Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Vom Finden der verlorenen Zeit: Der traumhafte Weg von Angela Schanelec

Ein stän­di­ges Pas­sie­ren, das nur den Blick zulässt, den her­ab­fal­len­den, sich sen­ken­den Blick der Figu­ren und der Kame­ra, pul­siert in die­sem Black­out von einem Film, aus dem sich etwas schält wie die Macht­lo­sig­keit eines Lebens. Ange­la Scha­nelecs Der traum­haf­te Weg ist einer der bes­ten Fil­me des Jah­res, ein Film über Hei­lungs- und Ver­drän­gungs­pro­zes­se, die sich unsicht­bar in den Bil­dern ent­blät­tern, aber die immer eine Bezie­hung zwi­schen Kör­pern erfor­dern, eine die in die­sem Film exis­tiert und ver­schwin­det, pas­siert oder nicht, gelingt oder scheitert.

Es geht um zwei Bezie­hun­gen, die sich genau­so berüh­ren wie alles in die­sem Film, also nicht durch eine gro­ße dra­ma­tur­gi­sche Ver­ket­tung, son­dern durch räum­li­che Gleich­zei­tig­kei­ten und Bli­cke. Es geht eigent­lich nicht dar­um. Viel­mehr sind die­se Bezie­hungs­kon­stel­la­tio­nen, das was man auf­grund der eige­nen Ohn­macht beim Sehen her­an­zie­hen muss, um über etwas zu spre­chen, was man womög­lich nur gefühlt hat. Was man wie­der und wie­der sehen muss. Man hat es auch gese­hen und gehört, kei­ne Fra­ge, aber Scha­nelec arbei­tet hier nach dem Prin­zip der dring­li­chen Sug­ges­ti­on, das heißt, sie zeigt uns nur, was wirk­lich zählt und deu­tet das, was man außer­halb des Kinos erzäh­len könn­te nur an. Damit erzählt sie alles.

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Den­noch fal­le ich zurück auf das, was man schein­bar tun muss, damit ein sol­cher Text über­haupt Sinn macht: Ken­neth und The­re­se, wir sehen sie zunächst in einem Bild von Har­mo­nie in Grie­chen­land. Ver­liebt 1984. Dann bekommt Ken­neth einen Anruf, sei­ne Mut­ter hat­te einen Unfall. Ein Bild des Schocks bleibt, es hängt damit zusam­men und es hängt nicht damit zusam­men: Die star­ren Hän­de von Ken­neth, ein Anfall, macht­los. Spä­ter erfah­ren wir, dass er Dro­gen nimmt. Der Film springt drei­ßig Jah­re, obwohl er es eigent­lich nie wirk­lich tut. Er bleibt irgend­wo zwi­schen den Zei­ten. Es kam zu einer Tren­nung. Man könn­te über die Hand­lung des Films in der Ver­gan­gen­heits­form schrei­ben. Alles war und ist immer zugleich und es ist eine immense Errun­gen­schaft von Scha­nelec so nahe an prä­sen­te Bil­der der Ver­gäng­lich­keit zu kom­men, in dem Moment, in dem wir sie sehen. Viel­leicht liegt es dar­an, dass die Figu­ren ihre Kos­tü­me nicht wech­seln. Zumin­dest The­re­se nicht. Nach drei­ßig Jah­ren trägt sich die­sel­be Klei­dung, die wie ein Echo des Film­be­ginns an ihr klebt, ihrer Erschei­nung etwas Unwirk­li­ches gibt, als wäre die Klei­dung die Erin­ne­rung, das Ste­cken­blei­ben selbst. Es ist fast ein wenig wie bei Mar­gue­ri­te Duras: Die Erin­ne­run­gen ster­ben in jedem Bild und klam­mern sich ver­zwei­felt an das Leben, das die Kame­ra in den Kör­pern sucht und letzt­lich nur mehr in den Kin­dern fin­det. Denn die Kin­der haben, wie eine beein­dru­cken­de Sze­ne zeigt, in der ein jun­ges Mäd­chen einem gelähm­ten Jun­gen im Schwimm­bad das blu­ti­ge Knie mit der Zun­ge abschleckt, weil Spu­cke der Hei­lung hel­fen wür­de, noch nicht die­se gan­zen Klei­der ange­zo­gen. Sie berüh­ren die, die geheilt wer­den müs­sen. Es ist ein wenig ein zu sehr erwar­te­ter Kniff des Kinos gewor­den, in den Kin­dern einen Gegen­pol zu instal­lie­ren oder sie wie etwa Val­eska Grie­se­bach in Sehn­sucht oder Cor­ne­liu Por­um­boiu in Com­o­ara als Rah­men, als Meta­pher zu ver­wen­den. Scha­nelec fin­det in ihrem Schluss­bild nichts Neu­es dar­in, auch wenn sie auf Ein­deu­tig­kei­ten verzichtet. 

Eine ande­re Geschich­te in die­sem Film: Die Schau­spie­le­rin Ari­an­ne. Sie ver­lässt ihr Leben, ihren Mann, ihre Toch­ter. Ihr Mann zieht um. Sie dreht. Alles ist taub dabei, das erin­nert an die letz­ten Sze­nen in Nuri Bil­ge Ceylans Cli­ma­tes. Das Wet­ter ändert sich auch im Film. Was in der Son­ne beginnt, wird zu Regen. Fast schon ein melo­dra­ma­ti­scher Kniff, wenn er nicht so schmerz­voll bei­läu­fig wäre. Es ist halt das Wet­ter, so wie der Zufall, so wie das Schick­sal und die Bana­li­tät. Eine Bewe­gung, die kei­nen beson­de­ren Grund hat außer dem, dass sie von Leben­den aus­ge­führt wird, wird durch die­sen Film getra­gen. Sie ist alles und nichts zugleich.

Gegen Ende gibt es eine Sze­ne, die die­sen in sei­ner wahr­neh­men­den Bru­ta­li­tät so emo­tio­na­len Film gut beschreibt. Wir sehen Aria­ne, die über ihre Her­kunft spricht, irgend­wie resi­gnie­rend unter einem Regen­schirm, ihre Stim­me erhebt sich nicht mehr, kei­ne Hei­lung mehr. Es folgt das Bild des Ortes, an dem wir Ken­neth nor­mal sehen, mit sei­nem Hund auf der Stra­ße lebend neben dem Ein­gang zu einer U‑Bahn-Sta­ti­on. Aber jetzt ist er nicht da. Sein Hund steht im Regen. Das nächs­te Bild in einem (Ton-)Schnitt wie ein Schuss ins Herz zeigt einen vor­bei­fah­ren­den ICE, zu nah, man hört den Ton, die Schie­nen. Im nächs­ten Bild sieht man neben den Schie­nen am Bahn­steig einen Schuh lie­gen. Etwas ist ver­schwun­den. Von Anfang an ist in die­sem Film etwas verschwunden.

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Es ist ein bestän­di­ges anein­an­der vor­bei im Mit­ein­an­der, denn das Mit­ein­an­der bezieht sich hier ledig­lich auf Bewe­gun­gen, auf die gleich­zei­ti­ge Exis­tenz an einem Ort. Am ver­wand­tes­ten scheint mir Der traum­haf­te Weg im bis­he­ri­gen Werk von Scha­nelec mit Mar­seil­le, da es in bei­den Fil­men um Berüh­rungs­punk­te geht, die im Neben­ein­an­der als eine Art auto­no­mer Spie­gel agie­ren. Man kann Ver­bin­dun­gen zie­hen, kann aber auch nicht. Die bei­den Bezie­hun­gen hän­gen zusam­men und haben nichts mit­ein­an­der zu tun zugleich. Scha­nelec öff­net die Mög­lich­kei­ten einer Ver­bin­dung, ohne sie zu zie­hen. Dabei befin­det sich bestän­dig alles in einem Raum von Rela­tio­nen. das betrifft poli­ti­sche und sozia­le Umstän­de, die ange­schnit­ten wer­den, die bei­läu­fig exis­tie­ren, das betrifft auch die fil­mi­sche Kon­struk­ti­on als sol­che, da über die Figur von Ari­an­ne das Schau­spiel the­ma­ti­siert wird, das betrifft geo­gra­fi­sche, sprach­li­che Din­ge, eigent­lich alles, weil der Film sich beob­ach­tend, tas­tend durch eine Welt bewegt, die traum­haft (nicht im Sinn von „wun­der­bar“) erscheint. Das ent­spricht wie­der­um sehr prä­zi­se einer All­tags­er­fah­rung in Groß­städ­ten. Das Unbe­kann­te, Unbe­merk­te in flüch­ti­gen Begegnungen. 

Der traum­haf­te Weg bezeich­net wohl auch das, was pas­siert ist und uns und ande­re Men­schen zusam­men an einen Ort gebracht hat. Es ist ein traum­haf­ter Weg, weil wir ihn nicht ken­nen, weil er ein­fach da ist. Sonst aber sticht der Film in vie­ler­lei Hin­sicht her­aus aus dem bis­he­ri­gen Werk der Fil­me­ma­che­rin. Das liegt vor allem an der Kame­ra- bezie­hungs­wei­se Mon­ta­ge­ar­beit. Der Ver­gleich birgt vie­le Risi­ken, aber man fühlt sich unwei­ger­lich an vor allem spä­te­re Fil­me von Robert Bres­son erin­nert. Zwar geht die Frag­men­tie­rung von Kör­pern und Bil­dern bei Scha­nelec nicht ganz so weit, aber die vor allem die Beto­nung der gehen­den Füße und die von Bli­cken gelenk­te Knapp­heit der Inter­ak­tio­nen beschwö­ren die­sen Ver­gleich gera­de­zu her­auf. Zudem gibt es Par­al­le­len im Schau­spiel, denn Scha­nelec sucht hier ähn­lich wie Bres­son eine Form von Unschuld, die sich der Logik thea­tra­ler Reprä­sen­ta­ti­on und pseu­do­haf­ter Natür­lich­keit ent­zieht und hin zu einer rei­nen Prä­senz erstrahlt. Die Mon­ta­ge kre­iert in ers­ter Linie eine hyp­no­ti­sche Prä­senz. Eine Erwar­tung, eine Spi­ra­le, eine Leer­stel­le des Seins, etwas das so lan­ge her ist, dass es viel­leicht gar nicht wirk­lich war, obwohl es dau­ernd in und an uns lebt. Einen der­art fein­füh­li­gen deut­schen Film über das Ende von Lie­be hat man sel­ten gese­hen. Man kann durch­aus Die bit­te­ren Trä­nen der Petra von Kant als Ver­gleich her­zie­hen. Das 4:3‑Format und die gewohnt mes­ser­schar­fe Kame­ra­ar­beit von Rein­hold Vor­schnei­der erzeu­gen zugleich den Ein­druck eines Gefan­gen­seins, einer traum­haf­ten Aus­weg­lo­sig­keit wie einer völ­li­gen Bestimmt­heit, Unum­gäng­lich­keit und Not­wen­dig­keit. Dadurch ent­steht ein Film, den man als ent­wei­chen­de Tra­gö­die bezeich­nen kann. Die schlim­men Din­ge, die man nicht erlebt, son­dern die einem und einen passieren.

Wie stürzt man in die­se Pas­sa­gen des Ver­har­rens? Fré­dé­ric Jae­ger hat rich­ti­ger­wei­se von Bewe­gun­gen geschrie­ben, die sich in die­sem Film brem­sen, aus­he­beln und auf­he­ben. Am ein­drück­lichs­ten geschieht das viel­leicht, als The­re­se durch einen Wald nach Ber­lin geht und sich plötz­lich ins Moos legt. Es scheint viel an Zufäl­len zu hän­gen, die anders­wo Schick­sal genannt wer­den. So wer­den Ken­neth und The­re­se getrennt von einem plötz­lich Unfall der Mut­ter von Ken­neth. Auch die Tren­nung des ande­ren Paa­res kommt mehr über sie, als sie wirk­lich die Fol­ge einer akti­ven Hand­lung ist. Dass was Michel­an­ge­lo Anto­nio­ni in L‘eclisse am Ende als feh­ler­haf­te Erwar­tung insze­nier­te ist der Grund­zu­stand von Der traum­haf­te Weg. Doch in ihren Figu­ren bleibt mit Aus­nah­me von Ari­an­ne letzt­lich kein Platz mehr, um die­se Macht­lo­sig­keit zu bekla­gen. Sie ist ein­fach in die Kör­per, die Bli­cke und die aus­blei­ben­den Bewe­gun­gen ein­ge­schrie­ben. Gegen Ende gibt es eine bezeich­nen­de Sze­ne, als sich Ken­neth und The­re­se wie­der sehen. Hier liegt das gan­ze Poten­zi­al für die gro­ße Lie­bes­sze­ne, den roman­ti­schen Augen­blick, die aus­ge­leb­ten Gefüh­le. Aber sie blei­ben im Ver­bor­ge­nen, sie hal­ten sich zurück, letzt­lich sind es nur Bli­cke und Kör­per zur glei­chen Zeit am glei­chen Ort. Alles fließt in die­se Kör­per hin­ein, die wie ein Wun­der oder ver­bor­gen unter einem Kos­tüm nichts davon preis­ge­ben außer klei­ne Wun­den und Nar­ben, Anfäl­le und Krank­hei­ten. Die Hei­lung erfolgt auch des­halb nicht, weil alle ihre Wun­den ver­ber­gen. Von Scha­nelec betrach­tet wirkt das alles wie eine rie­si­ge Wunde. 

Letzt­lich geht es in Scha­nelecs Kino auch immer um die Schön­heit einer Bewe­gung und die Arbeit mit die­ser Bewe­gung. Ob das bei ihren vie­len Tanz­sze­nen ist oder beim Spa­zie­ren­ge­hen. Die­se Arbeit erfor­dert ein Hin­se­hen und Wahr­neh­men, das ein­ma­lig ist im deut­schen Kino. Der traum­haf­te Weg ist schmerz­voll und wun­der­schön, weil er die­se Sehn­sucht nach der Bewe­gung, der Berüh­rung erspü­ren lässt, sie greif­bar macht, aber sie dann in Auf­lö­sungs­er­schei­nun­gen ver­ge­hen lässt. Weil sie nicht so exis­tie­ren wie man das von Scha­nelec kennt. Ein Film dar­über wie man Zeit ver­liert, nicht auf der Suche nach ver­lo­re­nen Zeit, son­dern mit­ten darin.