Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Glimpses at SLEEPING

DAVID PERRIN: A brief scene before bed: Years ago, after a long days’ work in a museum coat check, where my constant movements of receiving and returning an endless stream of coats, backpacks, shopping bags, and suitcases, resembled a kind of dance, and the whole day I felt as if I hadn’t seen a single face, only pairs of hands of different ages and sizes as they blindly handed me their personal belonging…after such a day, when the weight of all those strangers’ belongings hung heavy in my arms and legs, forming a large mass of tiredness in my body, what a wonder it was to step out into the early evening summer light and see beyond the avenue the tops of the maple trees swaying in the air and feel the wind in my face…and then to walk across town to the movie theatre, where a film with Robert Mitchum was playing, an actor, whose slow thoughtful movements and resigned weary eyes seemed to always embody for me an exemplary way of being in the world, an actor open to the world and its pleasures, yet also someone who would just as well pause what he’s doing (riding a horse, kissing a woman, getting shot) to take a nap in the corner, or look away from whatever excitement was happening in front of him and quietly doze in his chair…

IVANA MILOŠ: Maybe there is a bypass between sleep and waking. A finely contained and concealed tune, a piece of string someone is always pulling on and dragging away, keeping it just beyond our grasp. Or something more akin to the first note of a bird song, the rest invisible, unheard, inviolate. What is this intractable, mystifying property of sleep founded on exactly? Our being out of reach to ourselves? Though we might just as well be in the very closest contact with our inner worlds at that very moment, all racing colours and personalities colliding in the midst of dreamland. Maybe we are, in fact, flying.

I feel this same sense of unfathomableness stir when I see someone else sleeping. Throwing a slightly shy, unpunished glance their way, wondering what this could possibly be. Someone’s light has briefly dimmed. They are not sharing the same plane of existence with us. They are asleep: it is magic.

This is also part of the magic of cinema: the ability to show us people sleeping. It can be generous, and it is a privilege. It’s an observation of the unknown, of worlds contained, of a change in the human state of aggregation. Dissolves and dissolution have something in common, indeed. There is an inherent vulnerability in a look directed at a sleeping body. That body could, in fact, be dreaming.

“The water encompasses you on all sides, a black, motionless sea, extraordinarily smooth, lacking even phosphorescence, and yet you feel that you could detect every detail, the slightest cloud if there were a sky, the merest shoal if there were an horizon. But there is only sea, and you are all stem cutting without effort, sound, or tremor the deep white tracks of your way, like a share ploughing up a field.”

Georges Perec, Between Sleep and Waking

SIMON WIENER: Schlaf, wie er im Film gezeigt wird, ist nie bloß Schlaf. Keine Repräsentation des Schlafes kann ihm je gerecht werden, ersetzt eine solche doch dessen Leere, dessen Nichts mit Aufschlussreichtum, mit Erkenntnisgewinn. Wenn jemand regungslos daliegt, leise für sich atmet; wenn die Zeit stillsteht, keine Erkenntnis birgt: dann hebt man altklug den Finger, meint, erklären zu müssen. Ein Schwall an Zusammenhängen, Einordnungen, Voraussichten und Deutungen umgibt sofort dies Schlafen; jene Leere, jenes Nichts, wird durch sein Abbilden umgestülpt zum Vollen, zum Bedeutsamen, wenn auch seine Bedeutung weniger in ihm selbst liegt, als in dem, auf das er verweist. Schlaf ist also, wenn gefilmt, zuerst ein Zeichen, was auch daran liegt, dass er immer anknüpft an anderes. Er verbindet, kittet; und wenn jemand im Film schläft, so meist bloß, um Einschlafen oder Aufwachen zu demonstrieren.

Brutal klingelt ein Telefon mitten in der Nacht und reißt aus dem Schlaf; Unheil kündigt sich an, ein Mordfall etwa bedarf Aufklärung und der Schlaf erscheint im Nachhinein nur noch als verlorengegangene Ruhe, als diffuses Seligsein, in das es zurückzukehren gilt.

Oder umgekehrt gelingt es da nicht, einzuschlafen; unruhig wälzt sich jemand im Bett umher; geplagt, malträtiert, heimgesucht von Gewissensbissen. Eine verdrängte Vergangenheit holt ein, beharrt auf Anerkennung. Schlaf bedeutet in diesem Fall Flucht nach vorne; schlafen, um aufzuschieben, um vorübergehend zu vergessen, dem Ringen mit ehemals Verdrängtem zu entrücken.

Oder aber das Bild des Schlafes deklariert ihm Vorangehendes oder Nachfolgendes als Traum. Unser Finger, schulmeisterlich hochgereckt, rechtfertigt sich hier besonders; siehe, wir sind zurück aus einem Ausflug in die Subjektivität; siehe, wie mit einem Mal Bedeutungen sich wölben, wie wir Leichtsinnige fehlgeleitet wurden; siehe, und sei auf der Hut! Schlaf bedeutet hier nicht bloß Nicht-Sehen, sondern Falsch-Sehen; das Bild des Schlafes als Leuchtturm, um den sich verheißende, sinnliche, aber irreführende Fährten winden: Schlaf, ein Wegweiser, der Irrwege erst hervorruft.

Schlaf kann im Film seiner Auslegung als Metapher wohl nicht entkommen. Um ruhig, unbehelligt schlafen zu dürfen, müssen dramatische Konflikte aufgelöst sein, oder muss es uns an jedem Wissen über die Schlafenden mangeln. Im ersten Fall ist der Film längst vorbei, im zweiten hat er noch gar nicht begonnen.

SEBASTIAN BOBIK:

SIMON PETRI: One cannot observe oneself asleep and it is a rather passive activity anyway. Thus, the pretence of sleeping is quite difficult and often manifests in exaggerated form, ironically in movements that are supposed to seem involuntarily. Oversleeping is a great excuse for avoiding the unpleasant fuss. After all, one can’t help it. For the aforementioned reasons, it is most effective if one is indeed asleep, though in this case, one is deprived of the simultaneous awareness and appreciation of the contrived masterplan. One must seize the moment that the siblings in Jean Cocteau’s Les Enfants terribles so expertly control and hang on to it. Or maybe not? Don’t conscious and wilful attempts distract and crush the volatile moment? True greats of the sport don’t attempt, of course; they sleep. Like Annie in Menschen am Sonntag. Wieder Arbeit, wieder Alltag, wieder Woche. Why would a model want to spend even a seventh day socializing, talking, cackling, performing? Let alone in the company of filmmakers. Five of them! Annie finks out of the engagement in the most innocent manner: she keeps on sleeping. No argument with the tempered boyfriend, no need for circumlocution. In fact, Annie’s act is so authentic that she remained asleep after her man had left and woke up only upon his loud return. It’s all the more remarkable that she accomplished this on a rather hot Sunday, in a stuffy, airless Berlin apartment, whose characteristics don’t promise a very pleasant sleep. Least of all the tight single-bed, on which the tiniest of turns can push one to the wrong side of that liminal state Cocteau’s children were on. Her disciplined, longitudinal display is practical because not only did she not have to go in the first place, but remained unaccountable for not having joined later either.

RONNY GÜNL: Schlafende Hunde soll man nicht wecken. Im Schlaf vergeht die Zeit anders. Auch wenn man denkt, Probleme ließen sich im Schlaf lösen, verschwinden sie nicht.

Claire Denis’ Beau travail endet damit, dass Galoup, mit aller Sorgfalt sein Bett bezieht, so als wäre er noch im Dienst in Djibouti. Stattdessen ist er zurück in Frankreich, nachdem er von der Légion étrangère exkommuniziert wurde. Es scheint, er wolle sein Apartment verlassen. Pedantisch streicht er die aufgeworfenen Falten glatt. Man könnte denken, er bereite seinen Abschied vor und keine Spur soll daran erinnern, wo er gelebt und wie er geschlafen hätte. Für einen Moment hält er inne. Durch das offene Fenster ist ein frühsommerliches Rauschen zu vernehmen. Dann ergreift er seine Waffe. Er legt sich zurück auf das gemachte Bett, dabei verschwindet sein Kopf aus dem Bild. Nun nimmt die Kamera seine Hand in Blick, die ergriffen mit der Pistole auf seinem nackten Bauch ruht. Eine wispernde Stimme liest schließlich den tätowierten Schriftzug, der seine Brust schmückt: „Sers la bonne cause et meurs“.

Die folgende, ikonische Solo-Tanzszene von Galoup zu Coronas: „The Rhythm of the Night“ sprengt die geschlossene Form des Films. Der Schlaf wird hier Mittel, um Abstand vom Gehorsam des alltäglichen Bewusstseins zu gewinnen, wie es auch der Tanz versucht. Vielleicht ist das die einzige Szene in Claire Denis’ Film, die dies erlaubt.

ANDREW CHRISTOPHER GREEN:

A whirlwind burst out of the tear-drenched earth,

a wind that crackled with a bloodred light,

a light that overcame all of my senses;

 

and like a man whom sleep has seized, I fell.

Inferno, Canto III

JAMES WATERS

ANNA BABOS:

PATRICK HOLZAPFEL: die reede

ich möchte in einer reede leben dort ist das wasser sanft und die geräusche gedämpft ab und an kommt jemand vorbei oder holz knirscht und dann wird wieder geschwiegen und gewartet geschlafen und gewippt.

entfernt brummt ein motorboot jemand hat mir gesagt dass dieses rumoren wie die stille wäre das könnte ich auch über die wellen sagen die an die kiele schwappen oder die leichte brise die in die nacht entschwindet.

vielleicht warte ich nur auf den nächsten tag oder die nächste nacht wenn keiner merkt wie ich aufs offene meer treibe unsichtbar sie sehen nicht was in den reeden passiert am liebsten wäre ihnen wenn es keine reeden gäbe.

aber ich bleibe noch ein wenig nur ein wenig weil ich mich hier am ufer festhalten kann und nicht in die tiefe gezogen werde und sich rümpfe und segel anschmiegen statt mich zu warnen und zu kontrollieren, zu kanalisieren und zu versenken