But we do not do: Ma Loute von Bruno Dumont

MES ENFANTS

Von der ersten verhaltenen Reaktionen aus Cannes aus dem vergangenen Jahr, über den deutschen Titel und Trailer bis zur etwas weicheren Canal+-Glasur, mit der sich Bruno Dumont in diesen Zeiten blicken lässt, habe ich mich täuschen lassen. Von Juliette Binoche und ihrem Arthaus-Premium-Gesicht, von diesen bunten Regenschirmen, dem Jacques-Henri-Lartigue-Charme und der Tatsache, dass P’tit Quinquin zwar grandios war, aber letztlich Fernsehen mit weniger Raum für Zeit, Farben und in sich zirkulierenden Erinnerungen, von einer Tendenz, die ich glaubte in dem Filmemacher zu sehen, der mit La Vie de Jésus, L’Humanité und Twentynine Palms einen neuen Existentialismus ins Kino brachte, einen der nicht mehr auf dem Konflikt beruhte, sondern auf dessen Verschlucktwerden, einen der sich nicht entzündete, sondern der als gegeben festgesetzt wurde, einen der in den Bildern ruhte, statt sich aufzudrängen, davon dass er plötzlich Schauspieler zu besetzen schien und keine Menschen mehr, habe ich mich täuschen lassen.

© arte

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WE KNOW WHAT TO DO BUT WE DO NOT DO

Ma Loute ist großes Kino. Dumont zeigt das Aufeinanderprallen zweier Klassen, den inzestuös reichen Strandseglern Van Peteghem und den kannibalistisch gefärbten Muschelsammlern Brufort zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als bitterbösen, völlig losgelöst absurden Triebfilm, in dem jegliche Motorik von erhöhten Krampfzuständen unterbrochen wird, in der jedem praktisch alles jederzeit schwer fällt in einer gemäldeartigen Landschaft, die in all ihrer Erhabenheit zugelassen und dennoch parodiert wird. Wieder hat Dumont etwas weiter an der Deformationsschraube gedreht, die kleinen Verformungen und an Rodin erinnernden Unförmigkeiten, sind inzwischen ein einziger Rausch an Übertreibungen geworden. Dass was seine Verformungen geöffnet haben in der Wahrnehmung einer Geste oder eines Blicks, das schließen sie jetzt in einer Reinheit des Körperlichen: Schmatzend, tänzelnd, glucksend, springend, jauchzend, fliegend, kreischend, knurrend, rülpsend, rollend, stotternd, stampfend, quietschend. Das Loch zwischen einer Tat und ihrer Bedeutung ist nicht mehr leer im Kino von Dumont, es ist überfüllt. Wie er selbst sagt: Er benutze jetzt kein Teleskop mehr, sondern ein Mikroskop. Damit ist auch und hauptsächlich die Arbeit mit der Kamera gemeint, die das Digitale in all seinen möglichen Korrekturen auskostet und die Körper und Gesichter derart brutal und majestätisch in den Kinosaal ragen lässt, dass man Ozeane in den Furchen und Fältchen unter den Augen der Protagonisten lesen kann. Mehr noch gilt die Überfüllung aber für die Tonebene, die Dumont im Gegensatz zu früheren Arbeiten nicht mehr öffnet für die Geräusche des Augenblicks, sondern die er fast hermetisch durchkomponiert, im Stile eines Jacques Tati, sodass jede Kopfbewegung ein „Wusch“ erzeugt und jede Figur mit ganz eigenen Geräuschkulissen ausgestattet wird wie der rollende und sich aufblasende Inspektor Alfred Machin, der mit seinem Gefährten Malfoy an Laurel & Hardy erinnert.

Die Übertreibungen arbeiten vor allem – und das ist ein ganz neuer Aspekt bei Dumont – in den wohlhabenden, erwachsenen Figuren. Das bringt einen auch gleich zu dem, was Dumont da eigentlich macht. Jenseits eines Filmemachers wie Jean-Luc Godard hat man wohl kaum jemanden gesehen, der sich selbst in seinen eigenen Werken so heftig kritisiert. In einer bemerkenswerten Szene sitzen die Van Peteghems, jene schrille Gaga-Familie, die in einem ägyptisch geprägten Bauwerk namens Typhonium (der Name bezeichnet eigentlich die Eidechsenwurz, die Wunderknolle, die ohne Erde und Wasser Blüten treibt) an Dumonts geliebter Nordküste nahe Calais vor sich hin vegetieren und schreien, an einem Tisch. Sie warten auf Omelettes und betrachten einen Fischer. Sie, das heißt vor allem Fabrice Luchini, der die beste Performance eines jeden Lebens abliefert, bewundern den Mann aus der Distanz, er sei wie aus einem Gemälde entwachsen, er sei so erhaben, so schön. In diesem Gestus liegt gerade in der Übertreibung eine enorme Sozialkritik am bürgerlichen Tourismusdenken. Die vornehme Distanz, die bizarre Wahrnehmung von Schönheit, der Film legt all das immer wieder offen. Es folgt eine Nahaufnahme des Fischers, in der Dumont wie so oft die vollkommene Banalität des Kinos gegen die Erwartung stellt. Und damit auch sich selbst hinterfragt, denn in vielen Interviews hat Dumont immer wieder von den malerischen Aspekten dieser Gesichter des Nordens gesprochen, der flämischen Tradition. Diese Banalität existiert immer wieder in größtmöglicher Ambivalenz. So sieht man eine Landschaft, wie man sie schon immer gesehen hat bei Dumont. Sie ist bisweilen schön, er filmt sogar gegen die Sonne. Aber man weiß nicht, ob man das jetzt schön findet oder nicht, schön finden darf oder nicht, unter allem schlummert bereits die Parodie.

Selbiges gilt dann auch für die dramatischeren Szenen im Film, der Liebesgeschichte zwischen Ma Loute und Billie. Es gilt auch für Billies Geschlecht, das vom Filmemacher und auch der Öffentlichkeitsarbeit des Films in einer unbequemen und Mechanismen hinterfragenden Schwebe gehalten wird. Und schließlich für eine überwältigende, an das Kino von Jean Epstein erinnernde Rettungsaktion durch den Vater von Ma Loute, den sie „Der Ewige“ nennen. Die Kamera betrachtet ihn schräg von unten, ein Held unter dem digital bis zur kleinsten Farbe komponierten Gewitterhimmel. Denn auch wenn Dumont die Schönheit des Ortes unter den Fragen der Ambivalenz und der Banalität verhandelt, arbeitet er doch mit besessener Perfektion, an seinen Bildern, ihrem Framing, ihren Farben und ihrer Position zwischen zwei anderen Bildern. Nur so vieles, was einst so unglaublich ernst war, scheint jetzt so unheimlich gelöst. Aber das täuscht, denn nach wie vor schlummert in diesem Reigen an Irrsinn eine Verbitterung, die Dumont, auch wenn er das selbst nicht hören wollen würde, zu einem der wichtigsten politischen Filmemacher eines nach rechts schwankenden Europas macht. Einer, der Zustände freilegt durch eine nie psychologische, sondern immer kinematographische Herangehensweise. Die Schwierigkeit zu handeln, die Schwierigkeit einen Satz zu sagen oder einen Schritt zu gehen. Eine Form von motorischer Ohnmacht, die sich in eine Verunsicherung hinein sträubt, kaum zu bändigen scheint und letztlich immer konsequenzlos bleibt, selbst wenn sie tödlich endet. Hier existieren alle nebeneinander (man achte auf die vielen weiteren, reichen Strandurlauber, die sich schweigend über das Wasser tragen lassen und fast wie Geister als Farbflecke in der Landschaft agieren), niemand ineinander (nur, wenn man die andere Person isst) und alles, was angesehen wird, wird nicht angeblickt, nichts wird wirklich berührt, es bleibt eine Distanz, die sich in Bildern ergötzt, in Aussichten, Marienstatuen und Äußerlichkeiten.

Noch kurz ein Wort zu Luchini, das muss erlaubt sein, mit seinem Lächeln, seinem Timing, dem den Gesetzen der Schwerkraft widersprechenden Bewegungen, die immerzu kippen und sich drehen, und aus der größten Verkrampfung noch einen leicht tänzelnden Schritt gewinnen wollen. Der sich nicht wirklich hinsetzen kann, nicht wirklich aufstehen kann, nicht wirklich gehen kann. Immer wieder versucht die Figur zu winken, wie man als Adeliger winkt, aber es bleibt nur eine verformte Geste, ein Fingerkrampf, der nach einem Hut greift, den der gute Mann nicht immer aufhat. Selten hat man ein derart perfekt choreographiertes Bewegungssammelsurium in einem Körper gesehen. Eine Szene, in der er in einem Segelwagen am Strand einen Unfall baut, leitet er ein, indem er eine lange Zeit im Wind tänzelt, sich warm macht, man weiß es nicht, ehe er sich in wildem Kostüm, fast fetischierend eingesetzt von Dumont, in das Gefährt begibt. Sämtliche Bewegungen von Luchini unterliegen dem Prinzip ihrer eigenen Unterdrückung. Kaum eine Figur, vor allem nicht bei den Van Peteghems kann wirklich die Bewegung vollführen, die sie vorhat. Dieser Irrsinn fällt mit Juliette Binoche am schwersten. So ganz will sie sich den rein mechanischen, körperlichen Absurditäten nicht hingeben, ihre Figur ist immer von einem inneren Konflikt gelenkt. das ist schade, weil diese deformierten Bewegungen eigentlich eine Zustandsbeschreibung sind und keine narrative oder psychologischer Folge einer Figur. Es macht zwar absolut Sinn, dass Dumont die Distanz zwischen den Van Peteghems und Bruforts auch im Casting reflektiert, aber nicht alle Schauspieler sind bereit, ihre Körper gleichermaßen zu einem Schlachtfeld der Zuckungen zu machen.

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LES OISEAUX

Was wir sehen, ist die aufflammende Deformation sämtlicher Gesellschaften und jene der Repräsentationsfunktionen des Kinos. Es ist ein Kino, das sich selbst abschwört und darin wieder und wieder zu sich findet. Wenn Dumont sagt, dass Komödie und Drama zwei Seiten der gleichen Medaille sind, hat er Recht. Es ist nur so, dass seine Komödien viel bitterer sind als seine Dramen nach Twentynine Palms. Zumindest aus seiner etwas schwierigen Phase mit Filmen wie Camille Claudel 1915, Flandres oder Hadewijch erschließen sich nun ganz neue Wunden. Was geblieben ist, ist der religiöse, spirituelle Fluchtversuch, die Frage nach einem göttlichen Wirken. In Ma Loute wird gebetet und dann gibt es auch ein Wunder. Liegt darin nur das Aufeinandertreffen dieser großen Banalität und Fleischlichkeit mit einer plötzlichen Erhöhung? Oder wohin fliegen all diese Figuren, warum fliegen sie, wovor fliegen sie hinfort? Es fällt auf, dass Frau Van Peteghem, gespielt von Valeria Bruni-Tedeschi, nachdem ihr ein Wunder an der Küste widerfährt, in glückseeliger Ruhe, sanft lächelnd verbleibt. Ist das der Lösungsvorschlag des bitteren Ironikers Dumont? Man braucht eine göttliche Erscheinung, um dem zu entkommen? Oder ist es die Reaktion der anderen, die zunächst überschwänglich ist, aber dann vergisst, was passiert ist? Ist es die Feststellung, dass man wieder landet, das alles gut ist und es immer eine Zeit gibt, um zu vergessen? Oder ist es nur die nüchterne Feststellung, dass auch diese göttlichen Kräfte, das Deus Ex Machina völlig deformiert ist und zur falschen Zeit der falschen Figur erscheint?

Bleibt noch die Frage nach der Art und Weise, in der Dumont Menschen zeigt. Es wurde immer wieder darauf verwiesen, dass sich Dumont ganz bewusst in moralischen Grenzbereichen aufhalten würde. Das liegt darin, dass er vor allem in einem Film wie Camille Claudel 1915 Behinderungen extrem offensiv dargestellt hat. Offensiv, das heißt in konkreten, klaren Bildern, die sich nahe an Menschen wagen und denen kaum Schutz gewähren. Außerdem gibt es sicherlich eine Tendenz zur Ästhetisierung  von Gesichtern und Körpern, auch deren Bloßstellung. Dumont betont, dass er gerne in dieser Region drehe, weil er selbst von dort komme und die Menschen dort besser nachvollziehen könne. Ma Loute zeigt das vor allem deshalb so deutlich, weil das Fremdartige bei Dumont nie in der Deformation, nie im langen Studieren nicht-symmetrischer, rauer Gesichter liegt, sondern im Wahnsinn eines Vergrabens und Auslebens animalischer Elemente des menschlichen Daseins. Es liegt im Kontakt, der simplen Geste, es liegt einfach da. es ist nicht schlicht eine Sache des Blicks, sondern der Sekunden danach, Dumont bietet uns etwas an, wir können damit umgehen, er stellt es uns frei. All diese Dinge existieren in einem derart ambivalenten Raum, dass sie eigentlich kaum benennbar sind. Letztlich werfen sie das Auge auf sich selbst zurück und man sieht in den Blicken dieser Laien und deformierten Gesichter die Transformation einer Frage aus dem moralischen, pseudo-politischen Parabelkino, mit dem man sonst gerne konfrontiert wird. Denn statt „Wo stehst du?“ fragt Dumont „Wie stehst du?“.

Alternative Film/Video Belgrade: Holes Exist in Every Single Tree

Alternative Film/Video Festival Belgrade

In the stretch of a year, a lot may happen. Alliances may form, break or be reconciled. What deserves acknowledgment is the importance of continuity and labour. Taking the time, or reserving the time TO MEET WITH FRIENDS AT THE SAME PLACE AT THE SAME PLACE, year in year out, is something I yet need to undergo, but my return to the Balkans this autumn/winter transposed this truth and I am very lucky to be able to make the time for such gatherings. Where in November I stopped by at Pravo Ljudski in Sarajevo, this month I revisited Alternative Film/Video Belgrade (7-11 December 2016).

Alternative Film/Video Festival Belgrade

Yugoslav anti-film revealed itself to me during last year’s 25 FPS, in Zagreb. An interest initiated. Soon after I was to be taught by Boris Poljak, who at some point took me from Sarajevo to Split, during which he shared several anecdotes concerning his main teacher and friend Ivan Martinac, who was responsible for filling generations of filmers with mountains of cine-enthusiasm. Autumn 2015. Leaves changing colours. Followed by a hot cocoa with Vjekoslav Nakić, someone else who played a major role in this history. With similar vigor, he inspirited me because of his animated and humble personae. These are just a couple of events that inclined me to return to the Balkans. And to keep returning, since this year Petra Belc, a friend and scholar, was there to present an excavated selection of women’s experimental film made in former Yugoslavia.

But let’s most certainly not underestimate the time-related privilege that comes with this endeavor. As Yoana Pavlova contested on Twitter:

‘’Once you pop up at any festival w/ a baby stroller, it gets much more complicated. One shouldn’t omit the fact that festivals require physical availability + certain existential choices from both men & women… And this is where the problems start, as women are supposed to be happy to make the same choices as men, only it’s > complex’’

And therefore the ability to build a relationship with a festival and its visitors is not possible for everyone, let alone with a location-specific art movement. When I meet someone who has uninterruptedly frequented a foreign festival in the course of nine or ten years, nine times out of ten it is a white man. Worth noting is that it often also includes more than just a single event, but several spread out over the globe. There shouldn’t be exceptions to this rule.

Writing p(l)ainly about moments that leave unmistakable imprints on the way one deals with life, is not easy but much needed. As I ponder about Alternative Film/Video, I’m calling to mind… Vlada Petrić, founder of the Harvard Film Archive, approaching and talking to Eve Heller with a childlike blink. Together with Petra (Belc) I’m attending this split-second (in a history) and suddenly cinema changes a bit. How? Why? I honestly don’t know, but it felt as if a cog moved, triggering a change elsewhere as part of a grander scheme of things.

What is the difference of describing this in either a couple of words or a couple of books? A film festival as impressive as this cannot be fully described. You go there, of course never knowing what it will become, and it ends up talking and activating one’s faith.

Sudden thought: ‘’…(moving) images here, (moving) images there… but true preservation happens not everywhere…’’

I arrived relatively late to the party, but arguably at the best possible moment: just in time for Sebestyén Kodolányi’s presentation. A fierce archivist and educator / an educator who works in archiving / an archivist who wholeheartedly educates. Delivering something that cracked open, invigorated, and crushed our notions of how to cut through unnecessary tendencies and cycles of self-validating curatorship. Or: programming. To program one’s flow of thought.

It was the kind of get-together where we happen to make notes of the following sort: ‘’with [this or that person] you are not being put in the mode of giving compliments. But rather: to talk in order to burn the bullshit together. To pursue this as both receiver and sender, or what is left of this dichotomy.’’

Giving films their ‘’much-needed portion of attention’’ is right but also extremely problematic. Since ninety percent of the films we get to see, especially through festival screenings, already passed through more eyes than we can imagine (also because this is never de-mystified or questioned, since festival selections need to appear as novel discoveries, instead of films that made a long and difficult journey before arriving in front of the public). Though, once again, Alternative Film/Video is singular in this stance because it presents to us moving images that are, if not picked by someone after the festival, immediately gone, that is: if not viewed with the attention that is required to fully notice it. And to be able to see in a festival works that will, though just in few occasions, only have a lifespan as long as a single screening, is actually something that needs to be lauded. It takes bravery and guts to show something that is, due to several reasons unknown to us as well as the programmers, bound to slip into forgetfulness.

Now, if I would have to describe one film, which one would it be? Raw Material (2015) by Jean-François Reverdy is the one that still occupies my mind. Bearing resemblance to Ismaïl Bahri’s Foyer (2016), it poses: “What do we think we see?” And both are films shot in the Middle East with lenses that are intentionally obscured. But that is where the similarities end. Enfin: to take a camera to somewhere foreign is easy for us Westerners. We put it up and we can start recording. But what then? Do we see anything when we see something “in vivid detail?” Or is it more specific to any given situation? So that an extremely blurred image might disclose just as great an insight as the aforementioned? There’s a pinhole camera. There is also a desert. People are curious. The camera doesn’t care but slowly starts to capture images more clearly. Until there is the arrival of a train. You feel fearful but then the camera keeps spinning in 360 degrees as the train doesn’t seem to have a tail. L’arrivée d’un train en gare but none of the bystanders seem to care. And perhaps they have a point.

Raw Material (2015) by Jean-François Reverdy

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Foyer (2016) by Ismaïl Bahri

The final screening ends. I turn my head to the right and there appears Vlada Petrić. We are the only two who remained seated until the very end of the festival, my twenties just started, he will soon turn ninety. I look down to see what I scribbled down in my notebook during the films, and it is only because of its repetition – pardon my horrific handwriting – that I vaguely manage to discern:

All I demand is Enthusiasm…
All I demand is Enthusia…
All I demand is Enthus…
All I demand is En…
All I demand i…
All I dema…
All I d…
All I…

..
.

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Raw Material (2015) by Jean-François Reverdy

13 Kinomomente des Jahres 2016

Wie in jedem Jahr möchte ich auch in diesem Jahr zum Ende hin über die Augenblicke im Kino nachdenken, die geblieben sind. In der Zwischenzeit bin ich jedoch nicht mehr so sicher, ob es wirklich Momente sind, die bleiben. Viel öfter scheint mir etwas in mir zu verharren, was konkret gar nicht im Film existierte. Nicht unbedingt die subjektive Erinnerung und das, was sie mit Filmen macht, sondern vielmehr ein Wunsch, ein Begehren oder eine Angst, die sich im Sehen ausgelöst hat und sich an mir festkrallte. Ein Freund nennt Filme, die das mit ihm machen, die in ihm weiter leben und töten „Narbenfilme“. Ich mag diesen Ausdruck von ihm, obwohl eine Narbe ja bereits eine Heilung anzeigt. Diese Momente, diese Filme, die sich als Narbenfilme qualifizieren, brennen jedoch noch. Es sind offene Wunden, manchmal in der Form einer Blume, manchmal als klaffendes Loch.

Ich versuche daher in diesem Jahr solche Momente zu beschreiben, Momente, die nicht nur den Filmen gehören, die sie enthalten.

Inimi cicatrizate von Radu Jude

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Ein Top-Shot: Der junge, kranke Mann möchte seine Liebe besuchen, sie überraschen. Mit seinem wortreichen Charme überzeugt er Arbeiter des Sanatoriums, ihn auf einer Trage zu ihrer Wohnung zu tragen. Auf seinem Bauch ein Strauß Blumen. Er trägt schwarz unter seinem weißen Gesicht. Die meisten Top-Shots empfinde ich als schwierig. Sie erzählen lediglich von der Macht der Perspektive. Dieser hier ist anders. Er erzählt etwas über die Präsenz des Todes. Der Liebende wird für unter der Kamera zum Sterbenden. Darum geht es auch in diesem famosen Film. Das liebende Sterben, das sterbende Lieben.

(Meine Besprechung des Films)

Atlantic35 von Manfred Schwaba

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Ein Film wie ein einziger Moment. Ein Blick auf das Meer, der nur wenige Herzschläge anhält. Er kommt aus und verschwindet in der Dunkelheit. Es ist ein Film für einen Moment gemacht, der aus zwei Träumen besteht. Der erste Traum, das ist das Filmen auf und mit 35mm, ein sterbender Formattraum. Sterbend, weil eben nicht alle Menschen sich einfach so leisten können, auf Film zu drehen. Nicht jeder kann jeden Traum auf Film realisieren. Der zweite Traum, das ist das Meer, der Atlantik. Beide Träume also im Titel. Die Realität dieses Traumes, kommt gleich einer unaufgeregten Welle. Kaum spürbar, schon vorbei, wenn sie begonnen hat, aber doch mit all der Grazie des Kinos und des Ozeans ausgestattet, die es gibt.   

(Rainers Avantgarde Rundschau von der Diagonale)

Die Geträumten von Ruth Beckermann

Ich bin mir nicht mehr ganz sicher, wann genau dieser Augenblick eintritt, aber es ist ein einzelner Satz. Ein Satz, der alles vernichtet, was vorher geschrieben wurde. In ihm sammelt sich das Kippen einer Beziehung, die sich nur in Worten nährt. Es gibt mehrerer solcher Momente im Film. In ihnen kippt etwas in der geträumten Beziehung oder auch zwischen den Sprechern/Darstellern und den Worten. Das grausame und schöne an den Momenten in diesem Film ist, dass sie zeitlich verzögert sind. Oder gar vielleicht nie abgeschickt wurden.

(Meine Besprechung des Films)

Sieranevada von Cristi Puiu

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Wie viele meiner favorisierten Filme des Jahres handelt auch Cristi Puius neuestes Werk mehr von einer Präsenz der Auslassung, denn Dingen, die tatsächlich passieren. Ein Jahr der Fiktionen, die ihre eigenen Realitäten konstruieren. Ein Moment, der das bei Puiu bricht, ist die Erkenntnis. Diese gibt Puiu seinem Protagonisten Lary. Einmal in Form von Tränen und mehrere Male in Form eines machtlosen Lachens. Dieses Lachen ist wie der ganze Film zugleich unglaublich komisch und bitter. Es ist ein Lachen, das einem verdeutlicht, dass man keinen Zugriff hat auf die Fiktionen.

(Mein Interview mit Cristi Puiu)

(Andreys Besprechung des Films)

(Mein Bericht vom Festival in Cluj)

Austerlitz von Sergei Loznitsa

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Die Obszönität des Kinos ist hier zweisilbig. Die erste Silbe betont die Obszönität des filmischen Unternehmens selbst, der filmischen Fragestellung, der Art und Weise wie die Kamera in den Konzentrationslagern auf die Touristen blickt. Die zweite Silbe schafft Momente. Sie offenbart beispielsweise ein absurdes, schreckliches Kostümbild, womöglich das obszönste der Filmgeschichte. Ein junger Mann trägt ein Jurassic Park T-Shirt in einem Konzentrationslager. Die Kamera zuckt nicht, sie schaut sich das an, zeigt es uns und fragt sich tausend Fragen. 

(Andreys Besprechung des Films)

Ta‘ang von Wang Bing

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In den ersten Sekunden seines Films injiziert Wang Bing schockartig ein ganzes Drama unserer Zeit in unsere Körper. Eine junge Frau sitzt mit einem Kind unter einem Zeltdach in einem Flüchtlingslager. Ein Soldat kommt, tritt sie, das Dach wird weggezogen, sie wird beschuldigt. Es ist eine unfassbar brutale und kaum nachvollziehbare Szene. Was ihr folgt ist Flucht. 

(Mein Tagebucheintrag vom Underdox mit einigen Gedanken zum Film)

Der traumhafte Weg von Angela Schanelec

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Nehmen wir einen Ton. Den des Zuges, der schneidet. Ein wenig zu laut, als dass man es ignorieren könnte. Ein Ton der bleibt, weil er kaum da war. Er erzählt etwas, was man nicht sieht, etwas Grausames. Es ist die Beständigkeit ausgelassener, angedeuteter und wiederum zeitlich verzögerter Momente, durch die sich eine Erkenntnis winden muss. Das Echo dieses Zuges hallt wieder durch den Bahnhof. Schanelec verstärkt diesen Ton noch mit dem Bild eines verlassenen Schuhs neben den Gleisen. Mit dem Regen. Es sind disparate Momente, die sich der Fragmentierung fügen und dadurch in sich selbst ein neues Leben entdecken.

(Meine Besprechung des Films)

Le parc von Damien Manivel

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Damien Manivel bringt das von David Fincher am Ende seines The Social Network begonnene Drama unserer Generation zu einem grausamen Höhepunkt in den letzten Lichtern eines endenden, unwirklich schönen Tages und der ebenso unwirklichen Realität der folgenden Nacht. Eine junge Frau wird plötzlich von dem Jungen sitzengelassen mit dem sie einen Tag im Park verbracht hat. Sie sitzt auf einem kleinen Hügel in der Wiese im  Park und schreibt ihm eine SMS. Sie blickt in die Ferne, sie fragt sich, ob er zurückkommt. Sie wartet auf eine Antwort. Sie sitzt und wartet. Die Kamera bleibt auf ihrem Gesicht. Langsam wird es dunkel. Der Park leert sich. Sie wartet auf eine Antwort. Sie wartet und es wird Nacht.

Certain Women von Kelly Reichardt

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Wie kann man vom unausgesprochenen Begehren erzählen? Kelly Reichardt wählt das unvermeidbare Gewitter eines kleinen Lichts in den Augen. Beinahe wie Von Sternberg, nur ohne den Glamour, erscheint ein funkelndes Augenhighlight in der blickenden Lily Gladstone, es brennt dort und erzählt von etwas, das darunter brennt. Es ist sehr selten, dass jemand mit Licht erzählt und nicht mit Worten.

(Meine Besprechung des Films)

Nocturama von Bertrand Bonello

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Ich bin kein Fan der Musik von Blondie. Aber ich habe das Gefühl, dass Bertrand Bonello mich beinahe zum Fan einer jeden Musik machen könnte. Er benutzt sie immer gleichzeitig als Kommentar und Stimmungsbild. Er treibt mit ihr und bricht sie. Seine Kamera vollzieht begleitend zu den Tönen das Kunststück, sich im Rhythmus zu bewegen und dennoch immer etwas distanziert zu sein. Als würde man jemanden betrachten, der hinter Glas tanzt zu einer Musik, die man sehr laut hört.

(Mein Interview mit Bertrand Bonello)

Două Lozuri von Paul Negoescu

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In dieser sehr unterlegenen Hommage an Cristi Puius Marfa și banii gibt es eine der lustigsten Szenen des Jahres. Dabei geht es um die Farbe eines Autos. Der Polizist geht richtigerweise davon aus, dass das Auto nicht weiß ist. Aber alle Menschen, die er befragt, leugnen die Farbe des Autos. Was er nicht weiß ist, dass sie alle unter einer Decke stecken. Dieses nicht-weiße Auto wird zu einer absurden Fiktion. Wenn alle Menschen sagen, dass etwas weiß ist, bleibt es dann nicht weiß, wenn es nicht weiß ist?

O Ornitólogo von João Pedro Rodrigues

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Eine Eule schwebt im Gleitflug über die Kamera und ihre Augen treffen die Linse mit einer bedrohlichen Bestimmtheit. Sie landet perfekt, ihr Blick bleibt. In einem Film, der weniger vom titelgebenden Beobachten der Vögel, als von deren Blick zurück besessen ist, bleibt dieser Augenblick, weil er zeigt, dass man oft nur bemerkt, dass man angesehen wird, wenn man hinsieht.

(Meine Besprechung des Films)

La mort du Louis XIV von Albert Serra

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Jean-Pierre Léaud (machen wir uns nichts vor, es ist nicht Louis XIV) verlangt nach einem Hut. Für einige Sekunden könnte man meinen, dass er jetzt das Innenleben seiner Gemächer verlassen will, dass er aufbricht in eine neue Sonne. Aber weit gefehlt, denn Jean-Pierre Léaud verlangt nur nach dem Hut, um einigen Damen damit zu grüßen. Es ist dies der Inbegriff des schelmisch Charmanten, in dem sich Serra, der Sonnenkönig und dieser bildgewordene Schauspieler treffen. Selbst, wenn es ums Sterben geht.

(Meine Besprechung des Films)