Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Die Sehnsuchtsmaschine – Die Distanz des brachialen Fühlkinos

In mei­nen Näch­ten den­ke ich oft an dei­ne Tage, dein Licht. Die Hys­te­rie und den Druck, der bei dir fließt. Die Schreie, der Spei­chel, die Gedär­me. Die Direkt­heit, die etwas füh­len will: Phil­ip­pe Gran­drieux, Andrzej Żuław­ski, die Haut bei Clai­re Denis, die Musik bei Leos Car­ax, der Ges­tus von Gas­par Noé. Das Pro­blem: Oft füh­le ich kei­ne Sen­sua­li­tät, wenn jemand sie mit dem Holz­ham­mer in mein Gesicht schleu­dern will. Aber Anto­nin Artaud ver­schluckt die grau­sa­me Sonne.

Beau travail7

Nor­mal beschäf­ti­ge ich mich sehr viel mit Fra­gen der Ethik und Distanz im Kino, ich inter­es­sie­re mich für die Din­ge, die man nicht sehen kann, die Din­ge, die ver­lo­ren schei­nen und die Moral der Kame­ra, die ein Bewusst­sein ver­langt, die weiß, dass eine Tota­le kei­ne Tota­le und eine Nah­auf­nah­me gefähr­lich ist. Hier liegt für mich eine Sinn­lich­keit. Das sind logi­sche Fra­gen, wenn man das Kino in sei­ner Zeit begreift und begrei­fen will, wenn man so möch­te, moder­nis­ti­sche Fra­gen. Ein­fach zu sagen: Was mir gera­de rich­tig erscheint, ist rich­tig oder was sich gut anfühlt, ist gut, ist letzt­lich nur die fata­le Bequem­lich­keit einer Über­for­de­rung im zeit­ge­nös­si­schen Kino, die nicht mehr weiß, was sie gut fin­den soll und die des­halb aus unfass­bar durch­schau­ba­ren State­ments besteht. Das Lieb­lings­wort in die­sem Kon­text: Meis­ter­werk. Die Lieb­lings­ka­me­ra­be­we­gung: Kran­fahrt. Das ist alles kaum glaub­haft. Nein, ein Film soll­te eine Posi­ti­on zur Welt und eine Posi­ti­on zum Kino ver­mit­teln, fühl­bar machen, selbst wenn die­se Posi­ti­on ist, dass man kei­ne Posi­ti­on haben kann. Auch wenn sich die­se Posi­ti­on durch eine Kran­fahrt ver­mit­telt. In der Regel füh­le ich mich eher zu jenen Fil­me­ma­chern hin­ge­zo­gen, die sich der Kri­se ihrer Bil­der bewusst sind. Ich hal­te sie für ehr­li­cher, kon­se­quen­ter. Man kann zum Bei­spiel nicht ein­fach ein Bild zwei­er trau­ern­der Men­schen foto­gra­fie­ren. Das geht nicht. Dar­in steckt schon so viel und dar­in steckt auch immer eine Lüge. Die Direkt­heit die­ser Emo­tio­nen scheint nur mehr eine Wie­der­ho­lung. Nun geht es nicht dar­um, wie ich es immer wie­der lesen muss zu mei­ner Ver­wun­de­rung, dass man etwas gänz­lich Neu­es schafft. Es geht aber doch um eine Fort­set­zung, etwas muss dem Bekann­ten hin­zu­ge­fügt wer­den. Alain Badiou hat in die­sem Zusam­men­hang ein Erbe der Nah­auf­nah­me, das von Grif­fith über Drey­er zu Bres­son reicht, vor­ge­schla­gen. Godard hat dem noch etwas hin­zu­ge­fügt, in dem er das Gesicht ver­dop­pelt hat, der sich bewuss­te Zuse­her ist ein Spie­gel, Anna Kari­nas Trä­nen glit­zern im Licht der Pro­jek­ti­on. Es gibt in der Fol­ge Fil­me­ma­cher, die das wei­ter­ge­führt haben. Abbas Kiaros­t­ami, des­sen Spie­gel schon wie­der ein Spie­gel ist und Bru­no Dumont, der zurück zu Drey­er ging und statt der Ent­lee­rung des Spi­ri­tu­el­len des­sen Defor­ma­ti­on vor­ge­schla­gen hat. Es gibt ein paar Nah­auf­nah­men in den letz­ten Jah­ren. Es gibt jene von Van­da in No quar­to da Van­da, die ent­rückt, erhöht und in der Zeit ver­zö­gert wird von Cos­ta. Das ist ein Schock, wie wenn Gene Tier­ney in Lubit­schs Hea­ven Can Wait rein­läuft in einem lila Kleid (und ich mag kein lila). Ein Schnitt von Cos­ta, der schockt, weil er Angst zu haben scheint, vor der Nah­auf­nah­me. Wer über­legt sich sonst, wann man eine Nah­auf­nah­me machen darf?

Possession

Oft­mals sto­ße ich in sol­chen Gedan­ken­gän­gen an eine Gren­ze. Was kann man eigent­lich noch fil­men? Was gibt es noch zu fil­men? Auch: Was gibt es, was ich genu­in mit der fil­mi­schen Spra­che bes­ser ein­fan­gen kann, als mit den schein­bar zeit­ge­nös­si­sche­ren Spra­chen? Was gilt für dich? Die Aktua­li­tät des Kinos ist zu oft das Ges­tern, es sind die Näch­te von ges­tern, von denen wir träu­men. Die­ses Ges­tern muss aber ein Teil des Heu­te sein, ein Teil des Mor­gen. Aller­hand abst­ra­ke und nebu­lö­se For­mu­lie­rung, die auf das Pro­blem der Ungreif­bar­keit die­ses Pro­blems hin­wei­sen, denn wo wür­de man begin­nen? Es geht hier um eine ande­re Form der Distanz, die ich in die­ser ein­lei­tend ange­spro­che­nen Nähe ver­mu­te. Wenn das Kino fra­gen dar­an stel­len muss, was und wie man noch fil­men kann, dann ist die­ses Hin­ab­stei­gen in das Blut, die Fasern, die rei­ne Prä­senz des Kör­per­li­chen eine logi­sche Ant­wort. Es drückt genau wie die Lang­sam­keit und die Sorg­falt des Bil­des ein Begeh­ren aus, dass sich aus dem Vaku­um einer gesell­schaft­li­chen (Bild)-Politik ernährt. Das Kino als Ant­wort, als Lösung auf ein Feh­len im All­tag. Wenn alles zu schnell pas­siert, kann das Kino es fest­hal­ten, ent­schleu­ni­gen. Wenn alle Bil­der in einem ein­zi­gen schlam­pi­gen Rausch vor­bei­hu­schen, kann das Kino die Kon­struk­ti­on, den Blick, die Poe­sie des ein­zel­nen Bilds wür­di­gen. Und wenn man nichts mehr fühlt auf all den glat­ten Ober­flä­chen, kann das Kino eine Erfah­rung von Kör­per­lich­keit bie­ten. Kann es? Es gab immer auch schon die gegen­tei­li­ge Ansicht, ver­tre­ten von den klügs­ten Men­schen ihrer jewei­li­gen Län­der: Das Kino als Aus­druck oder Spie­gel der Erfah­rung des All­tags. Ich fand die­se Ansicht zwar nach­voll­zieh­bar im Kon­text der Indus­tria­li­sie­rung, aber den­noch igno­rant, da sie das Begeh­ren ver­schluckt. Das Kino ist die Nacht, die schö­ner ist als dein Tag.

La vie nouvelle

Über­le­gun­gen zur Distanz hän­gen an meh­re­ren Fak­to­ren. Da wäre zum einen die mora­li­sche Fra­ge. Eine Nah­auf­nah­me, das hät­te man auch schon vor Jac­ques Rivet­te wis­sen kön­nen, trägt in sich das Poten­zi­al zur Obs­zö­ni­tät. Sie kann Ent­blö­ßen, sie kann ver­ge­wal­ti­gen, sie kann sich an etwas freu­en, wo sie eigent­lich lei­den müss­te. Das gilt für alle Ein­stel­lun­gen, die Nah­auf­nah­me ist nur die expres­sivs­te. Als Fil­me­ma­cher zu behaup­ten, dass man – wie zum Bei­spiel Gran­drieux in Sombre – in die Erfah­rungs­welt eines Mör­ders ein­drin­gen kann mit der Kame­ra, ist gefähr­lich. Es ist aber zugleich uto­pisch im Sinn eines ver­ges­se­nen Wol­lens von Jean Epstein. Die Kame­ra wird dann zu etwas ande­rem, man hat sie hap­tisch genannt. Die Distanz scheint zu ver­schwin­den und in die­sem Ver­schwin­den sam­meln sich die Trä­nen eines uner­reich­ba­ren Begeh­rens, das wie­der­um an die Distanz erin­nert. Schreck­lich ist es dage­gen und aus ethi­schen Grün­den nicht duld­bar, wenn das Über­win­den der Distanz zum Gim­mick wird. So ver­hält es sich im gefei­er­ten Saul fia von László Nemes. Die­ser Film ist ein Affront gegen die Moral des Kinos und es ist ein der­art durch­dach­ter Angriff, dass einem ganz übel wird vor lau­ter Halt­lo­sig­keit. Die Über­win­dung der Distanz erzählt oder ver­mit­telt hier genau was? Es ist eine Behaup­tung, die sich hin­stellt und sagt: So hat sich das ange­fühlt, ange­hört in einem Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger. Eine sol­che Behaup­tung ohne Zwei­fel abzu­ge­ben, ist ziem­lich lächer­lich. In Ver­bin­dung mit einer zutiefst alle­go­ri­schen Geschich­te wird der Stil dann tat­säch­lich zum Gim­mick, denn am Ende geht es hier nicht um die Erfah­rung, son­dern um die Moral. Man könn­te sagen, dass die Idee des Films ist, dass gera­de aus die­ser Erfah­rung die Wich­tig­keit einer sol­chen Moral ent­steht, dann wür­de man aber über­se­hen, dass sowohl die Erfah­rung als auch die Moral im hohen Gra­de fik­tio­nal sind in die­sem Film, es also einen Rück­schluss von Lüge zu Lüge gibt, der sich als Wahr­heit aus­gibt. Das ist natür­lich in Ord­nung für ein unter­halt­sa­mes Kino, aber ist es in Ord­nung für einen Film über ein Konzentrationslager?

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Ein wei­te­rer Fak­tor der Distanz ist die Effek­ti­vi­tät und Not­wen­dig­keit. Chap­lin ist und bleibt das Über­bei­spiel für einen Fil­me­ma­cher, bei dem die Kame­ra immer rich­tig zu ste­hen scheint. Es geht dabei nicht unbe­dingt um eine erzäh­le­ri­sche Effek­ti­vi­tät, son­dern auch um jene des Blicks, des Lichts der Nacht. David Bord­well hat dies­be­züg­lich sehr viel über Hou Hsiao-hsi­en nach­ge­dacht, bei dem die Distanz einen ande­ren Blick ermög­licht und kom­bi­niert mit Licht, Ton, Bewe­gun­gen der Figu­ren und Kame­ra eine eige­ne Form fil­mi­schen Erzäh­lens offen­bart, die eben nur aus die­ser Ent­fer­nung oder sagen wir: nur aus einer Ent­fer­nung mög­lich ist. Damit zeigt sich auch, dass Distanz nicht nur an der Not­wen­dig­keit hängt, son­dern auch am Poten­zi­al. Vik­tor Kos­sa­kovs­ky ist ein Fil­me­ma­cher, der sich in sei­nen Arbei­ten immer lang­sam nähert, der immer aus einer Distanz beginnt. Es geht dabei nicht nur um einen Respekt vor den Men­schen, die er da filmt, son­dern auch dar­um, dass ers­tens in einer Tota­le mehr Spiel­raum für Bewe­gung herrscht und die Tota­le auch immer die Mög­lich­keit des Näherns in sich trägt. das­sel­be gilt natür­lich anders­her­um, doch scheint mir das Poten­zi­al des Näherns zärt­li­cher, als jenes ein­sa­me Poten­zi­al des Ent­fer­nens, das den­noch oder des­halb einen berüh­ren­den Effekt haben kann. Hou hat ein­mal gesagt, dass er sich selbst in die­ser Distanz spür­bar machen kann. Paso­li­ni hat dar­über geschrie­ben. Das span­nen­de jedoch, so scheint mir, pas­siert immer dann, wenn die­se Distanz ent­we­der wie im Fall von Michel­an­ge­lo Anto­nio­ni oder des jun­gen Jean-Luc Godards die Welt­wahr­neh­mung der Figu­ren spie­gelt oder eben, wie im Fall des spä­te­ren Godards, Cos­tas oder Straub&Huillets die Pro­ble­ma­tik der Objek­ti­vi­tät, der Ethik zu einem Teil der Effek­ti­vi­tät macht. Was aber, wenn ein Fil­me­ma­cher die­se Über­sicht, die auch ein Gewis­sen ist, über Bord wirft. Der die­se Woche ver­stor­be­ne Zulaw­ski ist ein Bei­spiel für den Ver­such die­ser Über­win­dung zwi­schen Kör­per­lich­keit, Hand­ka­me­ra-Nähe, Bli­cken in die Kame­ra und Schrei­en die das Mikro­fon über­rum­peln. Doch ganz ähn­lich wie bei Hou scheint er dadurch auch eine erzäh­le­ri­sche Distanz zu gewin­nen. Es ist der Auf­tritt von Para­noia statt Nost­al­gie, der Glau­be an Liebe/​Lust statt Gleichgültigkeit/​Entfremdung. Auch Zulaw­ski ist auf der Suche nach einem Ver­spre­chen und einem Begeh­ren: Das Lei­den auf Film greif­bar machen statt nur zu beob­ach­ten wie es nicht greif­bar ist, sich auf­löst, sich aus­brei­tet. Damit ent­ste­hen die Bewe­gung von Distanz und gro­ßer Nähe aus dem­sel­ben Ver­lan­gen. In bei­den liegt die Sinn­lich­keit einer ande­ren Wahr­neh­mung und so begin­nen sich die Ent­frem­dung und die Lust zu ver­mi­schen. Ein Fil­me­ma­cher, der nahe­zu in Per­fek­ti­on im Zwi­schen­spiel aus Immersi­on und Distanz arbei­tet, ist Apichat­pong Weer­a­set­ha­kul. In sei­nen jün­ge­ren Wer­ken fühlt man sich zunächst oft aus küh­ler Ent­fer­nung beob­ach­tend bis man in einen Sog fällt, der jenen der Figu­ren spie­gelt. Ganz ähn­lich ver­hält es sich mit Il deser­to rosso von Michel­an­ge­lo Antonioni.

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Einer der offen­sicht­li­chen Fol­gen die­ses Gefühls des Ver­schwin­dens mit dem unbe­ding­ten Wunsch des Spü­rens, der sich nicht sicher ist, ob er die Sache selbst oder ihr Ster­ben spü­ren will (das gilt gewis­ser­ma­ßen schon immer und seit sei­nem Tod beson­ders für das Kino) oder kann, ist Deka­denz. Der genui­ne Fil­me­ma­cher unse­rer Zeit und legi­ti­mer Nach­fol­ger von Luch­i­no Vis­con­ti dies­be­züg­lich ist Bert­rand Bonel­lo. Das liegt nicht nur dar­an, dass sei­ne Stof­fe wie in L’A­pol­lo­ni­de – Sou­ve­nirs de la mai­son clo­se oder Saint Lau­rent ganz offen­sicht­lich mit Deka­denz gefüllt (oder soll­te man sagen: ent­leert) sind. Bei ihm ist es schwer, zwi­schen Distanz und Ein­tau­chen zu unter­schei­den. In einer beein­dru­cken­den Mon­ta­ge­se­quenz in sei­nem Saint Lau­rent, in der in einem Split­screen die jewei­li­gen Kol­lek­tio­nen von Saint Lau­rent mit gleich­zei­ti­gen poli­ti­schen Ereig­nis­sen und Kata­stro­phen explo­siv kom­bi­niert wer­den, ver­bin­det er eine poli­tisch moti­vier­te Kri­tik mit der musi­ka­lisch pro­vo­zier­ten völ­li­ge Hin­ga­be in die­se Schön­heit und Igno­ranz. Es gibt Autoren, die über das Kino schrei­ben, die ganz ähn­lich arbei­ten. Sie ver­su­chen das Emp­fin­den in Wor­ten aus­zu­drü­cken (völ­lig hilf­los, natür­lich) und zugleich eine kri­ti­sche Distanz zu wah­ren. Ich gehö­re wohl auch dazu. Man könn­te eine Fra­ge an das Kino stel­len, die da lau­tet: Wie sieht ein Kino denn ohne Distanz aus? Die Ant­wort wäre wohl: Das ist kein Kino. Den­noch ist ein andau­ern­der Auf­schrei nach einem nai­ven Fühl­ki­no zu ver­neh­men. Es ist ein biss­chen para­dox, schließ­lich fühlt man auch oder gera­de aus der Distanz. Soll man die Lein­wand ein­rei­ßen? Manch­mal habe ich den Ein­druck, dass in die­ser For­de­rung, die­sem Ver­lan­gen eher das Abster­ben der eige­nen Gefüh­le im Kino betrau­ert wird. Doch je wei­ter man in Fil­me ein­taucht, des­to mehr droht man sich emo­tio­nal von ihnen zu ent­fer­nen. Das Gegen­teil ist eine Behauptung.

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Ein drit­ter Fak­tor der Distanz ist jene Bild-Qua­li­tät des Kinos, die dazu führt, dass Godard basie­rend auf prä­gen­den Über­le­gun­gen Jer­ry Lewis mit einem gro­ßen Maler ver­gleicht. Der Film als Bas­tard-Kunst behaup­tet in der Distanz oft sei­ne Nähe zu Male­rei (in der Nähe jene zur Musik?) und zu dem, was vie­le als Essenz bezeich­net haben, die Fähig­keit zur Aufnahme/​Beobachtung von beweg­ter Rea­li­tät. Distanz fühlt sich neu­tra­ler an. Letzt­lich ist sie aber nur neu­tra­ler, wenn sie sich als Distanz offen­bart. Ein gutes Bei­spiel dafür sind Ober­flä­chen. Sei­en es Türen, von denen Cos­ta ger­ne spricht, Sei­den­vor­hän­ge bei Hou, der Off-Screen bei Renoir oder Puiu, die Sprach­lo­sig­keit beim frü­hen Bar­tas, die Unschär­fe bei Cey­lan oder hun­der­te ande­re Beispiele…hier wer­den Fil­ter vor unse­ren Blick gescho­ben, die uns die Distanz, die Per­spek­ti­ve als sol­che bewusst machen. Hier fin­det sich viel­leicht auch ein Pro­blem des meist gefei­er­ten Micha­el Han­eke. Denn die Spra­che des küh­len Rie­gels, der sich vor die Emo­ti­on spannt, ist prin­zi­pi­ell eine, die in die­ser Tra­di­ti­on der Distanz steht, nur gewin­nen die oben genann­ten Fil­me­ma­cher aus ihrer Distanz und aus die­sem Rie­gel eine neue Zärt­lich­keit, jene der Ober­flä­chen, die dann wie­der­um eine Ver­wand­schaft auf­weist zur extre­men Nähe, zum Füh­len der Ober­flä­chen etwa bei Clai­re Denis, in deren Kino Haut knis­tert wie ein bren­nen­der Baum. Bei Han­eke ist eine Tür eine Tür. Das ist natür­lich kei­nes­wegs nega­tiv, aber manch­mal scheint es, als wür­de die Tür wirk­lich nur im Weg ste­hen wäh­rend sie etwa bei Cos­ta selbst eine Bedeu­tung hat. Und in die­sem Sinn ist die Tür eben bei Cos­ta eine indi­vi­du­el­le Tür, wäh­rend sie bei Han­eke nur die Idee einer Tür reprä­sen­tiert. In Cos­tas Fall ist die Kame­ra ein Sen­sor, der alles sieht, selbst wenn er nicht kann, bei Han­eke ist sie ein Sen­sor, der limi­tiert ist, obwohl er alles sieht. Cos­ta gewinnt aus der Limi­tie­rung, aus der Kri­se eine Poe­sie (man ver­glei­che damit auch den Dia­log über die Schat­ten und Geschich­ten an den Wän­den in Juventu­de em Mar­cha, in dem Ven­tura und eine Toch­ter sich über die neu­ge­stri­che­nen Wän­de in den neu­en Woh­nun­gen beschwe­ren, weil die­se kei­nen Platz mehr las­sen für die Illu­si­on) wäh­rend Han­eke – und das macht einen Teil sei­ner Attrak­ti­vi­tät aus – dar­in eine Ver­nei­nung, eine Des­il­lu­si­on fin­det. In die­sem Sinn ist die Distanz von Cos­ta nichts ande­res als die Nähe von Denis. Es sind indi­vi­du­el­le Per­spek­ti­ven, die etwas objek­ti­ves sicht­bar machen. Jean Epstein hat an den Blick der Kame­ra selbst geglaubt. Könn­te man dahin zurück?

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Ein bra­chia­les Fühl­ki­no, was soll das eigent­lich sein? Man denkt schnell an auf­ge­sprun­ge­ne Gren­zen, Farb­ex­plo­sio­nen, eine Bedin­gungs­lo­sig­keit, die sich weder tech­ni­schen, noch kom­mer­zi­el­len, noch film­theo­re­ti­schen Über­le­gun­gen beugt. Man denkt an eine Ent­fes­se­lung des Blicks, der sich nicht mehr an das Prin­zip der Natur klebt, son­dern durch die kine­ma­to­gra­phi­schen Räu­me flirrt, schwirrt und geis­tert, unbe­ein­druckt vol­ler Ein­drü­cke, der Unsicht­ba­res kom­plett sicht­bar macht und Sicht­ba­res frisst. Schnell ist man in der Avant­gar­de bei Fil­me­ma­chern wie Paul Sha­rits. Die­ses Kino ist ein Traum, der sich am ehes­ten in der Distanz zwi­schen sei­ner Illu­si­on und die­sen Gefüh­len offen­bart, er wird also rea­lis­tisch, wenn man sich auf die Distanz selbst fokus­siert. Denn wenn man eines bei den gro­ßen Fil­me­ma­chern des (zeit­ge­nös­si­schen) Kinos beob­ach­ten kann, ist es ihre Fähig­keit das „Dazwi­schen“ zu fil­men. Zwi­schen­zu­stän­de zwi­schen Leben und Ster­ben, zwi­schen Doku­ment und Fik­ti­on, Gegen­wart und Ver­gan­gen­heit, Still­stand und Bewe­gung, Flüs­tern und Schrei­en, Zeit und Zeit­lo­sig­keit, Nost­al­gie und Hoff­nung, Wut und Ohn­macht, Lie­be und Müdig­keit, Ver­bit­te­rung und Enthu­si­as­mus, das Außen und Innen. Wie filmt man den Ton­fall von Flau­bert? Wie filmt man einen Trink­spruch von Orson Wel­les („Here is to cha­rac­ter!“)? Wie filmt man, das man nichts mehr fil­men kann? Ein Gefühl, dass das Kino nicht mehr not­wen­dig ist. Man fühlt ent­we­der die Geschich­te und/​oder das, was sich vor der Kame­ra abspielt oder die Kame­ra selbst, am bes­ten bei­des zugleich, weil es nicht unab­hän­gig von­ein­an­der exis­tie­ren kann. Man fühlt den Gedan­ken, sei er poli­tisch, mora­lisch oder dra­ma­tur­gisch einer Ein­stel­lung und denkt das Gefühl einer Trä­ne, die die Haupt­dar­stel­le­rin weint und die von der Kame­ra trop­fen muss.

Noirot

Doch die Kame­ra kann auch gleich­gül­tig sein. Wenn bei Moses und Aaron von Straub/​Huillet die eitern­de Lepra­hand im Bild ist, spürt man gera­de in der Gleich­gül­tig­keit eine Sinn­lich­keit. Bru­no Dumont hat die­se Gleich­gül­tig­keit immer wei­ter gestei­gert bis er selbst/​selbst er den Humor dar­in gefun­den hat. Das Füh­len einer Gefühl­s­ab­we­sen­heit. Das Aus­drü­cken des­sen, was man nicht aus­drü­cken kann. Das Kino bleibt eine Sehn­suchts­ma­schi­ne. Rela­tiv, weil sie zwi­schen den Bil­dern agiert, abso­lut, weil sie in den Bil­der dazwi­schen exis­tiert, maschi­nell, weil sie tech­nisch her­ge­stellt wird, eine Sucht, weil sie immer wie­der sehen muss, immer wie­der ver­langt, Ver­lan­gen sicht­bar macht. Das bra­chia­le Fühl­ki­no gibt es nicht. Es ist das not­wen­di­ge Poten­zi­al des Kinos. Ohne die Idee eines „Mehr“, ohne die Idee eines „Anders“ gibt es kei­ne Kino­kul­tur. Das gro­ße Pro­blem des Kinos ist dann, dass heu­te die­ses „Mehr“ und „Anders“ oft in eine Ver­gan­gen­heit rückt bezie­hungs­wei­se in ein für den nor­ma­len Kino­gän­ger unsicht­ba­res Kino. So trans­for­miert sich die­se Distanz in eine Frus­tra­ti­on, die mit dem Slo­gan „Das Kino ist tot.“ schon seit Jahr­zehn­ten ihren phi­lo­so­phi­schen Schluss­punkt erlebt hat. In die­ser Ohn­macht herr­schen sub­jek­ti­ve Wahr­hei­ten, weil alles ande­re fatal wäre, es herrscht ein Krieg der Aner­ken­nung, eine Pro­fi­lie­rungs­sucht von Men­schen, die alle­samt ums Über­le­ben ren­nen und dabei so tun als wür­den sie lie­ben. Manch­mal weiß man nicht, ob Fil­me­ma­cher wirk­lich an ihr Kino glau­ben und Kri­ti­ker wirk­lich an ihre Mei­nung. Sie schrei­en: „Das Kino lebt!“, und prä­sen­tie­ren ihre fil­mi­sche oder intel­lek­tu­el­le Sicht auf Din­ge mit einem Mini­mum an Zwei­feln, die sie ja durch Recher­che, Arro­ganz, Not­wen­dig­kei­ten igno­rie­ren kön­nen. Sie spie­len eine Rol­le und offen­ba­ren dadurch, dass das Kino nicht fühlt oder blickt, son­dern nur spielt. Es ist nor­mal und schreck­lich. Das bra­chia­le Fühl­ki­no gibt es nicht. Es ist Por­no­gra­fie. Nicht des Blicks, son­dern der Macher und Schauenden.

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Am Ende spricht das Kino trotz aller gegen­tei­li­gen und trös­ten­den Ver­su­che nur zu einem selbst. Das Irrea­le wird in sol­chen Momen­ten für einen Augen­blick real.Dann gehen wir ans Set und berei­ten eine Nah­auf­nah­me vor. Was wird man sehen? Darf man noch etwas sehen? Der Ver­such ist ein Ver­bre­chen. Man muss sich bewusst machen, dass eine Nah­auf­nah­me ent­we­der ein Ver­bre­chen ist oder ein Lie­bes­akt. Ber­nar­do Ber­to­luc­ci hat ein­mal über sei­ne ers­te Begeg­nung mit Pier Pao­lo Paso­li­ni erzählt. Er war im Haus sei­ner Fami­lie und jemand hat geklin­gelt. Vor der Tür stand ein jun­ger Mann, der wie ein Arbei­ter an einem Sonn­tag geklei­det war. Der Mann sag­te, dass er ger­ne den Vater sehen wür­de. Etwas an sei­nem Blick, hat Ber­to­luc­ci glau­ben las­sen, dass die­ser Mann ein Dieb sei, der geklin­gelt hat­te in der Hoff­nung, dass nie­mand dort sei und der dann ein­ge­bro­chen wäre. Ber­to­luc­ci ging zu sei­nem Vater und sagt ihm, dass ein komi­scher jun­ger Mann vor der Tür stand. Der Vater sag­te ihm, dass das ein gro­ßer Poet sei.