Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Das Kino ist ein fatales Spiel

Schon län­ger regt sich in mir die Fra­ge, ob die Anwe­sen­heit einer Film­ka­me­ra eher zu einer Locke­rung der Rea­li­tät bei­trägt oder dadurch eine grö­ße­re Ernst­haf­tig­keit ein­setzt. Ver­ein­bart man in Anwe­sen­heit der Kame­ra einen Spiel­cha­rak­ter oder ist man im Ange­sicht die­ses Instru­ments, das Unsicht­ba­res sicht­bar macht, ist man noch deut­lich mehr in der Bedeu­tung, dem Sinn und der Sinn­lich­keit die­ser Rea­li­tät ver­haf­tet. Ich den­ke, dass die Lösung immer bei­des zugleich sein muss. Das Spiel führt letzt­lich zum Sinn und der Sinn for­dert ein Spiel.

Immer wie­der arbei­ten Fil­me­ma­cher mit unter­schied­li­chen Metho­den, den Schau­spiel­pro­zess sicht­bar zu machen. Neh­men wir als Bei­spiel Cris­ti Pui­us Trois exer­ci­ces d’in­ter­pré­ta­ti­on, der eigent­lich gar nicht als Film für die Öffent­lich­keit gedacht war. Tat­säch­lich han­delt es sich hier­bei um einen film­ge­wor­de­nen Schau­spiel­work­shop. Drei Grup­pen von Schau­spie­lern pro­bie­ren sich in einer zeit­ge­nös­si­schen Inter­pre­ta­ti­on von Vla­di­mir Solo­vyovs Three Con­ver­sa­ti­ons. Dabei kom­men eini­ge Ele­men­te zum Vor­schein, die das Schau­spiel im moder­nen Kino defi­nie­ren. So geht es um das Prin­zip der Wie­der­ho­lung, also das Sicht­bar­wer­den der Arbeit am Schau­spiel. Die­se Wie­der­ho­lung glei­cher Text­pas­sa­gen durch unter­schied­li­che Schau­spie­ler, die­se Varia­ti­on macht uns zugleich auf die Bedeu­tung und die Mög­lich­kei­ten des Schau­spiels auf­merk­sam. Wie ein Satz gesagt wird, hat enor­me Rele­vanz. Der Fil­me­ma­cher, der wohl am meis­ten an die­ser Arbeit am Spiel gear­bei­tet hat, ist Jac­ques Rivet­te. In Fil­men wie L’amour fou oder La Ban­de des quat­re sehen wir immer wie­der den Pro­zess des Spiels, die schmer­zen­de Wie­der­ho­lung, die Lee­re nach und von aus­ge­spro­che­nen Tex­ten, die Schwie­rig­keit eines Aus­druck, die Zwei­fel und die All­täg­lich­keit im Umgang mit die­ser Arbeit, die ein Spiel ist. In neu­en Kon­tex­ten eröff­nen sich neue Per­spek­ti­ven auf den jewei­li­gen Text. Rivet­te ver­bin­det dabei immer pri­va­te Situa­tio­nen sei­ner Figu­ren mit ihren Rol­len im Film. Noch eine Stu­fe wei­ter damit ging John Cas­sa­vet­tes in sei­nem Ope­ning Night, da dort Figu­ren, Rol­len und tat­säch­li­che Schau­spie­ler in einen merk­wür­di­gen Dia­log treten.

L'amour fou von Jacques Rivette
L’a­mour fou von Jac­ques Rivette

Durch die­ses Spiel mit dem Spiel wird also zugleich auf eine Meta-Ebe­ne des Schau­spiels ver­wie­sen und die­se Meta-Ebe­ne durch eine Inti­mi­tät gebro­chen. Denn was wir jeder­zeit sehen, ist die Mensch­wer­dung von Rol­len, etwas Indi­vi­du­el­les, Kör­per­li­ches und Sinn­li­ches dringt durch die glei­chen oder ähn­li­chen Text­pas­sa­gen und ver­än­dert deren Ton. Die Kame­ra erzeugt die­se Inti­mi­tät und zer­stört sie zugleich. Es über­rascht nicht, dass wir am Ende des Films genau mit die­ser Fra­ge kon­fron­tiert wer­den von Puiu. Ist eine völ­li­ge Kon­zen­tra­ti­on, eine völ­li­ge Inti­mi­tät vor einer Kame­ra über­haupt mög­lich? Oder „spie­len“ wir immer­zu etwas, weil die Kame­ra Kon­se­quen­zen hat? Die Angst vor dem Sicht­bar­ma­chen greift um sich und das liegt nicht dar­an, dass die Kame­ra Inti­mi­tät zer­stört, son­dern dar­an dass sie Inti­mi­tät erhöht. Man denkt an das frü­he Kino oder direct cine­ma und die Inter­ak­ti­on von Pas­san­ten mit der Kame­ra, man denkt an die­ses ewi­ge Posie­ren. Dar­an liegt es viel­leicht auch, dass mir Doku­men­ta­tio­nen, in denen die Prot­ago­nis­ten zumin­dest ab und an in die Kame­ra bli­cken logi­scher vor­kom­men als sol­che, in denen man sich ver­krampft dar­um bemüht, dass es kei­nen Kame­ra­blick gibt. Wozu? Um die Fik­ti­on zu wah­ren? Wenn man sich bei­spiels­wei­se Ray­mond Depar­dons Faits divers ansieht, wird man immer wie­der kur­ze Inter­ak­tio­nen mit der Kame­ra bemer­ken, die nichts von der Direkt­heit und Inti­mi­tät neh­men, son­dern ganz im Gegen­teil, zu die­sen beitragen.

La bande des quatre von Jacques Rivette
La ban­de des quat­re von Jac­ques Rivette

Beim Spiel kom­men bei den bes­se­ren Fil­me­ma­chern immer die Men­schen und Kör­per hin­ter den Spie­lern zum Vor­schein. In unse­rer Zeit hat sich der Schau­spiel­be­griff längst von sei­nen natu­ra­lis­ti­schen oder rhe­to­ri­schen Funk­tio­nen gelöst. Viel­mehr geht es uns beim Spiel um eine Erfah­rung, in deren Dau­er wir Zeu­ge einer Mensch­wer­dung sein dür­fen. Natür­lich hän­gen dar­an immer noch natu­ra­lis­ti­sche Idea­le, aber die­se zie­len jetzt im eigent­li­chen Sin­ne dar­auf, dass der Schau­spie­ler als Per­son ver­schwin­det. Nicht die rea­lis­ti­sche Dar­stel­lung inter­es­siert Fil­me­ma­cher wie Cris­ti Puiu oder Clai­re Denis, son­dern das Spiel selbst, die­se schma­le Linie zwi­schen der Fik­ti­on und der Doku­men­ta­ti­on des Pro­zes­ses, indem wir gleich­zei­tig die Illu­si­on einer Iden­ti­fi­ka­ti­on spü­ren und uns doch ermahnt füh­len, weil wir ler­nen zu wis­sen, dass die Erschei­nung eines Men­schen und sein Spiel immer dazu die­nen, etwas essen­ti­el­les zu ver­ber­gen. Die­se Essenz fin­den wir genau dann, wenn wir bei­des zugleich sehen. Das Ergeb­nis der Erschei­nungs­ar­beit und die Arbeit an der Illu­si­on. Ansons­ten ist das Spiel auch die Flüch­tig­keit und Beschei­den­heit der Dar­stel­lung. Es geht beim Spiel für das Kino nicht um den gro­ßen Schau­spiel­mo­ment, den Mono­log, der trä­nen­rei­che Abschied, viel­mehr geht es um den Kör­per, der alles erfährt und dadurch erfahr­bar macht, es geht um die Sinn­lich­keit. Wir haben Respekt vor die­ser Sinn­lich­keit und es ist kei­ne Über­ra­schung, dass nicht erst seit Robert Bres­son immer wie­der der Lai­en­dar­stel­ler gesucht wird, um sozu­sa­gen die­se Sinn­lich­keit in aller Nai­vi­tät und Unschuld vor die Kame­ra zu wer­fen. Die­ses Vor­ge­hen wird heu­te deut­lich schwie­ri­ger, weil auch die meis­ten Lai­en mit Mecha­nis­men der fata­len Kame­ra ver­traut sind und dar­in geübt, ihre Sinn­lich­keit zu ver­ste­cken. Als Fol­ge greift die Arbeit mit dem Spiel im Kino zu extre­me­ren Mit­teln, die sich in Fil­me­ma­chern wie Albert Ser­ra, der so lan­ge dreht bis sei­ne Lai­en völ­lig erschöpft sind und nicht mehr kon­trol­lie­ren kön­nen, was sie tun oder Bru­no Dumont, der Schau­spie­lern kei­ne Infor­ma­ti­on über ihre Posi­ti­on oder den Kon­text der Sze­ne gibt und bestän­dig auf eine Defor­ma­ti­on von Ver­hal­tens­wei­sen setzt, äußert. Vor allem Ser­ra ist dabei auf der Suche nach einer Unschuld, eine Unschuld, die alle jagen im Schau­spiel, die­sen Moment, in dem etwas zum ers­ten Mal pas­siert und man es sieht. In die­sem Zusam­men­hang ist es kei­ne Über­ra­schung, dass Erich von Stro­heim unbe­dingt einen ech­ten Mes­ser­stich am Ende von Greed haben woll­te. Er woll­te den Schmerz in den Augen sei­nes Dar­stel­lers sehen. Er hat ihn nicht bekommen.

Aurora von Cristi Puiu
Auro­ra von Cris­ti Puiu

Es ist aber auch klar, dass eine Freu­de am Spiel in die­sen Unschuld­scho­reo­gra­phien kaum zum Vor­schein kom­men kann (zumin­dest dach­te ich das bis P’tit Quin­quin). Was ich damit sagen will, äußert sich womög­lich auch in der bestän­di­gen Ver­wen­dung pro­fes­sio­nel­ler Schau­spie­ler im Neu­en Rumä­ni­schen Kino, dass doch eigent­lich von sei­ner Ver­or­tung hin zu einem Bazin-Rea­lis­mus nach Lai­en­dar­stel­lern schreit. Doch wenn wir Cris­ti Pui­us eige­ne Per­for­mance in Auro­ra aus­klam­mern, wer­den bei den gro­ßen Namen des zeit­ge­nös­si­schen rumä­ni­schen immer­zu pro­fes­sio­nel­le Dar­stel­ler benutzt. Wor­an könn­te das lie­gen? Eine Über­le­gung wäre, dass die Fil­me­ma­cher des ita­lie­ni­schen Neo­rea­lis­mus an einer doku­men­ta­ri­schen Wahr­heit inter­es­siert waren, die heu­te schon lan­ge über­holt ist. Die Rumä­nen schei­nen viel­mehr Inter­es­se am Wesen der Fik­ti­on zu haben bezie­hungs­wei­se am Ver­hält­nis zwi­schen Fik­ti­on und Rea­li­tät. Ein Film wie Cor­ne­liu Por­um­boi­us When Evening falls on Bucha­rest or Meta­bo­lism behan­delt auch fol­ge­rich­tig das Leben hin­ter die­ser Illu­si­on, das Spiel hin­ter dem Spiel. Ist dann alles ein Spiel?

Wenn es nach Arnaud Des­plechin geht, dann ist zumin­dest das Kino ein Spiel. Dar­um geht es, um das Spiel. In sei­nem La vie des mor­ts zeigt sich, dass nicht die Offen­ba­rung einer kom­ple­xen Cha­rak­t­er­psy­cho­lo­gie ent­schei­dend für Iden­ti­fi­ka­ti­on und Mensch­wer­dung im Kino sind, son­dern die ver­steck­te Exis­tenz die­ser Psy­cho­lo­gie in den Kör­pern der Dar­stel­ler. Wir müs­sen spü­ren, dass hin­ter den Fas­sa­den ein Leben lau­ert. Wie Des­plechin, Oli­vi­er Assay­as oder die schon erwähn­te Clai­re Denis kann man die­ses Leben durch kur­ze, flüch­ti­ge Momen­te spür­bar machen, eine Ges­te, ein Blick (und es ist klar, dass der Schau­spie­ler selbst hier genau­so ver­ant­wort­lich ist wie die Mon­ta­ge oder die Kame­ra). Eine ande­re Mög­lich­keit liegt in der Spra­che. Das Ver­hält­nis von Schau­spie­ler und Text wur­de im deut­schen Kino nie viel­schich­ti­ger behan­delt als von Rai­ner Wer­ner Fass­bin­der. Bei ihm ver­ra­ten sprach­li­che For­mu­lie­run­gen das Sinn­li­che und Poli­ti­sche hin­ter dem Spiel, obwohl sie jeder­zeit als sol­ches mar­kier­tes Spiel sind. Ein sol­ches Vor­ge­hen wird im deut­schen Kino heu­te oft hin­ter ange­streng­ten und noch häu­fi­ger schei­tern­den Rea­lis­mus­be­mü­hun­gen lie­gen gelas­sen. Der Meis­ter im Umgang mit dem Ver­hält­nis zwi­schen Text und Schau­spie­ler ist aber sowie­so ein Fran­zo­se, Éric Roh­mer. Bei ihm geht es beim fata­len Spiel im Kino um eine Ener­gie, die aus einem Text oder einer Idee etwas Kon­kre­tes macht, etwas Gegen­wär­ti­ges, das trotz aller Gegen­be­haup­tun­gen nicht nur dem Thea­ter son­dern auch dem Kino eigen­tüm­lich ist. Bei Roh­mer geht es nicht nur dar­um, was gesagt wird, son­dern immer­zu auch dar­um wie es gesagt wird. Der mora­li­sche Dis­kurs sei­ner Fil­me wird erst durch die Stim­men mani­fest, man könn­te ihn zwar schrei­ben und lesen, aber erst dadurch, dass die Moral bei Roh­mer an Kör­per gebun­den ist, wird sie rele­vant. Jeder Satz, jedes Zucken kann etwas über eine Figur oder Men­schen aussagen.

La vie des morts von Arnaud Desplechin
La vie des mor­ts von Arnaud Desplechin

Doch das Spiel – zumal im Kino – ist natür­lich auch eine Sache der Ver­wand­lung. Wie Jean-Luc Godard bemerk­te, ist das Kino eine Kunst der Mas­ken und Ver­wand­lun­gen. Die Mög­lich­keit einer stän­di­gen Trans­for­ma­ti­on; wenn das Kino ein Spiel ist, dann spielt es auch mit sei­ner Kon­ti­nui­tät und sei­ner Wahr­schein­lich­keit. Fil­me wie Holy Motors von Leos Car­ax, Phoe­nix von Chris­ti­an Pet­zold oder Time von Kim Ki-duk arbei­ten mit der Ver­wand­lung und der ewig fas­zi­nie­ren­den Fra­ge nach dem Erken­nen und der Iden­ti­tät. Oft wird dann die Dra­ma­tur­gie zu einem Spiel, man sieht Figu­ren dabei zu wie sie sich uner­kannt in einer Rol­le bewe­gen, aber man kennt ihr Geheim­nis und wird so Zeu­ge eines Spiels statt einer Sinn­lich­keit bis plötz­lich aus die­sem Spiel eine Sinn­lich­keit bricht. Es ist klar, dass die­ses Spiel mit der Ver­wand­lung auch ein Spiel mit der Form beher­bergt. Es ist kei­ne Über­ra­schung, dass die meis­ten Fil­me­ma­cher, die sich Gedan­ken über das Spiel im Kino machen, sich auch Gedan­ken über das Spiel des Kinos machen. Die Kom­bi­na­ti­on zwei­er Bil­der oder das Abpas­sen des exak­ten Moments eines Schnitts sind mir immer vor­ge­kom­men wie ein Spiel. Ins­be­son­de­re im digi­ta­len Zeit­al­ter trifft das wohl mehr denn je zu. Erstaun­lich aus heu­ti­ger Sicht wie man auf eine der­ar­ti­ge Kunst Regeln legen konn­te. Aber wie wir sehen ist das Regel­haf­te und das Wahr­haf­ti­ge im Kino immer in einem span­nen­den Wech­sel­ver­hält­nis, ganz ähn­lich wie die Unschuld und das Spiel.

Mit Mas­ken wird das Spiel auch zu einer Flucht, die das eigent­li­che Leben ver­birgt und gera­de dadurch bewusst macht. Jean-Luc Nan­cy hat geschrie­ben, dass der Sinn der Erschei­nung in der Rea­li­tät liegt, die sie ver­birgt. Ähn­li­ches gilt für das Spiel im Kino, obwohl das Kino weni­ger Ver­ant­wor­tung hat als die Erschei­nung an sich. Damit will ich sagen, dass es im Kino manch­mal auch reicht, eine Freu­de am Spiel aus­zu­drü­cken wie das nicht zuletzt in Holy Motors geschieht oder auch in Ame­ri­can Hust­le von David O. Rus­sell. Doch selbst die­se Flucht gelingt nicht ganz, weil der Zuse­her immer­zu in der Lage ist, das fil­mi­sche Schau­spiel mit dem täg­li­chen Schau­spiel zu ver­glei­chen. So wird die Freu­de des Spiels im Kino bei Car­ax ganz schnell zu einer Kri­tik des Spiels im Leben. Ist das so? Das Spiel liegt aber auch im Unsicht­ba­ren. Erich von Stro­heim war ein Meis­ter die­ser Insze­nie­run­gen, die man nicht wirk­lich sieht, aber spürt. So hat er sich bekann­ter­ma­ßen bis hin zu den kor­rek­ten Unter­ho­sen (selbst wenn die­se nie sicht­bar waren) sei­ner Kom­par­sen um das Unsicht­ba­re des Spiels bemüht. All das Wis­sen, all die Arbeit, die man im Ergeb­nis nicht mehr sieht, aber spürt. Sie hängt mit Kör­per­hal­tung, spon­ta­nen Ges­ten oder auch nur der Dau­er zwi­schen Fra­ge und Ant­wort zusam­men. Oder wür­de jemand dar­an zwei­feln, dass man mit sei­de­nen Unter­ho­sen, auf die das kai­ser­li­che Emblem Öster­reichs gestickt ist, anders durch Reih und Glied geht, als mit sei­ner nor­ma­len Baumwollunterwäsche?

Holy Motors von Leos Carax
Holy Motors von Leos Carax

Wir bemer­ken also, dass es einen Unter­schied gibt zwi­schen Fil­men, die einen avan­cier­ten Umgang mit dem Spiel wäh­len und sol­chen, die das Spiel zele­brie­ren. Zu letz­te­ren gehört sicher­lich Hong Sang-soo, der ähn­lich wie Puiu in sei­nem Schau­spiel­work­shop viel mit der Wie­der­ho­lung von Kon­stel­la­tio­nen und Dia­lo­gen arbei­tet. In neue­ren Wer­ken wie Our Sun­shi oder In ano­ther coun­try greift durch den eigen­wil­li­gen Ein­satz des Spiels im Kino eine Art augen­zwin­kern­der Sur­rea­lis­mus, der letzt­lich doch genau durch die­se Unwahr­schein­lich­kei­ten und sim­pli­fi­zier­ten Kon­stel­la­tio­nen eine sinn­li­che Wahr­heit und Kom­ple­xi­tät der Rea­li­tät offen­bart. Neh­men wir In ano­ther coun­try, in dem Isa­bel­le Hup­pert drei ver­schie­de­ne Fran­zö­sin­nen in Korea spielt, die immer wie­der in ganz ähn­li­che Situa­tio­nen gewor­fen wird und immer wie­der auf einen gran­dio­sen Life Guard, der immer vom sel­ben Schau­spie­ler gespielt wird, trifft. Die­ses cle­ve­re Spiel mit dem Cast ermög­licht auf der einen Sei­te ein Anzei­gen der Kon­struk­ti­on des Films, wie­der die­se Meta-Ebe­ne, aber zugleich ermög­licht es eine sinn­li­che Erfah­rung von Traum­zu­stän­den, Sehn­süch­ten und dem Ver­hal­ten zwi­schen Frem­den, eine Art Erfor­schung von Unbe­hol­fen­heit. Genau umge­kehrt in der Beset­zung ging bekannt­lich Luis Buñuel in sei­nem Cet obscur objet du désir vor, in dem eine Figur von zwei ver­schie­de­nen Schau­spie­le­rin­nen gespielt wird. Wie­der wird dadurch der Schau­spiel­pro­zess sicht­bar, aber gleich­zei­tig offen­bart sich eine Sinn­lich­keit, die mit unse­rer Wahr­neh­mung zu tun hat.

Our Sunshi von Hong Sang-soo
Our Sun­shi von Hong Sang-soo

Es stellt sich auch die Fra­ge, wel­che Distanz ein Fil­me­ma­cher wäh­len muss, um das Kino zum Spiel wer­den las­sen. Es scheint klar, dass in klas­si­schen Schuss-Gegen­schuss Auf­lö­sun­gen weni­ger Raum für wahr­haf­ti­ges Spiel bleibt, die Tota­le jedoch ver­neint ganz oft das Gesicht, in des­sen Regun­gen sich doch die schärfs­te und zugleich feins­te Linie zwi­schen dem Spiel und der Rea­li­tät des Kinos fin­den lässt. Auf der ande­ren Sei­te kann man das Spiel mit dem Spiel so ziem­lich aus allen Per­spek­ti­ven betrei­ben. Schuss-Gegen­schuss kann im Gesicht von Jim­my Ste­wart ähn­li­che Gleich­zei­tig­kei­ten zwi­schen Sinn­lich­keit und Meta-Ebe­ne erzeu­gen wie eine Tota­le bei Hou Hsiao-Hsi­en. Es geht hier­bei um eine Balan­ce zwi­schen Frei­raum und Käfig, die ewi­ge Debat­te über Kon­trol­le und Frei­heit im Kino. Beim Spiel gibt es bei­de Extre­me. Es gibt Fil­me­ma­cher wie Bres­son, David Fin­cher oder Jean-Pierre Mel­ville, die alles kon­trol­lie­ren und gera­de dadurch eine Art Frei­heit im Spiel errei­chen und es gibt Fil­me­ma­cher wie Ser­ra, Lisan­dro Alon­so oder eben Puiu, die sehr viel vom Leben, von der Welt hin­ein­las­sen in das Spiel und dadurch gera­de das Spiel in den Vor­der­grund rücken. Ein per­fek­ter Kom­pro­miss fin­det sich in der letz­ten Sze­ne von Beau tra­vail von Clai­re Denis. Dort reagiert wie so oft bei Agnès Godard die Kame­ra auf den Schau­spie­ler, sie wahrt die Distanz für den Frei­raum und beginnt dann mit ihm zu tan­zen. Letzt­lich geht es beim fata­len Spiel im Kino um die­sen Tanz, der erst das Fata­le ermög­licht (und das wol­len wir doch). Die Kraft zwi­schen Kame­ra und Spiel, eine Lie­bes­ge­schich­te mit einem unend­li­chen Spek­trum an mög­li­chen Emotionen.

Die ein­zi­ge Übung, das ein­zi­ge Spiel ist letzt­lich das Kino selbst, die Umset­zung. Alles ande­re ist rei­ne Theo­rie. Es gibt als zugleich kein Spiel und nur Spiel im Kino. Und es ist das Kino, das uns immer­zu mit­teilt wie ernst es ist und wie weit weg von der Rea­li­tät es ist. Zum Schluss noch­mal Cris­ti Puiu:

“So this is how cine­ma has to be made now, I think—every film must be an exer­cise. Though the­se spe­ci­fic exer­ci­s­es were not made with the inten­ti­on of being shown publicly, I am very hap­py that pro­gramm­ers are now invi­ting the film to fes­ti­vals. I think that it deser­ves to be seen, and that the expo­sure is gre­at for the peo­p­le I work­ed with. “Actors” is real­ly an admi­nis­tra­ti­ve term. We live in socie­ty wit­hout wan­ting anar­chy, so we say that some peo­p­le are actors, others are direc­tors, others are cine­ma­to­graph­ers, phy­si­cists, mathe­ma­ti­ci­ans, doc­tors, and so on. But I don’t belie­ve this to be true. Any­bo­dy can be any­thing, the only dif­fe­ren­ces come from your choices to stu­dy one domain or ano­ther. I am working with a came­ra, you have a com­pu­ter to type on, others are using medi­cal equip­ment, and the­re are no pro­fes­si­ons. The­re are only peo­p­le try­ing to under­stand the world bet­ter by using dif­fe­rent sets of tools.”