Mag der Vergleich zweier Städte, wie zwischen Berlin und Wien, sich oft im Gespräch um das Wetter oder eine gewisse Mentalität drehen, nimmt man ihre inneren Charakterzüge doch eher schweigend wahr. Während Wien stets als eine Stadt der Tiefe gelten will, könnte man Berlin als eine der Fläche betrachten. Zumindest so, wie sie Thomas Arslan in seinen Berliner Filmen sieht, mit denen im Wiener Filmmuseum eine vom Arsenal ausgerichtete Retrospektive über sein filmisches Gesamtwerk begann. Da das Arsenal aufgrund des Umzugs vom Potsdamer Platz in den Wedding zurzeit ohne Spielstätte ist, schaut es sich derweil mit Gastprogrammen in anderen Städten um und zeigt, was man in Berlin ab nächstem Jahr sehen könnte. Im Gegensatz zu Berlin dürfte man glauben, Arslan sei in Wien noch ein Unbekannter, denn eine Werkschau fehlte bislang. Seit dem Ende der 1990er Jahre, mit Geschwister – Kardeşler bis zu seiner letzten Arbeit Verbrannte Erde, beobachtet er immer wieder die Veränderungen der Stadt, in der er lebt. Sowohl hinsichtlich ihrer urbanen als auch sozialen Strukturen, so sind es zunächst Filme, die auf der Straße beziehungsweise im Untergrund spielen. Vielleicht ein Grund für die Wiener Scheu, wo die Begegnung mit der Fläche eher vermieden als gesucht wird. Einen nach unten gerichteten Blick aus einem Hochhaus oder nach oben gen Fernsehturm sucht man vergeblich. Geschult an Robert Bresson, steht die Kamera meist auf Augenhöhe einer im Auto sitzenden Person. Beispielsweise in Im Schatten, dem ersten Teil der Trojan-Trilogie, mit dem Arslan die meiste Zeit die Handlungen und Bewegungen eines misstrauischen, notwendig einsamen Kriminellen verfolgt. Eine minutenlange Einstellung von einer Straße im Regen bei Nacht und künstlichem Straßenlicht, die gerade von so vielen Fahrzeugen frequentiert wird, dass ein spürbarer Eindruck von Anonymität entstehen will, bildet den Anfang. Wenig später öffnet sich unweit davon ein Eingang zu einer Tiefgarage, in der erst ein weißer Porsche und danach Trojan verschwindet. Die kurzzeitige Öffnung des Tors wird wieder zu einer Fläche verschlossen, ganz so wie die Fahrzeuge wieder zu einer rollenden, blechernen Wand werden, sobald kein einzelner Mensch mehr zu sehen ist. In ähnlicher Weise ließe sich auch die Handlung des Films betrachten, die wenig von Motivationen oder Triebfeldern durchblicken, sondern ihre Figuren eher an der Oberfläche schwimmen lässt, wo sie auf- und wieder abtauchen: Ein Raub wird geplant, es geht etwas schief, Dinge und Menschen müssen verschwinden. Das setzt sich auch im zweiten Teil Verbrannte Erde fort, der über zehn Jahre später entsteht und nun vom Raub eines Gemäldes erzählt. Nicht nur die Flächigkeit Caspar David Friedrichs, auch eine neue, technisch-artifizielle Oberfläche kommt hinzu. Die Handlung und das gegenseitige Belauern im Halbdunkel bleiben gleich. Man meint aber, nicht nur die Welt der Kriminalität, auch die Stadt hätte sich verändert, sie bewegt sich schneller, wirkt kälter und abweisender als zuvor. Gleichzeitig scheint es einfacher, Spuren zu hinterlassen. Trotz größerer Oberflächlichkeit mehr Tiefe? Polizei gibt es bei Arslan nicht, so ist es vielleicht eher der Ausdruck einer allgemeinen Paranoia, die sich reziprok angesichts zunehmender Anonymität ausbreitet. Arslan meint, ihn interessiere ein gewisser deutscher Fernsehkrimi nicht, dennoch ähneln seine Arbeiten diesem in bestimmter Hinsicht. Nicht im Sinne des sonntäglichen Lagerfeuers aufgewärmter gesellschaftlicher Klischees oder diskursiver Grenzwahrung. Auch nicht unbedingt bei der Pflege des Genreinventars, die Arslan weniger als Trickkiste, mehr als filmhistorisches Depot versteht. Es ist vor allem die ästhetische Verwandtschaft der Fläche zum Fernsehen. Möchte man sich die Wirkung seiner Filme zwar dort nur schwer vorstellen, geben sie zugleich etwas von der Leere wieder, die man dort finden kann. Eine Leere, die immer wieder mit neuen flüchtigen Inhalten gefüllt wird. In Der schöne Tag ist es ein Fernseher, der bei der Synchronisationsarbeit stets dieselbe Szene von Eric Rohmers Pauline à la plage zeigt. Die Suche nach der Wahrheit von Liebe zeigt sich als coup de foudre. Auf einem anderer Fernseher in Geschwister – Kardeşler läuft ein Film von Bruce Lee, den die Kamera in Großaufnahme abbildet. Beim Gang ins Kino bleibt Arslans Film, der an Maurice Pialats À nos amours erinnert, allerdings lieber vor dem Eingang stehen, als würde sich dahinter ein Geheimnis befinden, das sich nicht für den Blick der Kamera eignet oder bewahrt bleiben soll. Eher interessiert er sich für Gesichter, die sich einander anschauen und noch öfter vorbeischauen, aber nie so, als wollte die Kamera diesen Blick selbst verdoppeln und sich mit den Personen gleichmachen. Die Bilder suchen keine emotionale Tiefe, sondern eine bestimmte flächige Visualität, in der Menschen so mitsamt ihrer Umgebung wahrnehmbar werden, als könnten sie darin verschwimmen. Dabei ist allen diesen Filmen gemein, dass ihre Szenen an kaum signifikanten Orten stattfinden, deren Wahrnehmbarkeit eine übergeordnete, determinierende Rolle spielen könnte. Stattdessen spielen sie in Parks, auf Bahnsteigen, in Fahrzeugen, bei Hauseingängen oder einfach vor Wänden, die mit Plakaten beklebt sowie mit Graffiti bemalt sind und so in ihrer blanken Fläche wiederum etwas anderes zum Vorschein bringen. Nur ein Nummernschild mit dem Buchstaben B oder ein flüchtig wahrgenommener Schriftzug verrät den Ort der Handlung. Die unwillkürliche Anhäufung unscheinbarer Flächen in den Filmen von Arslan erzählen so vom Leben in einer Stadt, wenn vor allem keine Kamera darauf schaut, von Vorgängen, die rastlos in, aber auch um den Film herum stattfinden. Darin liegt das Bildhafte von Arslans Realismus, der sich gerade, ungeachtet des Inhalts, deshalb phobisch zum Fernsehen verhält, weil ihm drohen könnte, in der Bilderflut zu verschwinden, wie es seine Charaktere am Ende der Filme tun und sie wieder zu anonymen Gesichtern auf einer Straße werden, denen die Handlung zu fehlen scheint und die meist bloßer Ausdruck sind.

