VIS 2015: Ein retrospektives Festivaltagebuch

Dienstag: Das diesjährige VIS beginnt mit Regenwetter, was an und für sich nicht der Rede wert wäre, doch da die Eröffnung im Gartenbaukino stattfindet, dessen Foyer nicht einmal annähernd dafür ausgelegt ist, dass die über siebenhundert Besucher darin Platz finden (von den dortigen tropischen Temperaturen will ich gar nicht sprechen), verweilt man vor Filmbeginn draußen – im Regen. Man sieht und wird gesehen, denn diese Eröffnung ist ein Lifestyle-Event mehr denn ein Filmscreening. Das erkennt man unter anderem auch an der Menge an Studienkollegen, die mir über den Weg laufen, und die sich sonst nur in Ausnahmesituationen in ein Kino verirren. Filmfestivals sind hip und das VIS ist womöglich das allerhipste unter ihnen in Österreich. Das Team gibt sich dabei echt Mühe seine Professionalität hinter sympathischer Geselligkeit und Hipster-Chic zu verstecken, doch dem geübten Besucherauge bleibt der reibungslose Ablauf nicht verborgen und auch die sorgsam kuratierten Programme nehmen jedes Jahr an Anspruch und Finesse zu. Dieses Jahr hat das Angebot gar meine Zeitressourcen gesprengt: Ich habe es weder in den U/Tropia-Showroom geschafft, noch ins Liegekino, noch zu den Cinema Sessions.

Die eindrucksvolle thematische und formale Breite zeigte sich schon im Programm, das im Rahmen der Eröffnung gezeigt wurde: Eine norwegische Roadtripkomödie (Subtotal von Gundhild Enger), ein experimentelles tableau vivant (Evidence of the not yet known von Maria von Hausswolff) eine digitale Installation (Vitreous von Robert Seidel), Animation brute in Handarbeit (Unhappy Happy von Peter Millard), ein Familiendrama-Psychospiel (Alles wird gut von Patrick Vollrath) und zum Auftakt Don Hertzfeldts Special Opening für die 26. Staffel der Simpsons. Natürlich hat so ein Programm seine Höhen (Vitreous) und seine Tiefen (Alles wird gut), aber wie schon letztes Jahr imponierte mir vor allem die Zusammenstellung, das gleichwertige Nebeneinanderstellen von vergleichsweise konventionellen Spielfilmen und total abstrakter Avantgarde, ohne dass dabei das eine das andere erschlägt oder übertrumpft. Der Spielfilm, der so oft die experimentelleren Formen des Filmschaffens überschattet (nicht zuletzt durch seine übliche Länge von eineinhalb bis zwei Stunden, die Experimentalfilme selten erreichen), wird hier von seinem Podium gehoben und tatsächlich finden sich die interessantesten Filme in den Programmen zum Avantgarde- und Animationsfilm.

Von der Eröffnungsnacht blieben mir auch insbesondere diese Filme in Erinnerung, allen voran Robert Seidels ursprünglich als Installation konzipierte Farb- und Formorgie Vitreous und Peter Millards absurder Highspeedklamauk Unhappy Happy. Das mag aber zum Teil auch an meinem Sitzplatz gelegen haben. Aus der zweiten Reihe im kolossalen Gartenbaukino gelingt es nicht immer optimal die notwendigen Informationen aus dem Bild zu extrahieren um der Handlung zu folgen – man kommt schlichtweg nicht mit dem Schauen nach – wohingegen Experimentalfilme, wie die oben angesprochenen, zwar anders wahrgenommen werden, diese unterschiedliche Perzeption jedoch keine Form von Sinnverlust bedingt.

VIS Eröffnung

Mittwoch + Donnerstag: Ein Grund, weshalb ich viele der Programmpunkte nicht aufsuchen konnte, war ein Amerikaner mittleren Alters, der das VIS dieses Jahr als Stargast beehrte. Der Name Don Hertzfeldt prangte seit der Ankündigung seines Besuchs in breiten Lettern auf meinem Kalender. Zwei eineinhalbstündige Programme und eine Master Class waren angekündigt und als einzige Veranstaltungen in meinem Programmheft fett unterstrichen. Die Vorfreude war nicht umsonst, denn alle drei Veranstaltungen waren großartig. Das ist nicht zu kleinen Teilen dem Filmemacher selbst zu verdanken, der mit seiner lockeren Art das Publikum zu fesseln wusste, aber sich dennoch nicht in Witzchen und Anekdoten verlor, sondern dabei seine Auffassung von Film kundtat und Einblicke in seine Arbeitsweise bot. Ein Blick zurück auf seine Ausführungen lässt erahnen, dass dieser Mann wohl in sehr vielen Bereichen erfolgreich geworden wäre. Er arbeitet intuitiv und eint ein natürliches Talent für Rhythmus und Timing (beides essentielle Fähigkeiten für einen Animateur) mit einer asketischen Arbeitsmoral. Die seltsame ökonomische Situation, in der sich unabhängige Filmemacher in den USA befinden, die ihre künstlerische Vision unangetastet lassen wollen, aber ihre Werke als Produkte am Markt verkaufen müssen, um davon Leben zu können, hat hier in Kombination mit dem postmodernen Zeitgeist und Humor der 90er Jahre, den medialen Formen und Verformungen des Internetzeitalters und typisch amerikanischer Bescheidenheit und Pragmatik einen großen Denker herangezüchtet, der sein Denken ausschließlich über sein künstlerisches Werk vermittelt. Hertzfeldt hat zwar immer einen lockeren Spruch auf den Lippen, aber ist gewiss kein Mann der großen, bedeutungsschwangeren Worte. Hertzfeldt sieht sich selbst als Künstler, scheut aber vor allzu tiefgehender Analyse seines eigenen Werks zurück, da ihn eine solche blockiere. Er ist der Theorie und Kritik nicht abgeneigt (auch das wäre eine typische europäische Reaktion), jedoch praktiziert er sie nicht selbst, sondern konzentriert sich auf seine künstlerische Arbeit – Diskursfordismus wenn man so will. So wenig Hertzfeldt wohl selbst von dieser Überlegung angetan wäre, so sehr sehe ich in ihm eine letzte Inkarnation des Geniegedankens des 19. Jahrhunderts, einen Mann, der von Passion und der Muse angetrieben kompromisslos seine Kunst verfolgt, ohne dabei groß Rücksicht auf Moden und Technologien zu nehmen und sich das Leben durch seine primitiven Gestaltungsmittel allzu oft selbst schwer macht.

Vitreous von Robert Seidel

Vitreous von Robert Seidel

Freitag: Grillparty.

Samstag: Nach der Master Class ein letzter Abstecher in eines der drei Programme der Animation Avantgarde Sektion. Dort wartete der spätere Sieger des Avantgardefilmpreises auf mich, den ich während der Diagonale aufgrund eines technischen Problems nicht vollständig sehen konnte. Moon Blink von Rainer Kohlberger ist ein monumentales Fest für die Augen. Ein Test der Wahrnehmung, zehn Minuten der puren epileptischen Ekstase, die nicht einmal durch tratschende Zuschauer getrübt werden konnte. Ein Film, der alles übertönt und überwuchert und sich in langsamen pulsierenden Wellen in grellem Weiß und satten Farben der kaleidoskopischen Allmacht der Algorithmen hingibt. Die Augen schmerzen angesichts der totalen digitalen Abstraktion – ganz im Gegenteil zu Robert Seidels geradezu organischen, sanften Formen – und wenn das Flackern und Pulsieren wieder abebbt und sich der Herzschlag wieder beruhigt, dann wünscht man sich zurück in diese heile Welt der bedeutungsvollen Bedeutungslosigkeit, in der man dem Leben entfliehen und in purer Perzeption aufgehen kann. Ein bisschen so wie das Leben nach einem Filmfestival.

Vienna Independent Shorts: Abschlussbericht

"Wind" von Robert Löbel

Cut. Es ist vorbei. Alle Preise sind vergeben, das VIS rollt seinen (imaginären) roten Teppich wieder ein. Eine viel zu kurze Woche, in der ich dem Festival viel zu wenig Zeit widmen konnte ist vorüber. Das formidable „Animation Avantgarde 2“, das wie schon der erste Teil dieses Wettbewerbs v.a. durch eklektische Filmauswahl im Gedächtnis bleibt; „Innocence Is Kinky“, den Musikvideo-Abend der „radical“-Schiene (dem Motto des diesjährigen Festivals); den Adam Yauch-Tribute „Homage to Homeboy”; und das mitternächtliche „très chic“-Trashfest; das Angebot an Programmen und gezeigten Filmen bietet Anlass zu Begeisterungsstürmen (kurz: ich werde nächstes Jahr wiederkommen).

"Water me - FKA Twigs" von Jesse Kanda

Water me – FKA Twigs von Jesse Kanda

Der Dienstagabend entwickelte sich für mich zu einem (unfreiwilligen) Musikvideo-Abend. „Innocence Is Kinky“ machte den Anfang – eine Stunde geballter Ladung von Musikvideos, die einen schon bald in einen tranceartigen Zustand versetzten. Negative Stimmen werden sich über die Vorführungsweise ohne Lichtpausen beschweren, der das elektronisch-musikalische Einerlei noch ununterscheidbarer macht. Sieht man das ganze positiver, wird man sich ob der Andersartigkeit des Programms (im Gegensatz zu herkömmlicheren Kurzfilmen) begeistern können. Im Nachhinein betrachtet, bin ich aber ganz froh über diese spezielle Seherfahrung, auch weil sich hier exemplarisch zeigen lässt wie die Grenzen zwischen Avantgardefilm und Musikvideo verschwimmen. Kaleidoskopisch wachsen diese verschiedenen Videos ineinander, überwuchern sich, steigern sich zu einem musikalischen Unisono, das nur in der Mitte durch Kristoffer Borglis Kurzdoku WHATEVEREST plötzlich Distanz schafft. Der Film fungiert einerseits als dramaturgischer Ankerpunkt inmitten des musikalischen Rauschs, auf einer Metaebene könnte man den Film auch als Message deuten. Immerhin geht es darin um einen jungen Musikliebhaber, der sich seine eigene Droge aus Supermarktzutaten zusammenbraut und danach feiert – sind Drogen die richtige Vorbereitung für „Innocence Is Kinky“? Bier hat auch ganz gut funktioniert.

Auf das recht wilde „Innocence Is Kinky“, das den Kriterien der Hochkultur nicht unbedingt entspricht, folgte das noch trashigere Adam Yauch-Programm (Trash ist wohl nötig um als hip wahrgenommen zu werden). Für alle die es nicht wissen: Adam Yauch war einer der „Beastie Boys“ (Für alle die noch weniger wissen: eine vor allem in den 80er Jahren sehr erfolgreiche Hip Hop/Rap-Gruppe) und verfolgte neben seiner Musikerkarriere auch eine Laufbahn als Filmemacher. Neben einigen Musikvideos für die „Beastie Boys“ machte er auch einige eigenständige Kurzfilme. Quasi als Antithese zu den Musikerkarrieren von Woody Allen und Kevin Costner zeigt sich hier, dass ein etablierter Name allein oft reicht um als Künstler wahrgenommen zu werden – relativ unabhängig von der tatsächlichen Qualität der Werke. Alles in allem, sind diese Filme zwar bewusst low-fi und trashig angelegt, können aber bei aller Selbstironie nicht über eine gewisse Dilettanz hinwegtäuschen. Ich denke nicht, dass Yauch ein sehr begabter Regisseur war – wenngleich ich seinen Humor schätze. Highlights: das starbeladene Fight For Your Right – Revisited, für das Yauch ganz einfach seine Schauspielerfreunde (von Seth Rogen bis Elijah Wood) schaulaufen ließ und das innovativ animierte Musikvideo zum „Beastie Boys“-Song „Shadrach“.

Toto von Zbigniew Czapla

Toto von Zbigniew Czapla

Am Tag davor wurde das zweite der drei „Animation Avantgarde“ Programme im Künstlerhaus gezeigt, das wieder mit einigen Leckerbissen aufwartete. Am meisten an der filmischen Avantgarde interessieren mich jene Werke, die die Grenzen der menschlichen Wahrnehmung austesten bzw. das Verhältnis von analog und digital thematisieren. In dieser Hinsicht lieferte der Kubelka-Schüler Thorsten Fleisch mit Picture Particles ein All-in-One-Package ab. Zuerst eine wilde Collage aus einzelnen Filmkadern und zerschnittenen Teilen, fast Flickerfilm, entwickelt sich der Film langsam zu einem digitalen Kaleidoskop. Der Übergang, den man bewusst kaum wahrnimmt, und der erst im Nachhinein klar wird, überfordert die Wahrnehmung, und Filme die überfordern sind bekanntlich die besten. Konzeptuell, visuell beeindruckend und genial zugleich war Dirk Koys The Time Tunnel. Ein Film der etwas anderen Art – eine Kamera am/im Autoreifen montiert kreiert einen einzigartigen kinematischen Tunnelblick. Die Welt dreht sich im Loop und das Endresultat verleitet einen zu glauben, der Film sei im Computerprogramm entstanden. Das ist nur zum Teil richtig, denn einzelne Passagen des Films sind tatsächlich stark bearbeitet und zur Abstraktion umgekehrt. Im Kern ist der Film jedoch ein Konzeptfilm, der jede Gehirnzelle auslastet – eine visuelle Achterbahnfahrt im besten Sinne.

Vor allem die Filme im Mittelteil des Programms haben besondere Würdigung verdient. Neben The Time Tunnel und Picture Particles zählt dazu auch Darkroom von Billy Roisz, den ich schon auf der Diagonale gesehen habe. Beim zweiten Mal wirkte der Film noch viel besser. Eine Erforschung unsichtbarer Räume („unsichtbar“ im buchstäblichen Sinn, wurde der Film doch zum Teil im „Unsichtbaren Kino“ des Filmmuseums gedreht) mittels Ton und Licht – eine installationsartige Interpretation des Phänomens Film. Dicht, ebenfalls überforernd – ein großes Werk.

Groß auch die Lacher für Luiz Stocklers Montenegro. Eine Kurzanimation übers Leben und Altern mit betont humoristischer Note in minimalistischen wenn auch charmantem Stil. Darauf folgte im Programm mit Toto der ernsthafteste und bedrückendste Film des Abends (und vielleicht sogar des gesamten Festivals). Der 12-minütige Kurzfilm des polnischen Regisseurs Zbigniew Czapla thematisiert Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche in unruhigen expressiven Bildern im Acryl/Öl-Look. Schatten bzw. Dunkelheit und die Czaplas düstere Farbpalette erzählt dabei zu gleichen Teilen die Geschichte. Selten haben der Animationsstil eines Films und seine Narration so perfekt zueinandergepasst. Narration ist dabei vielleicht sogar zu hoch gegriffen, Toto passiert in erster Linie im Kopf des Zusehers – was sich auf der Leinwand abspielt ist nur ein vages Angebot an Gefühlseindrücken und Bildfetzen. Es gibt keine Dialoge, die Charaktere und Orte haben keinen Namen. Das macht die Geschichte einerseits universal, andererseits ergibt sich daraus ein Gefühl der Unbestimmtheit, dass den Film paradoxerweise umso persönlicher wirken lässt. Dieser persönliche Eindrück wird noch verstärkt durch die häufigen Großaufnahmen von Gesichtern und den privaten Einblicken, die der Film bietet.

"The Auteurs of Christmas" von Adrian Thiessen

The Auteurs of Christmas von Adrian Thiessen

Mein persönlicher (verfrühter) Festivalabschluss schließlich das Mitternachtsprogramm am Mittwoch. Passend als „Nacht des absurden Humors“ betitelt hat es gehalten was es versprochen hatte (It had me at Don Hertzfeldt). Vielleicht etwas zu betont berufsjugendlich, aber es hat immerhin zu später Stunde noch einmal den Saal des Stadtkinos gefüllt. Der Filmmix war abermals eklektisch. Eine Handvoll Videos, die ihren Ursprung auf Youtube haben (The Auteurs of Christmas bzw. zwei Videos von Kurt Razelli), Klassiker wie Staplerfahrer Klaus, Animation in unterschiedlichen Obszönitätsgraden, aber auch verstörend-amüsante Realfilme. Prädikat: unterhaltsam.

Vienna Independent Shorts: Zwischenbericht

"Boogodobiegodongo" von Peter Millard

Vorweg: Ich werde diesem Festival nicht ganz gerecht. Champions League Finale und Unistress verhindern, dass ich mich täglich von früh bis spät im Kino vor der frühsommerlichen Sonne verstecke. Diesen bedauerlichen Zustand werde ich jedoch versuchen als Chance zu nutzen: Weniger Programme heißt mehr Konzentration auf die einzelnen Filme (gerade bei Kurzfilmprogrammen kann es teilweise eine Herausforderung darstellen, den Überblick zu behalten).

Aus der Not eine Tugend gemacht, habe ich mich dazu entschlossen Schwerpunkte zu setzen. Dazu zählt u.a. der „Animation Avantgarde“-Wettbewerb. Das erste Programm dieser Reihe lief bereits gestern am späten Nachmittag, und durch den sintflutartigen Regen kämpfte ich mich ins gutbesuchte Stadtkino im Künstlerhaus.

"Boogodobiegodongo" von Peter Millard

Boogodobiegodongo von Peter Millard

Diesem Programm nähere ich mich hinterrücks an, beginnend mit dem (nominell) letzten Film im Programm Boogodobiegodongo von Peter Millard. Hierbei handelt es sich um eine wilde Mischung aus OReillyscher Komik, Formenspiel in der Tradition früher europäischer Avantgarde à la Richter und Eggeling und naiv-primitiver Malstiftästhetik. Ein wilder Ritt voller Energie am Ende eines Programms, das zwischen Rasanz und bewusster Langsamkeit zu zerreißen droht. Ebenfalls auf der flotteren Seite: Daniel van Westens Recently in the Woods, ein Film, kaum eine Minute lang, der Slapstickelemente mit Schadenfreude vereint. Ähnlich kurz aber weitaus enigmatischer Richard Negres Atelier 1.0 – eine kurze Studie zum Widerspruch von analog und digital mit einem Schuss weirdness.

Ebenfalls kurz, aber abstrakter wurde es mit Steven Woloshens 1000 Plateaus, der laut Angaben des Filmemachers über den Zeitraum von zehn Jahren in seinem Auto entstanden ist. Der Film erinnert an eine upgedatete Version eines Len Lye Films – „Scratching im 21. Jahrhundert“. Noch abstrakter: die 3D Modelle Bonnie Mitchells in Sweeping Memories, die tranceartig aus sich selbst erwachsen zu scheinen und schließlich wieder verschwinden. Die Klangebene korrespondiert dabei kongenial mit der visuellen Darbietung – kaleidoskopartiges, algorithmisches Monstrum.

Ähnlich konstruiert kommt Michel Klöfkorns X-X-XX–XX–Gewobenes Papier daher Allerdings handelt es sich dabei um eine analoge Arbeit bei der Klöfkorn einen Webvorgang abfilmt. Außergewöhnlich ist dabei das verwendete Material– in Streifen zerlegte Illustrierte. Frauenkörper aus Modezeitschriften werden zerstückelt und neu verwoben – darin liegt aber wohl weniger ein feministisches Interesse (auch wenn sich diese Lesart durchaus anbietet), als die Faszination für das systematische Ergründen textueller Oberflächen.

"Apariciones" von Maria Luz Olivares Capelle

Apariciones von Maria Luz Olivares Capelle

Auf der anderen Seite beinhaltete das Programm auch schwerere, geradezu barocke Werke. Im Herzen des Programms, Maria Luz Olivares Capelles Apariciones, der wohl als eigenständiger Film (also nicht in einem Programm eingebettet) besser zur Entfaltung kommt. Auch als Installation würde der Film wohl besser funktionieren als inmitten von deutlich kürzeren und dynamischeren Kurzfilmen. Erschwerend kam noch hinzu, dass der Film aus technischen Gründen doch am Ende und nicht in der Mitte des Programms gezeigt wurde – damit wirkte er noch langatmiger und schwerfälliger. So ist der Eindruck des Films stark verzerrt – eine bedrückende Collage aus multimedialen Spielereien – technisch recht imposant aber eben im Zusammenhang mit den anderen Filmen tot und staubig.

Unter das Stichwort „Barock“ fällt auch Magda Matwiejews Morphette. Die Künstlerin verschmilzt 3D Computeranimationen mit Frauenfiguren in klassischen Gemälden, erweckt diese zum Leben und präsentiert so mit beschwingter Leichtigkeit den Wandel, oder besser Nicht-Wandel, der Frauendarstellung im Lauf der Zeit.

Ebenfalls in die Reihe der eher schwermütigen Filme ist Mount Song von Shambhavi Kaul einzuordnen. Kaul orientiert sich an indisch-asiatischen Geisterwelten und schafft mit exzessivem Trockeneiseinsatz ein atmosphärisch aufgeladenes Paradebeispiel eines Films, von dem man nicht so richtig weiß, ob er selbst Teil des Genres ist, das er zitiert oder ein avantgardistisches Kunstprodukt.

"Morphette" von Magda Matwiejew

Morphette von Magda Matwiejew

Etwas lebendiger, aber mindestens ebenso existenzialistisch wie die eben genannten Beiträge präsentiert sich North Sea Riviera des britischen Künstlers Josh Wedlake. Grobe 3D-Computeranimation meets US-Coming-of-Age-Indie-Sundance-Melancholie, garniert mit einem Strauß Surrealismus. Der Sprung ins Unbekannte? Der Sprung in den sicheren Tod? Springen und Schwimmen als Lebenszweck?

Für Freunde technischer Schmankerl (also Menschen wie mich) fanden sich auch ein paar Leckerbissen. Allen voran, Los Andes des Duos Cristobal León und Joaquín Cociña, ein ökologisches Manifest (?) mit Kampfrhetorik vorgetragen und mit viel Pappmaché und flinken Bastelfingern realisiert – ein echtes Festivalhighlight.

Ähnlich imposant, jedoch in anderer Hinsicht – Yann Chapotels Tentative d’Épuisement d’un Lieu Parisien. Bei der Beschreibung dieses Films stößt man schnell an die Grenzen der Sprache – dieser Film will gesehen werden. Der sperrige Titel gibt schon den ersten Hinweis: Es geht um einen bestimmten Ort in Paris, den Chapotel im Laufe eines Jahres dokumentierte und dann mit Hilfe von 3D-Animation ineinanderschachtelte. Ein furioses, humorvolles urbanes Porträt.

"1000 Plateaus" von Steven Woloshen

1000 Plateaus von Steven Woloshen

Ich schließe den Bogen mit einem Film, der sich kaum in eine der oben angeführten Gruppen ein- bzw. einem der Stile zuordnen lässt. Es handelt sich um Anomalies von Atsushi Wada. Was beginnt wie ein vergleichbar konventioneller Zeichentrickfilm wird schon bald zu einem surrealistischen Musterstück in bestem Sinne. Unwirkliche Tiergestalten, Essen und absurde menschliche Karikaturen agieren dabei als Protagonisten – unendlich interessanter und farbenfroher als gewöhnliches narratives Animationskino – ganz wie Boogodobiegodongo.

Vienna Independent Shorts: Eröffnung oder „Über den Lauf der Dinge und den Sinn des Lebens“

"Unstill Life" von Zeitguised

Über Ostern war ich als Jugend ohne Film-Außenkorrespondent in Kopenhagen unterwegs, nun wechsle ich die Seiten und berichte die nächsten Tage quasi als Innenkorrespondent vom Vienna Independent Shorts Festival aus Wien.

Der Kurzfilm wird oft bloß als „Ausbildungsmedium“ für den „echten Film“ wahrgenommen, aber wenn schon Alain Resnais diese Auffassung nicht teilte, brauche ich das auch nicht zu tun. Kurzfilme sind großartig: Sie korrespondieren mit meiner Aufmerksamkeitsspanne. Sind sie schlecht, so dauert die Qual wenigstens nicht allzu lange, und sind sie gut führen sie zu Momente luzider Klarheit, die durch ihre Kürze nie an Frische und Elan verlieren. Ein weiterer entscheidender Aspekt: die filmische Avantgarde, die mir immer mehr ans Herz wächst, greift zumeist auf die Kurzform zurück – auf Festivals wie dem VIS erwarte ich mir also eine geballte Ladung experimenteller, visueller Geschmacksexplosionen.

Nicht zuletzt möchte ich die Umstände betonen, in denen Kurzfilme gezeigt werden: Ist beim Langfilm das Double Feature das höchste der Gefühle, so kann ein Kurator eines Kurzfilmprogramms aus dem Vollen schöpfen und die einzelnen Filme zu einem größeren Ganzen emporheben.

"Unstill Life" von Zeitguised

Unstill Life von Zeitguised

Nach dieser kurzen Vorrede nun ein konkreter erster Einblick in das bunte Treiben: Freitagabend lud das Festival zur feierlichen Eröffnung im Gartenbaukino. Wobei feierlich vielleicht das falsche Wort dafür ist. Das VIS gibt sich betont studentisch-hip-alternativ. Zum einen weil es dem persönlichen Charakter des jungen Teams entspricht, zum anderen wohl auch aus budgetären Gründen. Die Präsentation des Festivals und der Partner gestaltet sich dementsprechend schlank, reduziert, humorvoll, selbstironisch. Gesprochen wurde erfreulicherweise nur vergleichbar kurz – dafür auf Englisch – den Hauptteil des Abends bilden die Filme selbst. Neun Werke wurden gezeigt, die die volle Bandbreite des Kurzfilms repräsentieren. Von abstrakter Digitalkunst bis Ultrakurzdokumentarfilm war alles dabei, der älteste Beitrag (Bert Haanstras Zoo) stammte aus dem Jahr 1962, der jüngste (Momoko Setos Planet Σ) wurde erst vor zwei Wochen fertiggestellt.

Trotz dieser Programmierung wirken die Filme nie zusammengewürfelt und zerfahren. Diesen Effekt ruft allerdings das unmögliche Publikum hervor, das sich nach dem ersten Block in Massen aus dem Saal begibt um sich mit Getränken zu versorgen. Solch ein Verhalten stößt bei mir auf Unverständnis – zumal die Reden, wie bereits erwähnt, kurzgehalten waren. Von dem Titel „Manifest für ein geschlossenes Kino“ für diesen Artikel habe ich dann doch abgesehen. Aber gerade ein Filme Boring Angel, Clonal Colonies oder Unstill Life verlieren enorm an Effekt, wenn die Aufmerksamkeit durch öffnende Kinotüren gestört wird.

"Zoo" von Bert Haanstra

Zoo von Bert Haanstra

 

Nach dem Festivaltrailer (großartig: ein explodierender Goldfisch) durfte John Michael Bolings Boring Angel das Festival filmisch eröffnen. Der Film ist eine Abfolge von gängigen und weniger gängigen Emoticons in wechselnder Geschwindigkeit vor weißem Hintergrund. Das mag abstrakt klingen, lässt sich aber narrativ als die Geschichte des Lebens deuten (der Film endet mit einem Totenkopf). Neue Dimensionen eröffnen sich aber durch einen ästhetischen Blick. Die rasche Abfolge einiger dieser Emoticons führt zu einem überlappenden Eindruck – ein Festmahl für Gestalttheoretiker – der Film zeigt mehr als seine Einzelbilder.

Auf diesen rasanten Einstieg folgte der imposanteste der neun Beiträge an diesem Abend. Momoko Setos Planet Σ, der im Rahmen von Setos Aufenthalt als Artist in Residence im Museumsquartier entstanden ist. Der Film ist zugleich Genesis wie Apokalypse. In beeindruckenden Bildern (aber laut Filmemacherin ohne Computerunterstützung) betätigt sich Seto als Weltenschöpferin in einem fremden Universum. Lässt Insekten aus ihrem ewigen Schlaf erwachen um ihnen schlussendlich den Gar aus zu machen. Eine große Parabel über die Entstehung und den Niedergang der Welt? Bestimmt aber ein atemberaubendes visuelles Spektakel.

La Lampe du Beurre de Yak von Hu Wei und Colonal Colonies von Brett Battey mit Live-Soundbegleitung durch Richard Eigner rundeten den ersten Filmblock ab. Wei zeigt einen Fotografen, der in (Tibet?) China verschiedene Familien porträtiert. Der Film wurde begeistert beklatscht – die Redundanz und das brachiale „Save Tibet!“-Gehabe scheinen angesichts der politischen Dimension des Films in den Hintergrund zu treten. Colonal Colonies hingegen ist ein unpolitischer Film und mit Abstand das abstrakteste was an diesem Abend gezeigt wurde – eine Abfolge von digitalen Mustern und Grafikelementen – beinahe halluzinatorisch.

"La lampe au beurre de yak" von Hu Wei

La lampe au beurre de yak von Hu Wei

 

Nach einer kurzen Zwischenrede durch die Moderatorin folgte das zweite Filmprogramm. Der erste Film des Programms Michael S., Versammelt ist eine famose, aber leider sehr kurzen Dokumentation über einen deutschen Sammler von 8mm-Filmen bzw. dem Einfluss seines Hobbys auf sein soziales Leben. In eine ähnliche Kerbe schlug Person to Person von Dustin Guy Defa – ein 16mm-Film über den Besitzer eines nerdigen Plattenladenbesitzers, der nach einer WG-Party mit einer schlafenden Frau auf seinem Flur konfrontiert ist. „Person to Person“ war, darf man dem Publikumszuspruch und meinem persönlichen Gefühl trauen, der unterhaltsamste Film des Abends.

Zwischen diesen beiden Filmen kam mit Harmony Korines Snowballs der Star des Abends im Programm (mit Korines Namen wurde aktiv für das Festival geworben und tatsächlich ist er wohl der prominenteste Regisseur im Aufgebot). Snowballs eignet sich sehr gut als absurdes Zwischenspiel inmitten liebevoller und persönlicher Filmporträts, kann aber seinen marktschreierisch-schrillen Gestus (wie man ihn von Korine gewohnt ist) nie ganz ablegen.

Die Künstlertruppe Zeitguised lieferte mit ihrem neuesten Film Unstill Life den wohl enigmatischsten Beitrag an diesem Abend. Computeranimation mit betont fotorealistischem Look – bewegende Formen – sind es Betonbrücken? Das Leben steht nicht still – schön.

Abschließend wurde noch ein Film gezeigt, der stellvertretend für eines der Spotlights des Festivals steht. In Kooperation mit dem Österreichischen Filmmuseum und dessen 50-jährigem Geburtstag zeigt das VIS ein Programm aus Filmen, die 1962 bei der von Peter Konlechner geleiteten Internationalen Kurzfilmwoche liefen. Der niederländische Beitrag Zoo von Bert Haanstra, ein komisches, dialogloses Klamaukspiel, das Zoobewohner und Zoobesucher gegenüberstellt. Ein leichtmütiger Abschluss für einen angenehmen Abend – danach durfte wieder einmal das Gartenbaukino-Foyer als Tanzfläche von allen Partywütigen zweckentfremdet werden.