Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Viennale 2014: Glaser, Straub, Farocki

Ich habe Georg Glaser zugehört, wie er mit Pfeife im Mund mit seinem Hammer das Kupfer dazu „überredet“ eine neue Form anzunehmen. Anders als die Maschine, die stanzend das Metall in seine Form zwingt, übt Georg Glaser keine Gewalt aus. Georg Glaser ist Schmied. Er ist auch Schriftsteller und hat Bücher geschrieben mit sozialkritischem, teils revolutionärem Inhalt. In seiner Jugend war er Kommunist und ist aus Deutschland geflohen. Die längste Zeit seines Lebens verbrachte Georg Glaser in Paris, zuerst als Fabrikarbeiter, später als eigenständiger Kunstgewerbetreibender.

Ich habe auch Jean-Marie Straub zugehört, ihn aber weniger gut verstanden, weil er seine Zigarre nicht aus dem Mund nahm. Straub nuschelte also ein wenig, weil er gleichzeitig sprach und seine Zigarre im Mund balancierte. Ist es obligatorisch für einen Filmemacher eine Zigarre rauchen zu können, ohne seine Hände dazu zu benützen? Das sollte man an Filmakademien als Aufnahmekriterium einführen, vielleicht würde es dann mehr Straubs auf dieser Welt geben. Vielleicht auch nicht.

Jean-Marie Straub mit Zigarette
Jean-Marie Straub und Danièle Huilet bei der Arbeit an einem Film nach Franz Kafkas Romanfragment „Amerika“ von Harun Farocki

Jean-Marie Straub nuschelte also vor sich hin, gab seinen Schauspielern Anweisungen. Es wurde geprobt. So undeutlich er selbst zu verstehen war, so viel Wert legte er auf die richtige Betonung der Filmdialoge, jeder Satz, jedes Wort musste sitzen, keine Nuance durfte verloren gehen; nicht im Sinne von Buchstäblichkeit – wenn bei Kafka ein Komma steht, ist es bei Straub ein Doppelpunkt, aber die Werktreue Straub liegt in seinem Verständnis für die Verantwortung, die der Filmemacher übernimmt, wenn er einen literarischen Text für die Leinwand transformiert. Das ist Ehrlichkeit und Respekt. Neben Jean-Marie Straub sitzt seine Frau Danièle Huillet. Huillet und Straub zusammen scheinen eine einzelne Entität mit zwei Körpern zu sein. Ihr Blick und ihre Gesten zeugen von einem tiefen Verständnis davon, welche Akzente gesetzt werden sollen, welcher Film entstehen soll.

Jean-Marie Straub ist gebürtiger Franzose, aber 1958 nach Deutschland geflohen um dem Militärdienst in Algerien zu entkommen. Später ist er nach Rom übersiedelt, Danièle Huillet mit ihm. Auch über den Algerienkrieg hat Jean-Marie Straub jetzt einen Film gemacht. Er dauert bloß zwei Minuten und zeugt vom selben Gespür und derselben Geduld für die Nuancen der Sprache, wie seine Arbeit an Klassenverhältnisse zwanzig Jahre zuvor.

Georg K. Glaser - Schriftsteller und Schmied
Georg K. Glaser – Schriftsteller und Schmied von Harun Farocki

Glaser und Straub, zwei Geflohene, zwei Künstler, deren behutsame Bearbeitung von Metall und Sprache erstaunliche Parallelen aufweist. Ein dritter Künstler ist Harun Farocki. Er hat die beiden gefilmt. Jean-Marie Straub und Danièle Huilet bei der Arbeit an einem Film nach Franz Kafkas Romanfragment „Amerika“ und Georg K. Glaser – Schriftsteller und Schmied heißen die beiden Kurzfilme, die in dieser Reihenfolge als Teil des Tributes für den kürzlich verstorbenen Farocki auf der Viennale liefen. Farocki musste nie fliehen (zumindest nicht im wörtlichen Sinne wie Glaser und Straub), er war jedoch immer eine Art Fliehender. Auf der Flucht vor dem sozio-politischen Alltag, den er so nicht hinnehmen wollte und an dem er ihm Großteil seiner Filme Kritik geübt hat. Immer wieder spiegelt sich in diesen beiden Filmen Farockis eigenes Filmschaffen in den Aussagen und im Verhalten der Porträtierten.

James Benning hat eine Wolke gefilmt für Farocki. Sein neuester Film, der den Namen des Verstorbenen trägt besteht aus einer einzigen 77-minütigen Einstellung einer Wolke und ist Teil eines Projekts, in dem Benning einunddreißig Kunstwerke für einunddreißig Freunde und Bekannte geschaffen hat. Der Film erinnert an Bennings früheren Film Ten Skies, ist aber noch radikaler in seiner Konzeption, verzichtet sogar auf eine Tonspur und stellt so einen Kulminationspunkt seiner Arbeit der letzten Jahren dar, in denen er zunehmend mit dem observierenden Blick beschäftigt hat. Wie Farocki ist auch er kein Geflohener, aber auch kein Fliehender, sondern ein Erforschender. Farocki hat auch erforscht auf seiner Flucht. Farocki vereint beides: er ist Fliehender und Erforschender.