Die Woche der Kritik eröffnet wie letztes Jahr einen Tag vor Beginn der Filmvorführungen mit einer Diskussion zum Stand des Weltkinos. Das Thema: „Lost in Politics – Müssen Filme politisch sein?“ Nino Klingler leitet den Abend mit einigen Thesen zu Politik und Kino ein. To set a mood. Was kann politischer Film sein in Zeiten, in denen keiner mehr weiß, was politisch ist? Wenn sich die konkreten Fragen nicht mehr in einen gemeinsamen politischen Horizont einordnen lassen, was kann dann der Film leisten? Lost in Politics. Das ist die stehende Grundannahme. Klingler steht vorne im Spot und teilt auf:
Filme, die meinen, aufgrund ihres Themas politisch zu sein, Filme, die Angst vor Kunst haben, oder die ihre Kunst durch das Behandeln von sozialen Thematiken legitimieren, Filme, die immer schon wissen, was sie wo zu suchen haben und die vorgestellten gesellschaftlichen Brüche genau dort dann auch finden, Filme, die Moral und Politik verwechseln, die den Status quo reproduzieren, Filme, die produziert werden, auf Festivals gewinnen und kritisch beachtet werden.
Andere Filme, die ästhetisch widerständig sind, die überraschend fündig werden, Filme, die nicht in vorgestanzte Diskurslücken passen, die sich wehren gegen eine Vereinnahmung, die außen vor bleiben, Filme, die sich für Alle und nicht nur für die eine Minderheit interessieren, für Alle als Zustand der Welt, die Brüche zwischen Menschen rückgängig machen oder zumindest die klaren Trennungen verwischen, Filme, die den Status quo transformieren und ihre Themen transzendieren, Filme, die nicht (genug) produziert werden, die nicht (genug) auf Festivals gewinnen und von der Kritik nicht (genug) gewürdigt werden.
Die meisten Thesen von Klingler würde ich unterschreiben – so wie wohl viele andere im großen Raum des Silent Green in Berlin-Wedding. Aber wenn gilt: Nino Klingler These #9: Cinema is political when it irritates separations, wie kann man dann darüber sprechen? Sicher nicht, indem man aufteilt und trennt. Die polemische Teilung von Filmen in Themenfilme und genuin ästhetisch-politisches Kino mag oft eine notwendige pragmatische Maßnahme sein, um auf konkrete Probleme in der Filmfinanzierung, – Förderung und – Vermarktung zu reagieren, um darüber reden zu können welche Filme aus welchen Teilen der Welt zu den großen Festivals eingeladen werden und um die Rolle der Filmkritik in diesem Komplex zu verstehen. Aber in der folgenden Diskussion wird deutlich, dass eine große Gefahr für die Kritik selbst darin liegt, zu unterscheiden: zwischen dem, was als Themenfilm verdammt wird und dem, was man eine Politik des Ästhetischen nennen mag. Denn die erkenntnistheoretische Grundlage dieser Unterscheidung ist eine Trennung von Form und Inhalt, die das Politische in seiner Transgression verfehlen muss, auch weil sie gleichsam die Art und Weise verfehlt, in der Film Bedeutung hervorbringt. Es gibt kein Nacheinander von Form und Inhalt, und das Politische liegt dazwischen. Vielleicht muss eine Filmkritik, die das Politische selbst in den Filmen treffen will – und nicht nur politisch sein will, indem sie die ‚richtigen‘ Filme unterstützt und die ‚falschen‘ ablehnt – die tradierte Trennung der Fragen nach dem Was? und dem Wie? überwinden und damit eine der Grundlagen des analytischen Denkens zumindest für einen Moment aussetzen. Das heißt: es gilt eine sprachliche Form zu finden, die in die Tiefenstrukturen des filmischen Bildes einzudringen vermag, indem sie dessen Form und dessen Inhalt in einer quasi literarischen Weise im selben Moment hervorbringt. Gedichte über Filme schreiben? Oder gar nicht drüber schreiben. Als Athina Rachel Tsangari nach der Hälfte der Diskussion zur Grundfrage nach dem Politischen im Film meinte: „We should stop asking these questions“, hat sie exakt diese Unmöglichkeit des Unterfangens berührt. Die Idee einer literarischen Filmkritik muss in dem Bewusstsein der Nicht-Identifizierbarkeit des Politischen utopisch sein. Doch haben wir eine Andere?