Erinnerungen an eine Oper – Ingmar Bergmans Trollflöjten

Ingmar Bergman zeigt seine Affinität zu Mozarts vorletzter Oper Die Zauberflöte bereits in seinem Film Vargtimmen (Die Stunde des Wolfs), in dem eine Szene der Oper als magisch zum Leben erwecktes Puppentheater nachgespielt wird. Daher – auch in Anbetracht seiner vielen Erfahrungen als Bühnenregisseur – scheint es nicht verwunderlich, dass er 1975 im Auftrag des Schwedischen Rundfunks sich an eine filmische Adaption der Oper wagt.

Die Zauberflöte gilt heute (neben Verdis La Traviata) als die meistaufgeführte Oper der Welt. Schon nach der Uraufführung 1791 avancierte das Stück von Schikaneder (der den berühmten Vogelfänger Papageno damals selbst auf der Bühne verkörperte) und Mozart zu einem riesigen Erfolg. Dies ist vor allem Verwendung von Motiven und Inhalten der Zauberposse zu verdanken, die sich zu jener Zeit in der Wiener Gesellschaft höchster Beliebtheit erfreute und die Schikaneder und Mozart im Laufe des Stückes immer mehr mit einer ernsten, mystischen Atmosphäre, die stark von Freimaurersymbolik geprägt ist, verbinden. Mozarts Oper (insbesondere einzelne Arien daraus, wie Dies Bildnis ist bezaubernd schön, Der Vogelsänger bin ich ja und Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen) erfreut sich heutzutage einer darartigen Medienpräsenz, dass sich natürlich die Frage stellt, ob es möglich ist, dem Stück noch neue Facetten abzugewinnen. Begman findet einen Weg der Neuinterpretation in einer eigentümlich Verbindung von theatralen und filmischen Elementen in seinem Film Trollflöjten.

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In vielen von Bergmans Filmen ist ein starker Einfluss vom Theater her auszumachen, doch in keinem spielt er so offensichtlich mit der Theatralität des Films wie in Trollflöjten. Besonders von seinen Erfahrungen als Opernregisseur (Die Dreigroschenoper, 1950, The Rake’s Progress, 1961) profitiert der Film. Seine Hingabe zur Oper, die sich durch sein ganzes Leben zieht (er adaptiert und inszeniert 1991 Euripides‘ Bakchen für die Opernbühne), zeigt sich auch in dem feinfühligen Umgang mit der Vorlage. Die Adaption eines Bühnenstücks erweist sich meistens als sehr schwierige Aufgabe, schließlich soll sie den Geist der Vorlage einfangen ohne eine bloße Aufzeichnung des Werks zu sein. Gerade in der heutigen Zeit, in der sich die Aufnahmetechnik in den Theatern und Opernhäusern ständig verbessert, bedarf es mehr als einen Einfangens des Bühnengeschehens, um sich von den verschiedenen Hausaufzeichnungen abzusetzen (die ein Medium ihrer eigenen Art sind, das sich vom Film unterscheidet).

Bergmans ausgewogene Erfahrung als Film- und Bühnenregisseur kommt im Falle von Trollflöjten zur vollen Geltung. Er beherrscht die spezifischen Ausdrucksformen der beiden Medien mit solcher Meisterschaft, dass er sie in verspielter Weise gegeneinander ausspielen kann. Dies beginnt schon bei den feinen Änderungen, die sich in der schwedischen Übersetzung des Librettos wiederfinden: Große Teile der Freimaurersymbolik, wie z.B. die Anbetung der altägyptischen Götter, werden durch das Verändern kurzer Textpassagen aus dem Stück entfernt; des Weiteren wird die Beziehung zwischen Sarastro und Pamina als Vater und Tochter neu definiert. Durch diese feinen Verschiebungen eröffnet sich eine neue Deutungsebene des Stücks, in dem es nun nicht mehr so sehr um den archaischen Kampf Gut gegen Böse, Nacht gegen Tag, Weiblich gegen Männlich, sondern um Konflikte innerhalb einer Familie geht. Als Familiendrama, das sich in weiterer Folge in eben jenen archaischen Kontrasten ausrückt, die den ursprünglichen Konflikt des Stücks ausmachen, fügt sich Trollflöjten nahtlos in das Gesamtwerk Bergmans ein.

Bergman scheint sich zudem der Gefahr bewusst zu sein, dass in der Oper durch die emotionale Dominanz der Musik, die anderen Informationskanäle (literarische und visuelle), leicht aus dem Aufmerksamkeitsfeld der Zuschauer verschwinden. Es scheint, als wäre die musikalische Interpretation, die in Trollflöjten zu hören ist, mit dem Hintergedanken konzipiert, kleine Gesten durch zu hohe Emotionalität nicht zu unterdrücken. So sind die Stimmen der Sänger und Sängerinnen sehr oft aus großer Nähe, ohne Raumwirkung, zu hören; in den großen Arien kommt es an typischen Stellen, wo Opernsänger ihre Stimmgewalt in starkem fortissimo beweisen, bei Bergman höchstens zu einem mezzoforte. Überhaupt scheinen all die großen melodramatischen Gesten der Oper für den Film verkleinert worden zu sein: der Film ist geprägt von fast stoischen Gesichtern, deren Emotionalität sich eher aus der Spannung zwischen dem inneren Befinden der Darsteller und deren äußerem Ausdruck ergibt, als sich durch direkte Körperlichkeit mitzuteilen. Die Gesten in Trollflöjten sind eben nicht opernhaft, sondern filmisch.

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In jenen Momenten, in denen selbst durch solche Methoden die Opernhaftigkeit der Zauberflöte nicht abgeschwächt werden kann, entschärft Bergman die Situation, indem er eben jene Opernhaftigkeit durch die Inszenierung noch stärker hervorhebt: Die theaterhafte Kulisse wird ins Bild gerückt, die Darsteller wenden sich an das Theaterpublikum und Schrifttafeln begleiten den Gesang. Hiermit wird die Stimmung des Stückes aufgelockert (eben im Geiste der Vorlage) und die Handlung gleichzeitig stilisiert. Dieser Stil zeigt sich in Trollflöjten durch das Hervorheben verschiedener theatraler Momente und der Machart des Films. Dies beginnt bereits in der Eröffnungsszene, in der dem Zuschauer in vielen Close-Ups das Theaterpublikum präsentiert wird, welches Bergmans Inszenierung der Zauberflöte betrachtet. Das Publikum blickt gespannt auf die Bühne und reflektiert in feinen Gesichtsbewegungen kleine Veränderungen in der Musik. Obwohl die Augen der Zuschauer auf die Bühne fixiert sind, kann man annehmen, dass sie nur auf einen geschlossenen Bühnenvorhang blicken; es ist einerseits Operntradition während der Ouvertüre eines Stückes den Vorhang geschlossen zu halten (es sei denn der Bühnenregisseur hat sich dazu entschlossen, auch die Eröffnungsmusik zu inszenieren), andererseits zeigt uns Bergman das Öffnen des Vorhangs nach der Ouvertüre. Der Vorhang öffnet den Blick zu einem Bühnenbild, das so aus Uraufführung der Zauberflöte aus dem Jahr 1791 stammen könnte. Immer wieder führt uns Bergman während des Films in diese altbackenen Bühnenbilder mit durchschaubarer Mechanik zurück, doch dazwischen beugt und biegt er Raum und Zeit, wie es ihm taugt. Dieses Schaffen von unmöglichen Räumen, zeitlichen und räumlichen Diskontinuitäten, ist etwas zutiefst Filmische und im Theater völlig unmöglich. Bergman überrascht uns ständig mit plötzlich auftauchenden Personen und Aneinanderreihungen von Bühnenräumen, die mal mehr und mal weniger illusionistisch aufgebaut sind; eine Winterszene, die in ihrem Aufbau sich kaum von einer realen Außenaufnahme zu unterscheiden ist, wird von einer Winterszene abgelöst, deren Künstlichkeit ab der ersten Sekunde evident ist.

Es ist erstaunlich, dass der Film trotz aller verspielter Doppelbödigkeit der Handlung der Zauberflöte und der von ihr kommunizierten Emotionen und Konflikte so treu bleibt. Gerade die zwischenmenschlichen Beziehungen scheinen Bergman besonders wichtig zu sein, in Anlehnung an verschiedene seiner eigenen Filme zitiert er immer wieder Einstellungen, die ohne Worte das volle Geflecht aus Konflikten zwischen zwei Personen auf einen Blick sichtbar machen. Und hier greifen das Medium Film und Musik perfekt ineinander: der ohnehin vielschichtigen Komposition von Mozart werden durch die starke Bildsprache noch weitere Ebenen hinzugefügt, ohne jemals ein Übermaß an Bedeutung zu erzeugen.

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Ein Übermaß an Bedeutung ist es auch nicht, was Bergman erzeugen möchte. Vielmehr als eine Interpretation des Werkes, scheint Trollflöjten eine Erinnerung an eine Oper zu sein, geprägt von emotionalem Gedenken und dem Einfühlen in die Schickale der Protagonisten, aber auch den Momenten der Abschweifung, in der die Illusion der Bühne in sich zusammenfällt. Es ist ein Nachvollziehen des Betrachtens einer Oper, das Bergman uns präsentiert. Der Blick des Zuschauers wird nachvollzogen; der Blick, der am Gesicht – am Hort der Emotion – der Protagonisten haftet, ein Blick, in dessen Einbildung ein Bühnenbild zu einem realen Ort wird, ein Blick, der auch die Faszination für die Mechanik der Bühne kennt, aber auch ein Blick, dessen Aufmerksamkeit sich zerstreut, der sich Vorstellt, was hinter der Bühne passieren könnte, der in sich kehrt und über das eigene Zuschauersein reflektiert. Vielleicht der Blick eines Mädchens mit roten Haaren, das inmitten des Zuschauerraumes sitzt.

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