In Cinéma, de notre temps: Éric Rohmer. Preuves à l’appui gibt es eine hübsche Stelle, die vor allem hinreichend entblättert, wie Rohmer nur allzuoft verhandelt wird: Auf der Suche nach Compact Cassetten in seinem neuen Büro in Paris zupft Rohmer einige Keksdosen hervor und schmunzelt erfreut vor sich hin, dass diese Dosen besonders gut dazu geeignet seien, nach dem Verzehr der Kekse eben solche Cassetten zu bergen (meist 12 Stück pro Keksdose). Und während sein Interviewpartner Jean Douchet ganz ehrfürchtig dreinschaut und auf eine wortreiche Ausführung dieser interessanten These wartet, zupft Rohmer weiter gut gelaunt vor sich hin. Nix mit Keksdosen-These! Den freundlich-schlaksigen Rohmer im blauen Hemd gewandet möchte ich, die ihn nie persönlich kennengelernt hat, mir als nervös und nicht weniger humorvoll vorstellen. Die arg verkopften Texte, die in erster Linie zu seiner filmischen Arbeit existieren, sagen wohl wieder einmal mehr über die jeweiligen Autoren aus, als über die Filme und deren Regisseur Éric Rohmer (1920-2010) selbst.
Ich selbst bin da nun mit Sicherheit keine Ausnahme; in den Filmen von Rohmer fielen mir immer besonders sein Humor auf und seine Freude an Landschaften, seine Freude an der Natur, die meist von recht verquasselten Protagonisten bewohnt wird. Einen Mitbegründer der Nouvelle Vague, vor allem einen Literaturwissenschaftler (der sich für die deutsche Sprache begeistert) so hat es sich wohl eingebürgert, hat man ausschließlich tiefgründig zu besprechen, von Humor ist da textlich selten eine Spur, auch wenn so mancher Schauspieler vor allem von Rohmers stillem Humor geschwärmt hat und immer noch schwärmt. In der oben genannten Dokumentation aus dem Jahr 1994 lässt Rohmer durchblicken, dass er sehr gerne im Zug fährt: blättert in Notizbüchern, liest hier und da still einen Absatz, grinst vor sich hin, um dann des öfteren den Satz »Ach, das hier interessiert Sie bestimmt nicht!« fallen zu lassen. Und Douchets Stirn wirft sich in wildeste Falten. Rohmer, der Reisende, vorbeisausend an blühenden Landschaften, wolkigen Horizonten, in Hefte kritzelnd.
Etwa an die Côte d’Azur in La Collectionneuse. Der Film betoniert Rohmers augenzwinkernden roten Faden, dass junge Frauen nur dazu auf der Welt sind, um Männer in ihrer Midlife-Crisis ordentlich zu verwirren. Die Herren sehen sich verführt, ja, geradezu missbraucht von der Begierde einer jungen Frau. Grandios entwirrt Rohmer und ertappt er bei solch recht dümmlichen Gedankengängen. Manchmal ist ein nacktes Knie einfach nur ein nacktes Knie, während sich die männliche Welt sofort provoziert fühlt. Auf nach Annecy in Le genou de Claire, wo Rohmer wieder einmal die Existenz eines weiblichen Knies und die männlichen Reaktionen darauf auf die Spitze treibt. Wieder sonnendurchflutet haben ältere Herren auch hier wortreich der berechnenden Weiblichkeit zu widerstehen, oder eben auch nicht.
Die Stadt Paris wird von Rohmer mit derselben Zärtlichkeit beleuchtet, die er seinen weiblichen Darstellern angedeihen lässt. Paris vu par… aus dem Jahr 1965 lässt Rohmer mit seiner Kamera den Place de L’Étoile umkreisen, eine zärtlich-wilde Mischung aus Dokumentation und kleiner erdachter Episode; rote Ampeln in einer Stadt wird man hiernach mit völlig anderen Augen betrachten. Oder ein anderes Frühwerk, nämlich La carrière de Suzanne. Zwei Studenten in Paris gehen ihren Leidenschaften nach, was das weibliche Geschlecht betrifft. Der eine recht aktiv, der andere eher beobachtend im Hintergrund und beide sind sich klar, dass Suzanne ein recht durchtriebenes Exemplar darstellt. Doch ist ausgerechnet sie es, die sich zum Schluss völlig ihrer Bedürfnisse bewusst ist und das gutbürgerliche große Los zieht! Auch bei La boulangère de Monceau ertönt und erstrahlt Paris, während ein junger Student eine wunderschöne Blondine ein zukünftiges Abenteuer verspricht, zwischendurch wird ein fülliges, nettes brünettes Mädchen noch in Betracht gezogen aber auch wieder verworfen, nachdem die Blondine wieder auf der Bildfläche erscheint. Und es wird ausgerechnet jene Dame sein, die doch »nur« in den ehelichen Hafen führt, während die Brünette mysteriös verschwindet. Paris, eine Falle? In Rohmers frühen Arbeiten begegnet man diesen Geschichten häufig. Ein wenig Aufregung ist recht nett, aber bald muss alles doch bitte wieder so ausschauen, wie es einem die Eltern vorgelebt haben. Dass die betreffenden Personen ihrem Schicksal wortreich entgegenschauen und zu analysieren verstehen, lässt einen oft genug schmunzeln während uns Rohmer mit seiner Kamera zügig an die Hand nimmt. Ton und Musik tun da ihr Übriges (wir erinnern uns an die Compact Cassetten zu Beginn).
Hinaus in die Bretagne an den Strand von Dinard in Conte d’été. Dort lässt Rohmer einen jungen Mann mitsamt seiner Gitarre in Verwirrung fallen und Schuld hat natürlich wieder eine Frau. Während Gaspard sich über seine Zukunft Gedanken macht und auf seine Freundin wartet, könnte es doch sein, dass eine andere Frau einmal eine wichtige Rolle in seinem Leben spielt. So geht es oft zu bei Rohmer, der es gerne vermeidet, Menschen bei der Ausübung ihrer Berufe zu zeigen: Die Liebe spielt eine völlig idealisierte Rolle, seine Protagonisten verzweifeln an dieser Idealisierung, scheinen aber ohne selbige, nicht durchs Leben gehen zu wollen. Derartige »Berufsverweigerung« zeigt sich übrigens besonders charmant in Les amours d’Astrée et de Céladon; da ist über hundert Minuten die Rede von verliebten Schäferinnen und Schäfern, und wann bekommt man denn ein paar Schafe zu sehen? In den ersten 12 Minuten laufen sie hier und da zweimal wollig durchs Bild. Und das muss uns dann ausreichen.
In Le rayon vert reisen wir in den Nord-Westen von Frankreich, nach Cherbourg. Die Hauptfigur Delphine bringt uns hier mit ihrer Schüchternheit und Passivität zum Wahnsinn, denn eifrig auf der Suche nach der wahren Liebe wäre es genau eben dies, was sie niemandem eingestehen würde. Alles soll ihr einfach widerfahren, alles soll magisch geschehen, denn wertvoll sind Erlebnisse ja nur, wenn sie von einer höheren Macht sozusagen angekündigt werden. Delphine bringt damit nicht nur ihre Freunde zum Verzweifeln, aber mit wilder Haarmähne und traurigem Blick widerfährt es ihr dann doch. Delphine will ja, oder will sie doch nicht? Die Räder des Zuges rattern weiter, etwa nach Biarritz, direkt an der Atlantikküste. Ah, das Meer!
Oder ins Rhonetal, der herrlichen Landschaft des Midi in Conte d’automne. Umgeben von Weinreben und wohlmeinenden Freunden lässt Rohmer eine Frau nach der Liebe eines Mannes schmachten. Aber woher soll man diesen auf die Schnelle nehmen? Die Natur als Ereignis des Wachsens, denn die Reben brauchen viel Sonne, um einmal zu Wein zu werden. So auch die Beziehungen zwischen den Menschen, soll denn einmal Liebe daraus entstehen. Angebliche Geheimrezepte, was den Wein und auch die Liebe angeht, lösen sich schnell in Luft auf und erweisen sich schließlich auch als völlig unnötig.
Im Norden Frankreichs, genauer in Montfaucon, zeigt uns Rohmer den Alltag einer Landwirtin. Der Gemüseanbau kann Monique Sendron nicht genug sein und so zeigt uns Rohmer in Fermière à Montfaucon einen Einblick in die dortige Kommunalpolitik. Und das, was gerade vor den Augen des Regisseurs geschieht, versucht er, objektiv einzufangen. Ländliche Romantik sucht man hier vergebens. Fast so etwas wie eine Dokumentation also während sein Spielfilm L’arbre, le maire et la médiatèque viele Jahre später diese Romantik hemmungslos verarbeitet. Da hüpft eine Schriftstellerin wortreich durch einen Garten, bestaunt die blühenden Bäume, jauchzt auf beim Betrachten von formschönem Gemüse und zartgrünen Kräutern. Ach, auf dem Lande ist ja alles in so hübsche Farben getaucht! Während ihr Liebhaber, der besagte Bürgermeister, darauf hinweist, dass an der Natur nun wirklich nichts Entzückendes ist. Die Dinge werden gepflanzt und müssen also wachsen. Basta. Und während die Dichterin noch darauf hinweist, dass der Mensch an sich in die Städte gehört, deckt eine Journalistin noch einen Skandal auf, bringt ein kleines Mädchen alle doch noch zur Vernunft und alle Beteiligten singen zum Schluss. Und die Wolken ziehen vorüber. Das Zitat Rohmers übrigens, mit dem dieser Text betitelt ist, findet sich in einem Brief von Rohmer aus dem Jahr 1972, den er damals an das Österreichische Filmmuseum schrieb, und zu einem bevorstehenden Besuch in Wien darum bat, ihn doch mit dem Zug anreisen zu lassen, denn … All‘ meine Filme waren im Zug erdichtet. Unterwegs mit Rohmer, immer noch.