Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Les statues meurent aussi: Bullfighter and the Lady von Budd Boetticher

Wer melancholisch dreinschauend und mit Zigarre im vernarbten Mundwinkel, geschmückt in golden flimmernden Kleidern, einige tödliche Pirouetten dreht, um sich dann geradezu lasziv und triumphal vor einem verwirrten, tragisch dem Tod geweihten Stier hinzuknien im staubigen Sand einer entzückten Arena, der ist nicht nur Musterexemplar, der an Abartigkeiten so reichen Menschenrasse, sondern auch genau richtig in Budd Boettichers als autobiografische Fiktion verkleidetem Dokument über die Würde des Machismos. Diese Würde, so zeigt der Filmemacher, ist eine Sache der männlichen Statuenwerdung. Vor der Arena nämlich thronen neben Werbeplakaten für mexikanisches Bier die überlebensgroßen Marmorabbildungen von Toreros, die wortwörtlich die Stiere an den Hörnern packen. Und später, wenn Boetticher mit Hilfe des im mexikanischen Klima heimischen Kameramannes Jack Draper (Jahre danach sollte Orson Welles diesen aufsuchen, um an Don Quixote zu scheitern) ein Feuerwerk an gegen die spärlichen Wolken und die Einsamkeit der Arena perlenden Nahaufnahmen seiner Protagonisten abfeuert, werden diese wieder zu Statuen, versteinerte Zeugnisse einer unbeweglichen, verlorenen und sich doch feiernden Männlichkeit.

Es wäre ein leichtes diesen von John Ford im Auftrag von Produzent John Wayne für den ursprünglichen Kinorelease 1951 radikal gekürzten Film (sei 1986 kann man den weitaus überlegenen ursprünglichen Cut des Regisseurs sehen mitsamt einer quasi-avantgardistischen, fast stummen, minutenlangen Stierkampfsequenz in Zeitlupe) durch die bereitliegenden Käsereiben einer Kritik zu ziehen, die in Protagonist Johnny Regan (Robert Stack), der nach Mexiko geht, um Stierkämpfer zu werden und eine Frau zu lieben, den Protofaschisten allen Übels männlichen Imperialismus erkennt. Mit riesiger Sonnenbrille und US-amerikanischem Dominanzgebaren stolziert er folglich durch die ersten Szenen, nimmt sich, was er will. Dann aber würde man dem Film, der auf Boettichers eigenen Erlebnissen in Mexiko basiert, seinen Wert als Dokument absprechen, dann würde man glauben, dass ein Film nicht das zeigen wollen dürfe, was ist, sondern nur, was man sich so bestenfalls vorstellen würde.

Was nämlich sichtbar wird, wenn man sich auf diese an Hemmingway gemahnende Welt einlässt, sind eben jene Statuen, die, wir wissen das spätestens seit Chris Marker und Alain Resnais oder der Sprengung des Stalinův pomník 1962 in Prag, auch sterben werden. Statuen, das weiß man, bilden selten ab, was wirklich war, aber das Bild einer Statue vermag hinter oder besser in deren Antlitz das erkennen, was die Bildhauer nicht aus den Charakteren entfernen konnten. Was sie nicht geheim halten konnten oder wollten. Statuen sind nicht für Nahaufnahmen gestaltet. Deshalb muss man sie sich aus der Nähe anschauen und Boetticher macht das. Die Pupillen tanzen unter seinem Blick, die Haut schillert, der Schweiß tropft. Was man dann erkennen kann, ist die Sterblichkeit dieser Statuen, die Menschen sind.

Die Würde, die für die Toreros im ruhigen Abgang aus der Manege und dem eleganten finalen Stich mit dem espada gegen den Rücken des Stieres liegt, erfüllt sich in dieser Welt zum einen im rituell durchgeführten Tanz mit dem drohenden Tod und zum anderen im tatsächlichen Ableben. Ersteres zeigt Boetticher in einer sich unablässig wiederholenden Gestik dieser Männer, die selbst in der Sauna auf und ab gehen und ihre Hände schwingen, als würden sie ein unsichtbares muleta halten. Zweites vollzieht sich in den Nahaufnahmen, in denen das Bestreben all dieser Würde zu erkennen ist, nämlich, die Zerstörung. Das gilt übrigens für alle Teilnehmenden dieser absurden Veranstaltungen. Die Stiere, die schnaubend und verzweifelt im Kreis rennen, die Frauen, die hier das Unheil immer bereits vorausahnen, die Kinder, deren romantische Verklärung schon beginnt. die gleichen Bewegungen auszuführen, die Touristen, die sich am Spektakel ergötzen und die Toreros, die Leichtigkeit vermitteln, wenn es um das schwerste Ende geht.

Auch wenn es nicht gefallen mag: Hier zeigt sich letztlich, wie einfallsreich die Menschen sind, wenn es darum geht, den Tod als Teil des Lebens zu akzeptieren, grauenvoll und sinnlos wie er auch sein mag. Weniger einfallsreich sind sie, wenn es darum geht, den Tod weniger grausam zu gestalten. Es ist wichtiger, so scheinen auch die Photographien von aufgespießten Toreros im Moment ihres Todes zu sagen, die einmal im Film zu sehen sind, für Prinzipien zu sterben, als so lange wie möglich zu leben und zu lieben. Es wird als mutig betrachtet, in die Schlacht zu ziehen und als ängstlich, zu fliehen. dabei ist es genau andersherum. Aber Statuen können nicht fliehen. Auf diesem Denken errichteten sich Kulturen, die Kriege führen.

Bei Boetticher nun erkennen wir die ganze Tragik dieser Verklärung. Und wir erkennen auch, dass es ein Leichtes ist, für sie zu fallen. Bei Ovid war die Versteinerung noch die schlimmstmögliche Strafe, die sich die Götter einfallen ließen. Für den stolzen Mann ist sie der einzige Ausweg aus der eigenen Nichtigkeit. Toreros unterscheiden sich da nicht von anderen, da darf man sich nichts vormachen. Dabei kostet Boetticher den Triumph Johnny Regans so sehr aus, lässt den Mann Schnitt für Schnitt endlos die gleichen bejubelten Bewegungen durchführen, dass man unweigerlich an die eigentlich schlimmste Strafe der Götter denken muss, nämlich jene, die gegen Sisyphos ausgesprochen wurde. Wer nicht sterben will, muss jeden Tag den Tod überlisten. Jeden Tag. Das ist der Preis für die Ewigkeit. Diese Männer wissen das und suchen sie trotzdem.