Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Die bauliche Maßnahme von Nikolaus Geyrhalter

Diagonale 2018: Vom Zeitbezug

Ob das im Kino nun schon immer so war oder ob es eine Fra­ge nach­träg­li­cher Ein­drü­cke ist.
Ob beson­de­re und/​oder pro­ble­ma­ti­sche poli­ti­sche Situa­tio­nen ein Kino der Aktua­li­tät, des Zeit­be­zugs, der kri­ti­schen Gesell­schafts­re­ak­ti­on fördert.
Ob bestimm­te För­der­struk­tu­ren zu einem Kino füh­ren, dass in man­cher­lei Hin­sicht bei­na­he News­re­el-Qua­li­tä­ten aufweist.
Ob das Kino immer im Jetzt ver­an­kert ist.
Die Dia­go­na­le 2018 mach­te ein ein­drück­li­ches State­ment dafür.
Hat sich des­halb was verändert?

Zwei Bei­spie­le gro­ßer Namen des öster­rei­chi­schen Films: Ruth Becker­mann und Niko­laus Geyr­hal­ter. Bei­de waren mit fas­zi­nie­ren­den doku­men­ta­ri­schen Arbei­ten auf dem Fes­ti­val ver­tre­ten. Becker­mann mit ihrer trei­ben­den Found-Foo­ta­ge-Arbeit Wald­heims Wal­zer und Geyr­hal­ter mit sei­ner Bestands­auf­nah­me rund um den geplan­ten oder ange­droh­ten Zaun­bau am Bren­ner, Die bau­li­che Maß­nah­me.

Waldheims Walzer von Ruth Beckermann
Wald­heims Wal­zer von Ruth Becker­mann (© Ruth Becker­mann Film)

Auf den ers­ten Blick also zwei sehr unter­schied­li­che Arbei­ten mit zwei ver­schie­de­nen Bezie­hun­gen zur Zeit. Zunächst Geyr­hal­ter, der tat­säch­lich ver­sucht im Hier und Jetzt zu ope­rie­ren, der den poli­ti­schen Gescheh­nis­sen vor Ort folgt und sei­ne Kame­ra dem Dik­tat der Zeit unter­wirft. Zu die­sem Dik­tat gehört auch – und das zeich­net den Film gewis­ser­ma­ßen aus – ein Dis­kurs, der Gesprä­che zwi­schen Links und Rechts for­dert. Die bau­li­che Maß­nah­me ist ein Stück Direct Cine­ma, aber er wirkt sehr über­legt, fast vor­sich­tig (wenn auch sehr ehr­lich) im Aus­ta­rie­ren zwi­schen dem, was man fin­det und dem, was man dar­über vor­her zu wis­sen meint. Sein Prin­zip ist das Gespräch, das Erklä­ren und Nach­fra­gen. Mit erstaun­li­cher Objek­ti­vi­tät folgt Geyr­hal­ter die­sen Mög­lich­kei­ten, durch die eine Hal­tung scheint, ohne sich je über den Film zu stül­pen. An sei­nen bes­ten Stel­len zeigt er tat­säch­lich ein mög­li­ches Zusam­men­sein an, einen ande­ren Blick auf die fest­ge­fah­re­ne und durch die Absur­di­tät des Maschendraht-(kein Stacheldraht-)Zauns auf den Punkt gebrach­te poli­ti­sche Situa­ti­on Öster­reichs. Es ist natür­lich auch des­halb aktu­ell, weil sich nicht wirk­lich was geän­dert hat.

Von dem, was sich nicht wirk­lich geän­dert hat, han­delt auch Wald­heims Wal­zer. Becker­manns Arbeit beleuch­tet den Mann und den Fall Kurt Wald­heim und die soge­nann­te Wald­heim-Affä­re in den 1980er Jah­ren. Eigent­lich ein recht gro­ßer Schritt in die Ver­gan­gen­heit und den­noch ein Film vol­ler Zeit­be­zug. Die bequem­li­che Opfer­rol­le Öster­reichs im Bezug zu den Ver­bre­chen des Zwei­ten Welt­kriegs wur­de in jener Zeit erst­ma­lig erschüt­tert. Ein unprä­zi­ser, sich win­den­der, sofort falsch wir­ken­der Umgang mit der eige­nen Nazi-Ver­gan­gen­heit ent­blät­tert sich Stück für Stück an Wald­heim. Becker­mann wählt einen für sie über­ra­schend gerad­li­ni­gen Zugang, der mit mal tro­cke­nen, mal wüten­den, mal poin­tier­ten Fin­ten durch die Geschich­te führt. Es ist ein Film der Fak­ten­treue, aber unter die­sen Fak­ten lodert ein Feu­er, das man gar nicht aus­spre­chen muss. Es hat mit Ana­lo­gien zu tun, mit Zeit­be­zug. Auch die­ser Film ist natür­lich des­halb aktu­ell, weil sich nicht wirk­lich was geän­dert hat. Selbst wenn das etwas unscharf for­mu­liert ist, man kann sich im Gro­ben doch dar­auf einigen.

Nun ist es für gewöhn­lich bei­na­he immer so im Kino, das es einen bewuss­ten oder unbe­wuss­ten Bezug zur Zeit gibt. Vie­le Fil­me­ma­cher in Graz und eben auch Geyr­hal­ter und Becker­mann gehen da aber noch einen Schritt wei­ter. Sie sehen das Kino als Stim­me im Dis­kurs. Dabei stel­len sie einen ganz bewuss­ten Bezug zur Rea­li­tät und zum poli­ti­schen Dis­kurs her. Becker­mann hat bereits in frü­hen Arbei­ten die Nähe von Akti­vis­mus und Kino prak­ti­ziert, an einer schö­nen Stel­le in Wald­heims Wal­zer sagt sie, dass sie sich ent­schei­den muss­te: Demons­trie­ren oder Doku­men­tie­ren. In man­cher Hin­sicht hat man den Ein­druck, dass das Doku­men­tie­ren bereits ein Demons­trie­ren ist. Es macht sicht­bar, sucht eine Aus­ein­an­der­set­zung, einen Blick, ein Gespräch. Pro­zes­se, die sonst oft gescheut wer­den. Das Kino kann hier auch ein idea­ler Raum wer­den, ein Raum, der vie­les mög­lich macht.

Die Bauliche Maßnahme von Nikolaus Geyrhalter
Die Bau­li­che Maß­nah­me von Niko­laus Geyr­hal­ter (© Geyr­hal­ter Film)

Doch wie schon in Dis­kus­sio­nen rund um das Drit­te Kino in Län­dern wie Alge­ri­en, Argen­ti­ni­en oder Kuba und vie­len For­men des poli­tisch enga­gier­ten Kinos stellt sich auch immer die Fra­ge: Für wen die­se Fil­me? Wie wer­den sie gezeigt? Wo wer­den sie gezeigt? Die Dia­go­na­le scheint trotz oder gera­de wegen ihre tadel­lo­sen Hal­tung zum Kino ein merk­wür­dig flau­schi­ger Ort zu sein. Man kennt sich eben, man ist sich in den gro­ßen Fra­gen auch grund­sätz­lich einig. So ver­fällt man dann beim Sehen der Fil­me und bei ihrem Bespre­chen in pure Spe­ku­la­ti­on, über das, was die­se Fil­me anders­wo bewir­ken könn­ten. Wobei man fest­hal­ten muss, dass dies mehr für Becker­mann gilt als für Geyr­hal­ter. Letz­te­rer bringt näm­lich Stim­men in die Dia­go­na­le, die dort eigent­lich nicht gehört wer­den: Men­schen, die Angst vor „Flücht­lin­gen“ haben, Men­schen, die um ihre Tra­di­tio­nen fürch­ten. Bei Becker­mann dage­gen gibt es mehr Bestä­ti­gung, was im Publik­umgs­ge­spräch zur durch­aus merk­wür­di­gen Beto­nung der Hei­ter­keit des Films führ­te. Frei nach dem Mot­to: Wir wis­sen ja alle, dass das sehr hef­tig war und nicht gut, aber inter­es­sant, dass es so unter­halt­sam und lus­tig gezeigt wer­den kann.

Gegen die­se Ein­stim­mig­keit kann man viel­leicht noch weni­ger tun als gegen die poli­ti­schen Situa­tio­nen. Es gibt natür­lich Fes­ti­vals, auf denen es ande­re For­men von Gesprä­chen gibt, die­se unter­lie­gen aber nicht den Vor­ga­ben eines natio­na­len Fes­ti­vals. Es ist span­nend, in wel­cher Bestimmt­heit sich die Dia­go­na­le zur Zeit posi­tio­niert. Der Spa­gat ist groß. Hier der Auf­ruf zum poli­ti­schen Fes­ti­val, dort die Ver­pflich­tun­gen mit Ver­lei­hern. Hier der Wunsch nach Dis­kurs, dort die gro­ße Par­ty in der Stadt. Nichts davon wider­spricht sich wirk­lich, ein Gefühl des gemein­sa­men „Klap­pe auf“ ent­steht den­noch sel­ten. Viel­leicht auch, weil das Fes­ti­val, so wie Geyr­hal­ter und Becker­mann trotz aller, wirk­lich groß­ar­ti­ger Qua­li­tät, ein wenig zu klug ist. Die Spu­ren sind schon gelegt, sie machen sich selbst bemerk­bar. So sag­te Becker­mann, dass sie die­sen Film „für Öster­reich“ machen woll­te und bringt damit zugleich sich selbst als Zuse­he­rin mit ins Spiel. Die Fil­me­ma­cher wer­den zu ihrem eige­nen Publi­kum, gene­rie­ren bereits den Dis­kurs, das Fes­ti­val arbei­tet zugleich am indus­tri­el­len wie kura­to­ri­schen Zeit­be­zug und alles fließt in den Müh­len einer vor­ge­fer­tig­ten Dis­kurs­land­schaft. Man spricht nicht immer weil man muss, son­dern weil es Q&As gibt.

Nur was könn­te man ande­res erwar­ten? Sol­len Fil­me auch dem Nichts erschei­nen, soll jemand nach Jah­ren aus dem Wald auf­tau­chen und etwas Wert­vol­les brin­gen? Selbst für die kurio­sen Ent­de­ckun­gen gab es mit Olaf Möl­ler den ent­spre­chen­den Kura­tor (selbst wenn sei­ne Ent­de­ckun­gen bere­chen­bar gewor­den sind) auf dem Fes­ti­val. Es ist ja kein wirk­li­ches Beschwe­ren, nur eine Fest­stel­lung, die sich fragt, war­um alles so gut ange­legt, durch­dacht und aus­ge­führt ist in Graz und man trotz­dem nicht das Gefühl hat, dass sich wirk­lich was ändern könnte.