Nature, nature. I am your bride. Take me.… Will you marry me?
—Orlando
It’s a love story. It’s as timeless as the landscape that inspired it.
—Wuthering Heights Trailer, Peter Kosminsky
Windig, nebelig und matschig-düster, raue Weite. Eine Kulisse, die jegliche Hoffnung auf erfüllte Liebe in ihren kalten Schwaden verdampfen lässt. Der Nebel umhüllt die Schicksalsergebenen zuverlässig, zerrt sie in sich hinein und nimmt ihnen im Zusammenspiel mit ihrer hitzigen Leidenschaft die Freiheit klar zu denken. Auch die Köpfe rauchen – vor Endorphinen. Hinzu kommt der Sturm; in ihm tobt sie, die (noch nicht unerfüllte) Liebe, zerrt an den Unglückslosen, die davon träumen, ihre Zweisamkeit in den Häusern, die das gesellschaftliche Leben bedeuten, fortzuführen. Emily Brontës Wuthering Heights hat der englischen Küstenlandschaft ihre Bestimmung verliehen, noch bevor sie von wandernden Nationalparktourist*innen auf ihren Großstadtsofas ersehnt wurde. Almost timeless. Für die jugendliche Cathy Earnshaw erstreckt sich das Hochmoor von Yorkshire direkt vor dem Gut ihres Vaters. Um 1800 darf die Natur hier noch ungezähmt sein, Steinbrüche sind zu den Earnshaws noch nicht vorgedrungen. Der Vater nimmt den verwaisten Heathcliff bei sich auf und Bruder Hindley macht ihm von Anfang an das Leben schwer. Cathy hingegen freundet sich mit dem Ziehbruder an und tollt mit ihm durch die nebeligen Moore, meist zum Missfallen der beiden anderen Männer. Romantische Gefühle flammen auf. Als Cathy aber von einem anderen, wohlhabenderen Mann einen Heiratsantrag erhält, nimmt sie an, um des Prestige und des Wohlstands willen. Cathys Vorstellungen vom Leben in einem Hause, dem gesellschaftlich Achtung beikommt, lassen sie, wie sie einer Vertrauten erzählt, eine Entscheidung gegen ihre wahre Liebe fällen. Was von der gemeinsamen Zeit bleibt, ist die Sehnsucht. Jahre später findet ein Wiedersehen mit Heathcliff statt. Bitter-süß schmeckt die Erinnerung an die Vergangenheit. “Out on the wily, windy moors. We’d roll and fall in green. You had a temper like my jealousy. Too hot, too greedy. How could you leave me. When I needed to possess you?”, besang Kate Bush Cathys trübes, dunkles, schmerzerfülltes Sehnen nach Besitznahme. In Andrea Arnolds Verfilmung von Wuthering Heights erstreckt sich das Moor für die jugendlichen Liebenden wie eine abenteuerliche und vor den Blicken der Erwachsenen sichere Spielwiese voller Ungezwungenheit. Der Schlamm färbt ihre Kleider ein und Steine, Nebel und Gräser erweisen sich als Verbündete, wenn sie den Prügel der Männer zu entkommen suchen. Ihren wilden Charme und ihre Vertrautheit verliert die Landschaft später, als die Distanz von Cathys gesellschaftlicher Rolle sich zwischen sie ausgebreitet hat. Auch die Rücken der gezähmten Pferde, auf denen sie über das feuchte Gras galoppieren, schaffen Abstand zwischen ihnen und der Erde, der sie als Kinder noch näher waren. Auch wenn das Moor ihnen als Erwachsene die Freiheit von einst nicht mehr bietet, die geheime Romantik ist dennoch visuell und emotional fest darin versunken. Als vermeintlich unveränderliche Landschaft ist sie zur Zeit- und Gefühlskapsel der Erfüllung im Moment und der späteren Sehnsucht zurück in die Gefühle der Vergangenheit geworden. Die menschenleere Natur wird zum Sinnbild jener Träume, die die Regeln und Tabus der Menschenwelt zerstören.
Kein Wunder also, dass Sally Potters Orlando “Nature, nature. I am your bride. Take me” ruft, nachdem ihr als Reaktion auf ihre Ablehnung eines Heiratsantrags nachgerufen wird, sie werde als alte Jungfer sterben. Wenn sich unter den Menschen keine*r findet, der die eigenen Gefühle erwidert und gleichberechtigt leben will, warum sich nicht einfach der Natur und ihrer Freiheit – das heißt ihrer Vorstellung von einem Freisein von anderen Menschen – hingeben? Orlando packt ihren Reifrock, der jegliche schnelle Bewegung in ein Spektakel verwandelt, und rennt in ein Labyrinth, das an den Schlossgarten angrenzt. Die steifen, schillernden Röcke verwandeln sich binnen weniger Augenblicke in bescheiden fallendere Stoffmassen in Schwarz, mit denen sie aus den zurechtgestutzten Irrwegen auf ein nebeliges Feld läuft. Aus Rokoko wird Gothic, Schwarz-Weiß-Töne verbinden sich mit Klaviertönen in Orlandos Lauf nach Freiheit. Doch es bleibt nicht beim Rennen allein (auch wird das Rennen nicht als letzte Schritte in den Freitod inszeniert, wie in Céline Sciammas Portrait de la jeune fille en feu). Virginia Woolfs Orlando lebt vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart der Schriftstellerin als Person in den 1920er-Jahren, die zwischen Zeiten und Geschlechtern in England und dessen kolonialen Interessensgebieten, die Jahrhunderte durchwandert. Als Mann erlebt Orlando Liebe auf den ersten Blick und Herzschmerz, als Frau wird Orlando mit Passivität und dem Verlust ihrer bisherigen materiellen Besitztümer konfrontiert. Ein Moment der Frustration, der nach den erlebten Zurückweisungen in einem Tiefpunkt kulminiert. Orlando rennt los. Was tun, wohin und zu wem? Die Natur bleibt nicht nur Kulisse oder Mittel zum Zweck, sie wird zur Projektion ihrer Sehnsucht: “She quickened her pace; she ran; she tripped; the tough heather roots flung her to the ground. Her ankle was broken. She could not rise. But there she lay content. The scent of the bog myrtle and the meadow-sweet was in her nostrils. The rooks’ hoarse laughter was in her ears. ‘I have found my mate’ she murmured. ‘It is the moor. I am nature’s bride’ she whispered, giving herself in rapture to the cold embraces of the grass as she lay folded in her cloak in the hollow by the pool. ‘Here will I lie.’ (A feather fell upon her brow.)” (Orlando, 1928). Woolfs Überhöhung dieser Naturszene und Potters Inszenierung, die an Verfilmungen von Wuthering Heights erinnert, spielen mit der Romantisierung des nassen, grauen, schlammigen Moors. Wenn das Moor der Ort des Glücks ist, warum dann nicht gleich seine Braut sein. Geerdet und im Einklang mit der Natur zu leben, bekommt eine neue Bedeutung. Doch auch dieses Glück ist in Orlando nur von kurzer Dauer, kommt doch mit wallendem Haar aus dem dichten Nebel alsbald ein Mann dahergeritten. Wie aus dem Himmel fällt er neben Orlando auf Gras – die kurz in die Kamera blickt, als würde sie sichergehen wollen, dass das Publikum dem folgt, was sich gerade vor ihren Augen abspielt. Er ergreift das Wort:
Shelmerdine : You’re hurt ma’am.
Orlando: I’m dead, sir.
Shelmerdine : Dead. That’s serious. Can I help?
Orlando: Will you marry me?
Shelmerdine : Ma’am … I would gladly, but I fear my ankle is twisted.
Kein Problem. Angeführt von Orlando reiten sie durch die nebelige Landschaft fort, das Glück schwebt währenddessen an ihrer Seite mit. Kurz danach, im häuslichen Innenraum, er auf der Chaiselongue drapiert, sie daneben kniend, stellen sich ihre Interessensunterschiede heraus. Shelmerdine folgt als Kolonialabenteurer seiner Idee von Freiheit und will nur so lange bei Orlando bleiben, bis jener Wind aufkommt, der ihn nach Übersee weht. Eine Liebschaft mit Ablaufdatum beginnt. Orlando verneint der Einladung sich anzuschließen, ihr steht der Sinn nicht nach Abenteuer, sondern nach Sesshaftigkeit und einer festen Beziehung. Genauso wie in Wuthering Heights besteht die (Liebes-)Welt nur aus zwei Möglichkeiten: ungebundene Freiheit in abenteuerlicher Weite geknüpft an (männlichen) Eroberungsdrang neuer Orte und Partner*innen oder Beziehungsleben an einem festen, geregelten und von der Gemeinschaft anerkannten Ort, an dem man scheinbar nichts mehr zu erobern hat und seinen ungeteilten Besitz wachsam beäugt, um den anderen das erfüllte Liebesglück im trauten Heim so lange wie möglich vorzuspielen. Die eigenen vier Wände, umgeben lediglich von Natur in ihrer gezähmten Form, zu bewohnen und zu besitzen, wird – vor allem für Frauen – erstrebenswert, in die Ferne schweifen trägt diesem Lebenssinn hingegen nichts Gutes bei. „I needed to possess you“, hallt Kate Bushs zarte Stimme noch nach. Bringt nur Besitznahme Erfüllung? Als Potters Orlando sich 1610 auf den ersten Blick in die Tochter des Moskauer Botschafters verliebt, startet er augenblicklich seinen Eroberungsfeldzug in Sachen Liebe, indem er seinen plötzlichen Besitzanspruch mit seinem Empfinden von Begehren begründet:
Orlando: Our destinies are linked. You’re mine.
Sasha: Why?
Orlando: Because I adore you.
Die Moskauerin Sasha muss England verlassen, bevor das Eis schmilzt. Orlandos Eroberung muss fehlschlagen. Nur konsequent, dass er in der darauffolgenden Zeit als Kolonialbeamter sein Bestreben fortführt Besitz von Ländern, ihrer Natur und ihrer Bewohner*innen zu ergreifen. Die gierige Romantik des Besitzens, Potters Orlando weiß sie zu enttarnen. Die Natur zu heiraten stellt sich letzten Endes als ein unmögliches Bild heraus, da sich „die Natur“ nicht besitzen lässt. Menschen hingegen schon, durch Eheverträge und an festen Orten. Im sumpfigen Moor könnte eine ungebundene Liebe auf die Dauer zwar ebenso wenig fortbestehen wie in einem von Eheleuten bewohnten Gutshof, doch lässt sie den Menschen noch ihre Möglichkeiten offen. Im Moment des gemeinsamen Herumlaufens über die Wiesen und Felder entfällt dem Besitzen jede Notwendigkeit. Erst am festen Ort wird die Kontrolle über den anderen Menschen zum Ersatz für den Verlust der Freiheit und der Liebe ohne gesellschaftliches Korsett.