Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Land of the Dead: Night of the Living Dead von George A. Romero

Zur Eröff­nung der “Land of the Dead”-Schau zeig­te das Öster­rei­chi­sche Film­mu­se­um einen der abso­lu­ten Mei­len­stei­ne der Film­ge­schich­te: Geor­ge A. Rome­ros „Night of the Living Dead“. Die anhal­ten­de Rele­vanz und Fas­zi­na­ti­on am Hor­ror­gen­re, das sich damit womög­lich mehr und mehr zum bedeu­tends­ten Gen­re der letz­ten 50 Jah­re ent­wi­ckelt, ist bemer­kens­wert. Das span­nen­de dar­an ist, dass man als Zuse­her weni­ger Asso­zia­tio­nen zu Bil­dern und Cha­rak­te­ren hat als bei­spiels­wei­se beim Wes­tern oder dem Gangs­ter­film, aber sich dafür weit­aus inten­si­ver an sei­ne Emo­tio­nen erin­nert. Der Hor­ror ist ein kör­per­li­ches Gen­re: Ner­ven­auf­rei­ben­de Angst, Schock und Ekel sind Gefüh­le, die einem blei­ben. Man beginnt zu schwit­zen, man will nicht mehr hin­se­hen, man­cher sieht nicht mehr hin, es wird geschrien, durch­ge­at­met und sich am Sitz fest­ge­krallt. Oft­mals ver­ste­cken sich unter den über­sinn­li­chen, bru­ta­len und obsku­ren Ober­flä­chen auch alle­go­ri­sche Gesell­schafts­kom­men­ta­re und her­ge­stell­te Rela­tio­nen zur Welt außer­halb des Gen­res. Aller­dings wird die Schau für mich zu einer Her­aus­for­de­rung. Nein, es liegt weder dar­an, dass ich Angst vor den Fil­men hät­te noch dar­an, dass ich Hor­ror für zu wenig kunst­voll erach­te. Es ist schlicht so, dass ich Fil­me nicht füh­len kann, wenn ich mich mani­pu­liert füh­le. Die­ser Wider­spruch beherrscht aber mei­ner Ansicht nach den Hor­ror­film. Streng­ge­nom­men mani­pu­liert natür­lich jeder Film bis zu einem gewis­sen Grad, aber Hor­ror­fil­me spie­len ganz außer­or­dent­lich mit unse­ren Erwar­tun­gen, sie bedie­nen On- und Off-Screen, sie set­zen Musik und Sound ein immer mit dem direk­ten Ziel der Beein­flus­sung des Publi­kums. Natür­lich kann man das nicht so ein­fach tren­nen, denn Hor­ror steckt in vie­len Momen­ten des Lebens, nicht nur in der mög­li­chen Anwe­sen­heit eines Zom­bies in einer dunk­len Kam­mer oder in der eige­nen Schi­zo­phre­nie. Hor­ror kann eine Sicht und Wahr­neh­mung der Welt sein, ein wah­res Gefühl. Gute Hor­ror­fil­me wis­sen das. Die Tex­te, die ich in den kom­men­den Tagen und Wochen zu den Fil­men der „Land of the Dead“ Retro­spek­ti­ve schrei­ben wer­de, wer­den daher immer bis zu einem gewis­sen Grad auch Gen­re­re­flek­tio­nen sein. Da sich die­ser Teil der groß ange­leg­ten Schau in den Jah­ren 1968 bis 1987 bewegt, also jener Zeit, in der das Gen­re ein dyna­misch-rebel­li­sches Selbst­be­wusst­sein ent­wi­ckel­te und begann Gren­zen aus­zu­lo­ten, bin ich guter Din­ge den ein oder ande­ren Wider­spruch in mir auf­zu­lö­sen. Es ist auch inso­fern eine span­nen­de Schau für mich, da ich unheim­lich vie­le Essen­ti­als des Gen­res noch nicht gese­hen habe.

Night of the Living Dead2

„Night of the Living Dead“ jedoch sehe ich zum zwei­ten Mal. Mit sei­ner alle­go­ri­schen Hal­tung und der offe­nen The­ma­ti­sie­rung von Gesell­schafts­kon­flik­ten der 1960er Jah­re zeigt bereits der ers­te Film eine jener offen­sicht­li­chen Qua­li­tä­ten des Gen­res, über sei­ne blo­ße mani­pu­la­ti­ve Schock­wir­kung hin­aus zu exis­tie­ren. Die Ent­schei­dung die Retro­spek­ti­ve mit die­sem Film zu begin­nen, ist im Kon­text abso­lut nach­voll­zieh­bar, denn schließ­lich ist es die­ser Film, der ein neu­es Zeit­al­ter ein­läu­te­te. Die Kopie sieht äußerst mit­ge­nom­men aus, drei­mal (nach mei­ner Beob­ach­tung) feh­len ein paar Frames und es kommt zu kur­zen Sprün­gen. Das sorg­fäl­ti­ge Sound­de­sign erhält zudem eine mini­ma­le und irgend­wie wun­der­vol­le Ver­frem­dung. Die Spu­ren der Zeit fügen der Schön­heit des Films noch wei­te­re Kan­ten hin­zu. Für alle, die den Film nicht ken­nen, sei ver­merkt, dass man bes­ser in sei­ner Woh­nung bleibt, denn eine radio­ak­ti­ve Strah­lung hat die Toten zum Leben erweckt. Die­se sind zwar äußerst lang­sam und schwäch­lich, aber sie sind vie­le und sie sind töd­lich. Wir fol­gen zunächst einer blon­den Frau mit ihrem generv­ten Mann an einen ver­reg­ne­ten Fried­hof. Außer ihnen treibt sich noch eine ein­sa­me, fast schwe­ben­de Gestalt im Bild­hin­ter­grund umher. Die­se Gestalt wird den Mann in einem unbe­hol­fe­nen Ring­kampf zu Boden wer­fen und die Frau an ein ver­las­se­nes Haus ver­fol­gen. Dort tau­chen nach eini­ger Zeit immer mehr Unto­te und auch ein paar Men­schen auf. Einer von ihnen ist Ben, der Held des Films. Das poli­ti­sche State­ment liegt neben dem Ende des Films nicht im Kom­men­tar der Haut­far­be des Prot­ago­nis­ten son­dern gera­de dar­in, dass uns nicht erklärt wer­den muss, war­um die­se Figur unser Held ist. Wir sehen es ein­fach, es macht kei­nen Unter­schied. Es ent­fal­tet sich ein nächt­li­cher Über­le­bens­kampf bei dem die Figu­ren unter­ein­an­der genau­so zu kämp­fen haben, wie die Figu­ren mit den Untoten.

«I felt real ter­ror in that neigh­bor­hood thea­ter. (…) I saw kids who had no sources they could draw upon to pro­tect them­sel­ves from the dread and fear they felt. … What are par­ents thin­king when they drop their child­ren off to see a movie cal­led Night of the Living Dead?”, schrieb Roger Ebert bekanntermaßen

Damit kom­men­tier­te Ebert den Skan­dal einer neu­ar­ti­gen Dis­tri­bu­ti­ons­po­litk durch den umstrit­te­nen Ver­trieb „Con­ti­nen­tal“, der in den 1960er Jah­ren meh­re­re anspruchs­vol­le bri­ti­sche Fil­me für erwach­se­nes Publi­kum (zum Bei­spiel „Room at the Top“ von Jack Clay­ton) her­aus­brach­te, die zum Teil mit Zen­sur bedacht wur­den. Sie ver­such­ten sich dar­in sol­che Fil­me in Nach­mit­tags­pro­gram­me und in Vor­stadt­ki­nos unterzubringen.

Night of the living dead

Heu­te muss man Miss­ver­ständ­nis­se und unlieb­sa­me Über­ra­schun­gen kaum mehr befürch­ten, zumal bei einem Scree­ning in einem Film­mu­se­um. „Night of the Living Dead“ ist ein essen­ti­el­les Erbe der Film­kul­tur und ein Kult­film. Nur äußerst beschränk­te Igno­ran­ten wür­den dem Film sei­ne künst­le­ri­sche Grö­ße abstrei­ten und wir sind hof­fent­lich über die Zeit hin­weg, in der das Dre­cki­ge und Bru­ta­le im Film als Zei­chen für künst­le­ri­sche Min­der­wer­tig­keit galt. So tra­gen eini­ge Besu­cher im Film­mu­se­um Fan-Shirts und statt Angst­schrei­en sind gele­gent­li­che lau­te Lacher des nerdi­gen Ent­zü­ckens zu ver­neh­men. Natür­lich liegt das auch an der Zeit, die der Film auf dem Buckel hat. Man­cher Schock­ef­fekt ver­pufft, weil sei­ne Kon­struk­ti­on all­zu durch­schau­bar ist. Das ist nor­mal bei einem Gen­re, das für eine opti­ma­le Gene­rie­rung von Schock­erleb­nis­sen immer an den tech­ni­schen Vor­aus­set­zun­gen und den bereits erleb­ten Schocks sei­nes Publi­kums hängt. Trotz­dem wur­de zu viel über statt mit dem Film gelacht, aber das ist ein ande­res The­ma. Der wah­re Schock des Films liegt auch in ganz ande­ren Dingen.

Die Schön­heit der ein­sa­men Toten.

Die töten­den Toten in „Night of the Living Dead“ sind die schöns­ten und trau­rigs­ten Figu­ren des Films. Zum einen agie­ren sie völ­lig hilf­los, ob ihrer Schwä­che und ihres über­mäch­ti­gen Triebs. Sie kön­nen sich nicht hel­fen. Selbst, wenn Rome­ro filmt wie Inne­rei­en von Men­schen geges­sen wer­den, hat das noch eine eige­ne Wür­de. Der Ton zieht sich dann immer zurück, es bleibt ein lei­ses Kla­gen wie in einem nächt­li­chen Kran­ken­haus, ein Flüs­tern, ein Schmat­zen. Die Panik tritt immer nur im Kon­flikt mit den Leben­den auf. Dann wird es laut und hek­tisch. Sie ste­hen im Schat­ten und der hohe Kon­trast des kör­ni­gen schwarz und weiß ver­schluckt ihre Augen, die sowie­so nur mehr aus tie­fen Höh­len ins Lee­re bli­cken. Unter­sich­ti­ge Panik, ängst­li­che Gesich­ter, die aus Fens­tern schie­len, ein bren­nen­der Ses­sel auf der Veran­da. Die Unto­ten, die zu schön sind, um sie Zom­bies zu nen­nen, erschei­nen als abwe­sen­de Geis­ter und pro­vo­zie­ren glei­cher­ma­ßen Bil­der mensch­li­cher Schön­heit und mensch­li­cher Abgrün­de. Am Ende des Films wer­den sie wie ver­irr­tes Wild abge­schos­sen, unfä­hig sich zu hel­fen. Für weni­ge Sekun­den kann man aus einem Hub­schrau­ber her­aus kaum unter­schei­den zwi­schen den Unto­ten und den jagen­den Men­schen. Die­se Figu­ren wir­ken nicht so als wol­len sie leben und als wol­len sie töten. Sie befin­den sich fast in einer ulti­ma­ti­ven exis­ten­zi­el­len Kri­se. Immer wie­der schnei­det Rome­ro auf die vor dem Haus lun­gern­den Gestal­ten. Zum einen sind das POV-Shots, die von einer Bedro­hung spre­chen und die anzei­gen, dass es immer mehr wer­den. Zum ande­ren aber sind das poe­ti­sche Por­trait­auf­nah­men, die mehr und mehr von einer Unschuld erzäh­len. Das liegt auch dar­an, dass die Men­schen selbst nicht alle­samt sym­pa­thisch agie­ren. Ben ist eine Iden­ti­fi­ka­ti­ons­fi­gur, klar, aber auch er bleibt nicht ohne Ambi­va­len­zen. Zum einen hat er ein etwas irra­tio­na­les „I am the Boss“ Geha­be und zum ande­ren erschießt er (ver­ständ­li­cher­wei­se, aber trotz­dem ziem­lich kalt) einen ande­ren Mann, der die Sicher­heit von allen gefähr­det. Eine gewis­se Nai­vi­tät und ein durch poin­tier­te Dia­lo­ge unter­stütz­ter Zynis­mus gegen­über mensch­li­chen Bezie­hun­gen machen eine Unter­schei­dung zwi­schen Gut und Böse nicht so leicht. Zwar wir­ken die zwei Sze­nen in denen die Paa­re des Films vor­ge­stellt wer­den auf­ge­setzt und unnö­tig, aber sie stel­len den­noch Fra­gen, die auch im Herz des Films schla­gen: Ist das Frem­de auto­ma­tisch böse? Wie sieht das Böse aus? Die Ober­flä­che von Kör­pern und damit auch die Ober­flä­che des Films, das ein­fach Sicht­ba­re erzählt hier etwas ande­res als das Hör­ba­re und Spür­ba­re. Es schei­nen man­che Men­schen im Film zu sein, denen eine See­le fehlt, die etwas Böses reprä­sen­tie­ren. Man ist fremd unter Fremden.

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Der Zynis­mus des Films lädt natür­lich auch ein zu einer ent­spann­ten, humo­ris­ti­schen Betrach­tung. „Night of the Living Dead“ ist auch des­halb ein wich­ti­ger Film, weil er immer­zu bewusst macht, dass er ein Film ist. Immer wie­der neh­men Figu­ren die Rol­le des Zuse­hers ein und sagen Din­ge, die einem beim zuschau­en selbst auf der Zun­ge lagen. Erst in der letz­ten Sze­ne-als Ben völ­lig bei­läu­fig von schieß­freu­di­gen Poli­zis­ten erschos­sen wird, weil er für einen Unto­ten gehal­ten wird-ver­kehrt sich die­ser Zynis­mus in eine wüten­de Bit­ter­keit, die schmerzt. Sie schmerzt auch des­halb, weil ihre alle­go­ri­sche Bedeu­tung heu­te nicht mehr auf ein ein­zel­nes gesell­schaft­li­ches The­ma zu mün­zen ist, son­dern auf einen gene­rel­len mensch­li­chen Wesens­zug. Der Hor­ror des Films liegt damit in der feh­len­den Kom­mu­ni­ka­ti­on und der Aggres­si­on der Men­schen. Und der Hor­ror beginnt erst als Nach­wir­kung des Endes nach dem Film, denn davor ist es vor allem ein trau­ri­ger Film über Schön­heit, die gefähr­lich ist. Ich hat­te wäh­rend des Films kei­ne Angst, aber jetzt habe ich sie.