Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

No Mice in Autumn: Hard to be a God von Aleksey German

Während der letztjährigen Viennale äußerte Rainer Kienböck auf unserem Blog sein Missfallen über Hard to be a God von Aleksey German. Seine Schwierigkeit mit dem Film liegt im Fehlen „einer Vision, die dem Film Zusammenhalt gibt.“. Für ihn verlief sich die ästhetische Brillanz von German im Nichts. „Die potentielle ästhetische Sprengkraft einer manieristischen Visualität verläuft sich (…)“. „Die Länge des Films scheint einfach daher zu rühren, dass nie eine Entscheidung für oder gegen irgendetwas getroffen wurde.“. Das führt bei Herrn Kienböck schließlich zum polemischen Schlussfazit: „Im Kern, ist es die Aufgabe eines Künstlers eine Auswahl zu treffen (und wenn es nur die Wahl ist verschiedene Lesarten vorzuschlagen), wenn er das nicht tut, macht er sich selbst obsolet.“

Mal abgesehen davon, dass der sich selbst auflösende Künstler, die verschwundene Handschrift spätestens seit den 1960er Jahren durchaus Konjunktur hat und man ihr meiner Meinung nach nicht im Stil einer altmodischen Kunstdefinition ihren Wert abstreiten sollte, würde ich nach meiner Sichtung des Films auch bezüglich der anderen Aspekte von Herrn Kienböck einen gewissen Widerspruch erheben. Natürlich trifft German eine Auswahl und mehr als deutlich steckt hinter dem Unterfangen Hard to be a God eine künstlerische Vision. Zudem könnte man selbstverständlich keinen Film drehen, ohne eine Auswahl zu treffen. Germans Vision ist enigmatisch, sie ist kraftvoll und kompromisslos.

Hard to be a God

Nun möchte ich weniger auf die Hintergründe des Films eingehen, denn das wurde schon mehr als deutlich gemacht (zum Beispiel hier ), sondern mich mehr mit den filmischen Strategien und Stimmungen von German beschäftigen. Dabei versuche ich nicht zu sehr in allgemeine Definitionen zu geraten, möchte aber vorrausstellen, dass ich die Lesbarkeit eines Films prinzipiell nicht als Qualitätsmerkmal erachte. Das durchaus fundierte Klagen von Herrn Kienböck über die fehlende Verständlichkeit ist nachvollziehbar, hat aber letztlich nichts mit dem Film zu tun. Denn German schert sich offensichtlich nicht um diese Kategorien und so scheint sich im zwanghaften Versuch einer Sinnsuche hier einfach der falsche Betrachter zum falschen Film gefunden zu haben. Zumal man durchaus einen Sinn finden kann, wenn man sich weiter mit dem Film auseinandersetzt als das ein Festival oft zulässt oder wenn man genauer hinsieht. Die immer wieder hörbaren Forderungen von Filmzusehern nach dem „Erzähle mir etwas!!!“, sind Teil eines traurigen Verständnis von Film als Dienstleistung (bei Herrn Kienböck ist mir bewusst, dass seine Bedenken einen anderen Ursprung haben, sie hängen aber durchaus zusammen damit) . Dieses Verständnis wird dann mit einigen mehr oder weniger geschickten rhetorischen Kniffen zu einem Abschreiben der Kunsthaftigkeit eines Werks benutzt, die gar nicht so unähnlich einer politischen Zensur funktioniert. Es ist absolut in Ordnung, dass man sich bei Hard to be a God langweilt, dass man nichts damit anfangen kann und keine größere Idee bemerkt. Aber ist das ein Problem des Films?

German wirft einen in die mittelalterliche Parallelwelt eines Planeten voller Schlamm und Gedärme. Von Anfang an wirkt das Mise-en-Scène Gewusel wie ein bewegtes Bild von Hieronymus Bosch. Alleine diese bildliche Gewalt ist zwingend virtuos und unfassbar, in der Länge ihrer Betrachtung entfaltet sich ein anderes Weltbild vor den Augen, man verfällt in eine Trance des Drecks, man spürt die titelgebende Last auf der Hauptfigur Don Rumata, man bemerkt den Schlamm, der einen nach unten zieht, die Gleichgültigkeit gegenüber der keuchenden Fratzen dieses fremden Planeten, die uns zu Beginn noch so bizarr vorkommen und irgendwann nur noch erschlaffen mit ihren grandios komponierten Lauten und Tönen. Dabei hängen und ragen ständig Gegenstände direkt vor der Linse durchs Bild, Dinge werden getragen, irgendwo gibt es eine Lichtexplosion, wir verharren kurz auf einem dreckigen Hinterkopf und bewegen uns dann weiter wie eine Made in einem Mülleimer. Es ist als würde man sich durch die Gedärme der Welt bewegen. Die Darstellung dieser Welt ist der Kern dieser künstlerischen Vision, die Film bedingungslos jenseits seiner narrativen Möglichkeiten versteht. Das herausragende an dieser Art der Inszenierung ist etwas, was ich als visuellen Schock bezeichnen würde. Denn immer wieder blockieren scheinbar zufällig ins Bild gestolperte Figuren, Tiere oder Gegenstände den Blick bis dieser fast spielerisch freigegeben wird und man Rumata wieder folgen kann. In gewisser Hinsicht hat mich das Setting an Leviathan von Lucien Castaing-Taylor und Véréna Paravel erinnert. Dort befindet man sich (übrigens auch ziemlich frei von einem klassischen Auswahlverfahren des Künstlers) auf einem riesigen Fischerboot inmitten der blutigen Überreste gefangener Fische, Fäkalien und dem Gestank des Meeres. In beiden Filmen wird ein subjektives Erleben von inneren und äußeren Welten ermöglicht, das tatsächlich soweit geht, dass man glaubt, die Bilder zu riechen. In diesem Sinn sind die kinematographischen Leistungen von German durchaus mit den literarischen Großartigkeiten eines Patrick Süskind vergleichbar. Ständig riechen die Figuren an ihren eigenen Händen und davon geht fast eine penetrante Komik aus, würde sie nicht immer wieder von Gewalt und Ekel verdrängt werden.

Hard to be a God3

Hard to be a God folgt einem beständigen Rhythmus der Erschöpfung im Stil eines Stimmungsbilds. Zwischen den ruhigen Szenen am Anfang und am Ende herrscht fast durchgehend Krieg. Der Film versetzt einen in einen Zustand der erhöhten Alarmbereitschaft. Die außergewöhnlichen Gesichter sind von einer manischen Erschöpfung zerfressen. Immer wieder müssen sie die Figuren hinsetzen, geduckt laufen oder mit letzter Kraft eine Tat vollbringen. Sie husten, spucken und bluten. Noch während der Titelsequenz setzt sich ein Mann in den Schlamm und bekommt einen Anfall. Mit schmerzverzerrten Gesicht und röchelnd steht er wieder auf und bückt sich äußerst schwerfällig, um etwas Schlamm aufzuheben (während des Films dachte ich über die Heilwirkung von Schlamm nach, das Gefühl von Schlamm auf der Haut, das Gefühl, wenn man als Kind gebadet wird,…). Er kämpft sich, die Hände voller Schlamm, durch die Nebelschwaden zurück und setzt sich wieder in den Schlamm. Wild atmend sitzt er dort. Ein anderen Mann kommt, er klingt ein wenig wie eine Ente, und er versucht scheinbar etwas vom Schlamm in der Hand des Mannes zu essen? Daraufhin kommt ein anderer Mann, der die „Ente“ an der Nase packt (ständig werden Figuren an der Nase gepackt, als würde German mich zwingen an das Riechen zu denken; einmal wird eine Nase derart gebrochen. Vielleicht, denke ich mir, geht es um unsere fehlenden Möglichkeiten nicht wahrzunehmen, die fehlende Möglichkeit die Augen zu schließen, nichts zu hören und zu riechen, damit wir dieser Überfüllung entgehen können). Schließlich blickt der Mann im Schlamm nach oben, die Kamera folgt seinem Blick mit einem Schwenk, der Regen prasselt unaufhaltsam nieder. Hard to be a God ist ein absurder Film. Unzusammenhängende Dialoge entbehren keineswegs einer gewissen Komik, die eben auch von den bizarren und deformierten Gestalten, Lauten und den irren Tempowendungen ausgeht. „Es ist Herbst, es gibt keine Mäuse“, wird da gesagt, Sätze werden nicht fertiggesprochen, sie kommen und gehen ins Nichts. Es ist als würde es keine Kommunikation geben auf diesem Planeten ohne Kultur.

Das Stimmungsbild wird von Symbolen und Lichtern heimgesucht. Eulen, die auch das Werk von Bosch prägen, fliegen durch das Bild und tote Fische baden in Milch. Es ist eine vulgäre Poesie, die keinerlei Eindeutigkeit aufweist, aber von Verderben und Fruchtbarkeit erzählt, vom blühenden Leben im Dreck und von der Existenz der Verwesung zwischen den Lebenden. Folgerichtig spricht Rumata auch mit einigen Erhängten als wären sie noch am Leben. Gegen Ende füttert ein Kind einen Toten mit Resten aus dem After eines anderen Toten. Fast gegenläufig schwitzt eine wundersame Kamera durch diese Welt. Zum einen sind die Sets bis zum letzten Detail mit einer Liebe für Szenenbild und Licht ausgestattet, an der man sich kaum sattsehen kann und die man wohl nie auf einmal erfassen kann, zum anderen spielt die Kamera ganz wie in Andrzej Żuławskis On the Silver Globe (meine Besprechung), der sowieso einige Parallelen aufweist, auch eine aktive Rolle im Geschehen. Die Figuren brechen immer wieder die 4. Wand, sie schauen uns an und sprechen mit uns. Wenn Rumata ein Forschender ist, ein Mann auf der Suche in diesem Dreck, dann sind es wir auch, die Kamera scheint eine Figur zu sein, die auch durch den Schlamm muss und dasselbe gilt somit für den Zuseher. Allerdings wird diese Rolle der Kamera im Gegensatz zu Herrn Żuławskis Irrsinn nie erklärt oder angedeutet. Ihre Anwesenheit erinnert aber durchaus an Strategien des Direct Cinema und dadurch gelingt es German auch, diese Gegenwärtigkeit und Zufälligkeit zu einem Prinzip zu erheben.

Hard to be a God4

Manchmal nimmt sie jedoch eine Pause und verharrt in scheinbar, aber nur scheinbar klassischen Einstellungen. So sehen wir aus einer Totalen einige Figuren über einen kleinen Seiltransport einen Fluss queren. (noch weit im Bildhintergrund sind lodernde Flammen zu erkennen.) Wir hören Hunde bellen und erkennen einen Mann am unteren Bildrand. Die Kamera fährt auf einem Kran nach unten, es blubbert und grunzt schon wieder, wir nähern uns erneut dem Dreck. Ein ausgemergelter Mann mit Schnauzbart und Helm blickt in die Kamera. Wir folgen ihm (nach wie vor ohne Schnitt) ein paar Schritte und greifen die Bewegung einiger Kinder auf, die uns stumm gestikulierend ihren nackten Hintern zeigen. Plötzlich drückt sich ein toter Hahn in den Bildvordergrund. Ein Mann mit Rüstung zeigt ihn uns, als wollte er ihn verkaufen. (Häufiger im Film habe ich mich gefragt, ob die Figuren in der Kamera eine Rettung aus ihrem Leiden sehen.) Wir folgen dem Mann ein paar Schritte, im Hintergrund liegen Gegenstände, die auch tote Tiere sein könnten und Mondlicht schimmert auf dem Fluss. Jemand fragt: „Kannst du sehen?“ ; der Junge rennt mit nackten Hintern das Bild und wir fahren an einem großen Gegenstand vorbei (hier womöglich ein unsichtbarer Schnitt). Vorbei an einer Gruppe von Menschen, einer schreit uns an und wirft einen Gegenstand auf einen anderen Menschen, einer der Männer verharrt in einer merkwürdigen Pose, als würde sein Kopf gleich platzen. Auf einem Karren liegen Gedärme, im Hintergrund läuft immer noch der Mann mit dem toten Hahn, wir fahren weiter parallel und treffen auf einen anderen Mann an einem Lagerfeuer. Er scheint uns etwas sagen zu wollen, er winkt uns zu sich, er kommt näher und flüstert etwas Unverständliches. Dann muss er husten, wir fahren wieder nach oben, überall sind Pfützen, es gibt eine Art Holzfestung. Ein Pferd trampelt in den Pfützen und wiehert dabei. Da kommt wieder der tote Hahn ins Bild. Die Kamera neigt sich nun (wie oft) ganz bewusst zum Boden, sie sucht den Dreck, versucht im Schlamm zu wühlen. Sind wir Gott? Ein Helm rutscht in den Vordergrund, im Hintergrund einige Gestalten und immer noch der Mann mit dem Hahn. Ihm folgen wir. Die Szene erinnert in mancher Hinsicht Pedro Costas unglaublichen Tracking Shot in Ossos, denn man folgt gleichzeitig einer Figur und deren Geheimnis und bekommt etwas über die sozialen Gegebenheiten des Ortes erzählt. Eine Gruppe von Soldaten tanzt und singt eng umschlungen an einer Essensausgabe. Dann finden wir Rumata. Er steigt von einem Pferd und wir sind uns nicht mehr sicher, ob wir gerade einem subjektiven POV-Shot aus seiner Sicht erlebt haben oder ob er ebenfalls nur zufällig dort war. In diesem Sinn dynamisiert German den Raum und fordert uns auf zu blicken und unser Blicken zu reflektieren.

In dieser filmisch konstruierten Subjektivität liegt für mich die Erfahrung von Hard to be a God, die sich eben jenseits jeglicher Kausalität abspielen muss, damit sie fühlbar wird. Man wird selbst gezwungen Stellung zu beziehen zu moralischen Fragen. Vor einigen Jahren erschien das Videospiel God of War und die damals schon schwierige Fantasie des Gottseins wird bei German noch deutlich moralischer. Denn wie soll man im Morast noch ethischen Grundsätzen folgen, wie soll man sich unterscheiden in seinen Taten? Will man das überhaupt? Oder will man sich einfach der Gewalt hingeben? Will man sich einfach hinlegen? Der Film antwortet auf diese Fragen zum einen mit einer alttestamentlichen Verwüstung, einer Stille und Leere und einer Müdigkeit, die allerdings nicht in ein totales Ende sondern in einem Fortgang der Geschichte mündet. In all diesen Vorgehensweisen sehe ich ein formales und inhaltliches Auswahlverfahren eines Filmemachers und insbesondere eine Vision, die aus der literarischen Vorlage der Strugatsky-Brüder vor allem den Dreck und unser Vertiefen darin gefiltert hat. Aus diesem Matsch, Ekel und Sterben entsteht dann – die Historie zeigt das – Geschichte. Und das empfinde ich – trotz dem grausamen Wesen der Menschheitsgeschichte – als künstlerisch sinnvoll und zusammenhängend (selbst wenn das keine Rolle spielt).