Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Viennale 2025: مع حسن في غزّة (Mit Hasan in Gaza)

Auf mei­nem Weg durch den ers­ten Bezirk gehe ich, vom Natio­nal­fei­er­tags­ge­men­ge ange­trie­ben, schnel­len Schrit­tes auf das Metro­ki­no zu. Ich sehe noch das Wer­be­vi­deo des öster­rei­chi­schen Heers vor mei­nen Augen, das eine über­schau­ba­re Men­schen­men­ge auf der Frey­ung mit sei­nen fröh­lich-fei­er­li­chen Beats über­strahl­te – und schall­te, als Hans mir zuruft und ‑winkt. Er steht auf der ande­ren Sei­te, direkt vor dem bedroh­li­chen Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Finan­zen, ich dre­he mich um und wir begrü­ßen uns schwung­voll. Gemein­sam gehen wir aufs Metro zu, wäh­rend wir über Rei­se­plä­ne spre­chen und über die Unbe­quem­lich­keit, zu wenig fri­sche Wäsche ein­ge­packt zu haben. Wir sind bei­de für (Mit Hasan in Gaza) مع حسن في غزّة da, Hans küm­mert sich um den Ver­trieb des Films und ich habe bis­her neu­gie­rig dar­auf gewar­tet, die­sen im Kino zu sehen. Ich weiß, dass er aus Mini-DV Auf­nah­men besteht, die der Regis­seur Kamal Alja­fa­ri in den ers­ten zwei Tagen des Novem­bers 2001 in Gaza gemacht hat, nicht viel mehr. Ich erwar­te einen Film als Zeug*innenschaft zu sehen, oder eine Art Tage­buch von einer Zeit und einem Ort, die so nicht mehr sind und über die sich längst die Bil­der der media­len Gegen­wart und ihre Fak­ten gelegt haben. Nach­dem wir (den meis­ten ist hier mit Team­work gehol­fen) die schwe­ren Türen des Metro­ki­nos geöff­net haben (auch wenn sich alle über den Mecha­nis­mus beschwe­ren, bringt er ein­an­der frem­de Kinomitgänger*innen näher, ver­eint im Bestre­ben sich in das Gebäu­de hin­ein­zu­kämp­fen), tref­fen wir gleich auf eine Run­de Kolleg*innen. Hans spricht kurz mit Kamal und ver­schwin­det dann zur Kino­kas­se, um Tickets zu holen. Ich habe meins bereits dabei und befüh­le es kurz in mei­ner Man­tel­ta­sche, um mich zu ver­si­chern. Kamal und ich ste­hen neben­ein­an­der, ein wenig pein­lich berührt neben dem Star mei­nes Nach­mit­tags zu ste­hen, mache ich einen ver­le­ge­nen Sei­ten­schritt, ich erwar­te, dass er wie­der zu sei­ner Run­de zurück­kehrt. Aber im Gegen­teil, er stellt sich noch wei­ter zu mir und fragt mich, was ich so mache, fragt wei­ter nach und sogar wei­ter. Ich bin über­rascht und ent­geg­ne zuerst nur knapp. Dass ich in die­sem Moment über­rascht bin, wird mich viel spä­ter, als ich vom Kino nach­hau­se gehe, nach­denk­lich machen. Sel­ten waren die Small­talk-Run­den, in die ich in den letz­ten Wochen hin­ein­ge­schlit­tert bin, von auf­rich­ti­ger Neu­gier oder ent­spann­ter Offen­heit geprägt. Eher vom übli­chen Filmsmall­talk, meist gehetzt, oder von einem an meh­re­re Gesprächspartner*innen gerich­te­tes Geplau­der einer Per­son, die Auf­merk­sam­keit gewohnt ist und mit die­ser umge­ben meis­tens gleich wie­der wei­ter­eilt. Zeit ist auf Fes­ti­vals für vie­le hei­ße Ware. Ins Lee­re zu reden, fällt dann, im Stress des hin und her vor und zwi­schen den Kinos, leich­ter als neu­gie­rig auf unbe­kann­te Men­schen zuzu­ge­hen, ihnen tat­säch­lich zu begeg­nen. Um wirk­lich inter­es­san­te Fil­me zu machen, braucht es aber die­se Form von Neu­gier, den­ke ich.

Die­se Neu­gier mei­ne ich, als ich kurz danach im Kino­saal sit­ze, auch in den Auf­nah­men von مع حسن في غزّة  zu sehen und spü­ren. Viel­leicht pro­ji­zie­re ich das nach mei­ner Begeg­nung hin­ein, viel­leicht hat sie mir auch ein­fach gehol­fen, die­se Hal­tung kla­rer zu erken­nen. Alja­fa­ri führt die Kame­ra und ist dabei gele­gent­lich auch im Gespräch zu hören. Manch­mal, wenn jemand ande­rer die Mini-DV-Cam hält, sehen wir ihn, in sei­ner vier­und­zwan­zig Jah­re jün­ge­ren Ver­si­on. Es sind ledig­lich vier­und­zwan­zig Stun­den, die er in Gaza ver­brach­te, gemein­sam mit dem titel­ge­ben­den Hasan, der ihm Din­ge erklärt, ihn von A nach B führt, über den er Leu­te ken­nen­lernt. Oft lenkt Alja­fa­ris Hand­ge­lenk das Objek­tiv Rich­tung Boden oder seit­wärts: die Auf­nah­me läuft wei­ter, etwa wenn Men­schen dem Gerät skep­tisch begeg­nen oder von den Israe­lis kon­trol­lier­te Pos­ten, Kame­ras kri­tisch beäu­gen. Ande­re Male for­dern ihn Leu­te auf, die Gescheh­nis­se zu doku­men­tie­ren, etwa die Angrif­fe Isra­els wäh­rend der Waf­fen­ru­he oder die Kin­der, die spie­le­risch vor die Lin­se sprin­gen, man­che schüch­tern, man­che voll auf­ge­reg­ter Neu­gier. Dazwi­schen Auto­fahr­ten, Trüm­mer­hau­fen, das Zuhau­se von Hasan, ein Markt­be­such, Cafés, der Strand, Grenz­pos­ten, Sied­lungs­ge­bie­te und weni­ge Schnit­te, manch­mal Musik. Die ägyp­ti­sche Sän­ge­rin Umm Kul­thum oder die – nur kurz­zei­tig exis­tie­ren­de – paläs­ti­nen­si­sche Soft Rock­band Sil­ver Stones erzeu­gen moment­haft eine trös­tend-melan­cho­li­sche Stim­mung. Ich sin­ke schwe­rer in mei­nen beque­men Ses­sel und lese die Zei­len, die zwi­schen­durch und am Ende inmit­ten des Bil­des auf­tau­chen und die Hin­ter­grün­de zu den Auf­nah­men erklä­ren. Der Anlass für Alja­fa­ris Gaza-Besuch folg­te dem­nach nicht nur dem Wunsch zu doku­men­tie­ren – im anschlie­ßen­den Gespräch betont er, damals noch kein Fil­me­ma­cher gewe­sen zu sein – son­dern jeman­den zu fin­den, den er wäh­rend der ers­ten Inti­fa­da 1989 im Gefäng­nis ken­nen­lern­te (eine Erfah­rung, über die Alja­fa­ri in السطح - The Roof berich­tet). Fin­den wer­den sie sich nicht, auch wenn das Objek­tiv sucht, neu­gie­rig auf Record bleibt und abtas­tet. Dabei sieht es Men­schen, über deren Ver­bleib der Film uns heu­te genau­so wenig ver­ra­ten kann wie über das des ehe­ma­li­gen Mit­in­sas­sen. Das Sehen eröff­net unsicht­ba­re Leer­stel­len. Leer­stel­len, die zer­rin­nen wie die Gra­nat­split­ter zwi­schen den Fin­gern eines Man­nes, den Alja­fa­ri filmt. Die drei Zeit- und Lebens­pha­sen, die sich über den Film legen – 1989, 2001 und die jüngs­te Gegen­wart, die auch schon bald Teil einer Ver­gan­gen­heit sein wird – erin­nern mich dar­an, dass es nur weni­ge Fil­me gibt, die einen wirk­lich zu Zeug*innen wer­den las­sen. Das Beson­de­re die­ser Auf­nah­men, ihre Prä­senz, liegt auch im Doku­men­tie­ren ohne direk­tes Ziel. Doku­men­tie­ren, um zu doku­men­tie­ren. Kein Dis­tri­bu­ti­ons­ka­nal und kei­ne Ver­wer­tungs­ket­te, die die Mini-DV len­ken, kei­ne För­der­an­stal­ten, die viel zu früh nach dra­ma­tur­gi­schen Ver­wen­dungs­zwe­cken ver­lan­gen. Viel­leicht wird dar­aus auch ein Teil die­ser Neu­gier, die dem Blick inne­wohnt und die Hän­de vom Aus­schalt­knopf fern­hält, erfahr­bar. Nach dem Ende des Büh­nen­ge­sprächs, in dem sich das Publi­kum eher zurück­hält, krei­sen mei­ne Gedan­ken. Es ist nicht ein­fach, nach مع حسن في غزّة über das Gese­he­ne zu spre­chen, und es nicht zu tun, fühlt sich eben­so befremd­lich an. Als ich nach dem Ver­las­sen des Saals wie­der in einer ähn­li­chen Run­de ste­he, möch­te ich am liebs­ten den ande­ren zuhö­ren und dabei die Bil­der nach­wir­ken las­sen. Das Foy­er-Gewu­sel, der wie­der­keh­ren­de Lärm der Kaf­fee­ma­schi­ne, die Begrü­ßun­gen und Ver­ab­schie­dun­gen sor­gen für schnel­le Schnit­te, Unter­bre­chun­gen und wei­te­re kur­ze Begeg­nun­gen, bis ich die schwe­re Tür allei­ne wie­der öff­ne. Dies­mal gehe ich lang­sa­mer, schrei­te durch die frisch reno­vier­ten Gas­sen und Stra­ßen mit ihren hel­len Gebäu­den und auf­dring­li­chen Wer­be­schil­dern hin­durch, vor­bei an Camou­fla­ge-Mus­tern und Öster­reich­flag­gen, die Neu­tra­li­tät feiern.