Die Höhle und ein schwarzer Koffer

Grundsätzlich bemühe ich mich, meinen Filmkonsum möglichst elitär zu gestalten. Ich suche die große Kunst, die großen Autoren und die großen Entdeckungen. Das gelingt mir im Großen und Ganzen ziemlich gut. Ein kleines gallisches Dorf begehrt jedoch gegen dieses Vorhaben auf. Dieses Dorf ist eigentlich eine Wohnung im 16. Wiener Gemeindebezirk, im Winter schlecht beheizt und mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht ideal zu erreichen. Trotz dieser Widrigkeiten kehre ich immer wieder gern zurück in diese Wohnung (oder „Höhle“, wie sie unter Freunden genannt wird), denn dort wartet neben den liebenswerten Bewohnern, die mich mit köstlichen Fressalien versorgen, eine Menge Geselligkeit und vor allem jene Facetten des Films, denen ich ansonsten zumeist ausweiche.

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Die Höhlenbewohner, beziehungsweise deren erweiterte Sippe, zu der ich mich stolz hinzuzählen kann, zeichnen sich durch einen äußerst diversifizierten Filmgeschmack aus (man könnte ihn auch „undefinierbar“ oder „quirky“ nennen). Neben traditionellen Game of Thrones-Marathons mit stilechtem Buffet aus dem Kochbuch zur Serie, frönt man hier klassischen Kultfilmen, halbvergessenen Raritäten aus dem europäischen Kino der 60er und 70er Jahre, Horrorfilmen – von den Universal-Klassikern der 30er Jahre, über blutverschmierte Eingeweideorgien bis hin zu totalem Trash –, Disney-Zeichentrickfilmen und Animationsextravaganza, obskuren Werner Herzog Filmen und einigen Ausreißern des Kunstfilmkanons (schwere Kost: Tarr, Tarkovsky, Sokurov). Alles in allem sind die Filmabende in dieser Runde Gesamtkunstwerke. Es gibt mindestens drei vollwertige Mahlzeiten und viel Kuchen (späteres Sodbrennen inklusive), Alkohol in moderaten Mengen, Musik aus dem Plattenspieler (wahlweise Tom Waits oder Gedichte, vorgetragen von Klaus Kinski) und seit neuestem auch große Nostalgie.

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Vor einiger Zeit hat sich der Hausherr nämlich dazu entschlossen einen 8mm-Projektor anzuschaffen, um der Analogfilmanalogie zu frönen – etwas absurd, denn niemand von uns wäre alt genug um jemals die Hochphase dieses Mediums erlebt zu haben. Wie sich schnell herausstellte ist diese Art des Filmkonsums jedoch sehr gut mit unseren Vorlieben kompatibel. Zusätzlich zum Projektor wurde auch ein ominöser schwarzer Koffer mitgeliefert. Dieser Koffer enthält eine veritable Sammlung an alten Pornos des Vorbesitzers, die sich gegenseitig an unfreiwilliger Komik zu überbieten versuchen (lautes Vorlesen der mehrsprachigen Klappentexte darf man getrost zum Gesamtkunstwerk hinzuaddieren). Zugleich wächst die Sammlung an anderen Filmen, die seit Anschaffung des Geräts vor dem Hauptfilm (dessen Auswahl traditionell ewig zu dauern hat) in kleinen Häppchen kredenzt werden. Diese kurzen Filmchen bieten einen guten Einstieg in die Welt des 8mm-Films und seiner sympathischen Unzulänglichkeiten:

  1. Da die Filme schon einige Jahre auf dem Buckel haben ist die Qualität gelinde gesagt mäßig. Die Filme sind stark rotstichig, was mittels halbprofessioneller Folien zu kaschieren versucht wird – so weit nicht weiter ungewöhnlich für Filmliebhaber, in Zeiten des ultrascharfen HD-Bilds aber immer wieder putzig anzusehen.
  2. Viele dieser Filme haben keine Tonspur. Pornos ohne Ton anzusehen erspart einem immerhin die absurd-komische deutsche Synchro, die die Exemplare mit Ton auszeichnet, fragwürdiger ist da schon die Entscheidung der Hersteller, Conquest of the Planet of the Apes in einer knapp halbstündigen Fassung mit Dialogszenen, aber ohne Ton zu veröffentlichen.
  3. In der Natur des Mediums liegt es, dass es sehr oft nötig war Änderungen am Schnitt vorzunehmen, um Filme in annehmbarer Länge auf 8mm veröffentlichen zu können. Zwar existieren „Vollversionen“ einzelner Filme (aufgeteilt auf zahllose Rollen), aber zumindest in unserer Runde erfreuen sich die zusammengekürzten Versionen bekannter Klassiker größerer Beliebtheit. Wenig überraschend ist da noch die einstündige Version von The Exorcist, die sich größtenteils auf die Exorzismusszenen beschränkt, aber zugunsten einiger inhaltsleeren Dialogpassagen gänzlich auf Exposition verzichtet. Die Produzenten von Alien beschränkten sich schlicht auf ein Best-of an Szenen aus dem Film, ohne irgendeinen Anspruch auf narrative Kohärenz zu erheben. Unschlagbar die bereits oben erwähnte Version von Conquest of the Planet of the Apes, die es weder vermag Handlung, Stimmung noch Action zu vermitteln und den Zuseher in kompletter Konfusion zurücklässt.

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Besuche in der „Höhle“ sind und bleiben für mich etwas besonderes. Und das obwohl ich ansonsten, Purist der ich bin, verstümmelte Schnitt-Versionen verschmähen oder Filme wie Ginger Snaps 2 meiden würde (schade eigentlich, denn so schlecht ist der gar nicht). Denn genauso wie zum Beispiel in den heiligen Hallen des Filmmuseums ein bis dato kaum wahrgenommener Film im Lichte des Kunstkontexts zu neuer Prominenz gelangen kann, schafft es diese unscheinbare Wohnung in der Wiener Peripherie, dass man Dinge anders wahrnimmt. Alles was hier auf der Leinwand flimmert wird durch einen Schleier an Ironie verzerrt, durch verbale Zwischenrufe in Form von sexuellen Anspielungen aufgewertet und ganz einfach durch die herrschende Atmosphäre bis zu einem gewissen Grad verfremdet. Spannend ist das vor allem, wenn die Zwischenrufe dann auf einmal verstummen, weil die schiere Bildgewalt eines Films selbst die lautesten Ironiker zum Schweigen bringt, oder wenn ein Zeichentrickfilm auf einmal voller scheinbar schlecht kaschierter Phallussymbole und versuchter Vergewaltigungen steckt. Ein Film, man erlaube mir die theoretische Ausschweifung, ist nicht von seiner Vorführung zu trennen, egal ob sie in einem Multiplex, einem Heimkino, bei einem Festival oder in einem Museum stattfindet. Eine Filmvorführung ist performativ – das vergisst man gerne, wenn man sich zu sehr in Ritualen verliert und zu selten seine comfort zone verlässt. Wer jemals den performativen Aspekt von Film in Frage stellt, darf uns gerne in unserer Höhle besuchen. Alle anderen ebenfalls, sofern sie Käse mitbringen.

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