Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Calm Like You: On the Beach at Night Alone von Hong Sang-soo

No regard for the cost
Of say­ing his feelings
In the moment they were felt
And if he was calm like you
Locked up insi­de of your loops
Then he’d know for well
That all he had to say was
All he had to say was goodbye
(The Last Shadow Pup­pets-Calm Like You)

On the Beach at Night Alone
Hong Sang-soos ers­te von drei Varia­tio­nen des Kino­jah­res heißt On the Beach at Night Alo­ne. Wie vie­le sei­ner jün­ge­ren Fil­me folgt er der unsi­che­ren Logik von Träu­men, die auf Rea­li­tä­ten tref­fen. Er erzählt von den Fik­tio­nen, in denen wir unse­re Gefüh­le sicht­bar machen. Man folgt der Prot­ago­nis­tin, der Schau­spie­le­rin Young-hee (Kim Min-hee) auf ihrer Rei­se in Ham­burg, an der Nord­see und zurück in ihrer Hei­mat Süd­ko­rea. Selbst wenn man woll­te, könn­te man nicht umge­hen, dar­über zu schrei­ben, dass Kim Min-hee die Lebens­ge­fähr­tin von Hong Sang-soo ist: Es war ein ver­hält­nis­mä­ßig gro­ßer Skan­dal in Süd­ko­rea, als die Bezie­hung der bekann­ten Dar­stel­le­rin mit dem ver­hei­ra­te­ten Fil­me­ma­cher bekannt wur­de. Selbst eine öffent­li­che Schlamm­schlacht zwi­schen der Fami­lie der Ex-Frau und Kim Min-hee blieb nicht aus. Dies ist mehr als eine Hin­ter­grund­in­for­ma­ti­on, weil On the Beach at Night Alo­ne in mehr­fa­cher Hin­sicht auf den Skan­dal und noch mehr auf die damit ver­bun­de­nen Emo­tio­nen Bezug nimmt. Es ist ein wenig so – und der Film reflek­tiert das auch – als ob das Leben nur wei­ter­ge­hen könn­te, wenn man es fik­tio­na­li­siert. Gleich­zei­tig aber offen­ba­ren die Fik­tio­nen den Schmerz. Jeden­falls kommt Young-hee aus einer Affä­re mit einem älte­ren und ver­hei­ra­te­ten Fil­me­ma­cher. Sie war­tet auf ihn in Ham­burg und ver­sucht die geschei­ter­te Lie­be in Süd­ko­rea zu ver­ar­bei­ten. Es ist auch ein Film über die Abwe­sen­heit einer her­bei­ge­sehn­ten Berüh­rung. Einer Berüh­rung, die nur in Abs­trak­tio­nen und Spie­ge­lung mög­lich scheint: Die Lie­be als Illusion.

„Wach auf!“: Young-hee könn­te all das auch nur träu­men. Das ist klar. Man lässt sich ein auf die­ses Spiel, wenn man die­ser Tage einen Film von Hong Sang-soo sieht. Aber wel­cher Unter­schied exis­tiert zwi­schen Träu­men, Fil­men, Trun­ken­heit und dem ver­for­men­den Begeh­ren einer Ein­sam­keit? Wo zieht man die Linie zwi­schen einem geleb­ten Leben und den Bil­dern, die man davon macht?

On the Beach at Night Alone

Young-hee ist in Ham­burg mit einer Freun­din oder Schwes­ter, man weiß es nicht. Sie schwärmt von der Frem­de, vom Rei­sen und oft – man glaubt sei­nen Ohren kaum zu hören – von Deutsch­land. Hier und da wirkt es bei­na­he so, als wür­de Sang-soo die deut­sche „Tugend“ des Exo­tis­mus umdre­hen und uns iro­nisch vor Augen füh­ren, wel­che fern­öst­li­chen Bana­li­tä­ten wir häu­fig zu gro­ßer Poe­sie erklä­ren. So schwenkt die Kame­ra ein­mal auf ein beschau­li­ches, aber unauf­fäl­li­ges Restau­rant in einem Park wäh­rend Young-hee begeis­tert erklärt, dass es aus­se­he wie in einem Mär­chen. In den Bil­dern von Süd­ko­rea gibt es kaum sol­che Idyl­le (mal abge­se­hen vom Meer). Jedoch kann man davon aus­ge­hen, dass die­ser Blick auf Deutsch­land mehr über Süd­ko­rea sagen soll, als über Deutsch­land. Die Kard­rie­rung von Sang-soo betont immer wie­der eine Schön­heit, die nicht ganz wirk­lich wirkt, aber glaub­haft. Er stellt bewusst die Fra­ge, ob die Wahr­neh­mung nicht wich­ti­ger ist als die Rea­li­tät. Es geht hier auch um die Umar­mung einer mög­li­chen Flucht vor dem eige­nen Leben, der zum Teil bit­te­ren Lie­bes­er­klä­rung an das Frem­de an sich, die auf den See­len­zu­stand von Young-hee zurück­zu­füh­ren ist. Es gefällt ihr in Deutsch­land, weil sie anonym ist. Sie lässt etwas hin­ter sich. Für das Kino von Sang-soo lässt sich wohl ähn­li­ches sagen.

Als sie und ihre Beglei­te­rin spä­ter im Park von einem Mann ange­spro­chen wer­den – einer die­ser merk­wür­di­gen Schat­ten­män­ner des Films – flie­hen sie vor sei­ner Prä­senz, viel­leicht auch vor sei­ner, ihnen bekann­ten Spra­che. Ein wei­te­rer oder der­sel­be unbe­kann­te Mann wird Young-hee an der Nord­see davon­tra­gen, Spä­ter in Süd­ko­rea taucht ein sol­cher Schat­ten­mann als Fens­ter­put­zer vor dem Hotel­zim­mer auf. Nur dort scheint er nicht bemerkt zu wer­den, was eini­ge zur Inter­pre­ta­ti­on geführt hat, dass es sich bei ihm um eine Per­so­ni­fi­ka­ti­on des Todes hält. Auf­fäl­lig ist aber, dass er am Ende kei­nen Kon­takt mehr zu den Figu­ren sucht. Daher könn­te man ihn eher als ein Sinn­bild der öffent­li­chen Hetz­jagd gegen Sang-soo ver­ste­hen. Erst will er zugrei­fen, aber die Prot­ago­nis­tin flieht, dann packt er sie doch und schleppt sie zurück nach Süd­ko­rea und schließ­lich inter­es­siert er sich nicht mehr, ver­sperrt aber für alle Zeit den Blick aufs Meer, die mög­li­che Schön­heit. Man kann sie nicht berüh­ren. Wozu aber sol­che Interpretationen?

On the Beach at Night Alone

„Wach auf!“: In den 54 Ein­stel­lun­gen des Films fin­den sich gewohnt vie­le Zooms und repe­ti­ti­ve Ele­men­te. Aller­dings arbei­ten die Wie­der­ho­lun­gen nicht nach einem stren­gen for­ma­len Prin­zip, sie wir­ken wie vie­les im Film impro­vi­siert. For­ma­le Stren­ge sieht anders aus. So kreu­zen immer wie­der Figu­ren hin­ter Fens­tern das Bild. Das sehen wir zum ers­ten Mal im Park in Ham­burg, als Young-hee und ihre Beglei­te­rin auf­fäl­lig nahe an der Kame­ra vor­bei­wi­schen. Es wie­der­holt sich am Nord­see­strand, den Young-hee und ihre Beglei­te­rin gemein­sam mit den Kunst- und Film­freun­den Bet­ti­na Stein­brüg­ge und Mark Per­an­son besu­chen. Dort kreu­zen drei Figu­ren das Bild, denn Young-hee fehlt. Sie ver­liert sich im Meer. Spä­ter kreu­zen zwei anony­me Gestal­ten vor einem Café in Süd­ko­rea das Bild hin­ter einer Schei­be. Auch am Meer in Süd­ko­rea wie­der­holt sich die­ses Spiel. Es ist der Vor­gang des Pas­sie­rens, des Nicht-Inne­hal­tens, der Sang-soo hier zu inter­es­sie­ren scheint. Auf­fäl­lig ist auch im Ver­gleich zu sei­nen ande­ren Wer­ken der beton­te Ein­satz von Glas­fas­sa­den, man könn­te von ver­sperr­ten Bli­cken spre­chen oder zumin­dest von der Unmög­lich­keit des Berüh­rens. Im Hotel in Süd­ko­rea lässt Sang-soo sogar eine Ver­for­mung der durch einen Spie­gel betrach­te­ten Kör­per sei­ner Figu­ren zu. Das Glas erzählt eben auch von dem Spie­gel auf das Leben.

Als Young-hee mit ihrer Beglei­tung auf einem Bal­kon raucht, erzählt die­se von der not­wen­di­gen Ein­sam­keit in ihrem Leben. Es ist eine die­ser vie­len mora­lisch-phi­lo­so­phi­schen und psy­cho­lo­gi­schen Defi­ni­tio­nen der Lie­be, die den Film heim­su­chen. Zusätz­lich ist es eine der zahl­rei­chen Modi der Ein­sam­keit, die Hongs Figu­ren durch­le­ben und in ihren Dia­lo­gen zu fas­sen ver­su­chen. In Süd­ko­rea sitzt die Prot­ago­nis­tin mit Freun­den (zwei Pär­chen) beim Essen. Grö­ße­re Essen­sze­nen bedeu­ten im Kino oft, dass inti­me Wahr­hei­ten ans Licht kom­men. (Bei Sang-soo hängt das auch immer mit dem Trin­ken zusam­men.) Sang-Soo glei­tet mit unheim­li­cher Effi­zi­enz von der sanf­ten Pein­lich­keit eines Small-Talks in die Offen­ba­run­gen von inne­ren Nar­ben. In die­sem Fall dreht sich das Gespräch zunächst um das Älter­wer­den. Eini­ge schlech­te Wit­ze wer­den gemacht. Das Gespräch schwenkt (die Kame­ra nicht) auf ihre Zeit in Deutsch­land über. Sie berich­tet von ihrer Ein­sam­keit und ihren kur­zen Bekannt­schaf­ten dort. Dann sagt sie, dass sie die­se Affä­ren und Lie­bes­ge­schich­ten nicht mehr wol­le, sie wür­de lie­ber wür­de­voll ster­ben. In dem Augen­blick zoomt die Kame­ra auf sie und erhöht damit den Druck beim Sehen. Ist es so, dass in die­sem State­ment eine Wahr­heit liegt oder zeigt uns die Kame­ra etwas, dass unter dem Gesag­ten ver­bor­gen liegt. Das wür­de­vol­le Allein­sein, das Young-hee auch von ihrer Bekann­ten aus Deutsch­land über­nom­men hat, hängt mit dem ver­dräng­ten Begeh­ren zusam­men, die ent­täusch­te Lie­be, die sich selbst hilft mit theo­re­ti­scher Wür­de. Sang-soo wider­spricht der Film­schul­gram­ma­tik, nach der Ein­sam­keit immer etwas mit dem Ent­fer­nen der Kame­ra zu tun hat (die Idee dabei wäre, dass man eine Figur iso­liert im Raum zeigt). Statt­des­sen kommt er näher. Die Fra­ge steht im Raum: Ist Ein­sam­keit würdevoll?

On the Beach at Night Alone

„Wach auf!“: Ehe man sich ver­sieht, küs­sen sich zwei Frau­en am Tisch. Auch das ande­re Pär­chen küsst sich. Nur der Mann der einen Frau bekommt kei­nen Kuss, als er danach fragt. Die Sequenz endet als Young-hee und ihre Freun­din hin­ter dem Fens­ter kreu­zen und die Män­ner im Vor­der­grund ein Gedicht über die Ent­sa­gung von der Lie­be rezi­tie­ren. In jeder mög­li­chen Nähe des Films ver­steckt die Kadrie­rung bereits die zu erwar­ten­de, fol­gen­de Ein­sam­keit. Das zeigt sich zum Bei­spiel bei einer Ver­ab­schie­dung am Park­platz des Hotels, an dem Young-hee sich spä­ter in Süd­ko­rea zurück­zieht. Das Bild scheint nur dar­auf zu war­ten, sich zu lee­ren. Es ent­fes­selt sei­ne vol­le Kraft erst, wenn alle bis auf Young-hee den fil­mi­schen Raum ver­las­sen haben. Die Bild­ge­stal­tung zielt auf das, was kom­men wird, nicht auf das, was wir sofort sehen. Nicht nur des­halb kann man sagen, dass Sang-soos Blick ein Gewis­sen hat. Es ist das Gewis­sen einer Erwar­tung, die in sei­nem Fall eben mit Erfah­run­gen zusam­men­hängt. Unter die­sem Aspekt bekom­men auch die das Framing kreu­zen­den Figu­ren eine neue Note zuge­fügt, denn auch sie ver­las­sen das Bild, las­sen es allei­ne ste­hen. Das führt einen zur auf­fäl­ligs­ten Ein­stel­lung des Films. Sie ist nicht auf­fäl­lig, weil etwas an ihr nach Auf­merk­sam­keit sucht, son­dern weil sie wie ein­ge­scho­ben wirkt und nicht zur rest­li­chen Bild­spra­che pas­sen will: Nach­dem Sang-soo sei­ne Prot­ago­nis­tin zum zwei­ten Mal hin­ter einer Toi­let­ten­tür (zum ers­ten Mal geschieht das in der Woh­nung von Steinbrügge/​Peranson) erahnt, schnei­det er auf ein Bild vom Meer hin­ter Glas. Die Kame­ra zoomt in einem stil­len Moment dar­auf zu. Kei­ne Figu­ren, kein Satz gespro­chen. Der Blick ist nur zum Teil ver­stellt. Es ist ein Sehn­suchts­bild, etwas das nach drau­ßen will. Hier iden­ti­fi­ziert sich der Blick der Kame­ra mit jenem der Prot­ago­nis­tin. Die schein­ba­re Neu­tra­li­tät der Beob­ach­ter­per­spek­ti­ve wird in die­sen Sekun­den aufgehoben.

Wel­che Sehn­sucht ist das? Jene nach Berüh­run­gen, nach dem Tod oder gar jene nach dem Ver­schwin­den? Sowohl in Ham­burg als auch in Süd­ko­rea mal Young-hee das Gesicht eines Man­nes mit einem Ste­cken in den Sand. Es sind die­se Bil­der und Fik­tio­nen, die wei­ter arbei­ten in uns und den Figu­ren. So ver­bin­det On the Beach at Night Alo­ne sei­nen Ham­burg- und sei­nen Süd­ko­rea-Teil auch über das Kino, eine der gro­ßen Bil­der­ma­schi­nen. Nach einer Titel­se­quenz in der Mit­te des Films sitzt Young-hee in gera­de zu erah­nen­der Dun­kel­heit in einem Kino. Mit Trä­nen. Man ist sich nicht ganz sicher, ob sie dort den ers­ten Teil des Films gese­hen hat. Die­se dop­pel­ten Böden wer­den am Ende ver­stärkt, als ihr am Strand wie­der­holt gesagt wird, dass sie auf­wa­chen sol­le. Als sie schließ­lich tat­säch­lich auf den Fil­me­ma­cher trifft (im Rah­men eines wei­te­ren gro­ßen Essens mit dem Film­team), scheint die­ser nur in der Lage sei­ne Gefüh­le zu for­mu­lie­ren, in dem er sich an Spie­ge­lun­gen und Abs­trak­tio­nen bedient. Es geht eigent­lich allen Figu­ren im Film so und Sang-soo zeigt immer zugleich die not­wen­di­ge Fik­ti­on als auch die Mensch­lich­kei­ten, Pein­lich­kei­ten und Grau­sam­kei­ten, die dafür nötig sind. Es geht dem Fil­me­ma­cher um die fal­schen Umstän­de einer mög­li­chen Lie­be. Die Lüge, die immer in der eigent­lich not­wen­di­gen Wahr­heit schwimmt. Er kün­digt erst an, einen Film über eine Per­son zu machen, die er mal geliebt hat. Schließ­lich liest er aus einem Buch vor:

„Es ist Zeit, sich zu tren­nen. Als sich unse­re Augen in die­ser Hüt­te getrof­fen haben, hat uns unse­re Zurück­hal­tung ver­las­sen. Ich habe sie in mei­ne Arme genom­men. Sie hat ihr Gesicht gegen mei­ne Brust gedrückt. (hier zoomt die Kame­ra auf den Fil­me­ma­cher) Trä­nen flos­sen aus ihren Augen. Im Küs­sen ihres Gesichts, ihrer Schul­tern und trä­nen­ge­tränk­ten Hän­de, waren wir wirklich…unglücklich. Ich gestand ihr mei­ne Lie­be und muss­te mit schmer­zen­den Her­zen ein­ge­ste­hen wie belang­los, unnö­tig und trü­ge­risch alles war, was uns am Lie­ben hin­der­te. (Schwenk zu Young-hee) Wenn man liebt, müs­sen die Grün­de für die­se Lie­be die höchs­ten sein. Der Aus­gangs­punkt die­ser Lie­be muss jen­seits von Glück oder Unglück, Sün­de oder Tugend sein. (Schwenk zurück zu ihm) Sonst muss man gar nicht damit begin­nen, zu über­le­gen und argumentieren.“

In einer frü­he­ren Sze­ne singt Young-hee rau­chend vor einem Café:

„Wenn der Wind bläst und der Him­mel dun­kel ist, wenn ich mich nach dei­nem Anblick seh­ne. Wenn der Wind bläst und ich mich trau­rig füh­le, ich an dei­ne Schön­heit den­ke. (Zoom auf sie) Geht es dir gut? Lebst du ein glück­li­ches Leben? Kannst du mein Herz sehen? War­um füh­le ich mich so? Kannst du mein Herz sehen? War­um füh­le ich mich so?»

Am Ende des Films hört man ein Schluch­zen und sieht ein Verschwinden.

On the Beach at Night Alone