Diagonale 2019: Dialoge aus dem Wienerwald

Hanno Pöschl wurde bei der diesjährigen Diagonale mit einem Tribute-Programm geehrt. Gezeigt wurde unter anderem Maximilian Schells Adaption von Ödön von Horváths Geschichten aus dem Wienerwald. Anlass für ein längst überfälliges Gespräch über den Namenspatron des Blogs.

Rainer Kienböck: Dafür, dass Jugend ohne Film ihm seinen Namen verdankt, wurde Ödön von Horváth am Blog bisher wenig gewürdigt. Woran liegt das eigentlich?

Patrick Holzapfel: Es gibt ja kaum Horváth-Adaptionen für das Kino. Oft sind es TV-Produktionen und ehrlich gesagt habe ich davon nicht viele gesehen. Kennst du welche? Ich finde es auch unglaublich schwer Horváth zu adaptieren. Sein Stil ist so stechend, so durchdringend und dominant, dem gibt es oft nicht wirklich etwas hinzuzufügen. Eines seiner eindrücklichsten Werke ist für mich Ein Kind unserer Zeit, das liest man und dann hat man schon den Film dazu laufen, man muss ihn nicht mehr drehen. Aber wenn man darüber nachdenkt, dann gibt es eigentlich kaum Bilder, die hat er alle in den Sätzen vergraben und erscheinen lassen.

RK: Dass es kaum prominente Adaptionen von seinen Werken gibt stimmt (an die rezente Bearbeitung von Jugend ohne Gott habe ich mich dann auch nicht drangewagt), aber man hätte durchaus mal etwas zur kinematischen Wirkung seiner Texte schreiben können, wie du sie oben angerissen hast. Wie auch immer: Nun haben wir ja beide – der Diagonale sei Dank – mit der Verfilmung von Geschichten aus dem Wienerwald die wahrscheinlich berühmteste Film-Adaption eines Horváth-Werks gesehen – und ein Stück österreichischen Kulturerbes mit Helmut Qualtinger in einer seiner legendärsten Filmrollen. Konnte dich der Film überzeugen?

PH: Mich konnte durch den Film vor allem Horváth überzeugen. Ob das nun eine Qualität des Films ist oder gerade dessen fehlende Notwendigkeit unterstreicht, sei dahingestellt. Dieser beißende, bitterböse, aber doch ambivalente Blick auf die Gesellschaft, diese Welt, in der sich alle retten zum Leid einer einzigen Person, das ist zutiefst bewegend, aufrührend, manchmal sehr komisch und letztlich traurig gewesen. Aber der Film hat wirklich alles dafür getan ein Theaterstück zu sein…wie hast du das gesehen?

RK: Als ich danach über den Film gesprochen habe, ist mir zunächst auch aufgefallen, dass die ersten positiven Reaktionen eher mit Horváth zu tun haben als mit dem Film: Das ständige Schwanken zwischen den Extremen, zwischen Komik und Tragik, zwischen Heurigen und katholischer Kirche; die wunderbar präzise eingefangene Tonalität des Wienerischen. Ganz ohne eigene Qualitäten wäre ich aber nicht mit dem Gefühl aus dem Kino gegangen, dass Horváth hier eine Würdigung Referenz erfahren hat. Der Film ist erstaunlich gut gecastet, die Dialoge muss man auch erstmal so inszenieren, dass sie der Textvorlage gerecht werden und das Location-Scouting und Szenenbild fand ich überhaupt herausragend. Das sklavische Festhalten am Szenenaufbau des Stücks sehe ich da schon kritischer. Da hätte dem Film etwas mehr Eigenständigkeit tatsächlich gutgetan.

Geschichten aus dem Wienerwald von Maximilian Schell

PH: Hanno Pöschl, in dessen Tribute der Film ja gezeigt wurde, sagte, dass er die Ulrichsgasse (die war es glaube ich) als Drehort für die Straßenecke mit Fleischerei und so weiter sehr schlecht gewählt fand, weil sie keine Perspektive böte, also auch da sehr theaterhaft gescoutet. Da bin ich bei ihm, war fast erschrocken wie sehr die Sets so aussahen wie jene, die man im Theatermuseum bei der Horváth-Ausstellung aufstellte. Dabei beginnt der Film ja noch ganz anders, ganz gegenteilig möchte man fast sagen, mit dem Theater im Film in Schönbrunn und einer Kamerafahrt hinein in die Realität. Das Versprechen löst Maximilian Schell dann nie ein, finde ich. Bei den Darstellern und Dialogen bin ich schon bei dir, vor allem die Badesequenz ist fantastisch. Was mich mal wieder gestört hat in der ganzen Moderation und auch im Gespräch danach ist diese Betonung von Aktualität. Warum ist das immer so wichtig beziehungsweise ist das nicht selbstverständlich bei einem guten Stück oder Film?

RK: Vielleicht hätte mich das Bühnenbild-artige dieses Hauptspielorts deshalb nicht gestört, weil die Josefstadt (dort spielt es ja) tatsächlich so aussieht. Und ich vermute in den 30ern gab’s sogar noch mehr dieser Ecken. Gerade deshalb fand ich die Wahl des Hauptschauplatz so gut gewählt – und das trifft auch ein wenig auf den ganzen Film zu –, weil es einerseits unglaublich theaterhaft wirkt, andererseits aber so tief in der (historischen) Realität verwurzelt scheint. Zu deiner Frage: Ich wüsste nicht, wann das Stück oder Film in den letzten 80 Jahren nicht aktuell gewesen wäre… Es ist ein Armutszeugnis des Schreibens über und Zeigens von Filmen, dass es sich an den Strohhalm der vermeintlichen Aktualität klammert, in der Hoffnung auf öffentliche Wahrnehmung, Wertschätzung und Relevanz.

PH: Ja, dem ist wenig hinzuzufügen. Noch eine andere Sache. Hast du schon einen besseren männlichen Badeanzug gesehen? Stichwort: Projizierte Männlichkeit.

RK: Sicherlich noch keinen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich je einen besseren weiblichen Badeanzug gesehen habe. Die gelb-schwarzen Querstreifen, die aus dem ohnehin üppigen Qualtinger ein Koloss machen, dass sich dann auf die überraschend willige Trafikantin stürzt. Ein großer Moment für einen großen Körper! Mittlerweile lebst du ja schon ziemlich lang in Österreich, wie innig ist deine Beziehung zu diesem Titanen der österreichischen Populärkultur des 20. Jahrhunderts?

PH: Gar nicht so innig. Diese Dinge gehen immer sehr an mir vorbei, ich sehe sie dann kurz, erkenne, so meine ich zumindest, doch recht schnell, um was es ungefähr gehen könnte und ziehe weiter. Ist das denn ein Film, den du als typisch österreichisch oder wienerisch einschätzen würdest? Habe selbst darüber nachgedacht, diese Lokalspezifik von Horváth erlaubt mir nämlich letztlich ein universales Verstehen.

Geschichten aus dem Wienerwald von Maximilian Schell

RK: Es ist denke ich beides. Das ist einer der Gegensätze, zwischen denen sich Horváth so gekonnt bewegt. Einerseits die Universalität dieser Geschichte, die wohl auch deshalb so universal zu verstehen ist, weil es sehr stark um die Rolle der Frau in der Gesellschaft geht und die ist praktisch überall auf der Welt dieselbe (mit Abstufungen) und andererseits das Lokalkolorit, das nur wenig Autoren so trefflich in ihre Literatur einfließen zu vermögen (und das der Film auch sehr gut überträgt). Aber ist es nicht oft so, dass die scheinbar lokalen Geschichten oft eine bessere Interpretation des großen Ganzen zulassen, als jene, die von Anfang an auf ein möglichst universales Verstehen ausgelegt sind?

PH: Ja natürlich. Das ist es ja auch, was vieles im Hollywoodkino heute so unerträglich macht. Dass man sich von Anfang an ans Universale richtet und dann eigentlich von gar nichts handelt. Haben wir noch etwas zu Hanno Pöschl zu sagen? Er hat mich mit seiner Kleidung und Art etwas an Dirk Bogarde in Morte a Venezia erinnert, wenngleich jünger und weniger sterblich.

RK: Ich weiß nicht. Hanno Pöschl ist für mich kein wirklicher „household-name“. Ich war eher verblüfft, welch beachtliche Leibesfülle er sich in den letzten 40 Jahren angefuttert hat. Im Film selbst fand ich Birgit Doll, Götz Kauffmann und Helmut Qualtinger eigentlich weitaus interessanter. Hast du eigentlich noch etwas aus dem Tribute-Programm gesehen?

PH: Nein, leider nicht. Ich kenne ihn ja sonst nur aus dem Kleinen Café. Aber Revanche, Querelle und Exit … Nur keine Panik habe ich ohnedies schon gesehen. Finde ja, dass das ein sehr schlauer, demütiger, bewundernswerter Charakter ist. Alles, was er so von sich gibt, scheint mir aufrichtig. Entsprechend präsent und stark scheint er mir auch immer in den Filmen. Tatsächlich in Geschichten aus dem Wienerwald am wenigsten. Aber er hat ja auch darüber gesprochen wie schwer es für ihn war am Set mit Schell. Ich will das alles gar nicht bewerten, steht mir nicht zu, aber inspirierend finde ich ihn und von daher absolut schön, dass er gewürdigt wird.