Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Alkoholische Hymnen Amerikas: John Ford-Filmemacher

Look at me now, a shadow of the man I used to be
Look through my eyes and through the years of loneli­ne­ss you’ll see

To the times in my life when I could not bear to lose, a simp­le game
And the least of it all was the for­tu­ne and the fame
But the dream see­med to end just as soon as it had begun, was I to know?
For the last thing of all that was on my mind, was the clo­se at the
End of the show

The shadow of a lonely man, feels nobo­dy else
In the shadow of a lonely, lonely man
I can see myself
(…)

(Alan Parson’s Pro­ject-Shadow of a Lonely Man)

Stagecoach
Stage­coach

Auf­ge­wir­bel­ter Staub vor iko­ni­schen Kulis­sen, die nur sel­ten Kulis­sen sind. Es sind gefilm­te Rea­li­tä­ten und Geschichte(n). Bewe­gung, immer­zu Bewe­gung! Manch­mal sanft-hyp­no­tisch wie schlei­chen­de Schat­ten in The Long Voya­ge Home oder getrie­ben von einer bru­ta­len Geschwin­dig­keit wie in der famo­sen Ver­fol­gungs­jagd in Stage­coach. Pfer­de, die rei­ten, fal­len, sprin­gen und gar spre­chen (Ken­tu­cky Pri­de), Schif­fe, die trei­ben, die vor trau­ri­gen Sil­hou­et­ten davon fah­ren, mit Alko­hol ange­trie­ben fast wie in einem Jac­ques Tati Film kra­chend damp­fen (Steam­boat Round The Bend). Züge, die ein­fah­ren, die los­fah­ren, die sich durch die Land­schaf­ten schlän­geln, wie die­ses auf den ers­ten Blick erkenn­ba­re Kino eines der größ­ten Fil­me­ma­cher aller Zei­ten selbst. Män­ner, die stol­pern, die tor­keln, fast fal­len, die über­ein­an­der her­fal­len in einer Mas­sen­schlä­ge­rei am Ende des sehr iri­schen The Quiet Man, ein Auf­zug, der die ver­schüt­te­ten aus einem Koh­le­werk ans Tages­licht bringt wie in How Green Was My Val­ley. Wir sit­zen und war­ten gebannt auf die Bewe­gung des Films, denn nur sie wird uns die Geheim­nis­se hin­ter dem Licht der Lein­wand ver­ra­ten. Kut­schen, die durch das Was­ser fah­ren, die kip­pen, die zusam­men­bre­chen und immer wei­ter fah­ren. Und mit­ten in die­sem Über­schwang an poe­ti­schen und exis­ten­ti­el­len Bewe­gun­gen liegt ein Hund in She wore a yel­low rib­bon und bewegt sich nicht. Denn die Bewe­gun­gen sind, wie nicht zuletzt Chris Fuji­wa­ra fest­ge­stellt hat, immer eine Meta­pher für Unbe­weg­lich­keit bei John Ford. Die Geschwin­dig­keit der Welt wird einem nur dann klar, wenn man nicht dar­an Teil neh­men kann und Ford betreibt die­ses Wech­sel­spiel in einer hand­werk­li­chen und gefühls­be­to­nen­den Per­fek­ti­on. Da ist immer etwas, was sich bewegt, aber eigent­lich sitzt man still. Ein zugleich gegen­wär­ti­ger und ver­gan­ge­ner, ja ver­gäng­li­cher Blick.

Pilgrimage
Pil­grimage

Aus zum Teil extrem unter­sich­ti­gen Per­spek­ti­ven beob­ach­tet, rei­ten ein­sa­me Män­ner ihren Idea­len nach in die Ein­sam­keit. Immer wie­der ver­schwin­den sie in einem Schat­ten oder gehen durch das Licht, des­sen Exis­tenz ein Bewusst­sein für die Fik­tio­nen die­ses ent­klei­de­ten ame­ri­ka­ni­schen Traums bewirkt. Im uner­reich­ten The Man Who Shot Liber­ty Valan­ce ist es Ran­se, gespielt von Jim­my Ste­wart, der wort­wört­lich zwi­schen dem Licht und dem Schat­ten sei­ner und damit auch der ame­ri­ka­ni­schen Geschich­te oszil­liert. Die abge­här­te­ten und doch sanf­ten Män­ner den­ken an ihr Zuhau­se und erträn­ken ihre Erin­ne­run­gen im Was­ser des Wil­den Wes­tens, dem Whis­key. Dar­aus ent­ste­hen sowohl komi­sche Sze­nen vol­ler Absur­di­tät und tro­ckens­tem Zynis­mus, als auch eine tra­gi­sche Abhän­gig­keit und inner­fa­mi­liä­re Wut­an­fäl­le. Kämp­fen­de, oft wüten­de und vom Leben ver­las­se­ne Frau­en, die ihre Zärt­lich­keit ver­ber­gen hin­ter einer Abwehr­hal­tung wie Mrs. Jes­sop in Pil­grimage oder Anne Ban­croft in 7 Women als Dr. Cart­wright. Ärz­te gibt es sowie­so über­all. Ihre mora­li­sche Inte­gri­tät, die wie in The Hor­se Sol­diers über die emp­find­li­chen ideo­lo­gi­schen Schwam­mig­kei­ten hin­aus­greift, ist Bestand­teil einer fil­mi­schen Welt, die an etwas glaubt: Sie glaubt an Hei­mat und Wahr­heit. Der Glau­be an die Hei­mat wird dabei nicht immer bestä­tigt, manch­mal bleibt sie ein fer­nes Ziel, eine Sehn­sucht oder gar Illu­si­on. Die Wahr­heit in einer auf­rich­ti­gen und zugleich iro­ni­sie­ren­den Hal­tung liegt in einem Ame­ri­ka im Wer­den, einer Geschichts­schrei­bung, die sich über das gan­ze Werk span­nen lässt oder auch nur über ein­zel­ne Fil­me wie den groß­ar­ti­gen Young Mr. Lin­coln oder den flie­ßen­den The Iron Hor­se.

Grapes of Wrath
Gra­pes of Wrath

Oft ver­ber­gen sich die wah­ren Idea­le hin­ter den ein­fachs­ten, auf den ers­ten Blick geschei­ter­ten Figu­ren. Will Rogers ist eine sol­che Iden­ti­fi­ka­ti­ons­fi­gur, sein Doc­tor Bull der Inbe­griff for­dia­ni­scher Wahr­heit, aber auch Judge Priest, den er in Judge Priest spielt, des­sen bewe­gen­des Remake The Sun Shi­nes Bright mit Charles Win­nin­ger in der glei­chen Rol­le von einer ähn­lich sen­ti­men­ta­len Wahr­heit hin­ter den Gar­ten­zäu­nen einer Beschei­den­heit erzählt, die nichts und doch alles mit den gro­ßen Wes­tern von Ford zu tun hat, arbei­tet nach for­dia­ni­schen Über­zeu­gun­gen. Denn die Figu­ren sind von den glei­chen Trie­ben und Prin­zi­pi­en ange­trie­ben, ihr sozia­les Gefü­ge ist nur ein ande­res und sie haben kei­ne Waf­fen in ihren his­to­ri­schen Hän­den, um sich zu ver­tei­di­gen. Die Figu­ren sind ent­we­der vom Leben über­wäl­tigt und ste­hen sich selbst und alles bemit­lei­dend im Staub oder sie sind durch ihre Umstän­de abge­här­tet und sehen eine Moral, ja eine Hoff­nung an einem Hori­zont, der kaum erreich­bar scheint. Oft fügen sie sich ihren geis­ter­haf­ten Exis­ten­zen von einer der größ­ten Schluss­ein­stel­lun­gen (Chap­lin dürf­te da uner­reicht blei­ben…), die das ame­ri­ka­ni­sche Kino je her­vor­ge­bracht hat in The Sear­chers, bis zu einem Moment toter Zeit auf einer san­di­gen Veran­da, der alles sagt im wun­der­vol­len My Dar­ling Cle­men­ti­ne, der mit Hen­ry Fon­das Wyatt Earp womög­lich den ulti­ma­ti­ven Ford Hel­den her­vor­ge­bracht hat, denn Wyatt ist immer zugleich zwi­schen einer ent­spann­ten und wis­sen­den Kon­trol­le und einer schüch­ter­nen, lie­bens­wer­ten Über­for­de­rung ein­ge­spannt. Er nimmt sich selbst jene mensch­li­chen Pau­sen, die jeden Gen­re­film von Ford zu etwas ande­rem machen als eine blo­ße For­mel. In Che­yenne Autumn kehrt er in einer absurd geführ­ten Vari­an­te vol­ler Stil und Cool­ness inter­pre­tiert von Jim­my Ste­wart zurück auf die Lein­wand. Wyatt Earp steht für ein Begeh­ren nach Leben und Schön­heit im Wes­ten, eine Beto­nung von Ein­fach­heit, die sich auch dar­in äußert, dass sich im Uni­ver­sum von Ford sel­ten als ers­te Lösung der gewalt­vol­le Kon­flikt offenbart.

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The Sear­chers

Viel­mehr han­deln die Figu­ren immer ihrem Über­le­ben ent­spre­chend. Ein gutes Bei­spiel dafür wäre der in sei­ner West-Roman­tik nur von Rio Gran­de über­trof­fe­ne Wagon Mas­ter. Zwar wird nach einem äußerst abrup­ten Beginn schon nach Sekun­den geschos­sen, aber im wei­te­ren Ver­lauf wird Gewalt wie an einem sei­de­nen Faden hän­gend nur äußerst vor­sich­tig gespannt und ein gro­ßer Span­nungs­touch des Films hängt an der Anti­zi­pa­ti­on der Gewalt, die sich eben nicht in wil­den Fan­ta­sien ent­lädt, son­dern immer mit der Ver­nunft und Unver­nunft der Geschich­te im Ein­klang steht. Hier­bei denkt man natür­lich vor allem an die Kriegs­fil­me von Ford, allen vor­an sei­ne groß­ar­ti­ge Doku­men­ta­ti­on The Batt­le of Mid­way, die ihre Grö­ße selbst­re­dend nicht aus dem Patrio­tis­mus gewinnt, son­dern ins­be­son­de­re aus den erstaun­li­chen Anfangs­mi­nu­ten, die eine schwe­ben­de 16mm-Idyl­le mit Vögeln und Son­nen­un­ter­gän­gen evo­zie­ren, wie man sie wohl kaum in einer Doku­men­ta­ti­on über eine der größ­ten Kriegs­schlach­ten der ame­ri­ka­ni­schen Geschich­te erwar­ten wür­de. Wie­der wird Gewalt nicht ein­fach als Gewalt genom­men. Ein Gegen­pol dazu wird auf­ge­baut. Typisch für die Aus­weg­lo­sig­keit ist die erbar­mungs­lo­se und ermü­den­de Iso­la­ti­on der Hel­den bei Ford. Ein in sei­ner Nackt­heit fes­seln­des Bei­spiel wäre die Wüs­ten­kriegs­me­lo­die The Lost Pat­rol, in der die Ein­sam­keit und Iso­la­ti­on in einer exis­ten­tia­lis­ti­schen Last Man Stan­ding-Grau­sam­keit ihren Gip­fel erreicht. Dabei spielt wie in vie­len Fil­men von Ford, dar­un­ter auch und ins­be­son­de­re in They Were Expen­da­ble und Ser­geant Rut­ledge die Fra­ge nach Wür­de eine ent­schei­den­de Rolle.

They were expendable
They Were Expendable

Eigent­lich scheint Ford gar kein so gro­ßes Inter­es­se an den Schlach­ten und Kon­flik­ten selbst zu haben. Viel­mehr gilt sein Inter­es­se den Gesich­tern, Kör­pern und Hand­lun­gen sei­ner Ame­ri­ka­ner und wie umge­gan­gen wird. Dies ist eine der Erklä­run­gen für das manch­mal zu Unrecht kri­ti­sier­te und immer prä­zi­se Ein­set­zen des Off-Screens bei Ford. So zeigt er häu­fig die „Fein­de“ sei­ner Hel­den nicht oder nur kurz und lässt sie so als unsicht­ba­re Bedro­hung agie­ren. Sel­bi­ges gilt für die Sehn­süch­te nach Frau­en und Män­nern, nach Hei­mat und Fami­lie, nach Alko­hol, nach dem Leben und Ster­ben, deren Exis­tenz man beim Blick in die Augen der Figu­ren nach­voll­zie­hen muss, da Ford nicht all­zu viel von Flash­backs oder ähn­li­chen Hilfs­mit­teln hält. Er braucht sich die­ser auch nicht bedie­nen, denn zu ver­siert ist sein Umgang mit dem Bild in des­sen gegen­wär­ti­ger Ver­gan­gen­heit. Er ist zusam­men mit Char­lie Chap­lin viel­leicht der­je­ni­ge Fil­me­ma­cher, der die klars­ten und doch zugleich kom­ple­xes­ten Kame­ra­po­si­tio­nen und Kame­ra­be­we­gun­gen fin­det, man kann fast nichts ande­res sagen als: Die Kame­ra bei Ford hat immer Recht. Dabei spielt natür­lich sei­ne extre­me Vor­lie­be für Rah­mun­gen und foto­gra­fi­schen Mehr­wert in einer unglaub­lich detail­lier­ten Erfor­schung der Tie­fen­schär­fe und der Tota­le eine ent­schei­den­de Rol­le. Jedoch darf man nicht über die Expe­ri­men­tier­freu­de von Ford hin­weg­se­hen, denn da gibt es Kame­ras die auf einer Kut­sche posi­tio­niert sind, wenn die­se in einen Fluss fährt, da gibt es den Mut, Figu­ren im Schat­ten ste­hen zu las­sen oder am Ran­de des Bil­des. Auch gibt es da das Aus­rei­zen der Mög­lich­kei­ten im Bezug zur Geschwin­dig­keit einer Kame­ra­be­we­gung noch zu Stumm­film­zei­ten. Ähn­li­ches gilt für die Mon­ta­ge, die manch­mal ellip­ti­sche Züge bekommt wie in Young Mr​.Lin​coln, anders­wo den Geschwin­dig­keits­rausch ver­stärkt und dann doch wie­der so lan­ge wie mög­lich ver­mie­den wird, um die Bewe­gung im Bild zu betonen.

The Quiet Man
The Quiet Man

Weni­ger ori­gi­nell ist Ford im Umgang mit Musik, aller­dings ver­weist nicht zuletzt Peter Bog­d­a­no­vich in sei­ner Doku­men­ta­ti­on Direc­ted by John Ford auf wie­der­keh­ren­de musi­ka­li­sche Moti­ve in unter­schied­li­chen Fil­men. Bei all die­ser hand­werk­li­chen Vir­tuo­si­tät muss man natür­lich auch dar­auf ver­wei­sen, dass Ford prak­tisch jeder­zeit mit den bes­ten Pro­du­zen­ten (manch­mal zu sei­nem Final-Cut Lei­den), Kame­ra­män­nern, Kom­po­nis­ten und Dreh­buch­au­to­ren Hol­ly­woods arbei­te­te. Ob Bert Glen­non, Gregg Toland, Win­ton C. Hoch oder Arthur C. Mil­ler, die Bil­der­ma­cher von und mit Ford spie­len in einer eige­nen Liga. Ins­be­son­de­re in der Zusam­men­ar­beit mit Toland jedoch öff­net sich in The Gra­pes of Wrath und The Long Voya­ge Home ein dürs­ten­des Glän­zen in den Gesich­tern und die­ser unbe­schreib­li­chen Tie­fen­schär­fe auf, dass nicht nur alle ande­ren Bil­der von Ford son­dern ganz sicher auch von Toland über­ragt. Es bleibt John Way­ne. Er sitzt in einem bren­nen­den Haus, er trinkt und lei­det, er lauscht dem Flö­ten­spiel und träumt von Stock­holm, er zerrt sei­ne Frau durch das grü­ne Gras, er zeigt kei­ne Schwä­che, kei­ne Angst, weil er der Inbe­griff einer Selbst­auf­op­fe­rung ist, die jeden Wert über das Indi­vi­du­um stellt und das Indi­vi­du­um dadurch zu einer unge­ahn­ten Stär­ke kom­men lässt. Wider­wil­lig und doch schmun­zelnd zieht er eine Lese­bril­le an, trinkt einen Schluck und liest vor: When the legend beco­mes fact, print the legend. So long ya bastard!