Viennale 2014: Young Mr. Lincoln von John Ford

Mit der Retrospektive für John Ford im Österreichischen Filmmuseum und der Peter Handke geht ins Kino-Schau im Metrokino hat die Viennale 2014 einige Tage vor ihrem offiziellen Beginn am 23.Oktober bereits Fahrt aufgenommen.

Schon in den ersten Bewegungen von Young Mr. Lincoln bemerkt man das verspielte Gewicht mit dem Ford seine weltbekannte Figur heroisiert. Eine Fiktion ist das, die von einer coolen Zärtlichkeit durchdrungen wird, von einer entdramatisierten Narration, die den absolut vorhandenen Pathos in einer Art versteckt, die man wohl selten gesehen hat. Vergleicht man den Film-und das bietet sich ja durchaus an-mit Steven Spielbergs Lincoln so bemerkt man recht schnell welch außerordentlicher Regisseur Ford und welch beschränkter Filmemacher Spielberg ist. Beginnen könnte man bei den Darstellungen und Darstellern von Abraham Lincoln. Gibt der außerordentliche Daniel Day-Lewis jene ikonische Figur bei Spielberg wie ein Theaterdarsteller, als Alleinunterhalter für die, mit seiner Kraft überforderte Kamera so verhält es sich bei Henry Fonda und Ford so, dass die Darstellung immer im Verhältnis zur Kamera entsteht. Als würde ein unsichtbares Gewissen die Bewegungen und moralischen Sätze des jüngeren Lincolns lenken, als würde uns jederzeit klar, dass wir einen bestimmten politischen und persönlichen Blick auf diesen Mann erkennen. Der Abstand zur Kamera oder das prominente Framing des markanten Hutes des späteren Präsidenten in der Bildmitte im Gerichtssaal deuten auf dieses Vorgehen hin. Ford mystifiziert seinen Blick derart und lädt ihn so auf, dass wir uns nie sicher sein können, ob es sich lediglich um eine nostalgische Glorifizierung oder doch um eine ironische Liebeserklärung handelt. Außer in der letzten Szene kommen diese Momente nie mit großen Gesten, sie sind einfach Teil der anekdotischen Vorgehensweise (Drehbuch: Lamar Trotti) des Films. Bei Spielberg werfen die großen Schatten an den Wänden, das überbetonte Kerzenlicht und das strahlende Weiß, das durch die Fenster und Türen dringt (ganz zu schweigen vom Blau, in den der Film getunkt ist) immer schon mit einer Schwere um sich, die einen so lange ob der Bedeutung des Ganzen anschreit, dass man schlicht sein Interesse verliert. Ford benutzt Film hier als Sprache mit der er-der Filmemacher-aus einer bestimmten Perspektive von etwas erzählt während Spielberg technische Mittel benutzt, um etwas aus einer amerikanischen oder gar universellen Perspektive zu vermitteln. Der Effekt ist spiegelverkehrt. In Spielbergs Film hat man das Gefühl, dass er aus einer anderen Zeit stammt und nur im Kontext einer bestimmten Kultur funktioniert, während Ford mit seinem Understatement ein Gewicht und eine Bedeutung ermöglicht, die entweder ehrlich ist oder als politische Propaganda bestens funktioniert. Natürlich bedient er sich sämtlicher Stilmittel, die Spielberg in seiner Betrachtung des Mannes benutzt, aber bei Ford ist man sich immer einer zurückhaltenden Bewunderung bewusst während Spielberg so tut als wäre sein Ansatz die Wahrheit selbst. In beiden Filmen wird viel über Logik und Moral gesprochen, aber während Spielberg nicht anders kann als den Stoff durch einen merkwürdigen Filter zu neutralisieren, lädt ihn Ford mit einem subjektiven Gefühl auf. Spielberg legt in einen äußerst komplexen historischen Vorgang ein äußerst emotionalisiertes und vereinfachtes Drama während Ford in einen einfachen Fall eine äußerst komplexe Wahrnehmung einflößt. Vielleicht ist der Vergleich ein wenig unfair, weil Ford-man sieht es als er am Ende nicht widerstehen kann, Lincoln in ein Gewitter spazieren zu lassen-in diesem Ausschnitt des Lebens noch nicht das Gewicht der Geschichte finden kann wie Spielberg, bei dem es um die amerikanische Frage schlechthin geht.

Young Mr. Lincoln von John Ford

In Young Mr. Lincoln wird einmal beschrieben, dass Lincoln einen Fluss genauso betrachtet wie eine Frau, die er liebt. Genau das gleiche gilt für den Blick von Ford, diese Romantik, diese Einsamkeit. Lincoln ist eine eigene Form des Loners, den beispielsweise John Wayne im selben Jahr für ihn in Stagecoach gab. Zunächst betrachten wir ihn als jungen Mann am Scheideweg, ein Denker, ein Bücherwurm, eine verlorene Seele. Er widmet sich dem Recht und nach einem ungeklärten Mordfall am Rande eines grandios gefilmten Festes mit Holzstammteilungen und Tauziehen schlägt die große Stunde von Lincoln, der die Angeklagten, zwei Brüder von denen nicht klar ist, wer den Mann ermordet haben soll, verteidigt. Ein Mann des Volkes, der mit seiner unbestechlichen Moral und Logik und mit einer gesunden Prise Humor die Leute begeistert. Dieser Humor ist ein entscheidendes Element im Film, weil er eine Distanz schafft, die den Pathos bricht. Außerdem existiert eine Art Traumlogik in den Bildern, dieser romantische Touch mit Sehnsuchtsbildern aufgeladen, die einem immerzu sagen, dass diese Ikone das Kino ist und nichts anderes. Dabei agiert die kinematographische Verklärung aber selbst nie verklärend, sondern macht sich immer als solche bemerkbar. Vielleicht ist der Unterschied zwischen Ford und Spielberg, dass Ford einen romantisch-politischen Film über Geschichte gemacht hat und Spielberg eine romantisch-politische Geschichte mit Film.

Im Gericht trifft in der Figur der Mutter der zwei mutmaßlichen Mörder die juristische Wahrheit auf die emotionale Wahrheit. Genau in diesem Spannungsfeld bewegt sich der Film und vieles in der amerikanischen Geschichte mit dem Lincoln konfrontiert war. Die Mutter verweigert ihre Aussage, weil sie niemals einen ihrer Söhne belasten könnte. Hier vereinen sich das Drama von Film und das Theater des Gerichts. Nur Ford bemüht sich keineswegs um dieses Drama. Ihn interessiert das Verständnis, das Lincoln für diese Frau hat. Die Kamera isoliert die Frau kaum sondern setzt sie immer ins Bild mit dem jungen Lincoln, der aus ihr lernt und damit bekommt der Raum des Gerichtssaals bei Ford eine filmische Komponente, die ihn über jenen Spielraum für ein theatrales Schuss/Gegenschuss Dispositiv hebt. Bei Ford ist das Gericht ein Film: Raum mit Tiefe (man beachte den Richter im Hintergrund), Off-Screen (man bemerke das betrunkene Aufstoßen eines der Jurymitglieder) und mit einem Staging im Raum.

Young Mr.Lincoln mit Henry Fonda

Ein letztes Beispiel für die Regiekraft von John Ford. Nach dem ersten Verhandlungstag befinden wir uns plötzlich in einer trauten Familiensituation der Angeklagten. Kerzenlicht, ein Holztisch. Ford filmt die traurigen und sich liebenden Gesichter kommentarlos. Es ist ein Moment poetischer Schönheit und es ist nicht ganz klar wie es dazu kommen konnte, da es gerade nicht besonders gut aussah für die beiden Brüder vor Gericht. Die Kamera und Montage gewähren uns erst nach einiger Zeit einen Blick auf das Ganze und wir bemerken, dass sich diese Szene hinter Gittern abspielt. Eine Illusion, die gebrochen wurde und dadurch zur vollen Schönheit gelangt.

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