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„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Land of the Dead: Over the Red Top: Carrie und Suspiria

Am zweiten Tag wartete das Österreichische Filmmuseum im Rahmen seiner “Land of the Dead” Retrospektive mit zwei Filmen, die ich zu meiner Schande bis dato noch nicht gesehen hatte: „Carrie“ von Brian De Palma und „Suspiria“ von Dario Argento. Die Programmierung dieser beiden Filme nebeneinander entwickelte eine sehr eigenwillige Dynamik, die voller Spuren des Genres war und mich dennoch heillos überforderte. Das liegt schlicht daran, dass beide Filme mit ihrer Over-the-Top Brachial-Stilisierung einem derart manipulativ ins Gesicht schreien, dass ich als Fremder des Horrorfilms irgendwann Wahrnehmungsprobleme bekam. Aber vielleicht zielen die Filme auch genau darauf. Ich werde wieder einige allgemeine Betrachtungen zum Horrorgenre und dessen Wirkung auf mich anstellen.

Weiches/Hartes Rot

Suspiria

Ein zartes und hartes rot (bei De Palma ist es manchmal mehr rosa als rot) beherrscht beide Filme. In „Carrie“ beginnt das schon bei der Haarfarbe der Protagonistin und vieler Protagonisten (Romain Gavras was watching…) und geht weiter in die schulischen Räume und finden ihren Höhepunkt natürlich im Schweineblut, das in der Prom-Night über die junge Frau, die im Inbegriff war, sich zu finden, geschüttet wird und eine übersinnliche Katastrophe auslöst. Dieses Blut findet sich bereits in der ersten Szene, in der De Palma den Zuschauer von Shampoo-Erotik in einen kurzen Moment des Schauderns wirft, bevor er sein soziales Mobbing-Thema im Film platziert. Carrie White, erzogen von einer manisch katholischen Mutter, hat ihre Menstruation bekommen und weiß nicht damit umzugehen. Sie ist ein Mobbingopfer, eine Außenseiterin. Aber niemand ahnt, dass sich mit ihrer Menstruation auch dunkle Kräfte in der werdenden Frau, die von einer tollen Sissy Spacek gespielt wird, entstehen. Es gibt keinen diegetischen Grund für die Dominanz von rot hier, es ist eine Frage der Stimmung und des Stils. De Palma taucht fast seinen gesamten Film in dieses weiche rot und unterstützt sich mit seiner Vorliebe für Split Diopter Lenses, die es ihm ermöglichen das Staubkorn im Bildvordergrund und den Komparsen in der hintersten Ecke scharf zu halten. (In seinem „Blow Out“ perfektionierte De Palma dieses Vorgehen). Dabei schwebt seine Kamera genauso weich wie die rote Farbe. Die virtuosen Fahrten durch die Räume, die wohl in der Prom-Night ihren definitiven Höhepunkt erlebt als die Kamera zunächst immer schneller um das tanzende Paar kreist (auch diese Einstellung sollte De Palma in „Blow Out“ perfektionieren) und dann den Spuren des Schweinebluts folgt, um den Suspense bis zum Anschlag zu spannen, sind der stilistische Höhepunkt des Films.

Carrie3

In beiden Filmen wird das Rot weggewischt. Carrie badet nach ihrem Blutbad in Wasser (zuvor eine wunderschöne Einstellung ihrer Füße neben dem blutdurchtränkten Handtuch) und Suzy, die Protagonistin in Dario Argentos „Suspiria“ versucht den merkwürdigen Wein, der ihr in der mysteriösen und gefährlichen Tanzschule jeden Abend gebracht wird, in das Waschbecken zu schütten. Allerdings klebt die Flüssigkeit mehr an den Rändern des Waschbeckens, als darin zu verschwinden. Bei Argento steht ein surrealer Bilderreigen, der sich immer wieder neu findet und dennoch einer inneren Logik zu gehorchen scheint, über dem Gesamtrot von De Palma. Natürlich schulden beide Filmemacher ihren Abflussfetisch Alfred Hitchcock, der das Ganze in „Psycho“ ja bekanntermaßen ohne die Farbe selbst gemacht hat. Dennoch ist dieses Bild bei ihm eindrücklicher rot und ich beginne ein wenig zu verstehen, warum Lav Diaz sich auch Farbfilme gerne in Schwarz/Weiß ansieht. Ansonsten gibt es bei Argento eine Menge Kunstblut, das sich in meiner Erinnerung wie laute Spritzer über den Film verteilt. Und es gibt einen Red Room, einen Übungsraum für die jungen Tänzerinnen, der während meiner Betrachtung die Prom Night heraufbeschwört. Die auffälligste Verwendung von Farbe in „Suspiria“ und vor allem von Rot findet sich jedoch in einer Art Horrormotivik, die Wände beleuchtet wie normal nur Filmmusik agiert. Der Horror scheint sowieso die ganze Zeit aus dem Film selbst zu entstehen und nicht aus seiner Geschichte. Es sind Lichter im Hintergrund, Lichter im Vordergrund, die verstörende Kultmusik der Goblins, eine plötzliche Supertotale, ein POV-artiges Heranfahren, die Dunkelheit…J. Hobermann hat zurecht bemerkt, dass der Film mehr Sinn für das Auge als für das Gehirn macht. Jedenfalls tauchen einzelne, farbige Spotlights an den Wänden auf im Moment des Horrors. So tanzen rote Schatten auf den angstgefrorenen Gesichtern. Irritierenderweise versetzen mich solche Szenen nicht in einen Zustand des Horrors sondern holen mich aus dem Horror heraus, denn ich sehe plötzlich einen jungen Italiener hinter der Kamera, der das Licht anschaltet. Einen viel stärkeren Horroreffekt erzielt beispielsweise Chantal Akerman mit einem ähnlichen Einsatz einer einzelnen Lichtquelle in „Jeanne Dielman, 23 Quai du Commerce, 1080 Bruxelles“. Ein nur vielleicht gewagter Vergleich. Die Künstlichkeit der unterschiedlichen expressionistischen Farbpalletten erzeugt ein Meta-Gefühl für das Genre. Licht und Dunkelheit und die unnatürliche Kraft von Farben sind voller Bedeutung für den Horror. Man kann „Suspiria“ wohl am besten als Farbflut bezeichnen. Ein spezieller Technicolor-Entwicklungsprozess ermöglichte Argento ein dreigeteiltes Farbmuster aus Grün, Rot und Blau. Eine mögliche Interpretation liegt in der psychedelischen Hexenkraft, die den Film ab der Ankunft in der Tanzschule heimsucht.

Suspiria3

In diesem Haus, dass immer wieder an das Schloss in Jean Cocteaus „La Belle et la Bête“ erinnert, spielen auch beim Film selbst die Farben verrückt. Doch dort wo Cocteau einen ausgeprägten Schönheitssinn aufweist, ist Argento ein Holzhammer, da seine nicht zu leugnende Sensualität nicht aus den Figuren und ihren Bewegungen kommt, sondern aus der schieren Überfüllung. Einen Schönheitscredit vermag man Argento noch für die Zulawski-artige Betonung der Farbe hinter den Pupillen geben (wobei Zulawski sich da womöglich von Argento hat inspirieren lassen…). Die Überfüllung entsteht natürlich auch durch die Doppelprogrammierung zweier Filme, die ganz bewusst over the top gehen, die hysterisch schreien und den Horror in seine expressivsten Art im Kino explodieren lassen. Ich habe den Eindruck, dass der Ton in „Suspiria“ ein wenig lauter als gewöhnlich ist im Filmmuseum. Das erscheint mir etwas unnötig, weil ich schon bei Filmen im Haus gesessen bin, bei denen jeder Ton zählte und erzählte, die fast zu leise gespielt wurden und nun dieser sowieso schon laute Film, bei dem es oft schlicht darum geht, dass es verstörend und laut ist, aber nicht um die Nuancen im Ton, so gespielt wird, dass ich alle fehlenden Nuancen höre. Natürlich gehört sich das trotzdem so, weil Argento eben laut gehört. Die euphorischen Argento-Jünger im Kino würden mir da Recht geben. Das bewusste Über-das-Ziel-hinaus-schießen bewirkt auch ein hohes komödiantisches Potenzial. Vor allem bei „Carrie“ sind viele Schmunzler und Lacher dabei, die sich aus dem Verhalten der Figuren im Verhältnis zur Kamera vollzieht. De Palma zeigt sich als wunderbarer Beobachter von stilisierten Teenage-Klischees. Dagegen entstehen Lacher bei Argento vor allem aus harten Schnitten nach Schockern. Insbesondere der Schnitt auf bayrische Schuhplattler hat es in sich. Außerdem entsteht ein Humor aus der Irrationalität des Verhaltens der Figuren (die Nonchalance mit der Suzy ihr Getränk trinkt, die Gespräche unter den Tänzerinnen) und der Absurdität mancher Brutalität wie die Attacke einer Fledermaus oder den merkwürdigen Blicken des rumänischen Bediensteten. Dasselbe gilt natürlich auch für den Einsatz von Farbe, der eben einem expressionistischen statt einem natürlichen Ideal folgt.

Suspiria2

Während rot bei De Palma eine weiche Farbe ist, erscheint sie bei Argento hart. Die Kamerabewegungen von Argento sind deutlich abrupter, er ist getriebener als der souveräne De Palma, der über der Welt und seinem Publikum schwebt. Das bedeutet nicht, dass Argento nicht weiß, was er tut, sondern lediglich, dass er mehr an den Horror glaubt und De Palma mehr an sich selbst und Alfred Hitchcock.Rot ist in beiden Filmen eine Farbe des Horrors. Allerdings ist die Farbe sowohl bei De Palma als auch bei Argento von außen auf die Filme geklatscht. Sie ist ein offensichtliches Stilmittel und kommt nicht aus der Seele der Figuren, aus dem Horror in ihnen selbst. Das liegt zum einen an der Exploitation-Nähe des Blutes selbst und zum anderen am manipulativen und selbstreferentiellen Stil der beiden Regisseure. Eigentlich funktionieren diese Filme mehr wie Pat O’Neill artige Spiele mit der Publikumserwartung als ein narratives Kino, das sich mit der äußeren Welt beschäftigt. Hier stoße ich an meine Grenzen, denn ich befinde mich nun mal im fotorealistischen Camp der Filmbetrachtung und des Filmschaffens. Mir ist bewusst, dass Film immer Fiktion ist, aber diese Fiktion setzt sich aus dokumentarischen Teilen zusammen. Um frei Gilberto Perez zu zitieren: Das Licht der Kamera ist Dokumentation, jenes des Projektors ist Fiktion. Bei De Palma und Argento spielt der dokumentarische Charakter keine Rolle, sie haben kein Interesse an einer Welt, die sie nicht beherrschen können. Einzig in seinen komödiantischen Szenen, vermag De Palma ein solches Gefühl zu evozieren. Die Tatsache, dass „Suspiria“ in Deutschland spielt, hat schlicht keine nennenswerte Bedeutung. Sie verrät das Desinteresse von Argento für die Welt. Ich spüre sie die ganze Zeit wie kleine Teufel hinter der Leinwand, die mich und meinen Blick lenken. Die Künstlichkeit ihrer Filme, die ich prinzipiell mag, entsteht nicht aus einer Weltsicht sondern aus einer auf das und vor allem im Fall von De Palma gegen das Publikum gerichteten Idee. Dasselbe gilt für den Einsatz von Rot. Wie bei abstrakten Avantgarde-Künstlern gibt es keine Welt sondern nur die Welt des Films bei ihnen. Ich verstehe Cristi Puiu, wenn er sagt, dass er seinen Studenten auch vermittelt, dass sie nicht nur Filme sehen sollen. „Suspiria“ und „Carrie“ sind derart filmische Filme, dass sie die filmischste Eigenschaft von Film ignorieren: Ein Dokument der Welt zu sein. Ich bin mir bewusst, dass das ein wenig gezwungen und prinzipienhaft ist und ich will damit nicht sagen, dass diese Filme schlecht sind oder kunstlos. Aber sie sind redundant und können mich nicht über ihre Existenz im Kinosaal hinaus bewegen. Sie langweilen mich mit ihren aufgesetzten Blicken und ihrem fehlenden Beobachtungssinn. Sie sind Genremasturbationen. Ich will Zeit haben für meinen Blick, ich will nicht gelenkt werden. Ich fühle mich sowohl in „Carrie“ wie in „Suspiria“ vergewaltigt, die Filmemacher haben mich nicht respektiert. Ich respektiere ihre Qualität, aber hinterfrage ihre Ethik. Gut, dass es sowas gibt, denn sonst würde ich vergessen wie sich der wahre Horror in Rot in Ingmar Bergmans „Viskningar och rop“ und Michelangelo Antonionis „Il deserto rosso“ anfühlt.

Carrie2

Nein, ich weiß: Nicht jeder Film darf, muss, soll, kann so sein wie man es sich selbst vorstellt, die Filmkultur ist viel zu reich, um sie mit Prinzipiendenken zu erfassen, um sie auch wirklich genießen zu können. Ich glaube, dass jeder der das Kino liebt auch diese Filme liebt. Sie sind so reich an Form, Farben, Bewegungen, Geräuschen und Emotionen. Zudem sind sie unheimlich inspirierend, angefangen vom unfassbaren Szenenbild in „Suspiria“, zu dem Ausharren von Zeit in „Carrie“ bis zu den Bildikonen, die beide Filme schaffen und weitertragen. Beide Filme werden von hochinteressanten musikalischen Kompositionen begleitet und man wird in eine Trance des gefangenen Blicks geleitet. Meine ethischen Betrachtungen sind selbst in sich gefangen und redundant. Sagen sie etwas über das Wesen des Horrors aus? Vielleicht steht am Ende dieser beiden Werke, dass Horror immer eine liebevolle Hingabe des Zusehers verlangt, ein Vertrauen und ein eskapistischer Rausch in uns.

Vielleicht war diese Frontalprogrammierung zweier derart schreiender Horrorfilme auch zu viel für mich? Vielleicht habe ich verlernt, unschuldig Filme zu sehen? Vielleicht ist das gut so? Vielleicht mag ich Kino nicht? Vielleicht sind diese Filme nicht unschuldig? Vielleicht ist das gut so? Vielleicht habe ich doch Recht? Vielleicht stimmt alles, vielleicht stimmt nichts.