Der Film beginnt mit dem Casting. Menschen sprechen Monologe aus ihren Lieblingsfilmen frontal in die Kamera. Unkontrolliert aber leidenschaftlich sind die Vorträge. Die Vorsprechenden sind allesamt Laien. Mit großen Augen erzählen sie von Liebe, Ruhm und Glück, von Enttäuschung, Tod und Selbstmord. Die großen Gefühle: Bigger than life. Das Kino als Traumfabrik. Aber nur den krassesten Außenseitern unter den Casting-Teilnehmern werden die Imaginationen der Maschine zuteil, sie werden in den nächsten 80 Minuten wieder zurück auf die Leinwand geholt um in mehr oder weniger fiktionalisierten Formen von ihren eigenen tristen Leben und dem Traum eines anderen zu erzählen.
California Dreams entwickelt diese Träume direkt aus der kalifornischen Landschaft. Unweit des paradiesischen Grüns Nordkaliforniens und den Studios Hollywoods leben die Protagonisten des Films in einer dürren, lebensfeindlichen Wüste aus Felsen, Gestrüpp, Fast-Food Restaurants, heruntergekommenen Vorstadtbungalows und endlosen Highways. Doch die Sonne ist dieselbe wie jene, die ein wenig weiter westlich auch die Sets der größten Filme beleuchtet und Träume sind hier ungleich wichtiger. In diesem Licht verwandelt sich das unwirtliche Land immer wieder in die dramatischen Formationen einer ausgesuchten Filmlocation; und auch in den Orten des kalifornischen Alltagslebens findet Mike Otts Kamera Spuren der Mythen des amerikanischen Kinos. Als Corey, der ewige Hauptdarsteller von Mike Otts Filmen, eine Videokassette aufnimmt um seinen Traum der Schauspielerei zu verfolgen, entscheidet er sich für eine alte Holzhütte als Drehort. Eine kurze Kamerafahrt auf das unverglaste Fenster der Hütte ruft unweigerlich den Anfang von John Fords The Searchers ins Gedächtnis. Corey kann das nicht helfen, schon nach wenigen Sätzen kommt er mit seinem Monolog aus The Outsiders ins Straucheln.
Der Struktur des Films liegt diese Technik des Kontrasts zugrunde, die auch die Inszenierung der anderen Protagonisten bestimmt. Unter ihnen ist Patrick, ein 28-jähriger philippinischer Einwanderer mit Aknenarben und Schnauzbart, der seit Jahren als Parkplatzwärter arbeitet und noch nie eine Frau geküsst hat. Ein sehr explizites Gespräch mit Corey, im Auto vor einer glorreichen kalifornischen Abendlandschaft, erzählt von seinen sexuellen Erfahrungen und Wünschen. Die Antwort des Films folgt sogleich: In anhaltender Zeitlupe sehen wir eine blonde Stripperin die Beiden in einem Motelzimmer aufsuchen. Patrick sitzt zusammen mit Corey rauchend an einem runden Tisch und lässt die Show ganz cool über sich ergehen, kein bisschen Aufregung im Blick, als hätte er das schon hundertmal gemacht. Musik, die an Scores des Classical Hollywood erinnert, entrückt die Szene endgültig in die Sphären eines kinematografischen Traums. Auch das ist Kino, zumal amerikanisches: eine Welt in der die eigenen Defizite temporär ausgesetzt sind, in der die ersten ebenso wie die letzten Bedürfnisse befriedigt werden; Kino als kurzer aber wiederkehrender Traum eines anderen Lebens. Der Striptease geht nahtlos über in die Wiederholung von Patricks Casting-Monolog aus Forrest Gump, einer Beschwörung des Selbstbewusstseins und der eigenen Kraft, der aus dem Off zu hören ist, während Patrick einsam und zusammengekauert auf der Wartebank einer Bushaltestelle sitzt.
In dieser Szene wird deutlich, wo California Dreams unwiederbringlich schiefgeht. Statt eine Selbstermächtigung seiner Protagonisten zu ermöglichen, stülpt der Film jedem Einzelnen vorbestimmte Normen über. Von vornherein sind Patricks Defizite bestimmt: er hat keinen Sex und kein Selbstbewusstsein. Das ist unaufrichtig und denunziatorisch in einem Film der einen Teil seines Reizes aus der Nonkonformität seiner Außenseiterbande zieht, sie auf diese Weise aber für Momente der Lächerlichkeit preisgibt. Nie gibt es den Versuch das ausgestellte Anderssein tatsächlich für ein Verständnis zu öffnen. Der Film vermerkt es nur schnell in einer schon festgelegten Wertematrix und kramt dann das vermeintlich passende imaginative Gegenmittel heraus. Trotz des teilweise sicheren Gefühls für die Verweiskraft seiner Bilder, reflektiert der Film nicht ein einziges Mal in kritischer Weise die gesellschaftliche Herkunft und Hervorbringung dieser Wertematrix und der aufgerufenen Gegenbilder. In einem Film, der mit Recht auf die imaginative und befriedigende Kraft des Kinos verweist, sollte man erwarten können, dass auch die andere Seite dieser Medaille gezeigt wird: Die Konformisierung und Kommerzialisierung der zu befriedigenden Bedürfnisse durch das Kino, im Besonderen durch das – in California Dreams viel herbeizitierte – amerikanische Unterhaltungskino.
Zudem bleiben die in doppelzüngiger Rede zugleich affirmierten und lächerlich gemachten Kino-Imaginationen der Protagonisten – im Fall einer Obdachlosen ist es die ins Bild gesetzte Oscar-Dankesrede in roter Robe und Spotlight – stets Eskapismus und Flucht in eine Unmöglichkeit, die klar abgegrenzt ist von der umso härteren Realität. Am Ende, als Corey in einer überdrehten Szene Geld auf der Straße findet, verbindet sich das Kino zumindest oberflächlich mit dem Leben, aber eben nur in der reduktiven Weise in der Mike Otts Film Kino denkt: rein als Traum- und Befriedigungsmaschine, die es auch ist, aber niemals ausschließlich. Das Kino kann Möglichkeit sein, tatsächlich Einfluss auf das Leben haben, indem es etwas denk- und fühlbar macht, das abseits liegt, an den wahren Außenseiterpositionen der Welterfahrung. Indem es zum Beispiel zeigt, was Sexualität auch sein kann. Wenn der Film in seiner letzten Szene in anrufender Manier Rainer Werner Fassbinder erwähnt, dann möchte man sich kneifen und aus diesem reaktionären Kino-Traum erwachen.