Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Viennale 2025: Überblendungen

Gefühlt blickt die Vien­na­le jedes Jahr aufs Neue ins Alen­te­jo, in die grü­ne Hügel­land­schaft am Rand des Atlan­tiks, die­ses Jahr gemein­sam mit Mau­re­en Fazen­dei­ro in ihrem neu­en Film As estações, der eben­so viel mit dem lyrisch-idyl­li­schen Bild Süd­por­tu­gals teilt, wie er es unter­gräbt. Fazen­dei­ro sucht die soge­nann­ten Dol­men auf den Hügel­hö­hen auf, klei­ne aus Fel­sen errich­te­te Kam­mern oder Höh­len, die einst als Grab­stät­ten im Neo­li­thi­kum dien­ten und heu­te Hasen Zuflucht spen­den. Sie sind dabei nicht nur ein Sym­bol, son­dern auch ein Mit­tel der Sess­haf­tig­keit in der lan­gen Dau­er der Zivi­li­sa­ti­ons­ge­schich­te. So inter­es­siert sich der Film für die Kul­ti­vie­rung einer Land­schaft und zugleich für deren His­to­rie. Warn­wes­ten tra­gen­de Zie­gen­hir­ten bevöl­kern zunächst das Bild, wenig spä­ter am Boden schür­fen­de Archäo­lo­gen. Die Orte der Auf­nah­men blei­ben unbe­stimmt, ein­zig zwei oder drei Schwenks ver­mit­teln ein grö­ße­res Bild des vor­lie­gen­den Gelän­des. Dabei lässt sich fest­stel­len, sobald man sich um 180 Grad dreht, rückt die fern geglaub­te Zivi­li­sa­ti­on mit ihren auf­ra­gen­den Anten­nen und Strom­ka­beln wie­der in den Blick. Wäh­rend­des­sen sind neben eini­gen Renais­sance­klän­gen die gele­se­nen Brie­fe oder Noti­zen des Ehe­paars Georg und Vera Leis­ner zu hören, die als Ers­te in den 1930er Jah­ren began­nen, die Grab­stät­ten archäo­lo­gisch zu erfor­schen. Ver­ein­zelt und immer wie­der über­ra­schend, wer­den Tei­le der Auf­zeich­nung in deut­scher Spra­che hör­bar, als wür­de jemand hin­ter der Kame­ra zu spre­chen begin­nen. Es kommt ihnen im Film eine gewis­se Ort­lo­sig­keit zu, die damit weni­ger von einer strin­gen­ten Suche oder Erzäh­lung getrie­ben ist, als sie an ein plötz­lich Auf­tau­chen beim Her­um­strei­fen erin­nert. Auf ähn­li­che Wei­se, als sto­ße man uner­war­tet auf eine alte Grab­stät­te, eine ver­schüt­te­te Sied­lung oder ein Stück Land, das angeb­lich noch nie­mand zuvor sah, das all­jähr­li­che Vien­na­le-Alen­te­jo. Statt sich ganz an einer Stel­le zu ver­tie­fen und die Erde umzu­gra­ben, legt Fazen­dei­ro As estações flä­chig an. In den Film mischen sich Lie­der, Geschich­ten und Legen­den ein, erzählt von den Bewoh­nern des Lan­des, vor allem Alte und Kin­der. Sie zer­streu­en den geschärf­ten Blick. Die Geschich­ten tre­ten nahe­zu unver­mit­telt in Erschei­nung, etwa durch eine klei­ne Schutz­hüt­te der Hir­ten gebaut aus Grä­sern, die in unter­schied­li­chen Schich­ten des Films auf­tritt und damit eine Ver­bin­dung zwi­schen den Geschich­ten bil­det. Zeit­lo­sig­keit ist kein Ver­se­hen. Dar­un­ter eine Geschich­te des Land­strei­chers Char­ro, der sich gegen das Régime – wel­ches, bleibt unbe­kannt – aus­sprach und zur Stra­fe bis zum Tod gefol­tert wur­de. Es geht aber auch ein­fa­cher, bei­spiels­wei­se mit einer schlich­ten Über­blen­dung beim Blick auf das glit­zern­de Was­ser des Flus­ses zwi­schen Tag und Nacht. Kennt man die Über­blen­dung eher als Mit­tel, zwei weit von­ein­an­der ent­fernt lie­gen­de Orte mit­ein­an­der fil­misch zu ver­bin­den, bleibt die Über­blen­dung hier am glei­chen Ort, nur eine mini­ma­le Ver­schie­bung der Zeit, trennt die bei­den Bil­der, wobei im Inne­ren ein weit grö­ße­rer Abstand dazwi­schen lie­gen könn­te. Fazen­dei­ro arbei­te­te acht Jah­re an die­sem Film, mit dem sie nach und nach die Erzäh­lun­gen des Alen­te­jo aus Jahr­hun­der­ten auf­sam­mel­te. So fin­det eine Über­blen­dung nicht nur auf der Lein­wand, son­dern auch beim Sehen und Den­ken statt. Manch­mal sogar zwi­schen zwei Fil­men, wie bei den immer wie­der zuse­hen­den Füßen in Hart­mut Bitom­skys VW-Kom­plex (das Gehen dort kom­ple­men­tär zum Fah­ren), die bei Joce­lyn Saabs Gahzl El-Banat auf ein­mal in Erin­ne­rung geru­fen wer­den. Viel­leicht stimmt es, dass die Über­blen­dung eine sel­te­ne Erschei­nung gewor­den ist, obwohl man sie gera­de auf der Vien­na­le die­ser Tage wie­der öfter sieht, nicht nur bei Jean Epstein, bei­spiels­wei­se auch in Digna Sin­kes Hemels­leu­tel. Etwas an ihnen will nicht zum not­wen­dig-geklär­ten Blick auf die Din­ge pas­sen. Gleich­zei­tig gibt sich in ihnen eine wohl­be­kann­te Unklar­heit zu erken­nen, die sich mit dem aus­ge­setz­ten Gefühl der Unfass­bar­keit ver­wech­seln lie­ße. Mög­lich wäre, dass sich im Lau­fe der Zeit etwas an der Bedeu­tung der Über­blen­dung geän­dert hat, etwas, das auch schon immer rät­sel­haft an ihr war und zum Erzäh­len moti­vier­te, nicht unähn­lich zu den Dol­men auf den por­tu­gie­si­schen Hügeln. Wie beim Blick auf eine zurück­lie­gen­de Welt stif­tet die Über­blen­dung einen Zusam­men­hang zwi­schen dem, was noch nicht zusam­men­ge­hört. Man schaut zugleich nach vorn und zurück. Wo sie auf­taucht, erzählt sie von der Ort­lo­sig­keit und dem Ver­such, in den Din­gen mehr zu sehen, als sie offen­ba­ren kön­nen. Dabei wirkt sie befremd­lich-macht­voll, weil man glau­ben will, sie könn­te zwi­schen allem eine Ver­bin­dung kon­stru­ie­ren. Die Höh­len blei­ben trotz­dem dun­kel. In As estações wird nichts aus­ge­gra­ben, um etwas ans Licht zu brin­gen, es sind viel­mehr die klei­nen Berüh­run­gen und Ver­wir­run­gen beim Neben­ein­an­der­le­gen, mit denen Bekann­tes neu gese­hen wer­den will.