Viennale 2014: Court von Chaitanya Tamhane

Chaitanya Tamhane ist offensichtlich nicht sehr zufrieden mit einigen Vorgängen in seinem Land. Court, der Debütlangfilm des erst 27-jährigen Inders aus Mumbai, setzt sich unter anderem mit dem indischen Rechtssystem auseinander. Diese Auseinandersetzung exerziert Tamhane am Beispiel des fiktiven Volkssängers und Poeten Narayan Kamble durch. Neben seinen Auftritten als politisches Sprachrohr der indischen Unterschicht, unterrichtet der halbgreise Narayan Kamble an einer Schule. In dieser Funktion bekommen wir ihn auch zum ersten zu Gesicht und folgen ihm schließlich von seinem Arbeitsplatz zu einer Demoveranstaltung, wo er auftritt. Während des Auftritts wird Narayan Kamble jedoch von der Polizei verhaftet. Bis zu diesem Zeitpunkt stand der Musiker im Mittelpunkt des Geschehens und Tamhanes Kamera folgte ihm auf Schritt und Tritt. Kaum im Gefängnis verschwindet Narayan Kamble nicht nur aus der diegetischen Öffentlichkeit, auch sein Platz als Protagonist wird von seinem Anwalt Vinay Vora (großartig gespielt von Vivek Gomber, der auch als Produzent tätig war) übernommen. Vinay Vora stammt aus wohlhabender Familie, ist schick gekleidet und lebt in einer austauschbaren, westlich-geprägten Parallelwelt, die mit dem gängigen Bild des „armen Indiens“, also der Lebenswelt seines Klienten, wenig gemeinsam hat. Auffallend scheint zu sein, dass Vinay Vora den Narayan Kamble eher aus philanthropischen Motiven, als aus finanzieller Notwendigkeit vertritt (später stellt er sogar dessen Kaution). Als er später bei einer Veranstaltung über die Probleme und Willkür im indischen Rechtssystem referiert wird diese Vermutung bestätigt. So erinnert Vinay Vora ein wenig an klassische Jimmy-Stewart-Charaktere (wenngleich auf einer anderen gesellschaftlichen Ebene), der in Josef-K.-Manier einen Spießrutenlauf von Anhörung und Anhörung über sich ergehen lassen muss und sich mehr und mehr im Paragrafendschungel verliert.

Der namensgebende Gerichtssaal in Die Frage nach Vinay Voras Antrieben bleibt aber offen. Er unterstützt jene Menschen, die in bester gesellschaftskämpferischer Manier gegen jenes Establishment ankämpfen, dem er selbst angehört. Vinay Vora wirkt jedoch keineswegs wie ein edler Ritter in glänzender Rüstung, der bereit ist sein Vermögen oder seinen Lebensstil für soziale Gerechtigkeit aufzugeben. Andererseits, scheint er sein gemütliches Leben auch nicht wirklich zu genießen – das Verhältnis zu seiner Familie ist schlecht, Frauen und Freunde scheinen ebenfalls keine große Rolle in seinem Leben zu spielen. Was ihn antreibt ist ein vager Wille für eine gerechtere Rechtsprechung und weniger Korruption, ein Wille der von den Mühlen der Justiz langsam zermürbt wird, denn das Leben als Anwalt in Indien ist Sisyphusarbeit – als Narayan Kamble schließlich gegen Kaution wieder freikommt, wird er sogleich wieder verhaftet und wieder ist die Anklage ein bloßer Vorwand, den die Polizei mit Hilfe der Staatsanwaltschaft aus der Luft gegriffen hat, um den Dissidenten und ein für alle Mal hinter Gitter zu bringen und endlich Ruhe zu haben vor der bürokratischen Mühsal der Durchsuchungsbefehle, Gerichtstermine und Zeugenaussagen.

Vivek Gomber in Schlussendlich wird man das Gefühl nicht los, dass die indische Mentalität und das von den Briten vor mehreren Jahrhunderten eingesetzte Rechtssystem nicht so recht zusammenpassen. So ist Court nicht bloß ein Aufschrei gegen juristische Willkür, sondern auch ein gewichtiges post-koloniales Statement.

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