Im Vorbeifahren: Eine zurückgesetzte Fassade, nur wenige Meter breit, die sich durch ihre Linie zwischen hellem und dunklem Putz vom Rest des nach links verlaufenden Hauses abgrenzt. Rechts daneben baut sich die hervorstehende Brandmauer des benachbarten Hauses auf, sodass stets ein Schatten in diese Ecke fällt, wo sich hinter einem Kaugummi-Automaten ein paar zerknüllte Bierdosen sammeln. Obwohl es so aussieht, als handele es sich um ein eigenständiges Gebäude, gehört dieser unscheinbare Verschnitt, eingeklemmt zwischen einem Elektronik- und einem Instrumentengeschäft, die beide mit einer überbordenden Auslage aufwarten, trotzdem zum Haus, das bis zur Kreuzung reicht, blickt man für einen Moment nach oben und erkennt dort den nahtlosen Übergang zwischen den Fenstern sowie den knapp hervorstehenden Simsen. Direkt unter dem Sims der ersten Etage befindet sich ein Fenster mit hölzernem Rahmen und milchigen Scheiben, dahinter nichts zu erkennen; linkerhand neben dem Fenster ein kleiner weißer Kasten, der wie ein Lautsprecher für eine Alarmanlage aussieht. Unmittelbar darunter ist ein großflächiger Rahmen gefliest, der das Geschäftslokal einfasst. Die Bordüre des Rahmens wird durch senfgelben gebrannte Randfliesen gebildet, in die sich doppeltlange sandfarbene Flächenfliesen verteilen. Auf ihre Oberfläche sind unregelmäßige Verfärbungen durch den Ruß der Straße zu erkennen, die auf frühere Reklame hindeuten. Bis zum Übergang des Jahres 2019 zu 2020 war hier ein blaues Leuchtschild mit der Aufschrift »briefmarken münzen« sowie ein kleiner Überstand mit einer Markise angebracht. Seitdem sammeln sich immer mehr hastig gezeichnete Tags in rosa, blau und schwarz auf der nun leeren Fläche, manch einer von ihnen ist bereits wieder verblasst. Im Zentrum dieser steinernen Leinwand, die nach unten hin von einem bröckelnden Sockel abgeschlossen wird, liegt der nochmals zurückgesetzte Eingang, an den sich sogleich der Auslagebereich nach rechts anschließt. Es gibt ein Rollgitter, das diese Front gegen Einbrüche schützen soll, allerdings ist es geöffnet, was auf die Nutzung des verwaisten Lokals schließen lässt. Möglicherweise schlüpfte wenige Momente zuvor noch jemand durch die abgewetzte graublaue Tür, deren trübe Scheibe ebenso wenig über das Dahinter verrät. Im ehemaligen Schaufenster daneben stapeln sich Kartons mit polnischen und russischen Aufschriften von Spirituosen, sodass sie jeden möglichen Einblick verhindern, fast zufällig, in ihrer Deckung aber doch bestimmt, bis an die Decke, wo ein gelbes Schild für Sammelsysteme und Prüfgeräte des Herstellers »Safe« wirbt. Nichts ist so sicher wie das verschwindend Bestimmbare dieses Ortes, das sich gerade durch eine Bewegung daran vorbei ins Imaginäre drängt, dort auflöst; so prägt sich vermeintlich Gesehenes ins Gedächtnis ein, als hätte man nicht glauben können, was man sah, nennt es unscheinbar, und sucht es vergeblich Jahr für Jahr.
(Ottakringer Straße)