Gefühlt blickt die Viennale jedes Jahr aufs Neue ins Alentejo, in die grüne Hügellandschaft am Rand des Atlantiks, dieses Jahr gemeinsam mit Maureen Fazendeiro in ihrem neuen Film As estações, der ebenso viel mit dem lyrisch-idyllischen Bild Südportugals teilt, wie er es untergräbt. Fazendeiro sucht die sogenannten Dolmen auf den Hügelhöhen auf, kleine aus Felsen errichtete Kammern oder Höhlen, die einst als Grabstätten im Neolithikum dienten und heute Hasen Zuflucht spenden. Sie sind dabei nicht nur ein Symbol, sondern auch ein Mittel der Sesshaftigkeit in der langen Dauer der Zivilisationsgeschichte. So interessiert sich der Film für die Kultivierung einer Landschaft und zugleich für deren Historie. Warnwesten tragende Ziegenhirten bevölkern zunächst das Bild, wenig später am Boden schürfende Archäologen. Die Orte der Aufnahmen bleiben unbestimmt, einzig zwei oder drei Schwenks vermitteln ein größeres Bild des vorliegenden Geländes. Dabei lässt sich feststellen, sobald man sich um 180 Grad dreht, rückt die fern geglaubte Zivilisation mit ihren aufragenden Antennen und Stromkabeln wieder in den Blick. Währenddessen sind neben einigen Renaissanceklängen die gelesenen Briefe oder Notizen des Ehepaars Georg und Vera Leisner zu hören, die als Erste in den 1930er Jahren begannen, die Grabstätten archäologisch zu erforschen. Vereinzelt und immer wieder überraschend, werden Teile der Aufzeichnung in deutscher Sprache hörbar, als würde jemand hinter der Kamera zu sprechen beginnen. Es kommt ihnen im Film eine gewisse Ortlosigkeit zu, die damit weniger von einer stringenten Suche oder Erzählung getrieben ist, als sie an ein plötzlich Auftauchen beim Herumstreifen erinnert. Auf ähnliche Weise, als stoße man unerwartet auf eine alte Grabstätte, eine verschüttete Siedlung oder ein Stück Land, das angeblich noch niemand zuvor sah, das alljährliche Viennale-Alentejo. Statt sich ganz an einer Stelle zu vertiefen und die Erde umzugraben, legt Fazendeiro As estações flächig an. In den Film mischen sich Lieder, Geschichten und Legenden ein, erzählt von den Bewohnern des Landes, vor allem Alte und Kinder. Sie zerstreuen den geschärften Blick. Die Geschichten treten nahezu unvermittelt in Erscheinung, etwa durch eine kleine Schutzhütte der Hirten gebaut aus Gräsern, die in unterschiedlichen Schichten des Films auftritt und damit eine Verbindung zwischen den Geschichten bildet. Zeitlosigkeit ist kein Versehen. Darunter eine Geschichte des Landstreichers Charro, der sich gegen das Régime – welches, bleibt unbekannt – aussprach und zur Strafe bis zum Tod gefoltert wurde. Es geht aber auch einfacher, beispielsweise mit einer schlichten Überblendung beim Blick auf das glitzernde Wasser des Flusses zwischen Tag und Nacht. Kennt man die Überblendung eher als Mittel, zwei weit voneinander entfernt liegende Orte miteinander filmisch zu verbinden, bleibt die Überblendung hier am gleichen Ort, nur eine minimale Verschiebung der Zeit, trennt die beiden Bilder, wobei im Inneren ein weit größerer Abstand dazwischen liegen könnte. Fazendeiro arbeitete acht Jahre an diesem Film, mit dem sie nach und nach die Erzählungen des Alentejo aus Jahrhunderten aufsammelte. So findet eine Überblendung nicht nur auf der Leinwand, sondern auch beim Sehen und Denken statt. Manchmal sogar zwischen zwei Filmen, wie bei den immer wieder zusehenden Füßen in Hartmut Bitomskys VW-Komplex (das Gehen dort komplementär zum Fahren), die bei Jocelyn Saabs Gahzl El-Banat auf einmal in Erinnerung gerufen werden. Vielleicht stimmt es, dass die Überblendung eine seltene Erscheinung geworden ist, obwohl man sie gerade auf der Viennale dieser Tage wieder öfter sieht, nicht nur bei Jean Epstein, beispielsweise auch in Digna Sinkes Hemelsleutel. Etwas an ihnen will nicht zum notwendig-geklärten Blick auf die Dinge passen. Gleichzeitig gibt sich in ihnen eine wohlbekannte Unklarheit zu erkennen, die sich mit dem ausgesetzten Gefühl der Unfassbarkeit verwechseln ließe. Möglich wäre, dass sich im Laufe der Zeit etwas an der Bedeutung der Überblendung geändert hat, etwas, das auch schon immer rätselhaft an ihr war und zum Erzählen motivierte, nicht unähnlich zu den Dolmen auf den portugiesischen Hügeln. Wie beim Blick auf eine zurückliegende Welt stiftet die Überblendung einen Zusammenhang zwischen dem, was noch nicht zusammengehört. Man schaut zugleich nach vorn und zurück. Wo sie auftaucht, erzählt sie von der Ortlosigkeit und dem Versuch, in den Dingen mehr zu sehen, als sie offenbaren können. Dabei wirkt sie befremdlich-machtvoll, weil man glauben will, sie könnte zwischen allem eine Verbindung konstruieren. Die Höhlen bleiben trotzdem dunkel. In As estações wird nichts ausgegraben, um etwas ans Licht zu bringen, es sind vielmehr die kleinen Berührungen und Verwirrungen beim Nebeneinanderlegen, mit denen Bekanntes neu gesehen werden will.

