Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Frankie’s Lying in Hell:In einem Jahr mit 13 Monden von Rainer Werner Fassbinder

„Jedes sieb­te Jahr ist ein Jahr des Mon­des. Beson­ders Men­schen, deren Dasein haupt­säch­lich von ihren Gefüh­len bestimmt ist, haben in die­sen Mond­jah­ren ver­stärkt unter Depres­sio­nen zu lei­den, was glei­cher­ma­ßen, nur etwas weni­ger aus­ge­prägt, auch für Jah­re mit drei­zehn Neu­mon­den gilt. Und wenn ein Mond­jahr gleich­zei­tig ein Jahr mit drei­zehn Neu­mon­den ist, kommt es oft zu unab­wend­ba­ren per­sön­li­chen Katastrophen.“

In a year with 13 moons

Wenn man heu­te oder all­ge­mein von Autoren­film spricht, dann meint man eigent­lich kaum mehr die­se Offen­heit, die­se Abbil­dung einer zit­tern­den See­le auf Film wie sie Rai­ner Wer­ner Fass­bin­der oft­mals betrie­ben hat. Statt dring­li­chen Iden­ti­täts- und Wahr­heits­su­chen sowie inne­ren Gefühls­wel­ten, kann man im moder­nen Kino oft intel­li­gen­ten Men­schen beim Den­ken zuse­hen. Bei Fass­bin­der ist da mehr. Die radi­ka­le Per­sön­lich­keit sei­ner Fil­me macht sie völ­lig immun gegen Kri­tik. Sein In einem Jahr mit 13 Mon­den kommt von einem grau­sa­men Ort, man spürt es bereits in den ers­ten vom Regis­seur selbst gedreh­ten Bil­dern eines mor­gend­li­chen Däm­mer­lichts unter­malt mit Mahlers 5. Sym­pho­nie, hier ist kein Kon­takt mehr, hier ist nur Into­le­ranz und Grau­sam­keit. Der Film ent­stand, nach­dem sich Schau­spie­ler Armin Mei­er nach der Tren­nung von Fass­bin­der das Leben nahm. In die­sem Sinn ist der Film ein hoff­nungs­lo­ser Ver­such einer Ant­wort auf die­sen Selbst­mord. Fass­bin­der beglei­tet die Trans­se­xu­el­le Elvi­ra Weiss­haupt, die von einem tran­szen­die­rend zer­bre­chen­den Vol­ker Speng­ler ver­kör­pert wird, auf einem Trip durch oder in die Höl­le (oder bei­des). Dabei ver­sucht In einem Jahr mit 13 Mon­den glei­cher­ma­ßen die Grün­de, als auch den Weg in einen Sui­zid zu skiz­zie­ren, statt die Ent­schei­dung wie etwa Tom Ford in sei­nem A Sin­gle Man schon vor­aus­zu­set­zen. Die Ent­schei­dung ist bei Fass­bin­der kei­ne Ent­schei­dung mehr, weil es dafür viel zu kom­pli­ziert ist. Statt­des­sen ist es ein Trei­ben vor den typisch spot­ten­den Gesich­tern des Fil­me­ma­chers, einer Gesell­schaft, die nicht akzep­tiert. Ihre Fami­lie lacht laut über die tor­keln­de Elvi­ra, ein Lieb­ha­ber beschimpft sie und ver­schwin­det, die ehe­ma­li­ge Lie­be erkennt sie kaum, nur die ruhi­ge Pro­sti­tu­ier­te Rote Zora (Ingrid Caven) schenkt ihr eine gleich­gül­tig zärt­li­che Auf­merk­sam­keit, die sich dann auf­löst, wenn sie sich von Elvi­ras gro­ßer ehe­ma­li­ger Lie­be, dem Mann, für den sich der damals jun­ge Mann sein Geschlecht umwan­deln ließ, bezah­len lässt. Dadurch dass Fass­bin­der das Geld, das in die­se Lie­be fließt erst spät in einer ein­zi­gen Ein­stel­lung offen­bart, zeigt sich sein Gefühl für Erzäh­lun­gen und ihre Bedeu­tun­gen. Immer wie­der ver­än­dern fast nach­ge­reich­te Bil­der die Bedeu­tung des Gese­he­nen. Die­se Wech­sel kor­re­spon­die­ren in vie­ler­lei Hin­sicht mit der Geschlechts­um­wand­lung von Elvi­ra. Auch die­se scheint zunächst ein hoff­nungs­vol­ler Wan­del gewe­sen zu sein, aber aus der Per­spek­ti­ve des Films ist sie nur noch ein belang­lo­ser Ver­such Gefüh­le zu leben, Gefüh­le, für die kein Platz sein darf und kann, weder in der Gesell­schaft noch in den Men­schen. Elvi­ra ist nicht Opfer eines zu bemit­lei­den­den Schick­sals, sie ist des­sen nack­ter Ausdruck.

Fassbinder 13 moons

In einem Jahr mit 13 Monden8

Fass­bin­der begeg­net dem Selbst­mord aber nicht nur mit einer deso­la­ten Lee­re, son­dern auch mit Lako­nie und Wut. So begeg­net Elvi­ra einem ande­ren Selbst­mör­der. Sie raucht mit ihm eine Ziga­ret­te im unwirk­li­chen Rot eines Rau­mes und sieht ihm dann beim Erhän­gen zu. Als sie einer Frau im Gebäu­de erzählt, dass sich ein Mann erhängt hat, wischt die­se das zur Sei­te. Das wür­de doch stän­dig pas­sie­ren. Dann beob­ach­tet die Frau höchsta­mü­siert etwas durch ein Schlüs­sel­loch. Lachen hat in die­sem Film immer etwas Abgrün­di­ges. Es ist meist ein Lachen über etwas Furcht­ba­res. Über­all begeg­nen wir Men­schen im Film, die spä­hen, beob­ach­ten, vor ihrer voy­eu­ris­ti­schen Lust zu bür­ger­li­chen Mario­net­ten und Nei­dern wer­den, die den Schmerz der Welt als Zuse­her erfah­ren. So fol­gen wir einer lan­gen TV-Sequenz mit poli­ti­schem Mate­ri­al aus Chi­le sowie Auf­nah­men von Fass­bin­der und aus einem Film. Elvi­ra wird von der Mut­ter ihres Kin­des durch die Tür beob­ach­tet, ein Mann beob­ach­tet von der Stra­ße den Chef einer Fir­ma im 16.Stock, Elvi­ra beob­ach­tet einen feind­li­chen Mann durch einen Spie­gel, sie ent­deckt ihre Freun­din mit ihrem Ex-Lieb­ha­ber in ihrer Woh­nung. Man ver­liert sich in der Gewalt von Bil­dern einer Video­spiel­hal­le, Geis­ter­au­tos erschei­nen auf den flim­mern­den Kis­ten und ver­ur­sa­chen einen Crash, aber wir fah­ren wei­ter. Viel­leicht, mag man da fast sagen, wäre es bes­ser für alle, wenn wir blind wären. Als die tote Elvi­ra ent­deckt wird, heißt es auch kon­se­quent: „Sieh nicht hin!“. Ein Aus­weich­me­cha­nis­mus, dem Fass­bin­der nie fol­gen wür­de. Statt­des­sen fin­det er Momen­te der Poe­sie in die­sem Lei­den. Ganz wie Stan Brak­ha­ge in des­sen The Act of See­ing With One’s Own Eyes zele­briert er die pul­sie­ren­de Gewalt eines Schlacht­hofs oder ver­harrt auf der Schön­heit des zer­flie­ßen­den Gesichts eines lee­ren Men­schen zwi­schen den Geschlech­tern. Er fängt den Atem­zug über das flat­tern­de Fell des Ober­teils der Roten Zora ein, genau wie den Schat­ten hin­ter dem Schlei­er eines Hutes auf den Augen­li­dern von Elvi­ra. Fass­bin­der spielt beru­hi­gen­de Musik, wenn es am Schlimms­ten ist. Er zwingt uns hin­zu­se­hen, aber sagt uns, dass wir nicht sol­len. Denn das Hin­se­hen macht uns schon zu einem Teil der Mecha­nik die­ser gesichts­lo­sen und macht­lo­sen Welt. Es ist sicher kein Zufall, dass Fass­bin­der hier­für Frank­furt mit sei­nen kal­ten, hohen und durch­sich­ti­gen Geld­tür­men als Ziel­schei­be sei­ner gesell­schaft­li­chen Wut ver­wen­de­te. Die Bedeu­tung des Blicks an die­sem Ort wur­de zuletzt in groß­ar­ti­ger Manie von Chris­toph Hoch­häus­ler in des­sen Unter dir die Stadt auf­ge­zeigt. Dort jedoch gibt es eine Form von Erlö­sung in der Selbst­zer­stö­rung und einen Anflug von Hoff­nung in der gesell­schaft­li­chen Zer­stö­rung wäh­rend bei Fass­bin­der nur das Unver­ständ­nis einer hän­gen­den Plat­te über einem lee­ren Trep­pen­haus bleibt. Kein Blick aus dem Fens­ter, viel­leicht ist das die Ret­tung. Aber In einem Jahr mit 13 Mon­den zeigt, dass auch der häu­fi­ge Blick in den Spie­gel schreck­lich ist. Wie der ande­re Selbst­mör­der im Film sagt, möch­te man den Din­gen nicht län­ger ermög­li­chen wirk­lich zu sein, indem man sie wahr­nimmt. Man blickt nicht mehr aus dem Fens­ter, man blickt nicht mehr in den Spie­gel. Wenn der Film aus ist, sind sie dann nicht mehr wirklich?

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