Fragen über Fragen wirft Julian Radlmaiers Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes auf: Kann ein Film zugleich bieder-bildungsbürgerlich, zeitgeistig-verspielt und postmodern-ironisch sein? Haben die langen Festivaltage und kurzen Festivalnächte das Urteilsvermögen getrübt? Warum kann ich diesem scheinbar selbstgefälligen Einblick in eine Hipsterseele so viel abgewinnen? Anhand dieser Fragen wird zumindest eines deutlich, und zwar wie fehlgeleitet es ist, erklärungswütig einzelne Filme zu zerpflücken, um sie in vermeintlich passende, aber letztlich willkürlich gewählte, Schubladen zu stecken. Die Filmkritik bedient sich sehr gerne dieser Kategorisierungen, wenn sie sich in erster Linie als Dienstleistungsservice versteht, die ihren Lesern näherbringen will, was sie sich von einem Film erwarten können – sie also eher über Erwartungshaltungen und Diskurse, über sich selbst und ihr Publikum schreiben – als den Film selbst und ihre Wahrnehmung zu beschreiben. Prinzipiell tritt dieses Phänomen in der Festivalberichterstattung verstärkt auf, wo noch weniger Zeit und Energie vorhanden ist, um mit seinen eigenen Eindrücken ins Reine zu kommen, und das möglichst tagesaktuelle Postulieren einer Meinung im Kampf um Medienöffentlichkeit Konjunktur hat. Gerade bei der diesjährigen Berlinale scheint man sich besonders an haarsträubenden, unüberlegten Zuschreibungen zu ergötzen. Hong Sang-soos On the Beach at Night Alone wird als stimmige Fortführung des Gesamtwerks des Koreaners besprochen, ohne das schwierige Verhältnis des Films zu seiner Protagonistin, diese schwer greifbare und noch schwerer zu beschreibende Brüchigkeit in Hongs Figurenzeichnung zu berücksichtigen. Alex Ross Perrys Golden Exits wird als aufgeblasene Hipsterromantik gedeutet, unter Missachtung von Perrys gut dokumentierter Abscheu für diese Ausformungen der amerikanischen Indie-Tradition und seiner ebenso gut dokumentierten cinephilen Haltung. Und Thomas Arslans Helle Nächte wird unter Nichtbeachtung seiner Entwicklung als Filmemacher in den letzten zehn Jahren, als nicht viel mehr als „noch so ein weiterer“ Berliner Schule-Film abgetan. Bei aller Probleme, die ich mit diesem Film hatte, und trotz Reinhold Vorschneider hinter der Kamera, hat Helle Nächte dann doch relativ wenig mit den Filmen zu tun, die Anfang der 2000er mit diesem Label versehen wurden.
Würde sich das Gros der medialen Aufmerksamkeit nicht auf den Wettbewerb richten, dann würde es Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes wohl ähnlich ergehen. Eine selbstbezügliche Übung in Narzissmus, eine weitere leere Beschreibung des Lebensgefühls eines Millenials, ein halbironischer Hipsterfilm, ein gekünstelter Studentenfilm. Man könnte diese Liste noch eine Weile fortsetzen, ohne dass einem die Schubladen ausgehen. Der Film scheint darum zu betteln, sich eine davon zu wählen und ihn vorschnell abzuurteilen. Dass man letztendlich damit überfordert ist, die treffendste dieser Kategorisierungen zu finden, dass sich die Frage, was das denn eigentlich für ein Film ist gar nicht so einfach beanworten lässt, ist dann vielleicht schon Antwort genug. Ehrlich gesagt, fällt es mir selbst schwer eine zufriedenstellende Einschätzung des Films abzugeben, immer wenn sich mein Verstand an einem Aspekt des Films abarbeitet, protestiert ein anderer Aspekt lauthals und lässt meinen Urteilsspruch im Ansatz ersticken.
Radlmaier inszeniert sich selbst als im Scheitern begriffener Filmemacher, dessen Sachbearbeiter im Arbeitsamt, ihm zum Äpfelpflücken verdonnert. Eine Kafka (und Straub)-Referenz später sinniert er auf der Apfelplantage, inmitten des Proletariats über Klassenkampf und Revolution. Auf der Suche nach einem Kommunismus ohne Kommunisten (denn die ruinieren immer alles) entsteht schließlich der nächste Film des Regisseurs. Für seine hohlen Phrasen im Publikumsgespräch nach der Premiere dieses Films wird Radlmaier just durch ein göttliches Wunder in einen Windhund verwandelt. Wo die Rahmenhandlung beginnt, die Film-in-Filmhandlung aufhört, wie sich zueinander verhalten, und ob das überhaupt noch etwas mit der Biographie Radlmaiers zu tun hat, lässt sich schließlich nicht mehr nachvollziehen. Anders, als man es wohl im Dramaturgiekurs beigebracht bekommt, entwirrt der Film nichts und widersetzt sich dem Primat einer befriedigenden Auflösung – das Drehbuch wird hier also nicht zum Selbstzweck.
Man dreht sich im Kreis, beim Versuch sich einen Reim daraus zu machen, ob das nun infantiles Spielerei ist, ob man die politischen Aussagen ernst nehmen sollte, oder ob das ohnehin nur aufgeblasenes, gekünsteltes Hipstergehabe ist. Verkompliziert wird dieser Versuch noch dadurch, dass die Selbstkritik am eigenen Film immer gleich mitgeliefert, aber wiederum so selbstgefällig in Szene gesetzt wird, dass man sich abermals kaum sicher sein kann, wieviel Bedeutung man ihr beimessen sollte (die ultimative Kritik des Films an sich selbst, besteht immerhin darin, dass das Alter Ego des Filmemachers wegen seines materialistischen Weltbilds durch die Inkarnation des Heiligen Franziskus in einen Hund verwandelt wird).
Wir schreiben auf Jugend ohne Film gerne über Dringlichkeit und Welthaftigkeit. Dass es uns wichtig ist etwas von der Notwendigkeit in der Kunst zu spüren, wie sie von der klassischen Moderne vorgelebt wurde. Von dieser Notwendigkeit ist in Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes nicht unbedingt viel zu spüren, andererseits geht der Film aber auch weit über ein oberflächliches Spötteln über so einen Kunstbegriff hinaus. Er scheint diese Dringlichkeit vielmehr selbst anzustreben ohne so recht zu wissen, wie sie filmisch umzusetzen ist. Hinter dem Narzissmus verbirgt sich womöglich eine Suche nach einer Form des Ausdrucks, die einer Welt gerecht wird, die in ihrer Komplexität kaum mehr zu beschreiben und zu fühlen ist. Entgegen aller Erwartungen verbirgt sich hinter dem verschmitzten Grinsen des Films, vielleicht eine Thematisierung ästhetischer Ratlosigkeit, der man mit Ernsthaftigkeit entgegen treten sollte. Auf jeden Fall lässt sich mit dieser Herangehensweise mehr aus dem Film mitnehmen, als wenn man gewaltsam versucht ihn in eine Schublade zu stecken.