Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Träume einer Rundfahrt

9. Mai: »Untätigkeit aus Halbherzigkeit« titelt ein Boulevardblatt. Darunter ein reißerisches Paparazzifoto des Radrennfahrers aus seiner Hotelunterkunft. Er liegt versteckt unter seidenen Decken, die mit Schleifen verziert sind. Auf dem Nachttisch daneben befindet sich auf der Hotelbibel eine kleines Kästchen mit gespitzten Bleistiften. (…) Ein Auto hält auf einem Platz an, auf dem sich eine fahnenschwenkende Masse versammelt hat. Allesamt rot. Das Haus, was hier stand, gibt es nicht mehr. Und doch wird es jedes Jahr aufs Neue aufgesucht. Als könnte man sich nicht davon lösen, einmal zur Schule gegangen zu sein. Immer wieder derselbe Prüfungstraum. (…) Ein Bergunglück im Schnee.

10. Mai: Weil der Filmvorführer erkrankt ist, springt ein Radrennteamkollege ein. Er ist neu im Team und läuft dem bisherigen Teamchef seinen Rang ab. Der Film dauert immer länger, er wird immer langsamer, sodass das Publikum nacheinander den Saal verlässt und sich vor dem Kino auf einer Terrasse versammelt. Erst unterhalten sich alle angeregt, dann beginnt jeder für sich stumm zu lesen.

13. Mai: Ein Interview in Neapel, auf der Suche nach einem Nudelimbiss. Das Interview kann erst beginnen, wenn das ganze Team versammelt ist, aber niemand kommt. Der Hunger verschwindet nach drei großen Portionen Pasta mit Joghurt. (…) Wieder ein Paparazzo, der in einer Straße mit seinem vorgehaltenen Presseausweis lauert. Statt Radrennfahrer fotografiert er Häuser. Er betritt ein Haus. In diesem befindet sich ein Fahrstuhl, der ihn wieder zu einem Kind macht.

15. Mai: Eine Zugfahrt nach Rom. Sprung aus dem Waggon nach der Durchsage einer Verspätung und einem Gleiswechsel. Ein vergessenes Ticket im Zug liegt auf dem Boden. Nach dem Duschen beschwert sich ein Teamkollege, dass er von der Presse nicht in Ruhe gelassen wird und beginnt dabei zu weinen. Seine Stimme klingt wie Rosalind Russell in Howard Hawks His Girl Friday.

19. Mai: Eine Sommerresidenz oder doch zu Hause? Es erklingen immer wieder die ersten Takte von Lucio Corsis »Volevo Essere Un Duro«.

20. Mai: Zögern auf eine Einladung nach Frankreich. Dann eine Fahrt auf einem gläsernen Fahrrad durch Italien. Unverzügliche Ankunft in einem Pariser Vorort, der eher niedrig bebauten Favelas ähnelt. Das Rad zerbricht in tausend Scherben, aber niemand verletzt sich daran. Auf der Suche nach einer Unterkunft, ein Einbruch durch ein Fenster. Es handelt sich um ein Hotel, in dem sich die Teamkollegen befinden. Am Ende handelt es sich um ein Casting, nach dem besten Geisterfahrer.

21. Mai: In Brasilien. (…) Das Fahrrad, auf dem ein Schweizer Teamkollege sitzt, macht sich selbstständig und rollt den Pietra di Bismantova hinab. Unten angekommen, ist es ganz zerkratzt. Beinah hätte es einen anderen Fahrer mitgerissen.

23. Mai: Ein Besuch in Rom, das Hotel befindet sich im Zentrum. Der Trevi-Brunnen ist eine Bar, in der sich kaum etwas trinken lässt und noch weniger essen. Hunger macht sich breit. Das Servicepersonal ist dasselbe aus dem Kino, mit dem fehlerhaften Projektor. Das Publikum beschwerte sich und wollte in der Vorführkabine das Problem selbst beheben. Wichtige Erkenntnis: Ein Kino darf nicht wärmer als 36 Grad Celsius werden.

24. Mai: Training für einen Triathlon am Piave. Später eine Rettungsaktion am Oberlauf.

25. Mai: Während einer Reise nach Sizilien ein Buch mit dem Titel »Dialoghi con Sceicco« von einem unbekannten Autor. Es ist nicht sehr warm, denn die Insel liegt knapp vor dem Südpol. Auf dem Ätna findet eine Kundgebung statt. Es scheint um das Buch zu gehen. Bei dem Autor handelt es sich um einen italienischen Radprofi, der damit insgeheim seine Memoiren niederlegen wollte.

27. Mai: Das Hotel, wo wir unterkommen, hat geschlossen, weil man dachte, wir würden erst am nächsten Tag ankommen. Ein Teamkollege fällt daraufhin in einen Fluss.

30. Mai: Auf einem Eintagesrennen durch Norditalien. Es gibt mehrere Möglichkeiten, wie sich die Grenze nach Österreich überwinden lässt. Die Variante über den Passo di Monte Giovo scheint die schnellste zu sein. Dennoch ist es nicht sicher, ob die anderen Varianten nicht eine bessere Wahl wären.

1. Juni: (…) Auf dem Platz kann man nun Pizza essen. Leider gibt es keinen einzigen Tisch, weshalb wir wieder gehen müssen. Fahrt alleine nach Rom. Nach einer Papstaudienz die Zieleinfahrt in den Sand von Ostia. (…)