorhanden. Man konnte viele Filme sehen, aber fast ausschließlich aktuelle. Die zunehmende Marginalisierung dieser Kinokultur darf und kann man betrauern, aber ich sehe in dieser Spezialisierung eigentlich eine große Chance für die Filmkultur, auch wenn sie natürlich eine zunehmende Elitenbildung mit sich bringt, die man bekämpfen müsste (allgemein würde ich das Il Cinema Ritrovato aber ohnehin niederschwelliger einstufen als zum Beispiel das Österreichische Filmmuseum).

Andrey: „Exklusiv“ war vielleicht das falsche Wort, aber dieses Festival hat schon etwas von einer Enklave, und Enklaven neigen immer ein bisschen dazu, den Rest der Welt zu vergessen. Andererseits wird ja viel von dem, was hier gezeigt wird, später nach außen getragen und findet seinen Weg in die Cinematheken. Gibt es eigentlich etwas aus dem hiesigen Programm, das du besonders gerne wieder- und anderen zugänglich gemacht sehen würdest?

Rainer: Interessanterweise sind meine Favoriten alle ohnehin Werke relativ bekannter Filmemacher und nicht allzu schwer zu sehen. So zum Beispiel Otto Premingers Bunny Lake Is Missing, Anthony Manns The Heroes of Telemark oder Roberto Rossellinis Europa ’51. Nichtsdestotrotz waren auch die spezielleren Programme wertvolle Erfahrungen, vor allem die Vorläufer des Iranischen Neuen Kinos hätten sich mehr Präsenz verdient – und German Concentration Camps Factual Survey, nach nunmehr siebzig Jahren durch die Arbeit des Imperial War Museums das erste Mal in seiner endgültigen Form zu sehen, sollte zu einem Pflichtfilm für Mittelschüler werden.

„The Heroes of Telemark“ von Anthony Mann

Andrey: Viele der Filme, die du genannt hast, sind digital restauriert worden und wurden hier als DCP gezeigt. Rossellini und (soweit ich weiß) auch Preminger sind schon seit Längerem auf Bluray erhältlich. Ich mache mir dann doch eher Sorgen, dass es so etwas wie die Renato-Castellani-Schau nie über die Grenzen Italiens schafft. Obwohl das jetzt nicht alles Meisterwerke waren, ergänzen sie das neorealistische Universum um einen interessanten Aspekt. Und bei den ganzen Technicolor-Vintage-Prints sowie den japanischen und sowjetischen Farbfilmen würde ich mich auch freuen, diese filmspezifische Visualpracht anderswo strahlen zu sehen. Andererseits fand meine intensivste Kinoerfahrung hier im Rahmen einer Digitalprojektion (und außerhalb eines Kinos) statt, beim Screening der restaurierten Fassung von Rocco e i suoi fratelli auf der Piazza Maggiore.

Rainer: Wenn man es von dieser Warte aus betrachtet, kann ich mich dir nur anschließen: mehr Technicolor-Vintage-Prints braucht das Land. The Heroes of Telemark war allein durch die absurd hohe Qualität der Kopie eine außergewöhnliche Kinoerfahrung. Leider wurde die Vorführung dieses Films, wie auch viele andere durch inkompetente Projektionisten gestört. Wahrscheinlich zeigen sie deshalb Jahr für Jahr mehr digitale Kopien…

Andrey: Die wenigen Digitalprojektionen, die ich besucht habe, wurden auch nicht wesentlich professioneller gehandhabt. Wenn ich mich recht entsinne, habe ich hier überhaupt keine einzige Vorführung erlebt, die nicht von irgendwelchen Störungen, Defekten oder anderen Irritationen geplagt war – der plötzliche Wettersturz während des Screenings von Louis Malles Ascenseur pour l‘échafaud am Tag unserer Ankunft war offenbar ein Menetekel, seiner sommerwilden Schönheit zum Trotz. Auch mit den Beginnzeiten nahm man es nie so genau, ausufernde Einführungen mit hinkenden Übersetzungen führten periodisch zu Verzögerungen, ich hörte sogar von einer 40-minütigen Verspätung. Eigentlich ist diese organisatorische Schludrigkeit absurd bei einem derart ostentativ cinephilen Festival, aber bezeichnend für Bologna ist auch, dass es diesbezüglich kaum böses Blut gibt, gerade mal ein leises Raunzen. Am Ende ist man immer noch froh, hier zu sein.