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„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Bewegungen eines nahen Bergs von Sebastian Brameshuber

Diagonale 2019: Bewegungen eines nahen Bergs von Sebastian Brameshuber

Ein „Han­ging-Out-Film» in Rein­kul­tur. Man ver­bringt Zeit mit Cliff, einem Nige­ria­ner in sei­ner Lager­hal­le am Fuße des Erz­bergs in der Stei­er­mark, in der er an Autos her­um­schraubt, sie zer­legt, ihre meta­pho­ri­schen Ein­ge­wei­de aus­nimmt, um sie für den Markt in Nige­ria vor­zu­be­rei­ten. Dazwi­schen wird gekocht, tele­fo­niert, eini­ge Kun­den kom­men vor­bei, wol­len Autos oder Tei­le kau­fen bevor sie nach Nige­ria expor­tiert wer­den. Außer­dem bringt Cliff klei­ne Kärt­chen an par­ken­den Autos an. Die Kame­ra blickt durch die Front­schei­be. Es ist still, man sucht nach einem Film, einer Nähe. In erstaun­li­cher und jeder­zeit zärt­li­cher Geduld beglei­tet die Kame­ra die­sen Mann zwi­schen den Kul­tu­ren. Gefan­gen in der soge­nann­ten Frei­heit, dem Ende einer Skla­ve­rei. In sei­nem drit­ten Lang­film Bewe­gun­gen eines nahen Bergs ver­bin­det Sebas­ti­an Brames­hu­ber die for­ma­lis­ti­sche Stren­ge und kon­zen­trier­te Neu­gier, die sich bis­her in all sei­nen Arbei­ten unter­schied­lich stark aus­ge­prägt getrof­fen haben. Ganz direkt kann man den Film auch als Fort­set­zung zu sei­nem Kurz­film Of Sta­ins, Scrap & Tires ver­ste­hen, aber dazu geht die neue Arbeit eigent­lich zu weit.

Weni­ger stu­diert der Blick der Kame­ra dabei Cliffs Kör­per­lich­keit, als sich aus grö­ße­rer und wohl über­leg­ter Distanz, um die Zeit selbst zu küm­mern. Die­se Zeit ist auch ein Raum. Sie dehnt sich und ver­engt sich in Bewe­gun­gen, die mal eine selbst­ge­nüg­sa­me Fried­lich­keit am Ran­de der neo­li­be­ra­len Hek­tik ent­deckt und mal erstickt inmit­ten kapi­ta­lis­ti­scher Mecha­nis­men einer Ver­ar­mung am gro­ßen Sinn, die sich im Bild der im Staub lie­gen­den Auto­tei­le, die in einer Art Kokon aus Plas­tik nach Nige­ria gebracht wer­den, mani­fes­tiert. Jede Sekun­de mit dem Film ist zugleich Aus­druck einer Erfah­rung der Ein­zig­ar­tig­keit eines Moments sowie einer Mono­to­nie der Zeit. Dazwi­schen gibt es eine Illu­si­on. Sie ver­pufft in die­sem Film hin zu einer Wahr­heit und Ohnmacht.

Bewegungen eines nahen Bergs von Sebastian Brameshuber

Erst nach und nach zeigt Brames­hu­ber mehr von der dem Ort, an dem sein Film zu größ­ten Tei­len spielt. Die Lager­hal­le in der Stei­er­mark ver­liert erstaun­li­cher­wei­se an Leben, je mehr man von ihr sieht. Erst die Tota­le des Ortes offen­bart die wahr­haf­ti­ge Sack­gas­se, die end­gül­ti­ge Stil­le des Nicht-Ortes am Ran­de einer viel­be­fah­re­nen Stra­ße, am Fuße eines Ber­ges, von dem man sich durch­aus fragt, was er zu all­dem sagen wür­de, könn­te er spre­chen. Gäbe es nur ein Echo wäre da nur Lärm. Wie gelenkt die­ser Blick auf Cliff und sein Arbeits­le­ben ist, macht der Fil­me­ma­cher ein­mal mehr als deut­lich, als er Cliff und einen Freund oder Kol­le­gen dabei filmt wie sie über die Paint­bal­l­ak­teu­re spre­chen, die auf dem Gelän­de vor der Lager­hal­le spie­len. Es gibt Schwenks zwi­schen den Spre­chen­den und kei­nen Gegen­schuss auf das, was bespro­chen wird. Erst spä­ter im Film folgt eine Auf­nah­me der Paint­ball­spie­ler. Statt­des­sen folgt nach dem Gespräch ein 360 Grad-Schwenk. Eine gro­ße Ges­te in einem Film, der sich sonst in bewun­derns­wer­ter Zurück­hal­tung übt. Sie macht die Exis­tenz des Bli­cken­den bewuss­ter. Viel­leicht wäre das gar nicht not­wen­dig. Man spürt die­se Prä­senz in der Kon­zen­tra­ti­on des Films an sich. Gleich­zei­tig aber hängt an ihr die Balan­ce des Films, die sich zwi­schen einer recht direk­ten Tat­sa­chen-Beob­ach­tung und einer ins Poe­ti­sche ragen­den Zärt­lich­keit aufhält.

Wäre Bewe­gun­gen eines nahen Bergs direk­ter in sei­ner Art könn­te Cliff sowie­so mit der Kame­ra agie­ren, wäre er abs­trak­ter wür­den die Ein­schü­be rund um die Legen­de der Ent­de­ckung des Erz­bergs, in der ein gefan­ge­ner Was­ser­mann „Gold für einen Atem­zug, Sil­ber für ein Men­schen­le­ben oder Eisen für immer“ ver­spricht, domi­nan­ter oder häu­fi­ger sein, es gäbe mehr sti­li­sier­te Bil­der wie jenes als Cliff sich auf einer Front­hau­be sit­zend den Schä­del rasiert. So aber hängt der Film zwi­schen den Wahr­neh­mun­gen. Zum einen, das was man von Cliff sehen kann und zum ande­ren, das was die­ses Sehen mit sich trägt. So etwas nennt man schnell Plot und Sub­plot, aber bei Brames­hu­ber ver­dich­ten sich die­se Begrif­fe eher auf der Bild­ebe­ne als in der Nar­ra­ti­on. Es sind die­se gezielt gesetz­ten Licht- und Farb­stim­mun­gen, die aus der Arbeit am Pro­zess gesetzt wir­ken­den Schnit­te, die bei­na­he moti­visch und struk­tu­ra­lis­tisch wie­der­holt zu bestimm­ten Bild­ty­pen zurück­keh­ren, die Zeit und Raum und damit auch das Leben von Cliff so greif­bar machen. Man spürt, dass sich der Fil­me­ma­cher immer auch selbst vor Cliff posi­tio­niert, ja sucht, es gibt ver­schie­de­ne Anläu­fe, etwas greif­bar zu machen, um die dar­un­ter lie­gen­de Wahr­neh­mung zu ret­ten. Sinn­bild­lich dafür steht der nur von einer suchen­den Taschen­lam­pe unter­stüt­ze Blick in die Nacht. Das gan­ze läuft aller­dings in gro­ßer Sicher­heit ab. Die Bestimmt­heit des Films droht das Pro­zess­haf­te hie und da zu erdrü­cken, der so affir­ma­ti­ve Blick auf das Frem­de zit­tert unter der Gesetzt­heit der Bil­der, Töne und Schnitte.

Im doku­men­ta­ri­schen Kino scheint es oft ent­schei­dend, einen Zutritt zu haben. „Access“ nennt das die anglo­pho­ne Film­kri­tik und es ist eine gro­ße Leis­tung von Bewe­gun­gen eines nahen Bergs, dass er zeigt, dass die­ser „Access“ eine Fra­ge der Art und Wei­se ist und nicht nur der Beson­der­heit einer Per­son, des Spek­ta­kels einer Land­schaft und so wei­ter. Ganz im Gegen­teil beginnt Bewe­gun­gen eines nahen Bergs erst mit dem Zutritt, dort wo es einen Men­schen, sein Leben und eine Kame­ra gibt. Die gro­ßen Ideen dahin­ter fil­tern sich der­art bei­na­he orga­nisch aus den Beobachtungen.

Ein wenig blieb die Fra­ge einer aus­blei­ben­den emo­tio­na­len Nähe nach dem Kino­be­such. Die­se erklärt sich zumin­dest für mich so, dass Brames­hu­ber einen Film gemacht hat, in dem man erst im Nach­den­ken dar­über spürt, wie trau­rig das war, was man gese­hen hat. Viel­leicht weil man nicht so sehr dar­an gewöhnt ist hin­zu­se­hen, hin­zu­hö­ren und dann zu fühlen.