Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

this human world 2014: Gedanken über ein Festival vor der Haustüre

Filmfestivals ähneln in gewisser Weise intensiven Fortbildungsseminaren. Anstatt jedoch irgendwohin in die Pampa zu fahren (von A wie Altlengbach bis Z wie Zirl), um sich dort in einem dieser austauschbaren Seminarhotels einzukasernieren, und den ganzen Tag in einem stickigen Raum langweiligen Vortragenden zu lauschen, sucht man sich ein Hotelzimmer oder eine Couch eines Bekannten und verbringt seine Tage in einem (zumeist) übermäßig klimatisierten Kinosaal. Man mag geneigt sein zu glauben, ein Filmfestival in der Heimatstadt erspart Anfahrtswege und Kosten, die so ein Aufenthalt in der Fremde halt so mit sich bringt – das Filmfestival in der Heimatstadt als gelobtes Land, wo Milch und Honig fließen. Interessanterweise habe ich bis jetzt eher die umgekehrte Erfahrung gemacht. Das Zuhause bietet nämlich Ablenkungen, die einem in der Fremde erspart bleiben: banale Haushaltstätigkeiten, Vorlesungen, Freunde. Kurzum, verschlägt es einen eigens für ein Filmfestival in eine andere Stadt, ist man zwangsläufig fokussierter, mehr bei der Sache und versucht, „wenn man schon mal da ist“, so viel wie möglich davon mitzunehmen. Festivals in der Heimatstadt hingegen nimmt man eher „so nebenbei“ wahr, während sie mit anderen (kulturellen) Aktivitäten konkurrieren; man richtet seinen Tagesplan nicht nach dem Festival aus (es sei denn es handelt sich um die Viennale), sondern geht halt hin, wenn sich die Gelegenheit bietet. Für das this human world hatte ich mir eigentlich vorgenommen eine Art hybriden Mittelweg gefunden, was mir aber leider nicht ganz gelungen ist und ich schlussendlich doch nicht so oft gehen konnte/wollte, wie ich ursprünglich vorhatte. Das Resultat dieses zerstückelten, von Lust, Laune und verfügbarer Zeit abhängigen Festivalbesuchs schlägt sich hier in diesem Text nieder, der gleichsam zerstückelt, anekdotisch und keinesfalls ganzheitlich eine spannende Woche Revue passieren lässt.

Derby Crazy Love von Maya Gallus und Justine Pimlott
Derby Crazy Love von Maya Gallus und Justine Pimlott

Ein verspäteter Festivalauftakt, ein Matineebesuch: Derby Crazy Love vom Regieduo Maya Gallus und Justine Pimlott stand am Programm – das heißt siebzig Minuten tätowierten Frauen beim martialischen Roller Derby zuzusehen. Diplomatisch ausgedrückt lässt sich über den Film konstatieren, dass er Spaß macht, weil er eine Subkultur, ja Parallelwelt, ans Tageslicht bringt, die man anderweitig nicht zu Gesicht bekommt. Weniger diplomatisch könnte man über die vergleichsmäßig uninspirierte Inszenierung dieses Lesbenkults ätzen – aber das würde gegen jede Form von political correctness verstoßen und ist demnach wohl fehl am Platz wenn man über das this human world schreibt. Denn passend zu den Hauptspielorten, den Hipstermekkas Schikaneder und Top Kino, wird hier Diversität, Toleranz und Integration großgeschrieben. Ja, für eine Woche beginnt man fast zu glauben, dass wir in einer politisch und sozial aufgeschlossenen Welt leben, in der Menschen sich reflektiert und erwachsen mit ihren Problemen auseinandersetzen. Da wird die politische Lage in Syrien filmisch aufgearbeitet, mit Einführungen noch eingehender beleuchtet und auf die Flüchtlingsproblematik aufmerksam gemacht und da darf auch Sergei Loznitsas Maidan noch einmal die Leinwände Wiens betören (Loznitsas Parforceritt war der wohl beste Film des Festivals). Zwar konnte keiner der Filme in Sachen Agitationspotenzial mit dem an Einseitigkeit nicht zu überbietenden Manipulationsmeisterstück Everyday Rebellion der Riahi-Brüder mithalten, der seit einigen Wochen regulär an den Festivalspielstätten zu sehen ist, aber Filme wie Syria Inside wussten ebenfalls gekonnt Bilder verletzter Kinder und zerbombter Häuserruinen aneinanderzureihen und mit pathetischer Musik zu unterlegen; hätte man den Besuchern bei Verlassen des Kinosaals statt eines Stimmzettels ein Transparent ausgehändigt wäre wohl eine nette Demo zustande gekommen. Schade eigentlich, denn zumindest die ersten dreißig Minuten von Syria Inside, also bevor das Bearbeiten der Tränendüsen losging, waren sehr spannend. Der Film bemühte sich historische, kulturelle und politische Hintergründe zu erklären und diese Erklärungen verspielt und humorvoll aufzubereiten. Handyvideos, staatlicher Rundfunk und kleine Sketches alternieren mit der Moderation durch ein syrisches Komikerduo, das in einer Studiosituation durch den Film leitet. Mit Fortdauer des Films geht der Humor aber zusehends verloren und der Film erschöpft sich in einer uninspirierten Aufzählung von Assads Gräueltaten und Beschreibungen des heroischen Kampfs der Free Syrian Army.

Syria Inside von Tamer al-Awam und Jan Heilig
Syria Inside von Tamer al-Awam und Jan Heilig

Mein Plan zu Beginn des Festivals war es alle vier Filmprogramme des Syrien-Specials anzusehen. Nach Syria Inside und Syria: Snapshots of History in the Making hatte ich darauf allerdings keine Lust mehr. Nicht nur, dass ich das Gefühl hatte bereits alles zu wissen, was mir diese Filme zu sagen haben, und vor allem wie sie es mir zu sagen haben, sondern auch, weil sich eine gewisse Abstumpfung einstellte, die die Redundanz der Inszenierungsstrategien mit sich bringt und zu enervierender Frustration, statt zu einer Schockreaktion führt.

Da gab ich schließlich dem zweiten Festivalschwerpunkt „Everytime We Fuck We Win“ den Vorzug. In dieser Programmschiene stand feministische Pornographie am Plan und abgesehen davon, dass ich mir als Mann unter Frauen etwas fehl am Platz vorgekommen bin, musste ich feststellen, dass circa ein paar hundert Filmemacher von Goodyn Green lernen könnten, wie man einen Sexualakt wirkungsvoll in Szene setzt. Damit meine ich gar nicht zwangsläufig, dass die Menschen vor der Kamera nicht schön sein dürfen (ganz im Gegenteil – ich mag schöne Menschen), aber die Alternative dazu ist keineswegs so abstoßend, wie große Filmproduzenten das befürchten. Wie kritisch ich auch dem Begriff eines „female gaze“ gegenüberstehe, in diesen Filmen wird sehr radikal deutlich, wie sehr sich dieser Blick von den eintönigen und eindimensionalen Praktiken der konventionellen Pornographie unterscheidet. Ironisch, dass gerade diese Filme aber den heiligen Gral der Pornoindustrie – Authentizität – vermitteln, der den aalglatten, perfekten Industriefilmen fehlt.

Maidan von Sergei Loznitsa
Maidan von Sergei Loznitsa

Als letzten Gedanken noch eine kurze Notiz zum vielleicht „größten“ (im Sinne von glamourösesten) Film, der am Festival gezeigt wurde – Fatih Akins The Cut. Akin ist es tatsächlich gelungen einen europäischen Film zu machen, der aussieht wie ein amerikanischer und sich dem amerikanischen Markt offenkundig anbiedert, ohne jemals eine reelle Chance zu haben auf diesem Markt tatsächlich zu reüssieren. Die lächerliche Entscheidung seinen Protagonisten englisch sprechen zu lassen und den Film in den Vereinigten Staaten enden zu lassen, ändert nämlich nichts daran, dass The Cut zu lang, zu schwerfällig, zu deprimierend und zu austauschbar ist um jemals gutes Geld zu machen. Das Ergebnis ist ein Hybrid, über den sich Kritiker auf Festivals lustig machen und den Zuschauer mit einem leicht verstörten Achselzucken schnell wieder vergessen werden. Was ein gewichtiges Statement zum türkischen Völkermord an der armenischen Minderheit hätte werden können, verkommt zu einem von Zufall und Willkür geprägten Roadmovie, das nicht einmal als Rachedrama taugt, sondern nur merklich bemüht daran ist die Fördertöpfe möglichst vieler unterschiedlicher Länder anzuzapfen.

Das this human world gibt einen Ausblick auf eine Welt, in der niemand wegen seiner Sexualität, seiner Ethnizität oder ähnlichem ausgeschlossen und unterdrückt wird. Die Auswahl der gezeigten Filme macht diese Weltsicht mehr als deutlich, was einerseits, von einem politischen Standpunkt aus, zu begrüßen ist, andererseits zu einer Flut an mittelmäßigen Filmen führt, die zu sehr damit beschäftigt sind ihre Meinung möglichst eindeutig hinauszuposaunen, als die vermittelte Weltsicht in der Form zu spiegeln. Denn die beste politische Kunst ist jene, in der Inhalt und Form untrennbar und ununterscheidbar sind, wo Weltsicht und künstlerische Vision sich gegenseitig bedingen.