Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

VIS 2015: Ein retrospektives Festivaltagebuch

Diens­tag: Das dies­jäh­ri­ge VIS beginnt mit Regen­wet­ter, was an und für sich nicht der Rede wert wäre, doch da die Eröff­nung im Gar­ten­bau­ki­no statt­fin­det, des­sen Foy­er nicht ein­mal annä­hernd dafür aus­ge­legt ist, dass die über sie­ben­hun­dert Besu­cher dar­in Platz fin­den (von den dor­ti­gen tro­pi­schen Tem­pe­ra­tu­ren will ich gar nicht spre­chen), ver­weilt man vor Film­be­ginn drau­ßen – im Regen. Man sieht und wird gese­hen, denn die­se Eröff­nung ist ein Life­style-Event mehr denn ein Film­scree­ning. Das erkennt man unter ande­rem auch an der Men­ge an Stu­di­en­kol­le­gen, die mir über den Weg lau­fen, und die sich sonst nur in Aus­nah­me­si­tua­tio­nen in ein Kino ver­ir­ren. Film­fes­ti­vals sind hip und das VIS ist womög­lich das aller­hips­te unter ihnen in Öster­reich. Das Team gibt sich dabei echt Mühe sei­ne Pro­fes­sio­na­li­tät hin­ter sym­pa­thi­scher Gesel­lig­keit und Hips­ter-Chic zu ver­ste­cken, doch dem geüb­ten Besu­cher­auge bleibt der rei­bungs­lo­se Ablauf nicht ver­bor­gen und auch die sorg­sam kura­tier­ten Pro­gram­me neh­men jedes Jahr an Anspruch und Fines­se zu. Die­ses Jahr hat das Ange­bot gar mei­ne Zeit­res­sour­cen gesprengt: Ich habe es weder in den U/Tro­pia-Show­room geschafft, noch ins Lie­ge­ki­no, noch zu den Cine­ma Sessions.

Die ein­drucks­vol­le the­ma­ti­sche und for­ma­le Brei­te zeig­te sich schon im Pro­gramm, das im Rah­men der Eröff­nung gezeigt wur­de: Eine nor­we­gi­sche Road­trip­ko­mö­die (Sub­to­tal von Gund­hild Enger), ein expe­ri­men­tel­les tableau vivant (Evi­dence of the not yet known von Maria von Hauss­wolff) eine digi­ta­le Instal­la­ti­on (Vitre­ous von Robert Sei­del), Ani­ma­ti­on bru­te in Hand­ar­beit (Unhap­py Hap­py von Peter Mil­lard), ein Fami­li­en­dra­ma-Psy­cho­spiel (Alles wird gut von Patrick Voll­rath) und zum Auf­takt Don Hertz­feldts Spe­cial Ope­ning für die 26. Staf­fel der Simpsons. Natür­lich hat so ein Pro­gramm sei­ne Höhen (Vitre­ous) und sei­ne Tie­fen (Alles wird gut), aber wie schon letz­tes Jahr impo­nier­te mir vor allem die Zusam­men­stel­lung, das gleich­wer­ti­ge Neben­ein­an­der­stel­len von ver­gleichs­wei­se kon­ven­tio­nel­len Spiel­fil­men und total abs­trak­ter Avant­gar­de, ohne dass dabei das eine das ande­re erschlägt oder über­trumpft. Der Spiel­film, der so oft die expe­ri­men­tel­le­ren For­men des Film­schaf­fens über­schat­tet (nicht zuletzt durch sei­ne übli­che Län­ge von ein­ein­halb bis zwei Stun­den, die Expe­ri­men­tal­fil­me sel­ten errei­chen), wird hier von sei­nem Podi­um geho­ben und tat­säch­lich fin­den sich die inter­es­san­tes­ten Fil­me in den Pro­gram­men zum Avant­gar­de- und Animationsfilm.

Von der Eröff­nungs­nacht blie­ben mir auch ins­be­son­de­re die­se Fil­me in Erin­ne­rung, allen vor­an Robert Sei­dels ursprüng­lich als Instal­la­ti­on kon­zi­pier­te Farb- und Form­or­gie Vitre­ous und Peter Mil­lards absur­der High­speed­kla­mauk Unhap­py Hap­py. Das mag aber zum Teil auch an mei­nem Sitz­platz gele­gen haben. Aus der zwei­ten Rei­he im kolos­sa­len Gar­ten­bau­ki­no gelingt es nicht immer opti­mal die not­wen­di­gen Infor­ma­tio­nen aus dem Bild zu extra­hie­ren um der Hand­lung zu fol­gen – man kommt schlicht­weg nicht mit dem Schau­en nach – wohin­ge­gen Expe­ri­men­tal­fil­me, wie die oben ange­spro­che­nen, zwar anders wahr­ge­nom­men wer­den, die­se unter­schied­li­che Per­zep­ti­on jedoch kei­ne Form von Sinn­ver­lust bedingt.

VIS Eröffnung

Mitt­woch + Don­ners­tag: Ein Grund, wes­halb ich vie­le der Pro­gramm­punk­te nicht auf­su­chen konn­te, war ein Ame­ri­ka­ner mitt­le­ren Alters, der das VIS die­ses Jahr als Star­gast beehr­te. Der Name Don Hertz­feldt prang­te seit der Ankün­di­gung sei­nes Besuchs in brei­ten Let­tern auf mei­nem Kalen­der. Zwei ein­ein­halb­stün­di­ge Pro­gram­me und eine Mas­ter Class waren ange­kün­digt und als ein­zi­ge Ver­an­stal­tun­gen in mei­nem Pro­gramm­heft fett unter­stri­chen. Die Vor­freu­de war nicht umsonst, denn alle drei Ver­an­stal­tun­gen waren groß­ar­tig. Das ist nicht zu klei­nen Tei­len dem Fil­me­ma­cher selbst zu ver­dan­ken, der mit sei­ner locke­ren Art das Publi­kum zu fes­seln wuss­te, aber sich den­noch nicht in Witz­chen und Anek­do­ten ver­lor, son­dern dabei sei­ne Auf­fas­sung von Film kund­tat und Ein­bli­cke in sei­ne Arbeits­wei­se bot. Ein Blick zurück auf sei­ne Aus­füh­run­gen lässt erah­nen, dass die­ser Mann wohl in sehr vie­len Berei­chen erfolg­reich gewor­den wäre. Er arbei­tet intui­tiv und eint ein natür­li­ches Talent für Rhyth­mus und Timing (bei­des essen­ti­el­le Fähig­kei­ten für einen Ani­ma­teur) mit einer aske­ti­schen Arbeits­mo­ral. Die selt­sa­me öko­no­mi­sche Situa­ti­on, in der sich unab­hän­gi­ge Fil­me­ma­cher in den USA befin­den, die ihre künst­le­ri­sche Visi­on unan­ge­tas­tet las­sen wol­len, aber ihre Wer­ke als Pro­duk­te am Markt ver­kau­fen müs­sen, um davon Leben zu kön­nen, hat hier in Kom­bi­na­ti­on mit dem post­mo­der­nen Zeit­geist und Humor der 90er Jah­re, den media­len For­men und Ver­for­mun­gen des Inter­net­zeit­al­ters und typisch ame­ri­ka­ni­scher Beschei­den­heit und Prag­ma­tik einen gro­ßen Den­ker her­an­ge­züch­tet, der sein Den­ken aus­schließ­lich über sein künst­le­ri­sches Werk ver­mit­telt. Hertz­feldt hat zwar immer einen locke­ren Spruch auf den Lip­pen, aber ist gewiss kein Mann der gro­ßen, bedeu­tungs­schwan­ge­ren Wor­te. Hertz­feldt sieht sich selbst als Künst­ler, scheut aber vor all­zu tief­ge­hen­der Ana­ly­se sei­nes eige­nen Werks zurück, da ihn eine sol­che blo­ckie­re. Er ist der Theo­rie und Kri­tik nicht abge­neigt (auch das wäre eine typi­sche euro­päi­sche Reak­ti­on), jedoch prak­ti­ziert er sie nicht selbst, son­dern kon­zen­triert sich auf sei­ne künst­le­ri­sche Arbeit – Dis­kurs­for­dis­mus wenn man so will. So wenig Hertz­feldt wohl selbst von die­ser Über­le­gung ange­tan wäre, so sehr sehe ich in ihm eine letz­te Inkar­na­ti­on des Genie­ge­dan­kens des 19. Jahr­hun­derts, einen Mann, der von Pas­si­on und der Muse ange­trie­ben kom­pro­miss­los sei­ne Kunst ver­folgt, ohne dabei groß Rück­sicht auf Moden und Tech­no­lo­gien zu neh­men und sich das Leben durch sei­ne pri­mi­ti­ven Gestal­tungs­mit­tel all­zu oft selbst schwer macht.

Vitreous von Robert Seidel
Vitre­ous von Robert Seidel

Frei­tag: Grillparty.

Sams­tag: Nach der Mas­ter Class ein letz­ter Abste­cher in eines der drei Pro­gram­me der Ani­ma­ti­on Avant­gar­de Sek­ti­on. Dort war­te­te der spä­te­re Sie­ger des Avant­gar­de­film­prei­ses auf mich, den ich wäh­rend der Dia­go­na­le auf­grund eines tech­ni­schen Pro­blems nicht voll­stän­dig sehen konn­te. Moon Blink von Rai­ner Kohl­ber­ger ist ein monu­men­ta­les Fest für die Augen. Ein Test der Wahr­neh­mung, zehn Minu­ten der puren epi­lep­ti­schen Eksta­se, die nicht ein­mal durch trat­schen­de Zuschau­er getrübt wer­den konn­te. Ein Film, der alles über­tönt und über­wu­chert und sich in lang­sa­men pul­sie­ren­den Wel­len in grel­lem Weiß und sat­ten Far­ben der kalei­do­sko­pi­schen All­macht der Algo­rith­men hin­gibt. Die Augen schmer­zen ange­sichts der tota­len digi­ta­len Abs­trak­ti­on – ganz im Gegen­teil zu Robert Sei­dels gera­de­zu orga­ni­schen, sanf­ten For­men – und wenn das Fla­ckern und Pul­sie­ren wie­der abebbt und sich der Herz­schlag wie­der beru­higt, dann wünscht man sich zurück in die­se hei­le Welt der bedeu­tungs­vol­len Bedeu­tungs­lo­sig­keit, in der man dem Leben entflie­hen und in purer Per­zep­ti­on auf­ge­hen kann. Ein biss­chen so wie das Leben nach einem Filmfestival.