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„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Duisburger Filmwoche 2022: Aşk, Mark ve Ölüm von Cem Kaya

Als türkische Arbeitsmigrant:innen in den 1960er Jahren in die Bundesrepublik Deutschland kommen, werden sie für den Wohlstandserhalt gebraucht, aber von vielen Bundesbürger:innen nicht gewollt. Um Ausgrenzung und Heimweh zu entfliehen, retten sich viele in die Kultur der Heimat und lassen einen riesigen türkischsprachigen Musikmarkt entstehen. Aşk, Mark ve Ölüm dokumentiert diese an der Mehrheitsgesellschaft vorbeigegangene Geschichte mithilfe von Musiker:innen, Fans und Zeitzeug:innen.

Als das Licht nach dem Film angeht, hat man das Gefühl, am dritten Festivaltag einen ersten Publikumsliebling gesehen zu haben. Im Kino gibt es viele grinsende Gesichter und die positive Stimmung überträgt sich auch auf die anschließende Diskussion im naheliegenden Saal. Regisseur Cem Kaya macht mit dem Smartphone Fotos von den Menschen, die hier sitzen und zum großen Teil auch stehen. So voll wie nach seinem Film, war der Diskussionraum nie wieder. Bei der Begrüßung wird überschwänglich applaudiert.

„Was ein Knaller.“, leitet Moderatorin Nesrin Tanç die Gesprächsrunde über den Film ein und bedankt sich gleichzeitig beim Regisseur, dass endlich die Musikkultur türkischer Migrant:innen in der Bundesrepublik Deutschland thematisiert wird.

Anders als der Film ist der Beginn des Gesprächs etwas trocken und es geht hauptsächlich um die Arbeit mit Archivmaterial. Ein Großteil davon sind Mitschnitte aus dem bundesdeutschen Fernsehen, Musikvideos migrantischer Künstler:innen und Familienaufnahmen türkischer Hochzeiten in Deutschland. Vieles hatte sich schon durch die Vorgängerfilme Kayas über die türkische Popkultur angesammelt, so auch einige Interviews, die teilweise bereits 2011 geführt wurden. Die Recherche, Sichtung und Sortierung von Archivmaterial nahmen einen großen Teil der Arbeit ein und laut Kaya ging es immer wieder darum, aus der Masse besonders exemplarische Elemente zu finden. Als Beispiel nennt er einen Ausschnitt aus einer Fernsehshow mit Rudi Carrell, in dem sogenannte „Gastarbeiter“ mit aufgeklebten Bärten zu sehen sind und der eindrücklich erkennbar macht, wie die angeworbenen Migrant:innen dargestellt und wahrgenommen wurden.

Dann spricht Tanç an, was den Film wohl so beliebt macht. Die „catchy“ Inszenierung Kayas, die eindeutig seine Handschrift trägt und der wohl zuträglich ist, dass er Werbe- und Musikvideos dreht. Er selbst wollte seinen Film „bigger-than-life“ wirken lassen und nutzte dazu unter anderem Weitwinkelkameras in den Interviews, um neben den Talking-Heads auch deren Umgebung zu zeigen und auf diese Weise viele Bilder für die Zuschauer:innen bereitzustellen. Er bemerkt außerdem, dass es sich um einen Essayfilm handelt, der die Kollektivgeschichte aus seinem subjektiven Blick erzählt.

Tanç betont noch einmal, wie dankbar sie für den Film ist, da er auch einen Teil ihrer Geschichte zeigt, den sie nie teilen konnte und der für die Mehrheitsgesellschaft immer noch unsichtbar ist. In ihrer spürbaren Euphorie reißt sie die Diskussion aber etwas an sich und lässt zunächst wenig Platz für die Fragen und Anmerkungen der Zuschauer:innen. Erst nach einer Intervention des Regisseurs kommen Meldungen aus dem Publikum. Und hier wird schnell deutlich, dass auch dieses dankbar für den Film ist, da es zum großen Teil die Mehrheitsgesellschaft widerspiegelt, die keine Ahnung von der migrantischen Musikkultur hatte und nun endlich einen Einblick bekam.

Eine Zuschauerin lobt, wie mühelos der Film es schafft, zwischen Türkisch und Deutsch, in der gesprochenen Sprache wie in den Untertiteln, zu rotieren. Kaya erklärt dazu, dass er es seinen Protagonist:innen überlassen hat, in welcher Sprache sie sprechen wollen. Er merkt außerdem an, dass am Anfang des Films viel Türkisch und im weiteren Verlauf immer mehr Deutsch gesprochen wird, was seiner Meinung nach auch die Entwicklung der Generationen der Deutsch-Türken widerspiegelt.

Mit „Ey, die haben doch auch GEZ bezahlt, verdammte Scheiße“ bringt ein Zuschauer seinen Unmut darüber zum Ausdruck, dass die Migrant:innen nicht nur mit Ihrer Musik so wenig in den deutschen Medien vorkamen.

Auf die Frage, warum der Film dort endet, wo er endet, antwortet Kaya, dass er dort aufhören wollte, wo das Internet anfängt. Mit der Möglichkeit von YouTube und Ähnlichem wären die Schranken für die Sichtbarkeit von migrantischen Künstler:innen deutlich gefallen.

Zum Ende redet Kaya noch einmal euphorisch über die Arbeit mit dem Archiv und darüber, was es nicht in den Film geschafft hat. So hat er einen Abschnitt über politische kurdische Musik ausgelassen, da er selbst nicht mit dem Thema vertraut ist und sich dieses nicht aneignen wollte. Das Publikum entlässt den Filmemacher mit ebenso viel Applaus, wie es ihn empfangen hat. Auch nach einer Stunde Redebeiträgen ist wenig von der Begeisterung für Aşk, Mark ve Ölüm verloren gegangen.

Von Christopher Groß