Film ist eine Fremdsprache. Wir leben in einer Welt, in der Film eine Fremdsprache ist. Auf Filmschulen wird gerne behauptet, dass wir alle (d.h. das Volk, die Jugend, der Bürger, ein normales menschliches Wesen) mit Bildern zu tun hätten. Jeden Tag. Das ist natürlich richtig, zu richtig. Aber mit Film hat das nichts zu tun. Das ist den Filmschulen egal.
Film ist eine Fremdsprache. Oft behaupten Menschen, dass ein Film in einer Fremdsprache sei. Sie sprechen dann von Untertiteln oder Synchronisierungen. Sie sprechen dann davon, dass sie etwas nicht verstehen. Aber verstehen sie in den paar Filmen etwas, deren Sprache sie glauben zu verstehen?
Film ist eine Fremdsprache in Deutschland. Murnau und Lang sind unerreichbare Schatten, man erwacht in Angst, weil man befürchtet, dass es sie nie gegeben hat. Hat das, was wir heute tun, noch etwas mit Murnau zu tun? Warum nennen wir beides Film? Es gibt nicht mal mehr die Sehnsucht danach. Kann man einfach so sagen, dass Film sich weiterentwickelt hat?
Film ist weniger als eine Fremdsprache, weil Fremdsprachen einen Reiz auf die meisten Menschen ausüben. Film übt keinen Reiz auf Menschen aus. Lediglich seine Repräsentationsfunktion, sein Glamour und seine Wirkung. Niemals seine Sprache, denn Film ist eine vergessene Fremdsprache. Es gibt ein paar strauchelnde Lehrer und Übersetzer dieser Sprache in der Welt. Sie leben in einem Elfenbeinturm und lügen sich an, weil sie selbst verlernen diese Sprache zu sprechen. Um diese Sprache zu sprechen, muss man hören und sehen können. Aber die meisten glauben, dass sie diese Fremdsprache durch Reflexion erlernen. Sie projizieren sich selbst auf die Leinwand, nein, den Laptop und identifizieren sich und glauben so, dass sie die Sprache beherrschen. Sie sind in der Überzahl und sie haben keine Ahnung. Sie rechtfertigen ihren Erfolg mit der Dummheit derer, die ihnen folgen.
Aber Film bleibt hier eine Fremdsprache. Ein verwirrendes Spiel beginnt, weil diese Leute ihre Unterhaltungs- und Masturbationsformen auch Film nennen, ein Verwirrspiel beginnt, weil Film viele Namen trägt, man vielen Namen Film geben kann, Filmnamen, Namensfilm.
Film ist eine Fremdsprache, weil sie nie erlernt wurde. Immer besteht sie aus dem, was man nicht gesehen hat. Film ist die Sucht nach dem Sehen, die Sehnsucht, die sehende Sucht nach dem Unsichtbaren, dem Unerreichbaren, wie könnte man diese Sprache erlernen? Vor kurzem habe ich in einem dieser Youtube-Beiträge gesehen, dass Menschen fordern, dass man das Kino abschaffen sollte, weil es zu teuer sei und weil dort sowieso ein falsches System herrsche. Diese Leute haben nicht einmal verstanden, dass Film eine Sprache ist, geschweige denn eine Fremdsprache, die immer aus dem besteht, was man nicht gesehen hat, nein, sie haben nicht verstanden, was Kino ist, dass Kino das Ereignis der Gegenwärtigkeit dieser Fremdsprache ist und somit der einzige Ort, an dem man sie in ihrer Materialität, ihrer Zeitlichkeit und ihrer Bestimmung sehen und hören kann und dass man sie auch nur dort erlernen kann. Film, sagen diese Leute, müsse mit der Zeit gehen, als würde man wissen, wohin eine Sprache gehen sollte, wenn man sie nicht kennt.
Film ist eine Fremdsprache, weil diejenigen, die sie in der Hand halten in dunklen, immer kleiner werdenden Kammern sitzen und nach Essig riechen während diejenigen, die das Wort „Film“ in den Mund nehmen noch nicht einmal wissen, wie sich ein solcher „Film“ in ihrer Hand anfühlt. Sie sind wie Köche, die Fertigprodukte servieren, deren Inhalt sie nicht kennen. Sie kennen aber noch nicht einmal den Geschmack, geschweige denn die Geschichte des Geschmacks. Film soll sichtbar gemacht werden, aber verkümmert und wird weggeworfen.
Film ist eine Fremdsprache, weil diejenigen, die sie sprechen in einer bitteren Melancholie versinken oder sich zufrieden damit geben, dass sie die Sprache verstehen.
Ich versuche nun seit einigen Jahren diese Fremdsprache zu erlernen. Ich habe noch nicht viel verstanden. Ich weiß vielleicht wie man sich begrüßt und wie man sagt: „Ich liebe dich“ (laut Adrian Martin mit einer 360 Grad Fahrt, aber ich habe mehrere Varianten gesehen…). Ich habe ein paar Menschen beobachtet und andere sogar getroffen, von denen ich sagen würde, dass sie die Sprache beherrschen.
Sie haben mir alle gesagt, dass Film eine Fremdsprache ist. Sollte es nicht eine Muttersprache sein? Hat meine Mutter nicht Film gesprochen? Es ist eine verlorene Sprache. Wie ein verlassenes Kohlebergwerk liegt diese Sprache vor uns. In ihr befindet sich immer noch die ganze Geschichte der Menschheit, aber niemand kann sie mehr sehen. Man kann sagen, dass Film eine Sprache der Geister ist, weil Film schon immer eine Sprache der Geister war, aber Film ist jetzt eine Geistersprache, eine Sprache, die es nicht mehr gibt, Film ist ein Phantom. Und so sprechen wir über Film wie wir über Phantome sprechen. Die einen dekonstruieren Film mit weltlichen Erkenntnissen, Gedanken und Werten. Sie sagen ganz nüchtern: „Film ist eine Technik, es geht dabei um dieses und jenes und sowieso…“ und die anderen mystifizieren es, sie sagen: „Oh, der Film ist wie die Nacht, er schleicht und träumt und sowieso…“ und andere sagen gar nichts, weil sie nie mit Phantomen in Berührung gekommen sind oder weil sie unter dem Schock dieser Berührung stehen.
Film ist eine Fremdsprache, an die man glauben muss. Es ist nicht normal, dass man an eine Sprache glauben muss. Filmmenschen aller Welt vereinigen sich, um zu merken, dass Film eine zu komplexe Sprache ist, um sich zu verstehen. Selbst jene, die diese Fremdsprache beherrschen, verstehen sich kaum. Sie müssen verstehen, dass es ein Teil dieser Sprache ist, dass man nicht versteht.
Film ist eine Fremdsprache. Man erlernt sie mit Begeisterung. Vielleicht ist die Begeisterung das Phantom. Ertrunken im Zynismus, beerdigt in einem bequemen Mantel des Schweigens. In manchen Zirkeln ist diese Sprache verboten. Dazu zählen Förderungen und jene Geldgeier, die an den Brüsten der Industrie saugen bis sie nicht mehr denken können, weil sie nicht denken wollen. Dazu zählen aber auch Missverständnisse von begeisternden Frauen und Männern, die in Film (klug wie sie sind) mehr sehen. Film wird instrumentalisiert, politisiert, ideologisiert, monetarisiert, institutionalisiert, aber niemand spricht Film. Ja, man wird sagen: „Film war schon immer eine Hure!“ und man wird sagen „Film ist mehr als seine Sprache!“, aber dagegen halte ich, dass man dem Film alles wegnehmen könnte außer seiner Sprache und seiner Technik und er bliebe immer noch Film.
Aber wen interessiert das in einer Welt, in der Film eine Fremdsprache ist? Was mich erschreckt: Manchmal muss man Film wie eine Ideologie gebrauchen, um ihn sichtbar zu machen. Menschen bauen sich eine Identität rund um Film auf. Sie werfen Film unter dem pauschalen Oberbegriff einer Cinephilie in die Massen wie Pornographie. Sie posten in sozialen Netzwerken in Zeitabständen über Filme, die ganz klar aufzeigen, dass sie dazwischen unmöglich Zeit für einen Film gehabt haben können. Die Aufgabe dieser Cinephilie ist scheinbar nicht das Erlernen und Bewahren dieser Fremdsprache, sondern nur das euphorische Klagen darüber, dass diese Sprache verschwindet, verschwunden ist, doch noch existiert. Ihr Vokabular ist jenes eines Liebesbriefs, der unglaubwürdig ist und in den sich dennoch Tausende verlieben, weil er von der gleichen Hilflosigkeit erzählt, die man selbst empfindet. Vielleicht verstehe ich sie falsch, vielleicht versuchen sie auch nur, nicht zu vergessen, nicht zu vergessen, was diese Sprache ist.
Wir schweigen im Kino, weil wir uns wünschen, dass Film eine Fremdsprache ist, damit wir etwas Besonderes sind, wenn wir sie beherrschen. Und so kann uns niemand vorwerfen, dass wir im Unrecht sind und so kann uns jeder vorwerfen, dass wir im Unrecht sind. Film ist eine Fremdsprache.