Es wird wieder gebohrt. Die Stadt, das Land, eine einzige Baustelle. Die Feira Popular, ein abgerissener Vergnügungspark mitten in Lissabon, ist seit drei Jahren ein Bauloch, eine neue, bessere Stadt angekündigt. Kulturvereine wie die Zona Franca werden aus ihren Räumlichkeiten gedrängt. Der Vorwand: Fortschritt. Zu laut für die Nachbarschaft. Die Wahrheit: Betongold muss bewegt werden. Da wird die Pasteleria Centro Ideal da Graça nach sechzig Jahren vor die Wahl gestellt: entweder das Haus um 1,7 Millionen Euro kaufen (ein Haus, das 2018 noch um 890 000 Euro verkauft wurde) oder es wird gekündigt. Das alles passiert einfach so und es geht dabei nicht einmal um Nostalgie – zurück zu einem „echten“ Lissabon. Sondern um diese Unausweichlichkeit, dieses konstante Gefühl der Ohnmacht, zu der niemand Stellung nehmen will.
Einerseits hört man dann oft von Einheimischen, egal welcher politischen Heimat, ihren je eigenen Nationalismus, die Angst, selbst verdrängt zu werden. Dann sind die Nepalis, die Bangladeshis, die Afrikaner, Schwarze Menschen generell und die Brasilianer Schuld, die sich nicht einordnen wollen, zu zehnt in Wohnungen leben, beim Arzt den Platz in der Schlange wegnehmen. Andererseits halten einige dieser Zeitgenoss*innen in paradoxer Logik gerne die Hand auf, wenn Franzosen, Amerikaner, Engländer, Deutsche (oder sonst jemand aus einem reichen Land) daherkommt, der ihnen eine Familienimmobilie weit über dem Normalpreis mietet oder abkauft, um damit dann selbst inmitten der Stadt ein Pfusch-Eldorado an Renovierungsarbeiten loszutreten.
Des einen Wertanlage, des anderen Schicksal. Aus Kulturvereinen und selbstorganisierten Musikhallen werden Pseudo-Orte im Osten der Stadt. Die Unicorn Factory wird für die Tech-Bros eröffnet. Alte Fabrikhallen wie die LX Factory oder 8 Marvila wurden zu Food Halls wie in Shoreditch umgemodelt. Monokultur importieren, Hauptsache kopieren, und den Tourist*innen gewinnbringend als „südländisch“ verkaufen. Bei Avocadotoast und Naturwein mit Aussicht entsteht keine Widerrede. Vielleicht sind als Nächstes die Sportvereine dran, in denen es sich noch so gut billig essen und trinken, Tischfußball spielen und sich verstecken lässt. Da gibt es noch einige Filetgebäude mit traumhaftem Panorama.
Auch den Nachtklubs geht es, von der Exekutive der Stadt sanktioniert, an den Kragen. Im queer-inklusiven Planeta Manas, das bis letzten Juli in einer ehemaligen Plastikfabrik nahe dem Flughafen drei Jahre lang einen besonderen Ort für Musik schuf, stehen dann plötzlich Riot-Polizist*innen mit Helmen und Knüppeln in der Tür und drehen den Abend zu. Ihr diffuser Vorwand: „Unregelmäßigkeiten“. Es waren ihnen wahrscheinlich zu viele Harnische, zu viel Leder, zu viel nackte Haut, zu viel Spaß zugange. Homophobie unter dem Deckmantel der Ordnung. Während die Straße abgesperrt wird, als wäre ein Amoklauf geschehen, Menschen mit Stöcken aus dem Klub gedrängt werden, darf es im eindeutigen Hetero-Klub nebenan munter weitergehen.
Anstelle einer Gesellschaft gewachsener Traditionen wird alles Persönliche, Exzentrische – ja, Individuelle weggebügelt. Die Stadt lebt diese Verachtung strategisch vor: Kitschnostalgie, Souvenirshops und Airbnbs sind weiterhin willkommen. Aus stadteigenen, geschlossenen Schulen werden Hotels, Naherholungsgrünstreifen wie in Ajuda werden zur Bebauung aufgeschlossen, verkauft, und Anrainerproteste oder Bürgerbefragungen ignoriert. Unter Denkmalschutz stehende Geschäfte (Lojas com História) droht, so wie im Fall der Legende des Kirschlikörs Ginjinha Sem Rival eine Umwidmung, da das Lokal mit seiner alten Marmorbar dem deutschen Hauseigentümer nicht schick genug aussieht. Und so entwickeln sich alltägliche Kleinigkeiten einer Stadt zugunsten einer Parallelgesellschaft. Die einen warten zwanzig Minuten auf einen Bus, die anderen fahren um drei Euro Taxi. Und damit werden am Absturz des Liftes Glória unlängst vom Bürgermeister selbst nur technische, aber wohl niemals politischen Gebrechen als Grund ausgemacht. Das Kabel war schuld.
Einstweilen sitzen im Süden des Landes an der Algarve, in Cabanas de Tavira, Ir*innen und Engländer*innen mittleren Alters an der Esplanade und geben sich wie die Feudalherren ihres Urlaubsdomizils. Portugal als Westernstadt, “bom dia” – “muito obrigado” reicht, der Rest bleibt: „Service bitte, wir kommen ja schon seit Jahren hierher!“ Als würden sie aus der sozialen Ohnmacht in ihrer Heimat hier mit Genuss auf andere treten müssen. Da bleibt nur die Wahl des Ungehorsams: wenn’s reicht, einfach die Bananenschalen auf die Welt da unten entleeren, wie unser Nachbar über uns im Haus.

