Das Gedächtnis des Filmmenschen ist eine Zisterne, dem jeder Kinobesuch neue Bilder zuschüttet. Dann kommt Bewegung in das visuelle Reservoir, es plätschert und wogt, Schichten verschieben und vermischen sich, Versunkenes treibt an die Oberfläche und schafft neue Gemengelagen. Plötzlich zieht man ganz unwillkürlich Parallelen, wo doch völlig unzweifelhaft keine bestehen, weil die Erinnerungsbilder ihren eigenen Willen haben, ihrem eigenen Begehren folgen und sich bei der Partnerwahl einen Dreck scheren um Sitte, Genre und Gebrauch.
Was haben Lucio Fulcis Don’t Torture a Duckling (Italien 1972) und Nuri Bilge Ceylans Once Upon a Time in Anatolia (Türkei 2011) gemeinsam? Nichts. Nichts außer dem provinziellen Setting und dem Krimi-Genre, und letzteres auch nur, wenn man es ganz, ganz weit fasst. Als Kinoereignisse, als raum-zeitliche Erfahrungen, als formale Anordnungen sind sie einander diametral entgegengesetzt. Es ist, als würde man eine Rhapsodie mit einer Elegie vergleichen: Rhythmus, Klangfarbe und Stilmittel haben andere Ursprünge, andere Ziele, andere Sehnsüchte. Dennoch drängen die Bilder ineinander.
Es lässt sich wenig schöpfen aus dieser Gegenüberstellung, die Parallelisierung zeitigt keine großen Erkenntnisse – außer jener Offenkundigkeit, das sich bestimmte Kadragen und Kompositionen, Perspektiven und Positionierungen, Motive und Menschenbilder formalen Genotypen gleich durch die gesamte Kinogeschichte ziehen. Man begegnet ihnen an fremden Orten in neuen Gewändern und fragt sich, woher man sie kennt, doch sie sind wieder fort, kaum dass man sich besinnt.
Solch eine Übung ist kein Kunststück. Mit der entsprechenden Intention und einer basalen Expertise lassen sich sicherlich Myriaden von Filmen auf diese Weise engführen. Eine oberflächliche Verwandtschaft kann selbst da herbeigezaubert werden, wo nicht mal der großzügigste Betrachter eine erkennen würde, indem man den Bildkorpus seziert und Frames absondert, die dem natürlichen Wahrnehmungsfluss verborgen bleiben. Aber was ist schon natürlich, wenn es um Kino geht?
Und diese Art von Kleinarbeit steht ohnehin selten am Anfang solcher vergleichenden Studien. Der Impuls geht nicht von einem intrinsischen Schaffensdrang aus, sondern von den Filmen. Ein unscheinbares Bild stößt beiläufig eine Geheimtür in der Leinwand auf, durch die sich unangekündigt alte Bekannte vorstellig machen, und hat man sie bewirtet, machen sie keinerlei Anstalten, sich zu verabschieden, im Gegenteil: Nach und nach kommen immer mehr hereingeschneit.
Auf einmal sieht man alles doppelt. Eine Folie legt sich über die Bilder, und Ähnlichkeiten, die einem sonst niemals in den Sinn gekommen wären, sind plötzlich evident. Man könnte diesen Blick verwerfen, aber das Schauspiel ist zu verlockend: Eine Fusion, eine Verschmelzung, ein unmögliches Hybridwesen ist da vor den eigenen Augen im Entstehen begriffen, wie die sonderbaren Mutationen in John Carpenters The Thing, nur gespenstischer und weitaus weniger grotesk.
Manchmal versiegt die Quelle nach kurzem Sprudel. Dann bleicht der Schleier aus, und der Film läuft weiter wie zuvor, eigenständig, ungestört. Aber ab und zu will der Strom einfach nicht aufhören, immer und immer wieder zieht es die Bilder zueinander, sie kippen von einer Umarmung in die nächste wie im Freudentaumel und lassen den Zuschauer nicht zur Ruhe kommen. Irgendwann sind die Filme dann so stark ineinander verkeilt, dass man sie gar nicht mehr zu trennen vermag.
Dann braucht es nicht mehr viel, um eine Verbindung herzustellen. Dann reicht schon eine Textur, ein Winkel oder eine Farbe, um das Spiel am Laufen zu halten, und die Filme sind wie Katzen, die um ein Wollknäuel kämpfen: Sie können nicht davon lassen, es einander zuzuschupfen und sich wieder zu entringen. Das ist nicht regelhaft, das ist kindisch und frei von Vernunft, das ist auch eine Lust am Text.
Dabei geht naturgemäß etwas verloren, sehr viel sogar. Der Schlagabtausch intertextueller Referenzen übertönt die originären Appelle der Filme und ihrer Urheber, sie können ihre Wirkung nicht mehr so entfalten, wie es ihnen zusteht. Die Fabeln, falls es welche gibt, durchkreuzen sich gegenseitig. Aber gerade dies ist Glück und Elend des Kinos, sein bestimmender Wesenszug: Niemals hat es zur Gänze Macht über sich selbst.
Was würden wohl die Regisseure sagen, wenn man sie mit diesen Montagen konfrontieren könnte? Würden sie lachen, sich empören, oder gleichgültig mit den Achseln zucken? Spielt es eine Rolle? Es ist dies eine Form der Aneignung, die ein inneres Wollen stillt und keiner Verwertung bedarf, keiner Bestätigung außer der Kenntnisnahme des Hinweises. Der Cinephile ist derjenige, der sagt: Seht her, was ich gefunden habe!
Jacques Rancière schreibt in seinem Essay über den emanzipierten Zuschauer: „Auch der Zuschauer handelt, wie der Schüler oder der Gelehrte. Er beobachtet, er wählt aus, er vergleicht, er interpretiert. Er verbindet das, was er sieht, mit vielen anderen Dingen, die er gesehen hat, auf anderen Bühnen und an anderen Arten von Orten. Er erstellt sein eigenes Gedicht mit den Elementen des Gedichts, das vor ihm ist.“ Und der Vergleich von dem, was nicht gemacht wurde, um verglichen zu werden, birgt vielleicht sogar etwas Politisches.
Könnte es am Ende sein, dass die Überlappungen doch mehr sind als bloße Spiegelfechterei? Dass tatsächlich derselbe Geist durch diese Filme spukt? Etwas Unheimliches und Übernatürliches, das sich nie offen zu erkennen gibt, aber doch unleugbar präsent ist, die Figuren umtreibt, über den Landschaften liegt… Ein bloßes Hirngespinst, keine Frage.
Keine Frage.