Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Trois ponts sur la rivière von Jean-Claude Biette

Text: Mari­us Hrdy

The har­dest is to reach under­stan­ding, and that’s what Biet­te gave.”—Man­oel de Oliveira

Arthur Eché­ant (Mathieu Amal­ric) ist ein Geschichts­leh­rer in Paris, der sei­ne Dok­tor­ar­beit nicht abschlie­ßen kann. Er befin­det sich in einer losen Lie­bes­be­zie­hung mit Clai­re (Jean­ne Bali­bar), einer allein­er­zie­hen­den Mut­ter, deren Toch­ter Namen er nicht erin­nert (Fran­çoi­se? Nein. Ali­ne!), und den­noch ver­su­chen sie es ein wei­te­res Mal mit­ein­an­der. Neben Arthur zieht ein neu­er Nach­bar ein – Frank Oppor­tun (Tho­mas Badek) –, der sich ihm sogleich auf­drängt und selbst zum Whis­ky ein­lädt. Arthur gibt sich ‚busy‘, er muss ‚stu­die­ren‘, doch Frank über­zeugt ihn, wider­wil­lig einen Schluck mit ihm zu trin­ken. Eigent­lich sucht Arthur nach einem neu­en Impuls im Leben und möch­te den Pro­fes­sor Almei­da, einen Spe­zia­lis­ten in sei­nem For­schungs­ge­biet, den er noch in Lis­sa­bon ver­mu­tet, besu­chen, um mit ihm sei­ne Recher­chen zu bespre­chen. Nach lan­gem ein­sei­ti­gen Brief­wech­sel sind die letz­ten Anfra­gen Arthurs unbe­ant­wor­tet geblie­ben, und so begibt er sich trotz­dem auf die Rei­se, den Pro­fes­sor auf­zu­su­chen, um sich von ihm Rat für sei­ne Arbeit zu holen.

Als Arthur mit Clai­re in Lis­sa­bon ankommt, fin­det er her­aus, dass Pro­fes­sor Almei­da längst eme­ri­tiert und nach Por­to gezo­gen ist. Sie stei­gen in der Casa São Mame­de ab, einem bis heu­te noch exis­tie­ren­den Hotel im zen­tra­len Lis­sa­bon­ner Vier­tel Prin­ci­pe Real. Orts­ana­ly­tisch ist die­ses Auf-der-Stel­le-tre­ten mit Arthurs Dok­tor­ar­beit hier gut ein­ge­fan­gen: Arthur bewegt sich, mit der frus­trie­ren­den Nach­richt am Buckel, kaum von der Park­bank, auf dem Kirch­vor­platz gegen­über des Hotels gele­gen, weg, bis er und Clai­re sich dann doch nach Por­to auf­ma­chen, wo sie sich bei einer Student*innenverbindung ein­quar­tie­ren las­sen. Rita weist sie ein und führt sie in getrenn­te Schlafzimmer. 

Zeit­gleich folgt Frank Oppor­tun, der qua­si das tota­le Gegen­teil von Arthur dar­stellt – auf­brau­send, trans­gres­siv, nach Impuls han­delnd –, nach Lis­sa­bon und wei­ter nach Por­to, um dort dubio­sen Geschäf­ten nach­zu­ge­hen. Was genau, fin­den wir nicht her­aus, er wird jedoch stän­dig von Gangs­tern bedroht und ver­folgt. Im Kon­trast zu Arthurs Phleg­ma­tik ist es fast so, als wür­de Biet­te neben­bei einen Thril­ler mit Frank dre­hen, der uns aufs ech­te Leben fern­ab der aka­de­mi­schen Tag­träu­me­rei­en Arthurs stößt. Aber soll es bes­ser sein, statt­des­sen ein Leben wie Frank zu füh­ren? Die­ser wird gegen Ende des Films tot am Strand auf­ge­fun­den. In einem Pan­ora­ma­schwenk von links nach rechts sieht man ihn reg­los auf einer Bah­re vor einem Strand­fel­sen lie­gen, wäh­rend Arthur und Clai­re unbe­ach­tend an eben­die­sem Tat­ort vor­bei­spa­zie­ren. Das Par­al­lel­ge­sche­hen soll ver­deut­li­chen: Wer wie Arthur kein Risi­ko ein­geht, dem kann auch nichts passieren. 

Als Arthur schließ­lich am Haus des Pro­fes­sors ankommt, instru­iert sei­ne Assis­ten­tin, ihn nur von der Tür­schwel­le aus anzu­spre­chen und zu erwar­ten, dass der Pro­fes­sor ihm nichts ant­wor­ten wer­de. So steht Arthur, sei­nen in ein Papier­sa­ckerl gehüll­ten Ord­ner voll unde­fi­nier­ter Zet­tel­re­cher­che zwi­schen sei­nen Armen und Hän­den ner­vös befin­gernd, wie ein Bitt­stel­ler in der Tür und wird von einem kata­to­nisch drein­bli­cken­den Pro­fes­sor Almei­da von der Sei­te reg­los ange­starrt. Die Zeit ver­geht lang­sam, der Blick bleibt starr. So als wür­de er Arthur mit­tei­len wol­len: Was willst du von mir? Oder eher: Was willst du vom Leben?

Ich fra­ge mich: Schweigt das Leben einen an, wenn man es nicht anspricht, es nicht gestal­ten will? Oder war­um muss Arthur unbe­dingt zum Pro­fes­sor, anstatt sei­ne Recher­che ein­fach selbst been­den? Mög­li­cher­wei­se han­del­te es sich bei die­ser Rei­se zum Pro­fes­sor auch um Biet­tes eige­ne: So könn­te man hin­ter Almei­da sicher auch Man­oel de Oli­vei­ra ver­mu­ten, der bis heu­te die Cine­phi­lie (wie auch Biet­te und sein Umfeld) als alte Emi­nenz präg­te. Arthurs zöger­li­ches War­ten dürf­te man als Begeis­te­rung ande­rer gro­ßer Leis­tun­gen begrei­fen, die ihn zurück­hält, eige­ne Zie­le auf eige­nen Wegen zu fin­den. Oli­vei­ra, der selbst aus Por­to stamm­te, wid­me­te mit vie­len sei­ner Fil­me der Stadt, mit der er sein Leben lang stark ver­bun­den blieb, immer wie­der Hom­ma­gen. Inso­fern begibt sich Arthur auf eine nost­al­gi­sche Rei­se, die mit der Ver­gan­gen­heit eine ver­meint­li­che Lösung bereit­hält. Es scheint unaus­weich­lich, dass er nach Por­to wei­ter­reist und Almeida/​Oliveira nicht gleich in Lis­sa­bon auf­fin­det. Ist Arthurs Nach­bar Frank dann der rast­lo­se, das Kino nie­der­rei­ßen­de Jean-Luc Godard, den Biet­te hier wie ein Pier­rot spie­len lässt? Dann wäre Biet­te wohl selbst Arthur, der sich auf die Suche nach dem Kino zu Oli­vei­ra begibt, um sich über die Geschich­te des Kinos künst­le­risch zu verständigen.

Und wie geht es eigent­lich in der Bezie­hung mit Clai­re? Sie ist mit­ge­kom­men, weil Arthur ihr einen Paar­ur­laub ver­spro­chen hat­te. Nur sie bei­de, weg vom All­tag in Paris. Sie kommt mit, denn die Bezie­hung ist ein wenig zer­rüt­tet. Er hat ja schon mit ihr gewohnt, viel­leicht klappt’s ja hier. Aber Urlaub ver­trägt sich oft schlecht mit Arbeit. Und Lie­be ohne­hin nicht mit zu viel Sicher­heit. In die­ser Bezie­hung klin­gen Par­al­le­len zu dem von Biet­te ver­ehr­ten Le Mépris Godards an, in dem Bri­git­te Bar­dot auf dem Weg zur Vil­la Mala­par­te auf Capri mit Jack Palan­ce ins rote Cabrio steigt, weil Michel Pic­co­li dar­auf besteht, ein Taxi zu neh­men, und damit ein Schluß­punkt ihrer über­leb­ten und unge­bun­de­nen Bezie­hung als Ent­täu­schung in ihrem Gesicht sicht­bar wird. Näm­lich dann, als in Trois ponts sur la riviè­re Arthur bei einer Par­ty von Rita geküsst wird und die Kame­ra nach rechts schwenkt, was Clai­re aus dem Win­kel beob­ach­tet und sich fas­sungs­los wundert. 

Man sieht dem Aus­fran­sen einer Bezie­hung zu: Zuerst ver­lie­ren sich Arthur und Clai­re auf der Stra­ße, fin­den sich dann noch­mal wie­der. Am nächs­ten Tag erklärt Arthur im Foy­er, es wäre bes­ser, er gehe ohne sie zum Ter­min mit dem Pro­fes­sor, da sie sich dann nicht ver­lie­ren kön­nen. Bei der Kathe­dra­le soll­ten sie sich spä­ter wie­der tref­fen. Aber die­ser Wunsch läuft dann ins Lee­re, es ist auch irgend­wie nicht mehr wich­tig. So ein Neben­ein­an­der­le­ben zeigt sich hier wie­der als Anbli­cken der Gegen­wart unter dem Haupt einer sich ver­schlie­ßen­den Nost­al­gie. Es folgt ein lan­ger Abschied, noch ein paar Fun­ken der ursprüng­li­chen Attrak­ti­on zwi­schen den bei­den abge­bend. Das nie­mals enden wol­len­de Stu­di­um steht stell­ver­tre­tend für einen nie­mals enden wol­len­den Zustand zwi­schen zwei Men­schen. Was Arthur in Trois ponts sur la riviè­re sucht, ist die Bestä­ti­gung, dass er gut ist. Eine Bestä­ti­gung. Jemand, der ihm Mut zuspricht. Aber sowohl der Pro­fes­sor als auch Clai­re bedeu­ten ihm, dass er sich das nur selbst beant­wor­ten kann, indem er aktiv wird, um sei­ne Ambi­tio­nen zu errei­chen. Dar­in liegt Biet­tes Auf­for­de­rung, im Leben etwas vor­an­zu­brin­gen, denn im Zögern bei Ent­schei­dun­gen geschieht nichts. Gera­de in die­ser Hin­sicht sind die Momen­te des star­ren Blicks des Pro­fes­sors so fes­selnd, wie auch Clai­res Ver­wun­de­rung nach dem Kuss.