Der Film Hahaha von Hong Sangsoo verleiht mir ein Gefühl von Leichtigkeit und Sich-Lenken-Lassen-Können. Nacheinander eingeblendete Standbilder, großformatige Gesichtsausdrücke und Gesprächsfetzen im Off. Stakkato-Bilder, die sich zur Aufgabe machen, Lücken zu bewahren, um das Fantasieren zu aktivieren. Moon-kyung und Joong-sik, zwei alte Freunde treffen sich eines Nachmittags auf unzählbare Runden Soju, während sie sich Anekdoten von ihrem Aufenthalt in Tongyeong, einer überschaubaren Hafenstadt in Südkorea, erzählen. Rückblenden ihrer gemeinsamen Erinnerungen durchziehen den Film. Diese bestehen hauptsächlich aus vergangenen Liebesaffären, die sie zu amüsieren scheinen. Ihre Gegenwart dagegen, wird in Schwarz-Weiß-Standbildern und Voiceover Dialogen gezeigt. In solch comichaften Einschüben werden die Betrachtenden in ein lockeres Gespräch über die voneinander unabhängigen Reisen nach Tongyeong geworfen, in dem über Frauen geredet und über Situationen gelacht wird. Der stilistische Bruch zwischen den beiden Zeitverläufen spaltet Erzählungen von realen Handlungen. Immer weiter löst sich das eigentlich Gesagte vom wirklich Geschehenem. Durch die in Farbe gezeigten Rückblenden habe ich die Möglichkeit, das Gesagte mit dem Gezeigten zu vergleichen. Die Entfremdung von der Wahrheit legitimiert das pathetische Vertuschen realer Gefühle. Geht es um Selbstdarstellung oder das Unvermögen, die Wahrheit anzuerkennen? Kann man Wahrheiten bloß sehen oder muss man sie wissentlich kennen? Im Nachhinein könnte man meinen, Szenen voll Kummer sind nur Nichtigkeiten, über die man später lachen kann.
Im Laufe des Films durchkreuzen sich Liaisons, indes die zwei Männer immer betrunkener werden. Die Art, wie sich die Männer in ihren Erzählungen darstellen und die Weise, wie sie in den jeweiligen Situationen gefühlt haben, entsprechen sich nicht.
Der Witz besteht darin, zu merken, dass Moon-kyung und Joong-sik sich gegenseitig derart blenden, ohne zu sehen, dass es sich in ihren Geschichten um die selben Personen handelt.
Ich finde es bemerkenswert, wie Hong Sangsoo die Geschichten über Liebesbeziehungen und Affären der beiden Freunde in ein zusammenhängendes Geflecht von zufälligen Begegnungen münden lässt. Es sind Zufälle, die nur wir (diejenigen, die Zusehen) ahnen können. Zufälle, die den Akteuren Moon-kyung und Joong-sik vorenthalten bleiben. Ich stehe in der allwissenden Rolle gegenüber ihrer fragilen Männlichkeitsidee. Im Sinne von „the less you know – the more you see“ wirken wir nichtsahnend als RichterInnen der Wahrheit inmitten männlichen Imponierens und Beschönigens. Die beiden lachen miteinander, blind der Tatsache, dass sie eigentlich übereinander lachen. Die Austauschbarkeit des „anderen“ Kerls wird unweigerlich deutlich. Wer von ihnen ahnt schon, der „Andere“ sei man selbst?
Eines Tages schenkt Moon-kyung seiner Mutter die rote Kappe, die er sonst immer auf dem Kopf trägt. Sie gibt die Kappe weiter an den jungen Dichter Jeong-ho. Dieser führt eine Liebschaft mit So-ri, von der Moon-kyung eigentlich sehr angetan ist. Moon-kyungs Mutter nimmt eine allgemeingültige Mutterrolle für alle Beteiligten ein, die verdeutlicht wird, wenn sie Jeong-ho auffordert, er solle sie doch Mutter nennen. Es ist die Umkehrung der Austauschbarkeit, die wir eigentlich von den Männern des Filmes kennen. Eine Mutter, die ihr eindeutig zugeordnetes Kind hat, fängt an, dieses, zumindest zeitweilig auszutauschen. Indem sie das Geschenk ihres Sohnes weiter verschenkt, ist die Kappe für die Mutter so austauschbar wie Frauen in den Erzählungen des Sohnes.
Nicht austauschbar ist der gewählte Filmdrehort: Tongyeong gibt den Handlungen den gewissen Windstoß, umschließt atmosphärisch die Begegnungen. Wohl beiläufig spielt der Film an ein paar wenigen Orten innerhalb Tongyeongs, die abwechselnd von verschiedenen ProtagonistInnen dekoriert werden. Menschen sind selbst für Orte austauschbar.
Während Moon-kyung immer mehr an seinem Liebeskummer zu verzweifeln scheint, besucht ihn die historische Figur des Admirals, dem als regional gefeierter Held viel Achtung geschenkt wird. Im Traum nimmt der Admiral eine beratende Rolle, fast schon die des Vaters ein. Seine Weisheit veranlasst Moon-kyung, vor ihm in die Knie zu fallen. Daraufhin der Admiral: „Believe with your own eyes“.
Es eröffnet sich die große Frage vom Wechselspiel des Sehens und Wissens. Wie können wir dem trauen, was wir sehen? Der Film spielt auf komödiantische Weise mit dem Sehen als ein unvoreingenommenes Wissen. Im weiteren Sinne mit Wahrheit und Lüge. Auch die Wahrheit ist schließlich austauschbar. Die Männer werden öfters von ihren Frauen als Lügner beschuldigt. Aber ist ein Lügner nicht vielleicht ein Fühlender, der nicht sehen kann? Oder ein Verdränger allen Übels? – ein Nichtsahnender?
„You only see as much as you know“ oder „The less you know the more you see“?